Abgesehen davon, daß – wie bei allen Propagandismen – die Semantik unklar ist, muß gerade gegenwärtig gelten: Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Diskriminierung.
Etymologie erhellt nicht unbedingt den Begriff, dies geschieht nach Wittgenstein nur im Gebrauch des Wortes in der Sprache, auf daß man dabei die Intention des Sprechers erkenne. Aber das lateinische discriminare entspricht dem deutschen trennen oder scheiden; discrimen (lat.) ist die Scheidelinie oder Trennwand. Mehr denn je geht es um Unterscheidung, durchaus in der Leitformulierung Niklas Luhmanns, die er bei George Spencer-Brown aufgriff: „Draw a distinction!“
Mit ihrer billigen Forderung nach Antidiskriminierung diskriminiert die Linke unweigerlich selbst. Sie trifft damit, ihr selbst wohl unbewußt, eine sogar krasse Unterscheidung, indem sie das vermeintliche Herabsetzen anderer verwirft. Unterscheidungen zu treffen, damit Vergleiche, Wertungen und Urteile überhaupt erst möglich werden, gebietet das Leben und Denken von selbst. In der Unterscheidung von Null und Eins liegt die ganze Mathematik begründet; die Informatik mobilisiert dies zu einer Sprache.
Das Diskriminieren ist daher ein notwendiges Prädikat allen bewußten und sogar unbewußten Daseins. Ohne zu unterscheiden vermögen wir nicht zu denken, nicht zu fühlen und schon gar nicht zu handeln, insofern jeder Entschluß oder Entwurf eben einer Entscheidung folgt, die das eine vom anderen scheidet, also dieses tut und jenes vermeidet, dies annimmt, jenes aber ablehnt, eingrenzt, abgrenzt, ausgrenzt, um überhaupt klarzusehen, tätig und wirksam zu sein. Zu diskriminieren, zu unterscheiden entspricht unserer Lebendigkeit. Wir folgen der Entscheidung und haben uns über deren Folgen dann zu belehren, um – revidierend – die nächste Entscheidung zu treffen, mithin die nächste Diskriminierung vorzunehmen.
Obwohl die Linke laufend diskriminiert, unter anderem alles, was sie für rechts hält, obliegt es vorzugsweise der Rechten, die Diskriminierungen als kulturelles und politisches Scheideverfahren mit Scharfsinn offensiv einzusetzen, gerade in einer Zeit der Zwangsintegration, der globalen Standardisierung von Markt und Mensch, der Gleichschaltung der Medien und überhaupt der großen Beliebigkeit.
Wenn man sich nicht dem Einheitsbekenntnis der Altparteien, der “Mitte” und der selbsterklärt “Anständigen” anschließt, klärt Diskriminierung die Fronten, derer die Auseinandersetzung bedarf; sie verdeutlicht die Kontur dessen, wer und was man seiner Identität nach ist und wer oder was man gerade nicht sein will. Carl Schmitts Freund-Feind-Diktum beschreibt nicht nur die Politik, es konstituiert sie. Indem die “Anständigen” uns als “Unanständige” identifizieren, verfahren sie so, wie Schmitt es beschreibt. Und selbstverständlich: Sie diskriminieren. Das geht in Ordnung, ist völlig nachvollziehbar, sollte links aber bewußt werden.
Sicher, es gibt extreme Entscheidungsereignisse und Handlungsweisen. Wenn ein adrenalinüberschwemmter Polizist berufsbedingt an einem kriminellen Hotspot einen schwerkriminellen Schwarzen zu überwältigen hat, kann es geschehen, daß er dabei überzieht – aus Streß, aus Angst, aus Erfordernissen, die eine offenbar körperlich notwendige Auseinandersetzung bzw. Gewaltanwendung gebieten. Und sicherlich spielt sein persönliches Wesen, geprägt von den bisherigen Erfahrungen und Erlebnissen des harten Jobs, eine entscheidende Rolle.
Was an der konkreten Art und dem Verlauf der Festnahme zu rechtfertigen oder zu verurteilen ist, konnte nicht in der Situation selbst, sondern erst danach – in Abgrenzung von den turbulenten Ereignissen – geprüft und beurteilt werden. Wieder kraft Unterscheidungen, bei denen komplexe Kausalitäten und Kontexte entscheidend zur Beurteilung heranzuziehen sind. Ebenso erfolgen Akte der Zuschreibung und Bewertung nicht in der Auseinandersetzung, nicht im Affekt, sondern später, auf Abstand, weil erst dann deutlich unterschieden bzw. diskriminiert werden kann.
Für Georg Floyd zu spät. Darin liegt eine Tragik, der der Mensch in kontingent verlaufenden Ereignissen nicht immer entgeht. Aber was geschehen ist, hat systemisch eher mit Kriminalität als mit Rassismus zu tun. Allerdings hatte Derek Chauvin zu entscheiden, innerhalb eines dramatischen Hergangs. Und Georg Floyd wird vorher etwas gemäß seiner Intention entschieden haben, was zum Verlauf und dessen tragischer Konsequenz beitrug. Der Volksmund weiß eher lebensklug als zynisch: Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um.
Zurück zur Politik hierzulande:
Nicht weniger Unterscheidung, nicht weniger Diskriminierung wirkt kulturbildend und ermöglicht überhaupt Sicherheit, derer wir bedürfen, sondern mehr. Es sind in unser gesellschaftliches Leben nun mal Linien einzuzeichnen und dort Abgrenzungen vorzunehmen, die Übersicht, Richtung und wiederum Entscheidungen ermöglichen. Mit Distanz, mit Abstand. Auch das diskriminiert im guten Sinne des Wortes.
„Eine Welt“ gibt es nicht, ebensowenig wie die eine Menschheit oder die eine Moral. Leben ist gekennzeichnet durch zu unerscheidende Vielfalt. Selbst Grundvereinbarungen sind nur möglich, wenn deutlich ist, über welche Unterschiede resp. Diskriminierungen hinweg man in der Weise des Kompromisses oder des Trotzdem etwas vereinbart. Der vielbeschworene, inflationär gebrauchte Begriff “Empathie” beschreibt das Vermögen, sich in die Art hineinzuversetzen, mit der ein anderer Unterscheidungen vornimmt.
Wer linksalternativ die Regenbogenfahne für Vielfalt schwenkt, offenbart in diesem Symbol ein Spektrum, das sich nun mal unterscheidet. Inwiefern und mit welchen Ableitungen daraus, obliegt dem politischen Streit, der ohne „Diskriminierung“ nicht mal auf handhabbare Begriffe kommt. Mag aber auch sein, die Regenbogenfahne meint vielmehr eine Vereinheitlichung des Verschiedenen nach linker Maßgabe, also das Gegenteil von Vielfalt, so wie die Linke an der Macht stets Homogenität herstellte, anstatt Heterogenität zu achten und zu pflegen.
Wenn wir mit der Absicht einer Problemlösung miteinander kommunizieren, praktizieren wir das, was unsere einzige Chance ist: Wir tauschen Wahrnehmungen aus, um diese miteinander abzugleichen – in der Weise, daß für den einen deutlich wird, welche Unterscheidungen der andere „diskriminierend“ innerhalb der Sache vornimmt. Diese Unterscheidungen sollten verstanden, müssen aber nicht unbedingt aufgehoben werden. Jeder Gerichtsprozeß läuft so ab. Er scheidet das eine klar vom anderen, um überhaupt erst den Sachverhalt beschreiben zu können. Und das Urteil formuliert eine wiederum abzugrenzende Position.
Wenn die Rechte betont, ihr gehe es um Identität, liegt sie richtig. Ist diese Identität beschrieben, kann sie den Nachweis antreten, wie leistungsfähig, moralisch und sinnvoll sie zu wirken versteht. Wer die Annahmen von Identitäten sogleich – diskriminierend – ablehnt, der folgt zum einen einer Illusion, allerdings keiner guten, schließt er doch jene aus, deren Selbstverständnis ein indentitäres ist, so wie das in der bisherigen Weltgeschichte, ob geistig oder politisch, stets war.
Fredy
"DISKRIMINIERUNG, die elementare Technik der Schaffung und Aufrechterhaltung einer Kultur. Die Kulturtugend schlechthin. Abwertende Unterscheidung des Häßlichen vom Schönen, des Bösen vom Guten, des Falschen vom Wahren, des Schädlichen vom Nützlichen, des Kranken vom Gesunden. Die Diskriminierung ist die grundlegende Fähigkeit, die menschliches Handeln auf den Gebieten der Kunst, der Religion, des Wissens, der Wirtschaft und der staatlichen wie bürgerlichen Ordnung der Gemeinwesen erst ermöglicht. Der gesetzliche Zwang zur Nichtdiskriminierung ist der öffentliche Terror, der die Kulturzerstörung durchsetzt. Siehe auch Inklusion und Genderismus"
ABC der politischen, ideologischen und sozialen Begriffe
von Reinhold Oberlercher