Überlegungen zu einer postmodernen Rechten

PDF der Druckfassung aus Sezession 92/Oktober 2019

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

Die ein­fachs­te Metho­de, Men­schen anzu­lü­gen, besteht dar­in, ihre per­sön­li­che Wahr­neh­mung der objek­ti­ven Rea­li­tät zu ver­än­dern – so weit, so mora­lisch ver­werf­lich (wenn auch in der Sache unbe­streit­bar). Ver­ständ­lich also die laut­star­ke Empö­rung, als im Febru­ar das von der Lin­gu­is­tin Eli­sa­beth Weh­ling im Auf­trag der ARD erstell­te »Framing«-Handbuch an die Öffent­lich­keit gelangte.

Wirk­lich? Immer­hin han­delt es sich bei Weh­lings Arbeit zu die­sem The­ma um kei­ne Geheim­leh­re, son­dern einen umfang­reich beforsch­ten Zweig der poli­ti­schen Kom­mu­ni­ka­ti­on. Und wenn wir im obi­gen Ein­lei­tungs­satz das Wört­chen »anzu­lü­gen« gegen »zu über­zeu­gen« aus­tau­schen, was ist dann das Nach­den­ken dar­über, »wie eine Nati­on sich ihr Den­ken ein­re­det« (Weh­ling), ande­res als ein Aspekt poli­ti­schen Mar­ke­tings – oder, ganz kon­kret, genau jener Gramscis­mus, der das wesent­li­che Kenn­zei­chen »der« Neu­en Rech­ten dar­stel­len soll?

Unge­ach­tet der Impli­ka­tio­nen die­ser Fra­ge dahin­ge­hend, ob wir »den Mäch­ti­gen« übel­neh­men, was wir selbst gern täten, weil sie eben »die Mäch­ti­gen« sind, wirft das Gan­ze ein bezeich­nen­des Licht auf den Zustand der real exis­tie­ren­den groß­west­deut­schen Eli­ten­de­mo­kra­tie: Wo abseits von Wirt­schafts­wachs­tum, Grund­ge­setz­treue und »his­to­ri­scher Ver­ant­wor­tung« nichts die »Bevöl­ke­rung« ver­klam­mert, bedarf es um so enge­rer Kon­trol­le der ins Kraut schie­ßen­den Partikularinteressen.

Aus rech­ter Per­spek­ti­ve bli­cken wir hier gewis­ser­ma­ßen auf die Kehr­sei­te einer »Mosa­ik-Rech­ten« à la Bene­dikt Kai­ser (vgl. Sezes­si­on 77): Bereits 2013 klag­ten die Ver­fas­ser eines »Akze­le­ra­tio­nis­ti­schen Mani­fests« die heu­ti­ge Lin­ke an, sich auf blo­ße Besitz­stands­wah­rung und loka­le Sym­bol­po­li­tik zurück­ge­zo­gen zu haben. Fun­da­men­ta­ler Wan­del bedür­fe hin­ge­gen nicht nur phan­tas­ti­scher Stra­te­gien zur Erlan­gung intel­lek­tu­el­ler Hege­mo­nie, son­dern vor allem einer Gegen­er­zäh­lung zur Ver­wer­tungs­lo­gik des Neoliberalismus.

Die­sen Erwä­gun­gen lie­gen genu­in post­mo­der­ne Ver­satz­stü­cke zugrun­de, und nach­dem die­ses reich­hal­ti­ge, wenn auch teils ver­stö­ren­de Feld des Den­kens von rechts her lan­ge brach­lie­gen gelas­sen wur­de, ist es hohe Zeit für eini­ge Gedan­ken zu sei­ner Bestel­lung. Leser mit vor­ge­fer­tig­tem kon­ser­va­ti­ven Welt­bild, die vor einem sol­chen The­ma halb ange­ekelt, halb ärger­lich zurück­zu­cken, sei­en vor­sorg­lich auf Armin Moh­ler ver­wie­sen, der bereits Ende der 1980er in Cri­ticón über das Wir­ken des Post­mo­der­ne-Chro­nis­ten Wolf­gang Welsch berich­te­te und der Rech­ten eine Beschäf­ti­gung mit der dama­li­gen »Mode­phi­lo­so­phie« drin­gend nahe­leg­te; letzt­lich ohne Erfolg.

Was bleibt, ist Moh­lers Mah­nung, der nach­zu­kom­men schon die Suche nach neu­en Ufern gebie­tet. Und nicht zuletzt der damals noch zu Füßen Donald Trumps sit­zen­de Ste­phen Ban­non sorg­te Anfang 2017 für inter­na­tio­na­les Auf­se­hen, als er eine gro­ße »Dekon­struk­ti­on« in Aus­sicht stell­te – womit letzt­lich aber doch nur das liber­tä­re Man­tra vom Rück­bau des Ver­wal­tungs­staats gemeint war. Gewiß ste­hen die meis­ten post­mo­der­nen Den­ker und Theo­re­ti­ker im enge­ren Sin­ne mehr oder weni­ger dezi­diert links.

Wo auch sonst: Der Kon­ser­va­ti­ve an sich wird sich heu­te wie vor 50 Jah­ren kaum bemü­ßigt sehen, Herr­schafts­struk­tu­ren und Insti­tu­tio­nen zu hin­ter­fra­gen und zu kri­ti­sie­ren. Das ist stets eine genu­in lin­ke Beschäf­ti­gung geblie­ben, auch wenn sie uns im Ange­sicht einer der Rech­ten rigo­ros feind­se­lig gegen­über­ste­hen­den Beam­ten­kas­te nicht schlecht zu Gesicht stün­de. Nun also: Was sind die bestim­men­den Wesens­zü­ge unse­rer Befind­lich­keit, die­ses post­mo­der­nen Zustandes?

1. Kol­laps der »Meta­nar­ra­ti­ve«, also der die Gemein­schaft in all ihren Unter­tei­lun­gen (Ver­wal­tung, Bil­dung, Wis­sen­schaft, Wirt­schaft …) auf ein ein­zi­ges Ziel hin aus­rich­ten­den inklu­si­ven Groß­erzäh­lun­gen. Die­se mit blo­ßen »Ideo­lo­gien« gleich­zu­set­zen, greift zu kurz; viel­mehr lie­fer­ten Meta­nar­ra­ti­ve die his­to­rio­gra­phi­sche Rück­bin­dung der moder­nen Pri­mä­rideo­lo­gien Libe­ra­lis­mus, Sozia­lis­mus und Faschismus.

Streng­ge­nom­men stell­te die Auf­klä­rung selbst den Nie­der­gang des christ­li­chen Meta­nar­ra­tivs dar; die Post­mo­der­nis­ten haben die Post­mo­der­ne also nicht ein­fach erfun­den, son­dern sie viel­mehr vor­ge­fun­den, sie dia­gnos­ti­ziert und auf sie reagiert, wes­halb sie sowohl Nietz­sche als auch Heid­eg­ger zu Vor­den­kern erklä­ren können.

Lyo­tard schrieb im weg­wei­sen­den Post­mo­der­nen Wis­sen: »In äußers­ter Ver­ein­fa­chung kann man sagen: ›Post­mo­der­ne‹ bedeu­tet, daß man den Meta-Erzäh­lun­gen kei­nen Glau­ben mehr schenkt.« Die­se ent­spra­chen dem, was man heu­te »Tota­li­ta­ris­mus« nennt, und wer – so oppo­si­tio­nell er sich auch geben mag – ist schon bereit, die­ses ganz spe­zi­el­le Stig­ma zu tragen?

2. Zumin­dest im Wes­ten wirt­schaft­li­cher Über­gang von der Indus­trie- zur Dienst­leis­tungs­ge­sell­schaft, je nach Theo­re­ti­ker vom Mono­pol- zum mul­ti­na­tio­na­len oder Kon­sum­ka­pi­ta­lis­mus / »Spät­ka­pi­ta­lis­mus«, und somit Kon­sti­tu­ti­on eines neu­en Ver­hält­nis­ses der Men­schen zu Arbeit und Kon­sum­gü­tern, zu wel­chen letz­te­ren auch die Medi­en zählen.

Dies hat schwer­wie­gen­de Aus­wir­kun­gen auf die gesam­te indi­vi­du­el­le Lebens­ge­stal­tung, wie sich augen­fäl­lig am heu­te ver­hält­nis­mä­ßig hohen kon­su­ma­to­ri­schen Lebens­stan­dard selbst ein­fachs­ter Fließ­band­ar­bei­ter able­sen läßt, wäh­rend klas­si­sche Mar­ker von sta­bi­lem Wohl­stand voll­kom­men in den Hin­ter­grund getre­ten sind, ins­be­son­de­re der Hausbesitz.

3. Neue Medi­en- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­no­lo­gien
und dadurch ein neu­es Ver­hält­nis der Men­schen zu Ereig­nis­sen über­all auf der Welt, zu Fra­gen der Reprä­sen­ta­ti­on und selbst der Wahr­heit als sol­cher. Vor allem, damit ein­her­ge­hend: eine nie zuvor gese­he­ne Aus­brei­tung der Zei­chen und Bil­der, die auch die neu­ro­to­po­gra­phi­sche Infra­struk­tur unse­res Den­kens unmit­tel­bar zu beein­flus­sen vermag.

Wo sich bereits nach­wei­sen ließ, daß das Auf­kom­men des Schwarz-Weiß-Fern­se­hens zu mono­chro­mem Träu­men der Men­schen führ­te, so wer­den die radi­kal geschrumpf­ten Auf­merk­sam­keits­span­nen unse­rer heu­ti­gen Zeit­ge­nos­sen sicher nicht die letz­ten Kon­se­quen­zen der mul­ti- und cross­me­dia­len All­ge­gen­wart gewe­sen sein. Viel­mehr führt die unun­ter­bro­che­ne und vor allem auf Bil­dern auf­ge­bau­te vir­tu­el­le Gegen­wart nicht nur zu fun­da­men­ta­len kogni­ti­ven Ver­än­de­run­gen, son­dern auch emo­tio­na­len und sol­chen des Verhaltens.

Von über­ra­gen­der Bedeu­tung für eine zeit­ge­mä­ße und sich in Aus­sicht auf eine immer wei­ter beschleu­nig­te Zukunft rüs­ten­de Rech­te ist inner­halb die­ses Drei­klangs eine so rigo­ros wie nur mög­lich aus­fal­len­de Medi­en­kri­tik. Der Grund liegt auf der Hand: Wäh­rend sich die ein­schlä­gi­gen Medi­en zur Zeit einer schein­bar schlag­kräf­ti­gen par­tei­för­mi­gen Rech­ten (Repu­bli­ka­ner) wie wild­wüch­sig-unter­grün­di­gen »Neu­en Rech­ten« in der ers­ten Hälf­te der 1990er vor­sichts­hal­ber in fast gänz­li­chem Ver­schwei­gen übten und die Abweich­ler so zum guten Teil öffent­lich unsicht­bar machen konn­ten, wich die­ses Aus­blen­den im neu­en Jahr­tau­send einer Art von über­heb­lich-amü­sier­tem Geplänkel.

Vor­bild war der jovia­le und läs­sig-iro­ni­sche Umgang der links­li­be­ra­len US-Medi­en­land­schaft mit dem selt­sa­men Zusam­men­ge­hen von christ­li­cher Rech­ter und tech­no­kra­tisch-impe­ria­lis­ti­schen Neo­kon­ser­va­ti­ven. Daß in den 2010er Jah­ren aus dem sprich­wört­li­chen Blau­en her­aus eine über­ra­schend hart­nä­cki­ge Par­tei und eine zeit­wei­lig auf­se­hen­er­re­gen­de Bür­ger­be­we­gung hin­zu­tra­ten und den zuvor zur eta­blier­ten Zufrie­den­heit völ­lig erstarr­ten poli­ti­schen Betrieb stel­len­wei­se auf­bre­chen konn­ten, schuf ein Span­nungs­ver­hält­nis: Einer­seits war es unum­gäng­lich, wei­ter­hin das künst­lich erzeug­te Publi­kums­be­dürf­nis nach Gru­sel­ge­schich­ten über »net­te und klu­ge Nazis von neben­an« zu bedienen.

Auf der ande­ren Sei­te steht der Mecha­nis­mus, daß alles Berich­te­te zwangs­läu­fig auf­ge­wer­tet wird und der maß­geb­lich auch von und mit eben­die­sen Medi­en aus­ge­han­del­te Sta­tus quo nicht tat­säch­lich ins Wan­ken gebracht wer­den darf: Psy­cho­pa­thia media­lis. Von unvor­ein­ge­nom­me­ner und / oder objek­ti­ver Bericht­erstat­tung zu träu­men, ist nicht nur vor die­sem Hin­ter­grund eine völ­li­ge Kin­de­rei – sind doch Medi­en­ethik und Pri­vat­heit in Wahr­heit Erfin­dun­gen gera­de ein­mal des spä­ten 19. Jahr­hun­derts, also »sozia­le Kon­struk­te« par excel­lence.

Eben­so hat es über­haupt kei­nen Sinn, in die­sem Zusam­men­hang von einem »Info­krieg« zu spre­chen, weil dem­nach alle Betei­lig­ten mit Fak­ten und Sach­ar­gu­men­ten im ergeb­nis­of­fe­nen Wett­be­werb gegen­ein­an­der antre­ten müß­ten – nichts ent­spricht in der media­len Sphä­re jedoch weni­ger der Wahr­heit. Berich­tet wird über sol­che The­men und in solch einer Wei­se, daß der Redak­ti­ons­agen­da und ‑bilanz gedient ist, eben­so wie Behör­den nur sol­che poli­ti­schen Ver­an­stal­tun­gen zulas­sen, die nicht die Inter­es­sen der jeweils aktu­ell Herr­schen­den tangieren.

Dies anzu­er­ken­nen, käme ins­be­son­de­re denen zugu­te, die sich so dezi­diert auf »1989« beru­fen: Immer­hin hat­te die real exis­tie­ren­de »Wen­de« einen erheb­li­chen öko­no­mi­schen Lei­dens­druck und schwe­re geo­po­li­ti­sche Ver­wer­fun­gen zur Vor­aus­set­zung. Medi­en vor­zeig­ba­rer Reich­wei­te sind zwangs­läu­fig Vek­to­ren der Macht, und Macht ist stets ein Null­sum­men­spiel. So gese­hen gibt es auf die­ser Welt über­haupt nur zwei Din­ge, die wirk­lich exis­tie­ren: Wahr­heit und Macht.

Und bei­de ste­hen oft im Wider­spruch zuein­an­der. Tat­säch­lich las­sen sie sich ent­lang einer unor­tho­dox gedach­ten Links-rechts-Pola­ri­tät anord­nen, wobei das Stre­ben nach Macht – wor­un­ter wir direk­tes wie indi­rek­tes sozi­al-gesell­schaft­li­ches Wirk­ver­mö­gen ver­ste­hen wol­len – de fac­to Kenn­zei­chen der »über­so­zia­li­sier­ten« Lin­ken ist, das Stre­ben nach und die Beru­fung auf die Wahr­heit hin­ge­gen ten­den­zi­ell rechts ange­sie­delt ist.

Das klingt erst­mal ganz her­vor­ra­gend und nach einer sehr beque­men mora­li­schen Posi­ti­on – nur muß man eben trotz­dem mit bei­den Pola­ri­tä­ten inter­agie­ren kön­nen. Man kann nicht in ein Spiel mit gezink­ten Kar­ten ein­stei­gen und dar­auf spe­ku­lie­ren, mit­ten­drin die Regeln ändern zu kön­nen – unter den gege­be­nen Umstän­den kann man nur ent­we­der nach den Regeln des Geg­ners spie­len oder gar nicht.

Wohl dar­in liegt die wah­re Crux der Sache für die Dis­si­denz – ob nun »neu­rech­ter« oder sonst­wel­cher Art, denn es geht hier ja eben gera­de nicht um irgend­ei­ne wie auch immer gear­te­te »gro­ße Erzäh­lung«, son­dern um das eigent­li­che Gerüst dar­un­ter: Die Kon­se­quenz aus der Erkennt­nis, daß alle ver­such­te Ein­fluß­nah­me auf »den Dis­kurs«, aller Aktio­nis­mus und jede »Pro­vo­ka­ti­on« unter den gegen­wär­ti­gen, gänz­lich markt­be­stimm­ten Bedin­gun­gen öffent­li­cher Kom­mu­ni­ka­ti­on nur in eine »Simu­la­ti­on« und das Mario­net­ten­thea­ter der Meta-Medi­en mün­den kann, ist ent­we­der Resi­gna­ti­on oder Zynismus.

Das ver­zwei­fel­te Auf­tre­ten als Tanz­bär eines bin­dungs- und wur­zel­lo­sen Indi­vi­dua­lis­mus als schein­bar ein­zig denk­ba­rem Gegen­mo­dell zu einem unter­drü­cke­ri­schen links­li­be­ra­len »Kol­lek­ti­vis­mus«, wie es ins­be­son­de­re der Kana­di­er Jor­dan B. Peter­son und eini­ge ande­re popu­lär­phi­lo­so­phi­sche Quack­sal­ber seit eini­gen Jah­ren pfle­gen, kann jeden­falls kaum die Ant­wort sein. Und die Rech­te kann auch kei­ner­lei Sym­pa­thien gewin­nen mit dem – meist ins Erbärm­li­che abglei­ten­den – Ver­such, den Schutz poten­ti­el­ler Opfer­grup­pen für sich zu rekla­mie­ren, momen­tan vor allem von Juden und sexu­ell Devi­an­ten gegen­über »dem Islam«.

Jüngs­tes, wohl nur noch schwer zu über­trump­fen­des Bei­spiel: Die am 31. August in Bos­ton, Mas­sa­chu­setts abge­hal­te­ne »Straight Pri­de Para­de« zur Fei­er der Hete­ro­se­xua­li­tät – unter der Schirm­herr­schaft des bank­rot­ten homo­se­xu­el­len Berufs­trolls Milo Yiann­o­pou­los. Hin­ter sol­chen schlech­ten Imi­ta­tio­nen steckt die fata­le Grund­an­nah­me, die beson­ders von der libe­ral­kon­ser­va­ti­ven Alt-Light als kol­lek­ti­vis­ti­scher Dämon an die Wand gemal­te »into­le­ran­te Lin­ke« in Sachen Libe­ra­lis­mus über­trump­fen zu können.

Das aber ist nichts ande­res als das Auf­ein­an­der-Her­um­ha­cken von Vögeln, die gelernt haben, ihren Käfig zu lie­ben – unter media­lem Bei­fall. Vor die­sem Hin­ter­grund gibt es zum Zynis­mus also genug Anlaß, wenn wir ihn in klas­si­scher Wei­se als »exis­ten­tia­lis­ti­schen Pro­test« (Klaus Hein­rich) gegen­über der dräu­en­den Sinn­lo­sig­keit ver­ste­hen wollen.

In jedem Fall schei­den sich hier ernst­haf­te Ver­su­che eines pro­duk­ti­ven Umgangs mit der Post­mo­dern con­di­ti­on von rei­nen Mätz­chen wie einem ent­grenz­ten Rela­ti­vis­mus (den tat­säch­li­che Theo­re­ti­ker wie der obers­te Dekon­struk­ti­vist Jac­ques Der­ri­da stets abge­lehnt haben) und vor allem einer all­ge­gen­wär­ti­gen Iro­nie, die sich schon Mit­te der 1990er über­lebt hat­te und – selbst kom­mo­di­fi­ziert – zu einem Vehi­kel der Wer­be­bran­che ver­kom­men war, wovon frü­he Auf­ru­fe zu ihrer dis­kur­si­ven Über­win­dung mit­tels Post-iro­ny und Neo-sin­ce­ri­ty zeugen.

Daß gera­de sie sich bei inter­es­sier­ten, aber ober­fläch­li­chen Beob­ach­tern so sehr als Cha­rak­te­ris­ti­kum ein­ge­prägt hat, zeugt von der ste­ten Gefahr, zwi­schen den unzäh­li­gen Meta­ebe­nen und rhi­zo­ma­ti­schen Aus­wüch­sen des weit­läu­fi­gen The­mas die Ori­en­tie­rung zu verlieren.

Es ist nur fol­ge­rich­tig, wenn Jack Dono­van im abschlie­ßen­den Teil sei­ner Tri­lo­gie der Mann­haf­tig­keit, der sich in den letz­ten Zügen der Über­set­zung befind­li­chen Nietz­sche-Hom­mage A More Com­ple­te Beast, die Fra­ge danach stellt, wie­viel Loya­li­tät ein vor allem um Infan­ti­li­sie­rung, Bemut­te­rung und Ver­wer­tung sei­ner Par­ti­kel bemüh­tes Gemein­we­sen ver­dient hat. Ein ers­ter Schritt in die rich­ti­ge Rich­tung mag die radi­ka­le Ent­kop­pe­lung von der Ver­mark­tungs­lo­gik sein, weg vom Haschen nach »Likes«, Auf­la­gen­hö­hen und ver­kauf­tem Nip­pes, unter völ­li­ger Auf­kün­di­gung jeder Zusam­men­ar­beit mit den Dis­sens ver­nut­zen­den Klischeemedien.

Sie muß – auf­grund der im heu­ti­gen »Kon­sum­ka­pi­ta­lis­mus« unent­flecht­bar engen Ver­bin­dung zwi­schen Kul­tur­in­dus­trie und libe­ra­lem Sys­tem, wie sie Medi­en­theo­re­ti­ker wie Stiegler und ins­be­son­de­re Bau­dril­lard ange­mahnt haben – zu einer gänz­lich neu­en In-Bezie­hung-Set­zung zur poli­tisch-gesell­schaft­li­chen Rea­li­tät füh­ren. In der Fol­ge wird man sich Fra­gen der Mach­bar­keit und Wünsch­bar­keit einer Mas­sen­re­so­nanz wid­men können.

Ein sol­ches Den­ken macht in jedem Fall frei und ver­leiht den nöti­gen Schwung, um Türen hin­ter sich zuzu­schla­gen und neue auf­zu­rei­ßen. Nicht aber, um mit dem Kopf durch die Wand zu gehen, denn da wären wir wie­der beim Akze­le­ra­tio­nis­mus. Dazu lie­ber ein ander­mal. Um abschlie­ßend noch ein­mal Deleu­ze zu bemü­hen: »Weder zur Furcht noch zur Hoff­nung besteht Grund, son­dern nur dazu, neue Waf­fen zu suchen.«

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

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