Alain Badiou, Jahrgang 1937, ist Philosoph, Romancier, Public Intellectual, Mathematiker. Vor allem aber ist der maoistische Veteran so etwas wie der Grandseigneur der radikalen Linken Frankreichs. In dieser Funktion veröffentlicht er seit Jahrzehnten Band an Band (die magischen 100 Veröffentlichungen hat er überschritten), wobei sich wertvolle Lektüre und verzichtbare die Waage halten.
Die Logik der Revolte paßt nun ausgerechnet zu keinem der beiden Pole. Nonchalant gesagt heißt das: Man kann sie lesen, muß es aber nicht. Das liegt auch am Charakter der Publikation: Sie versammelt am renommierten Collège international de philosophie (Paris) gehaltene Seminare Badious aus den Jahren 2001 bis 2004, und dementsprechend sind viele der Gedanken unterdessen an anderer Stelle formuliert worden. Badious Hauptfeind war und ist der »zeitgenössische Nihilismus«. Er ist der alternativlosen kapitalistischen Logik der Gegenwart immanent und bringt mit sich, daß allem primär ein Warenwert zugeordnet wird, also auch Identitäten, kreativem Potential jenseits der Ökonomie, politischen Überzeugungen usw. Doch was dem entgegensetzen?
Die Revolte! Allein, wie sie konkret aussehen muß, wer ihr Subjekt ist, was ihre Taktik, Methoden und Strategien anbelangt – all dies bleibt bei den ästhetisch-philosophischen Reflexionen wiederum im unklaren. Es scheint bei Badiou ein wenig wie bei Erweckungsgläubigen zu funktionieren: Eine wundersame Situation wird erwartet, in der das bis dato Undenkbare und Unmögliche denkbar und möglich wird. Es ist dieser metaphysische, quasireligiöse Subtext, der Badious materialistische Ansätze umgibt und vermutlich logisch erscheinen muß, wenn man seit über 60 Jahren auf revolutionäre Entwicklungen wartet.
Das bedeutet nicht, daß bei der Lektüre kein Erkenntnisgewinn lauert: Badious kritische Gedanken zum Prinzip der »Tat« als Entgegensetzung zu jenem der »Verwaltung« sind bedenkenswert; seine Kritik des Konsumregimes ist zwar bekannt, aber pointiert; die Degradierung authentischer Politik zu einem Markt, auf dem austauschbare Werbefachleute reüssieren, erscheint nachvollziehbar; die Fundamentalkritik an der westlichen parlamentarischen Demokratie ist bissig; die Betrachtungen zu Amerikanismus und Antiamerikanismus bleiben trotz Irak-KriegHintergrund zeitlos; die Ablehnung des hypermoralischen Gut-Böse-Kosmos trans atlantischer Ideologen wird schmittianisch (ohne Carl Schmitt zu nennen) begründet; und der Liberalismus sieht sich schließlich als vielseitiger Komplex befehdet, der sich als recht erfolgreich darin erweist, unterschiedlichste Allgemeingüter als veraltet (oder ineffizient) zu denunzieren und »Figuren der Konsistenz von Staaten und Völkern zu zerstören«.
Doch Badiou wird auch im zehnten Lebensjahrzehnt ebenjene Staaten und Völker nicht als die eigentlichen bewahrenswerten politischen Subjekte anerkennen – und so sucht er vermutlich in vielen weiteren Publikationen nach der Metaphysik der Bewegungskräfte, die sich einst praktisch gegen die Logik des liberalen Nihilismus wenden könnte.
Logik der Revolte von Alain Badiou kann man hier bestellen.