Christian Goeschel: Mussolini und Hitler

Christian Goeschel: Mussolini und Hitler. Die Inszenierung einer faschistischen Allianz, Berlin: Suhrkamp Verlag 2019. 476 S., 28 €

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Es gibt kaum Bedarf an wei­te­ren Hit­ler- und Mus­so­li­ni-Wäl­zern. Legen Autoren trotz­dem sol­che vor, soll­ten sie für den his­to­risch-poli­tisch auf­ge­schlos­se­nen Leser einen Mehr­wert mit sich brin­gen: Ver­wen­dung bis dato uner­schlos­se­ner Doku­men­te, erst­ma­li­ge Über­set­zun­gen von Brie­fen oder Nie­der­schrif­ten, inno­va­ti­ve Deu­tungs­an­sät­ze usw. Ver­schie­de­ne Autoren sind dage­gen in den letz­ten Jah­ren dar­an geschei­tert, ein ent­spre­chen­des Wis­sens­plus zu ver­mit­teln (vgl. die Rezen­sio­nen zu Hans Wol­lers Mus­so­li­ni-Bio­gra­phie in der 73. und zu Wer­ner Bräu­nin­gers DUX-Groß­essay in der 83. Sezes­si­on.)

Mit Chris­ti­an Goe­schels Ana­ly­se der welt­an­schau­lich, stra­te­gisch und mensch­lich ambi­va­len­ten Bezie­hung zwi­schen Beni­to Mus­so­li­ni und Adolf Hit­ler liegt nun ein wei­te­rer Ver­such vor, der von Ian Kers­haw bis Richard Evans pro­mi­nen­te Lob­red­ner fand. Und in der Tat ver­fügt die rei­bungs­los aus dem Eng­li­schen über­tra­ge­ne Stu­die des in Man­ches­ter leh­ren­den His­to­ri­kers über lesens­wer­te Perspektiven.

Goe­schel zeigt quel­len­satt, war­um die Alli­anz zwi­schen Rom und Ber­lin respek­ti­ve zwi­schen den bei­den Dik­ta­to­ren – mit ihnen stand und fiel die »Ach­se« – kei­ne ideo­lo­gi­sche Lie­bes­hei­rat der spä­ten 1930er Jah­re war, son­dern von Zufäl­len, Neid, Ste­reo­ty­pen und Stim­mungs­schwan­kun­gen (von Eupho­rie bis Defä­tis­mus) geprägt war. Es wird deut­lich, daß in der Poly­kra­tie des Natio­nal­so­zia­lis­mus unter­schied­li­che Deu­tun­gen des faschis­ti­schen Phä­no­mens zir­ku­lier­ten, die von anvi­sier­ter Nach­ah­mung bis zu schrof­fer Ableh­nung reich­ten (was umge­kehrt in Ita­li­en in bezug auf das deut­sche NS-Gebil­de noch stär­ker galt).

Dies wird eben­so dar­ge­stellt, wie Unter­schie­de in Wesen und Vor­ge­hens­wei­se der bei­den Por­trä­tier­ten unter den spe­zi­fi­schen gesell­schaft­li­chen und poli­ti­schen Ver­hält­nis­sen, die sie umga­ben, greif­bar wer­den. Auch mili­tär­his­to­ri­sche Aspek­te wer­den dem Leser ver­mit­telt. Ob Mus­so­li­nis For­de­rungs­lis­ten an deut­sche Stel­len, der Hin­weis auf sei­ne kon­stan­ten Inves­ti­tio­nen in die Befes­ti­gung des anvi­sier­ten Vallo Alpi­no del Lit­to­rio an der ita­lie­nisch-deut­schen Gren­ze oder sei­ne impe­ria­le Sehn­sucht inklu­si­ve diver­ser Anne­xi­ons­fehl­schlä­ge – Goe­schel zeich­net das Bild eines beharr­li­chen außen­po­li­ti­schen Schei­terns, das in der Hybris des Duce begrün­det lag, was Hit­ler zuneh­mend erzürnte.

Auch bezüg­lich Hit­ler kann Goe­schel – bekann­te – Fak­ten zusam­men­tra­gen, die u. a. sei­nen Hang zu unum­stöß­li­chen Pau­schal­ur­tei­len und eine manisch-aggres­si­ve Kri­tik­re­sis­tenz eben­so ver­an­schau­li­chen wie sie den Wan­del der Hit­ler­schen Mus­so­li­ni-Ver­eh­rung Anfang der 1920er Jah­re hin zu einer aus­ge­reif­ten Miß­ach­tung bis ins gemein­sa­me Todes­jahr 1945 ent­fal­ten. Trotz lesens­wer­ter Aspek­te über­wie­gen Män­gel. Das beginnt bei unge­nü­gen­den ter­mi­no­lo­gi­schen Ein­sich­ten. Das führt dazu, daß Hit­ler und Mus­so­li­ni als die »bei­den wich­tigs­ten faschis­ti­schen Staats­män­ner« ein­ge­führt wer­den, ohne daß geklärt wird, wes­halb Hit­ler über­haupt »Faschist« gewe­sen sein soll.

Es fehlt ohne­hin jede Erklä­rung, was unter »Natio­nal­so­zia­lis­mus« und »Faschis­mus« ver­stan­den wird, was pro­ble­ma­tisch erscheint, wenn wie­der­holt betont wird, daß es Wider­sprü­che und Unter­schie­de zwi­schen bei­den Ideo­lo­gien (und ihren pro­mi­nen­tes­ten Ver­kör­pe­run­gen) gab, ohne daß skiz­ziert wird, wor­in die­se bestan­den. Neben einer man­gel­haf­ten ideen­po­li­ti­schen Klar­heit ist der stel­len­wei­se auf­kom­men­de Plau­der­ton anzu­füh­ren. Wenn Goe­schel über Mus­so­li­ni höhnt, daß man »von einem zähen faschis­ti­schen Kämp­fer« erwar­tet hät­te, daß er stark blei­be und sich kei­ne »schwe­re Erkäl­tung« zuzö­ge, ist man irri­tiert; wenn geraunt wird, Mus­so­li­ni hät­te trotz Öster­reich-Kri­se 1938 noch Zeit gefun­den, »mit (Cla­ra) Peta­c­ci ins Bett zu stei­gen«, fühlt man sich eher an eine schlüpf­ri­ge Kolum­ne aus dem Bou­le­vard­blatt The Sun als an eine Aus­ar­bei­tung eines Dozen­ten diver­ser eng­li­scher Uni­ver­si­tä­ten erinnert. 

Hin­zu kom­men kon­ti­nu­ier­li­che per­sön­li­che Wer­tun­gen, aber auch Über­in­ter­pre­ta­tio­nen: Wor­in besteht etwa die vom Autor dra­ma­ti­sier­te Dro­hung Goeb­bels gegen Mus­so­li­ni aus dem Jahr 1941, wenn der Pro­pa­gan­da­mi­nis­ter sie exklu­siv sei­nem pri­va­ten Tage­buch mit­teil­te – benö­tigt eine Dro­hung kei­nen Empfänger?

Auch Goe­schels Mus­so­li­ni und Hit­ler-Wäl­zer fehlt es damit an befrie­di­gen­dem Mehr­wert für den Leser und ist: ver­zicht­ba­re Lektüre. 

Mus­so­li­ni und Hit­ler. Die Insze­nie­rung einer faschis­ti­schen Alli­anz von Chris­ti­an Goe­schel kann man hier bestel­len.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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