Der Nachfolger des Sammelbandes Rechtes Christentum? trägt einen typischen Sammelbandtitel, langweilig akademisch. Gerade bei Sammelpublikationen käme es jedoch auf Titelgebungen an, die man sich als Schlagwort, Slogan, zitierfähigen Problemkern merken kann.
Sei dies, wie es sei – im Inhalt ist kein Mangel an klugen Erörterungen derjenigen Kernprobleme, mit denen es ein im weiten Sinne verstandenes »rechtes Christentum« in diesen Tagen zu tun hat. Der Leser merkt, daß die meisten der Beiträger eben nicht aus der universitären Publikationsnotwendigkeit eines publish or perish heraus schreiben, sondern weil sie die gegenwärtige Krise des Christentums miterleben, mitempfinden (ja, auch darauf kommt es an: existentielles Mitempfinden und Mitkämpfen), nur eben im Gegensatz zu den laienhaften Lesern größtenteils solche Zeitgenossen sind, denen in ihrer Ausbildung theologisches Rüstzeug mitgegeben worden ist.
»Lieber Gott, erlöse das Denken! Kann nicht dank deines Zuspruchs und deines Zutuns auch das Denken zum Zudenken werden?« Mit diesem herrlichen Kleinstgebet zitiert Lothar Mack den fast vergessenen Theologen und Philosophen Eugen Rosenstock-Huessy, der 1919 die Lage nach dem Ersten Weltkrieg mit der Lage des streitbaren Christentums parallelführte. »Ehrlos – Heimatlos« hieß dessen Aufsatz, den Mack nun seinerseits jeweils passagenweise auf die Gegenwart überträgt (teilweise kennt man sich in den Zitatschnipseln nicht gut aus, eine konzisere Darstellung hätte größere Wirkung entfalten können).
Denken muß zum »Zudenken« werden, sowohl in der pädagogischen Bedeutung des zu Gott hinauf gerichteten Denkens, als auch im Sinne einer notwendigen göttlichen Zutat zu unserem Denken. Der für den Beitrag von Daniel Zöllner maßgebliche Denker, der evangelische Theologe Friedrich Gogarten (1887 – 1967), befleißigte sich einer ganz ähnlich behutsam-existenzialistischen Sprache. Zöllner kann mit Gogarten erklären, warum die Säkularisierung nicht etwa, wie von Aufklärern und Reaktionären gleichermaßen angenommen, dem Christentum zuwiderläuft, sondern ihm grundsätzlich inhärent ist: der Mensch ist ein Wesen, das »nicht aus der Welt ist«, nicht aus sich selbst ist, sondern »zur Mündigkeit gegenüber den Mächten dieser Welt bestimmt«.
Im Sammelband Nation, Europa, Christenheit finden sich vier Typen von Aufsätzen: Erstens solche, die historische, bibelexegetische und begriffsklärende Argumente bereithalten für die Diskussionen mit linken Christen und Atheisten, die wir rechten Christen ständig und immer wieder aufs neue mühsam zu führen haben: Nächstenliebe, Islam, Volk, Politisierung (von Volker Münz unter dem etwas vom Thema wegführenden Stichwort »Populismus« verhandelt). Hier sticht vor allem Thomas Wawerkas Aufsatz zu »Nächstenliebe und Barmherzigkeit« hervor, derjenige zum Islam-Thema von Jaklin Chatschadorian verbleibt größtenteils auf der christlichen counter-jihad-Ebene.
Zweitens versammelt das vorliegende Buch Aufsätze, die systematische Probleme aus rechter Sicht angehen, so der bereits zitierte über »Säkularisierung« oder derjenige von Daniel Führing zum – heute weitestgehend ausgebooteten – »Naturrechtsdenken«. Der dritte Typus sind Texte mit eigenem Appellcharakter: Weihbischof Athanasius Schneider richtet sich vehement gegen ein nachkonziliar verstandenes Wohlfühl- und Wohlstandschristentum, der Brand von Notre-Dame soll uns ein Zeichen Gottes sein. Aus dem ebenfalls eher appellativen Beitrag von André Thiele bin ich vor lauter Originalitätsanspruch als systematisch denkender Kopf nicht recht schlau geworden. Der vierte Typus sollte in Sammelbänden zum Christentum aus dezidiert rechter Sicht stärker vertreten sein: Marc Stegherr führt schlicht und einfach umfassend in den »katholischen Traditionalismus« ein. Für Leser, die selbst nicht Teil der »Szene« sind, sondern nur abgestoßen von den Amtskirchen, braucht es vor allem solche Basisarbeit.
Einer der Herausgeber, Felix Dirsch, trägt dazu ebenfalls bei, indem er die Frage, was eigentlich »rechts« oder »links« am christlichen Glauben und Denken ist, historisch nachzeichnet und gebührend klärt. Die Frage meines Jüngsten, ob Jesus eigentlich links oder rechts war, kann ich noch immer nicht beantworten, habe aber nach der Lektüre dieses Bandes viel mehr Hintergrundwissen dazu im Kopf, um solchen Fragen angemessen zu begegnen. Der Rest ist »Zudenken« und »pädagogischer Takt« (Johann Friedrich Herbart).
Nation, Europa, Christenheit, herausgegeben von Felix Dirsch, Volker Münz und Thomas Wawerka kann man hier bestellen.