Felix Dirsch, Volker Münz, Thomas Wawerka (Hrsg.): Nation, Europa, Christenheit

Felix Dirsch, Volker Münz, Thomas Wawerka (Hrsg.): Nation, Europa, Christenheit. Der Glaube zwischen Tradition, Säkularismus und Populismus, Ares-Verlag Graz 2019. 240 S. 19,90 €

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

Der Nach­fol­ger des Sam­mel­ban­des Rech­tes Chris­ten­tum? trägt einen typi­schen Sam­mel­band­ti­tel, lang­wei­lig aka­de­misch. Gera­de bei Sam­mel­pu­bli­ka­tio­nen käme es jedoch auf Titel­ge­bun­gen an, die man sich als Schlag­wort, Slo­gan, zitier­fä­hi­gen Pro­blem­kern mer­ken kann.

Sei dies, wie es sei – im Inhalt ist kein Man­gel an klu­gen Erör­te­run­gen der­je­ni­gen Kern­pro­ble­me, mit denen es ein im wei­ten Sin­ne ver­stan­de­nes »rech­tes Chris­ten­tum« in die­sen Tagen zu tun hat. Der Leser merkt, daß die meis­ten der Bei­trä­ger eben nicht aus der uni­ver­si­tä­ren Publi­ka­ti­ons­not­wen­dig­keit eines publish or peri­sh her­aus schrei­ben, son­dern weil sie die gegen­wär­ti­ge Kri­se des Chris­ten­tums mit­er­le­ben, mit­emp­fin­den (ja, auch dar­auf kommt es an: exis­ten­ti­el­les Mit­emp­fin­den und Mit­kämp­fen), nur eben im Gegen­satz zu den lai­en­haf­ten Lesern größ­ten­teils sol­che Zeit­ge­nos­sen sind, denen in ihrer Aus­bil­dung theo­lo­gi­sches Rüst­zeug mit­ge­ge­ben wor­den ist. 

»Lie­ber Gott, erlö­se das Den­ken! Kann nicht dank dei­nes Zuspruchs und dei­nes Zutuns auch das Den­ken zum Zuden­ken wer­den?« Mit die­sem herr­li­chen Kleinst­ge­bet zitiert Lothar Mack den fast ver­ges­se­nen Theo­lo­gen und Phi­lo­so­phen Eugen Rosen­stock-Hues­sy, der 1919 die Lage nach dem Ers­ten Welt­krieg mit der Lage des streit­ba­ren Chris­ten­tums par­al­lel­führ­te. »Ehr­los – Hei­mat­los« hieß des­sen Auf­satz, den Mack nun sei­ner­seits jeweils pas­sa­gen­wei­se auf die Gegen­wart über­trägt (teil­wei­se kennt man sich in den Zitat­schnip­seln nicht gut aus, eine kon­zi­se­re Dar­stel­lung hät­te grö­ße­re Wir­kung ent­fal­ten können).

Den­ken muß zum »Zuden­ken« wer­den, sowohl in der päd­ago­gi­schen Bedeu­tung des zu Gott hin­auf gerich­te­ten Den­kens, als auch im Sin­ne einer not­wen­di­gen gött­li­chen Zutat zu unse­rem Den­ken. Der für den Bei­trag von Dani­el Zöll­ner maß­geb­li­che Den­ker, der evan­ge­li­sche Theo­lo­ge Fried­rich Gogar­ten (1887 – 1967), beflei­ßig­te sich einer ganz ähn­lich behut­sam-exis­ten­zia­lis­ti­schen Spra­che. Zöll­ner kann mit Gogar­ten erklä­ren, war­um die Säku­la­ri­sie­rung nicht etwa, wie von Auf­klä­rern und Reak­tio­nä­ren glei­cher­ma­ßen ange­nom­men, dem Chris­ten­tum zuwi­der­läuft, son­dern ihm grund­sätz­lich inhä­rent ist: der Mensch ist ein Wesen, das »nicht aus der Welt ist«, nicht aus sich selbst ist, son­dern »zur Mün­dig­keit gegen­über den Mäch­ten die­ser Welt bestimmt«.

Im Sam­mel­band Nati­on, Euro­pa, Chris­ten­heit fin­den sich vier Typen von Auf­sät­zen: Ers­tens sol­che, die his­to­ri­sche, bibel­ex­ege­ti­sche und begriffs­klä­ren­de Argu­men­te bereit­hal­ten für die Dis­kus­sio­nen mit lin­ken Chris­ten und Athe­is­ten, die wir rech­ten Chris­ten stän­dig und immer wie­der aufs neue müh­sam zu füh­ren haben: Nächs­ten­lie­be, Islam, Volk, Poli­ti­sie­rung (von Vol­ker Münz unter dem etwas vom The­ma weg­füh­ren­den Stich­wort »Popu­lis­mus« ver­han­delt). Hier sticht vor allem Tho­mas Wawerk­as Auf­satz zu »Nächs­ten­lie­be und Barm­her­zig­keit« her­vor, der­je­ni­ge zum Islam-The­ma von Jaklin Chat­scha­dori­an ver­bleibt größ­ten­teils auf der christ­li­chen coun­ter-jihad-Ebe­ne.

Zwei­tens ver­sam­melt das vor­lie­gen­de Buch Auf­sät­ze, die sys­te­ma­ti­sche Pro­ble­me aus rech­ter Sicht ange­hen, so der bereits zitier­te über »Säku­la­ri­sie­rung« oder der­je­ni­ge von Dani­el Füh­ring zum – heu­te wei­test­ge­hend aus­ge­boo­te­ten – »Natur­rechts­den­ken«. Der drit­te Typus sind Tex­te mit eige­nem Appell­cha­rak­ter: Weih­bi­schof Atha­na­si­us Schnei­der rich­tet sich vehe­ment gegen ein nach­kon­zi­li­ar ver­stan­de­nes Wohl­fühl- und Wohl­stands­chris­ten­tum, der Brand von Not­re-Dame soll uns ein Zei­chen Got­tes sein. Aus dem eben­falls eher appel­la­ti­ven Bei­trag von André Thie­le bin ich vor lau­ter Ori­gi­na­li­täts­an­spruch als sys­te­ma­tisch den­ken­der Kopf nicht recht schlau gewor­den. Der vier­te Typus soll­te in Sam­mel­bän­den zum Chris­ten­tum aus dezi­diert rech­ter Sicht stär­ker ver­tre­ten sein: Marc Steg­herr führt schlicht und ein­fach umfas­send in den »katho­li­schen Tra­di­tio­na­lis­mus« ein. Für Leser, die selbst nicht Teil der »Sze­ne« sind, son­dern nur abge­sto­ßen von den Amts­kir­chen, braucht es vor allem sol­che Basisarbeit.

Einer der Her­aus­ge­ber, Felix Dirsch, trägt dazu eben­falls bei, indem er die Fra­ge, was eigent­lich »rechts« oder »links« am christ­li­chen Glau­ben und Den­ken ist, his­to­risch nach­zeich­net und gebüh­rend klärt. Die Fra­ge mei­nes Jüngs­ten, ob Jesus eigent­lich links oder rechts war, kann ich noch immer nicht beant­wor­ten, habe aber nach der Lek­tü­re die­ses Ban­des viel mehr Hin­ter­grund­wis­sen dazu im Kopf, um sol­chen Fra­gen ange­mes­sen zu begeg­nen. Der Rest ist »Zuden­ken« und »päd­ago­gi­scher Takt« (Johann Fried­rich Herbart). 

Nati­on, Euro­pa, Chris­ten­heit, her­aus­ge­ge­ben von Felix Dirsch, Vol­ker Münz und Tho­mas Wawerka kann man hier bestel­len.

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

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