Er ist es seit Jahrzehnten – er paßt noch heute. Was bedeutet es, wenn sich selbst der aufgeklärteste Zeitgenosse dem „Faszinosum NS“ kaum entziehen kann? Eine wichtige Frage, eine peinliche Antwort: Unsere Landsleute sind wie fixiert auf die Frauen, Drogen, Mode, Musik, Medizin etc., die zu diesen Zeiten en vogue waren.
Jan Mohnhaupt (*1983), der Autor einer jüngst erschienenen Studie über Tiere im Nationalsozialismus, trägt einen berüchtigten Namen. Über seine wissenschaftliche Karriere (Studienabschluß?) ist wenig bekannt. Er reüssiert als „freier Journalist“.
Sein neues Werk wurde in den Leitfeuilletons der Republik weithin besprochen und ausschließlich hochgelobt. In der Tat ist es über weite Strecken gut lesbar und gespickt mit interessanten Fundstücken. Es ist erstens der journalistische Zugriff („Diese Szene hat nicht tatsächlich stattgefunden, aber sie könnte sich so oder so ähnlich zugetragen haben“) und zweitens das Anekdotische, das diesen „Wir-blicken-mit-gebotenem-Spott-auf- die-Hitlerei“-Schmöker so erquicklich macht.
Hinzu kommen die formidablen, oft hintersinnigen Kapitelüberschriften: „Das große Fettrüsten“ heißt es, wo es um die Schweinewirtschaft, „Entlarvung“, wo es um Seidenraupen geht. Oder (logisch, jetzt Görings Auftritt!): „Die Enden der Hirsche“- was haben wir gelacht!
Freilich sollen wir Leser jenes Lachen lachen, das in der Kehle verstummt. Diese deutlich abgezirkelte Absicht nun verstimmt – als würden wir nicht längst frieren, als benötigten wir Grausamkeitsnachschub wie ein Abhängiger die Droge. Jan Mohnhaupt bringt neben Altbekanntem (Hitler war strenger und missionarischer Vegetarier; die Brühe, die Albert Speer neben ihm löffelte, nannte er abfällig „Leichentee“; er erwog, auch seine Hunde vegetarisch zu ernähren) eine Vielzahl an Sollte-man-Wissen hervor, das man ebensogut in einem Boulevardmagazin abgedruckt finden könnte.
Das hat zweifellos Unterhaltungswert: Wir sehen Hitler abgebildet, wie er Eva Brauns winzige Scotch-Terrier „Negus“ und „Stasi“ (A.H.: „Handfeger“) streichelt, obwohl er sich doch „offiziell gern mit Schäferhunden ablichten“ ließ. Verrückt!
Die photogen- prominente Hundedame Hitlers war übrigens bereits „Blondi, die Dritte“. Die Rüden, die Hitler hielt, hießen Foxl, Muck und Wolf. Hitler mochte keine Boxer. Der Deutsche Schäferhund wurde erst 1899 „erfunden“. Zwölf Jahre später gab es bereits 13.000 „reinrassige“ Tiere – und zu Beginn der Dreißigerjahre umfaßte das Zuchtbuch über 400. 000 Deutsche Schäferhunde. Zum Dienst allein im ersten Kriegsjahr seien – so recherchiert Mohnhaupt – rund 200. 000 Hunde aus deutschen Haushalten eingezogen worden: neben dem Schäferhund vor allem Airedale-Terrier, Dobermann, Rottweiler und Riesenschnauzer. Boxer auch. Man lernt hier einiges.
Außerdem: Bis 1940 lebten insgesamt, der Reihe nach, ganze sieben Junglöwen bei den Görings! Anhand dessen könnte man gut über Status und Emblem reflektieren. Mohnhaupt wählt den billigen Weg: Einmal hatte Göring seinen „Mucki“ in einem Badezimmer untergebracht. Während er nun „stundenlang seiner [Jagd-] Leidenschaft frönt, pinkelt der Löwe derweil das Badezimmer voll.“ Ha! Die NS-Zeit als Slapstick!
Funfact, denn als solches ist es subkutan deklariert: Entgegen dem internationalen Trend setzte das Reich nicht auf das magere, sondern auf das fette Schwein. Man (Richard Walter Darré, Reichsernährungsminister bis 1942) wollte auch fettmäßig möglichst autark werden. Darré wird hier pointiert in Erinnerung gerufen. Der visionäre „Agrarromantiker“ (Neuadel aus Blut und Boden, 1930; Das Schwein als Kriterium für nordische Völker und Semiten, 1927) hatte vehement auf die Selbstversorgung des deutschen Volks gesetzt.
Laut Mohnhaupt hielten 1937 die 18 Millionen Haushalte im Deutschen Reich etwa fünf Millionen Privatschweine. In jenem Jahr seien 34 Millionen Schweine geschlachtet worden, was immerhin zwei Drittel des deutschen Bedarfs gedeckt habe. Flankierend hatte es eine Aktion der „Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt“ gegeben. Unter dem Motto „Kampf dem Verderb“ wurden Haushalte – ganz modisch eigentlich! – aufgefordert, Essensreste dem Ernährungshilfswerk zur Verfügung zu stellen. „Eines der Plakate zeigt eine Hausfrau, die gerade Essensreste in die Mülltonne gibt und dabei von einem schwebenden Schwein aufgehalten wird.“ In Sütterlinschrift wurde dem Verbraucher (heute würde man ihn “Prosumenten” heißen) bedeutet, daß Putzmittel, Apfelsinnen- und Bananenschalen den Schweinen nicht gut bekommen. Darré scheiterte mit seinen guten Ideen, er wurde jedenfalls ausgebootet.
Ein großes Kapitel widmet Mohnhaupt den Katzen. Gemäß einem einigermaßen berühmten Diktum des NS-Schriftstellers Will Vesper galten sie als „die Juden unter den Tieren“. Andere Nationalsozialisten wie der Rassehygieniker und erste Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, Ferdinand Hueppe, liebten hingegen die Katze und tadelten, daß dieses Tier in „keinem Kulturlande so niederträchtig mißhandelt“ werde wie in Deutschland. Auch Alfred „Tiervater“ Brehm sprach sich pro Katze aus: „Je höher ein Volk ist, je bestimmter es sich seßhaft gemacht hat, um so verbreiteter ist die Katze.“
Mohnhaupt aber fixiert sich auf den angeblich naziesken Katzenhaß und schildert über viele Seiten eine „herzzereißende“, tränenreiche, in Wahrheit und Relation aber fast beschämende Geschichte über Viktor Klemperer und dessen Frau, die das familieneigene hochgeliebte Kätzchen letztlich lieber töten ließen als es einem NS-Tierheim zu überlassen und folgert: „An der Katze zeigt sich, wie willkürlich die vermeintlich systematische NS-Ideologie von ihren Verfechtern ausgelegt wurde.“
Unwillkürlich stellt sich hier die Frage, was genau „Zynismus“ ausmacht. Hat man eigentlich je den deutschen Bundestag nach Katzenfreunden befragt? Das Kapitel über die NS-Katzen endet übrigens mit insinuiertem Schrecken: Keine zwanzig Jahre nach dem Ende des Weltkriegs sei wieder ein neuer Panzer vom Band gerollt: „Leopard heißt er.“, zittert Mohnhaupt als bedeutungsschweres Schlußwort dieses Kapitels herbei.
Mohnhaupt will nicht zeigen, daß das Verhältnis vom NS zum Tier ambivalent war. Das hätte auch wenig Neuigkeitswert und könnte nicht als Alleinstellungsmerkmal für genau dieses Regime gelten. Er will brandmarken, wie „lachhaft“ widersprüchlich die Haltung gegenüber dem Tier gewesen sei. Er scheut sich dabei nicht, in den Schauermärchenfundus zu greifen.
Direkt neben dem KZ Buchenwald habe es einen kleinen Zoo gegeben, mit Volieren, Affenkäfigen und Bärenzwinger. Das ist vielfach belegt. Mohnhaupt greift nun ein unbelegtes Anekdotenwissen von Eugen Kogon (der sein Buch später bereute) auf, wonach den Bären hin und wieder zur Freude der Wächter Häftlinge zum Fraß vorgeworfen seien. Kogon sprach damals auch von einem Nashorn im Buchenwaldzoo; Mohnhaupt rückt dies allerdings ins Reich der Legenden. Den morbiden Bärenschmaus allerdings nicht. Fraglos erhöhen ungeprüfte Fundstellen wie diese den Gruselfaktor: aufklärend wirken sie nicht.
Auch das hier verhandelte Schächtungsverbot zeigt, wie sehr „Bloßstellung“ als erkenntnisleitende Aufgabe begriffen wird. Per Gesetz wurde 1933 erlassen, daß warmblütige Tiere beim Schlachten vor Beginn der Blutentziehung zu betäuben seien. Laut Mohnhaupt führte nicht der tierschützerische Impuls die Feder, sondern der perfide „Hintergedanke“: den Juden das rituelle Schächten zu versagen.
Was sie auch machten, die Nazis, damals – sie machten es falsch. Ähnliches gilt für die Transportvorschriften der Reichsbahn für Schlachtvieh. Vor langen Wegen müssen die Tiere ausreichend getränkt und gefüttert werden. Ihnen muß genug Platz gestattet sein, um sich hinzulegen. Aber auch wieder falsch: Denn in denselben Waggons seien später Menschen gen Osten transportiert worden.
Schräg ist auch das umfangreiche Kapitel über die angestrebte Seidenraupenzucht, über Nützlinge und Schädlinge. Mangels Quellenlage erfindet Mohnhaupt hier einen Knaben namens Hans, der total euphorisch in der Seidenraupenversorgung aufgeht. Daneben muß das erfundene Kind, das auf einen möglichst langen Krieg hofft, um sich noch beweisen zu können, ein Buch titels Die Kartoffelkäferfibel komplett auswendig lernen und in der Schule aufsagen. Ein wahrhaft empathischer Kunstgriff, eine echte Masche! „Weil Hans unbedingt dazugehören wollte, hat er die Zähne zusamengebissen“, küchenpsychologisiert Mohnhaupt und fügt als Fußnote einen Verweis auf Jost Hermands Kriegszeiterinnerungen ein.
Somit: Die Intention befindet sich hier bereits in Schieflage. Ärger noch wird es im Detail: Der zitierte und einigermaßen bekannte Historiker heißt Joachim, nicht wie hier „Ulrich“ Radkau. Die „Naturkunden“ des Verlags Matthes & Seitz sind keine Zeitschrift, sondern eine Buchreihe. Der gefräßige Durchschnittsdeutsche verzehrt heute/Jahr nicht 50 kg Fleisch, sondern ziemlich genau 34 kg. Mohnhaupt hat viele seiner Quellen ungenau gelesen. Hier leben (2019) auch nicht „rund 27 Millionen“ Schweine, sondern (Quelle: Statistisches Bundesamt) eine gute Million weniger.
Mohnhaupt klagt außerdem, daß trotz allen NS- „Wolfskults“ der „leibhaftige Wolf“ nach 1933 „hierzulande kaum eine Überlebenschance“ gehabt hätte. Er habe zwar zum „nichtjagdbaren Haarwild“ gezählt, doch habe er in Wahrheit dem „freien Tierfang“ via BGB unterlegen und damit „keinen besonderen Schutzstatus“ genossen, wie Mohnhaupt auftrumpft.
Das ist Gesetzesklauberei, die überdies in der leeren Luft stattfindet: Der letzte „deutsche“ Wolf wurde im 20. Jahrhundert offiziell 1904 in der Lausitz erlegt. Zudem nahm der „freie Tierfang“ Arten aus, die unter das Naturschutzgesetz fielen. Der Wolf zählte darunter. Nur in der späteren DDR war bis 1984 der Wolf zum Abschuß freigegeben.
Einerlei. Wen kümmert das Detail. Hitler und NS gehen halt immer.
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Jan Mohnhaupt: Tiere im Nationalsozialismus, München: Hanser 2020, 255 S., 22 €.
quarz
Wird eigentlich in dem Buch (abgesehen vom Schächtungsverbot) das Reichstierschutzgesetz thematisiert, das auch von der NS-Sympathie gänzlich unverdächtigen Sachverständigen zur großen Scham aller Tierschutzbewegten als "Meilenstein in der Geschichte des Tierschutzes" angesehen wird?
Diese Peinlichkeit fordert ja immer wieder, wie eine schwierige Felswand den Kletterer, die auf Entfernung allzu heller Flecken spezialisierten Special Forces des Publizismus dazu heraus, hinter den schwerlich als schlecht zu diskreditierenden Auswirkungen die übelsten Motive aufzuspüren.
Hier z.B.:
https://www.spiegel.de/geschichte/nazis-und-tierschutz-a-947808.html