Gertrud Höhler: Angela Merkel. Das Requiem, 2. Auflage, Berlin: Ullstein Buchverlage 2020. 351 S., 24.99 €
Unzählige Journalisten und Publizisten haben sich an der Dauerkanzlerin abgearbeitet, kamen aber auf keinen gemeinsamen Nenner – ob sie nun Langguth, Roll oder Reuth heißen. Schwierigkeiten bereitete nicht nur ihnen, daß Angela Merkel, die geschickte Machttechnokratin, kaum durch Inhalte, sondern mehr durch taktisches Lavieren, kaum durch Überzeugungen, sondern in erster Linie durch Ausnutzen von Stimmungslagen aufgefallen ist. So kommt man ihrem Politikstil nahe: aufspringen auf den Zug, wenn man weiß, wohin er fährt.
Ein Musterbeispiel hierfür ist der Willkommensüberschwang von 2015 / 16, den kurzzeitig fast die gesamte »Qualitätspresse« mitgetragen hat. Daß man vorher anders darüber geredet hat: egal. Alles schnell revidiert. Gertrud Höhler, erfolgreiche Unternehmens- und Politikberaterin sowie Bestsellerautorin, legte bereits vor einiger Zeit zwei viel beachtete Titel zur Gegenwartspolitik vor: Die Patin, die die scheinbar Alternativlose unter die Lupe nahm (und nicht ohne berechtigte Einwände geblieben ist), als auch die eher systemanalysierende Studie Demokratie im Sinkflug. Nunmehr untersucht sie im Requiem die Schlußphase einer Ära, die, je länger sie andauert, desto katastrophalere Ausmaße offenbart. Höhler arbeitet nun den Weg zur »BED« heraus, zur »Bundesdeutschen Einheitspartei«.
Diese Entwicklung hat sich lange abgezeichnet. Wie in einem Brennspiegel bündelte sich dieser Trend in einem unlängst die Republik aufwühlenden Ereignis: Das Thüringer Politik-Chaos kann insofern als Zäsur gelten, als es bisher nur Vermutetes in den Rang einer Tatsache erhoben hat. Nirgendwo hat sich der langjährige CDU-Niedergang derart manifestiert wie in der Rolle des Thüringer Landesverbandes als Steigbügelhalter der umbenannten Mauermörder-Partei.
Wie nähert sich Höhler der unbekümmerten Alleinherrscherin, für deren Regentschaft nur schwer analytisch belastbare Kategorien zu finden sind? Die »Schlafsaalgouvernante« lulle mit ihrer Symbolpolitik alle ein, so das zentrale Urteil. Mit dieser Taktik umarmte sie den Koalitionspartner, dessen Agenda (»Ehe für alle«, Energiewende, Migrationspolitik, Abschaffung der Wehrpflicht und so fort) sie weithin übernahm – bei gleichzeitiger Verzwergung der Merkelpartei. Die vergrünte CDU fungierte ebenso, wider Willen natürlich, als Geburtshelferin der AfD, die das entstandene Vakuum gefüllt hat. Für Merkel sicherlich ein Schönheitsfehler!
Was den archimedischen Punkt der politischen Entscheidungen Merkels anbetrifft, so kommt die Autorin zu einer nicht überraschenden Erkenntnis: Dieser sei im »kollektiven Trauma« des Landes zu finden, das als Ausgangspunkt für neue Maßlosigkeit und Größenwahn dient. Die grassierende Hypermoral auf allen relevanten politischen Feldern (Rettung der »Flüchtlinge«, Rettung des Euros und Rettung des Klimas) stellt (in Abwendung vom angeblich in die Diktatur mündenden deutschen Sonderweg) den Umschwung des Pendels auf die andere Seite dar. Diese Grundlinie läßt sich relativ leicht in der politischen Praxis ausbuchstabieren. Einige Stichworte dazu lauten: Multilateralismus, Multikulturalismus, Entpolitisierung und Antipopulismus, der legitime Interessen des eigenen Volkes negiert. Neben dieser Grundlinie kann die Machthaberin auf deutsche Tugenden bauen: Ehrfurcht vor Autoritäten, Anpassungsbereitschaft und Sorge um den eigenen Status, um nur wenige zu nennen.
Höhlers Erörterungen und Wertungen verbleiben im begründbaren Radius bürgerlich-konservativer Ansichten. Das zeigt sich auch in ihrem Fazit, nach dem Merkel sich ein »everything goes« zur Leitlinie mache. Ein wenig getrübt wird das Lesevergnügen durch Höhlers Faible für neudeutsches Vokabular: path finder, brainfood, future community, soft determination, brainware, splitminded und viele andere. Es kann wohl nicht die Intention der Autorin sein, das Verständnis des interessanten Textes durch kaum verständliche Fremdwörter zu erschweren.
Angela Merkel. Das Requiem von Gertrud Höhler kann man hier bestellen.