Staat und Markt als Feinde der Gemeinschaft – Gedanken zum zukünftigen Wirtschaftsprogramm der AfD

von Bernard Udau
PDF der Druckfassung aus Sezession 92/Oktober 2019

Nach­dem sich die AfD in den Par­la­men­ten eta­bliert hat, ist Zeit, sich der Ver­voll­stän­di­gung ihres Par­tei­pro­gramms zu wid­men. Die schmerz­lichs­te Lücke klafft hier­bei noch im Bereich Wirt­schafts­po­li­tik. Der­zeit befin­det sich an die­ser Stel­le allen­falls ein Fei­gen­blatt, eine Mini­mal­lö­sung, auf die sich die ver­schie­de­nen Strö­mun­gen inner­halb der Par­tei eini­gen konn­ten, ohne daß auch nur eine ein­zi­ge die­ser Strö­mun­gen damit zufrie­den wäre.

Die­se Lücke im Bereich Wirt­schaft kommt kei­nes­wegs von unge­fähr. Kon­ser­va­ti­ve tun sich seit jeher schwer, sich auf eine ein­heit­li­che Posi­ti­on zur Rol­le der Wirt­schaft und des Mark­tes inner­halb der Gesell­schaft zu eini­gen. Da in den letz­ten Mona­ten die ers­ten Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten durchs Land rei­sen, um für ihre Wirt­schafts­kon­zep­te zu wer­ben, und außer­dem die AfD-Par­tei­stif­tung auf der Suche nach Per­so­nen und Kon­zep­ten ist, die sie beim Auf­bau einer ver­nünf­ti­gen Posi­ti­on zur Wirt­schafts­po­li­tik unter­stüt­zen, scheint es durch­aus ange­bracht, sich ein­mal tie­fer­ge­hen­de Gedan­ken über die hier rele­van­ten Fra­gen zu machen.

Sinn und Zweck des vor­lie­gen­den Arti­kels ist es, zwei weit­ver­brei­te­te Miß­ver­ständ­nis­se aus­zu­räu­men, die die poli­ti­sche Dis­kus­si­on um die Rol­le des Mark­tes seit Jahr­zehn­ten ver­dun­keln. Das ers­te Miß­ver­ständ­nis besteht dar­in zu glau­ben, Libe­ra­lis­mus und Sozia­lis­mus sei­en ideo­lo­gi­sche Gegen­sät­ze. Das Gegen­teil ist wahr. Die Sozia­lis­ten sind die »unge­zo­ge­nen Kin­der« der Libe­ra­len, wie Armin Moh­ler sich aus­zu­drü­cken beliebte.

Das zwei­te, mit dem ers­ten eng ver­bun­de­ne Miß­ver­ständ­nis besteht dar­in, den Staat als den natür­li­chen Feind des Mark­tes zu betrach­ten, den Staat näm­lich als Ver­kör­pe­rung der Gemein­schafts­idee, den Markt als Inbe­griff des Indi­vi­dua­lis­mus. Auch hier ist das Gegen­teil wahr.

Um im Bild von Armin Moh­ler zu blei­ben: Der Markt ist das unge­zo­ge­ne Kind des (moder­nen) Staa­tes. Wenn es in unse­ren Ohren dis­so­nant klingt, Libe­ra­lis­mus und Sozia­lis­mus in einen Topf zu wer­fen, dann mag ein Blick ins 19. Jahr­hun­dert hel­fen. Albert Schäff­le, Fried­rich Juli­us Stahl und Lorenz von Stein, die der Ent­ste­hung und Ent­wick­lung des Sozia­lis­mus als Zeit­zeu­gen bei­woh­nen durf­ten oder muß­ten, waren sich der engen Ver­wandt­schaft der bei­den Ideo­lo­gien noch durch­aus bewußt. Bei­de sind logi­sche Kon­se­quen­zen der Ideen von 1789.

Wer sich für die­sen Zusam­men­hang inter­es­siert, mag nach­le­sen beim israe­li­schen His­to­ri­ker Jacob Tal­mon, der die Ent­ste­hung der tota­li­tä­ren Demo­kra­tie aus dem Geist der fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on nach­voll­zieht. Wer es nicht auf Anhieb glau­ben mag, daß der Sozia­lis­mus nichts ande­res ist als eine Fort­set­zung des Libe­ra­lis­mus mit ande­ren Mit­teln, dem sei­en im fol­gen­den ein paar Aus­sa­gen von Adam Smith aus dem Wohl­stand der Natio­nen (Buch I, Kap. 6) prä­sen­tiert, dem Stamm­va­ter der Volks­wirt­schafts­leh­re und des Wirtschaftsliberalismus.

Ganz ähn­lich wie spä­ter Marx geht Smith davon aus, daß das Pro­dukt der Arbeit ursprüng­lich allein dem Arbei­ter gehörte:

In dem ers­ten rohen Zustan­de der Gesell­schaft, der der Kapi­tal­an­häu­fung und Land­an­eig­nung vor­aus­geht, (…) gehört das gan­ze Arbeits­pro­dukt dem Arbeiter.

Erst mit der Kapi­tal­an­häu­fung kom­me es dazu, daß eini­ge fin­di­ge Leu­te ihr Kapi­tal dazu nut­zen, Arbei­ter ein­zu­stel­len, um dar­aus ihren Vor­teil zu zie­hen. In die­sem Zustand gehört das Pro­dukt der Arbeit nicht mehr den Arbei­tern allein.

Der Wert, den die Arbei­ter den Roh­stof­fen hin­zu­fü­gen, löst sich daher (…) in zwei Tei­le auf, von denen der eine ihren Lohn, der ande­re den Gewinn des Arbeit­ge­bers auf das gan­ze für Mate­ria­li­en und Lohn vor­ge­schos­se­ne Kapi­tal bezahlt. (…) Unter die­sen Umstän­den gehört nicht immer das gan­ze Pro­dukt der Arbeit dem Arbei­ter. Er muß es in den meis­ten Fäl­len mit dem Kapi­ta­lis­ten, wel­cher ihm Beschäf­ti­gung gibt, teilen.

Ein ähn­lich har­tes, aber schär­fer for­mu­lier­tes Urteil über ihre Rol­le in der Pro­duk­ti­on fällt Smith auch über die Landeigentümer:

Sobald aller Grund und Boden eines Lan­des Pri­vat­ei­gen­tum gewor­den ist, möch­ten auch die Grund­be­sit­zer, gleich allen ande­ren Men­schen, da ern­ten, wo sie nicht gesät haben, und ver­lan­gen sogar für die frei­wil­li­gen Erzeug­nis­se des Bodens eine Rente.

Zwar geht Adam Smith den gesell­schaft­li­chen Pro­ble­men, die mit die­sen Zusam­men­hän­gen ver­bun­den sind, nicht näher nach – dies soll­te spä­ter Karl Marx machen – jedoch hat er eine sehr kla­re Vor­stel­lung davon, was der Staat mit dem Schutz des Pri­vat­ei­gen­tums, his­to­risch gese­hen, eigent­lich bezweckt hat:

Soweit die Obrig­keit zur Siche­rung des Eigen­tums ein­ge­führt wur­de, ist sie in der Tat zum Schutz der Rei­chen gegen die Armen, des Besit­zers gegen den Nicht­be­sit­zer ein­ge­führt worden.

(Buch V, Kap. 1)

Karl Marx und die übri­gen wis­sen­schaft­li­chen Sozia­lis­ten haben im Grun­de nichts ande­res getan, als den Gedan­ken fort­zu­spin­nen, der im Wohl­stand der Natio­nen schon aus­ge­brei­tet dalag: Pri­vat­ei­gen­tum an den Pro­duk­ti­ons­mit­teln Kapi­tal und Arbeit stört die ursprüng­li­che und gerech­te Ver­tei­lung des Pro­dukts, wonach jeder das bekom­men soll­te, was er sel­ber pro­du­ziert hat.

Ein Aspekt des wis­sen­schaft­li­chen Sozia­lis­mus muß hier ganz beson­ders betont wer­den, denn er gibt an, in wel­chem Sin­ne der Sozia­lis­mus eine Fort­set­zung des Libe­ra­lis­mus ist. Das Prin­zip, wonach jeder das voll­stän­di­ge Pro­dukt sei­ner Arbeit bekom­men soll­te, ist aus der klas­si­schen Arbeits­wert­leh­re abge­lei­tet, die auf Adam Smith und David Ricar­do zurückgeht.

Die­ses Prin­zip ist nichts ande­res als eine kla­re Mani­fes­ta­ti­on des Indi­vi­dua­lis­mus. Jeder ein­zel­ne soll sei­nen Anteil am Sozi­al­pro­dukt gemäß sei­nem indi­vi­du­el­len Bei­trag erhal­ten, nichts soll ihm davon von der Gesell­schaft oder einer ande­ren Klas­se abge­knapst wer­den. Laut Adam Smith sel­ber hebt nun aber die Exis­tenz des Pri­vat­ei­gen­tums an den Pro­duk­ti­ons­fak­to­ren Kapi­tal und Boden eben die­ses Prin­zip auf. Das Pri­vat­ei­gen­tum wird als ein Feind des Indi­vi­dua­lis­mus identifiziert.

Der Sozia­lis­mus, der die Kon­se­quenz aus die­ser Über­le­gung zieht und das Pri­vat­ei­gen­tum bekämpft, ent­puppt sich damit als ein Kämp­fer für den Indi­vi­dua­lis­mus. Das Pri­vat­ei­gen­tum wird abge­lehnt, weil es der indi­vi­dua­lis­ti­schen Vor­stel­lung einer gerech­ten Ver­tei­lung des Sozi­al­pro­dukts wider­spricht. Es ist zwar zuzu­ge­ben, daß sich der klas­si­sche Sozia­lis­mus nicht nur in der For­de­rung nach dem vol­len Arbeits­pro­dukt äußer­te – wie z. B. in der sowje­ti­schen Ver­fas­sung von 1936: »Jeder nach sei­nen Fähig­kei­ten, jedem nach sei­ner Leistung«.

Natür­lich waren auch For­meln popu­lär, die das Ein­kom­men des Arbei­ters unab­hän­gig von sei­nem Pro­dukt machen woll­ten, wie das bekann­te »Jeder nach sei­nen Fähig­kei­ten, jedem nach sei­nen Bedürf­nis­sen.« Es läßt sich jedoch nur schwer leug­nen, daß es sich hier­bei in jedem Fal­le um indi­vi­dua­lis­ti­sche For­meln han­delt, wel­che die Fähig­kei­ten, Leis­tun­gen und Bedürf­nis­se des ein­zel­nen in den Mit­tel­punkt stel­len, und kei­nes­falls die Bedürf­nis­se der Gemein­schaft. Libe­ra­lis­mus und Sozia­lis­mus sind bei­de indi­vi­dua­lis­ti­sche Ideologien.

Eng ver­knüpft mit dem Miß­ver­ständ­nis, Libe­ra­lis­mus und Sozia­lis­mus sei­en Gegen­sät­ze, ist der fata­le Irr­tum, der Staat und der Markt sei­en Wider­sa­cher. Nichts läßt sich öfter beob­ach­ten als der Streit zwi­schen libe­ra­len Markt­ver­fech­tern und, je nach­dem, kon­ser­va­ti­ven oder lin­ken Anhän­gern einer aus­ge­dehn­te­ren Staats­wirt­schaft. Trotz­dem ist die­ser Gegen­satz ein kon­stru­ier­ter und geht am ent­schei­den­den Pro­blem vorbei.

Dem Streit scheint ins­be­son­de­re auf Sei­ten der Kon­ser­va­ti­ven die Illu­si­on zugrun­de­zu­lie­gen, der moder­ne Staat kön­ne die Auf­ga­be über­neh­men, die Volks­ge­mein­schaft zu för­dern. Die Posi­tio­nen in Staat und Büro­kra­tie müß­ten nur wie­der von ver­nünf­ti­gen Leu­ten besetzt wer­den, dann kön­ne die Staats­ma­schi­ne­rie dazu ein­ge­setzt wer­den, die Gesell­schaft auf ver­nünf­ti­ge Bei­ne zu stellen.

Dann kön­ne ins­be­son­de­re – eine häu­fig gehör­te For­de­rung – das Ban­ken­sys­tem ver­staat­licht (»ver­ge­mein­schaf­tet«) wer­den, damit die Ver­tei­lung der Res­sour­cen nicht mehr gemäß dem ego­is­ti­schen Pro­fittrieb, son­dern den Bedürf­nis­sen der Nati­on erfol­ge. Die­se Über­le­gun­gen ver­ken­nen die Natur des moder­nen Staates.

Wenn Lin­ke und Libe­ra­le über die Auf­ga­ben des Staa­tes strei­ten, dann han­delt es sich um einen Zwist unter indi­vi­dua­lis­ti­schen Brü­dern, die sich uneins dar­über sind, wel­che Maß­nah­men der Staat ergrei­fen soll­te, um die Uto­pie einer indi­vi­dua­lis­ti­schen Gesell­schaft zu erreichen.

Soll er nur, wie die Libe­ra­len mei­nen, rechts­staat­li­che Gleich­heit für alle ein­füh­ren, ansons­ten aber nur das Pri­vat­ei­gen­tum und die Ver­trags­frei­heit schüt­zen, um somit eine Markt­ge­sell­schaft zu kon­sti­tu­ie­ren? Oder soll er, wie die Lin­ken for­dern, das Pri­vat­ei­gen­tum sowie sämt­li­che wei­te­ren, nicht-staat­li­chen Insti­tu­tio­nen beschnei­den bzw. abschaf­fen, da sie die freie Ent­fal­tung des Indi­vi­du­ums und die all­ge­mei­ne Gleich­heit behindern?

Von bei­den jedoch, den Libe­ra­len und den Sozia­lis­ten, wird dem Staat die Auf­ga­be zuge­wie­sen, ein indi­vi­dua­lis­ti­sches Ide­al zu ver­wirk­li­chen. Der Unter­schied ist nur, daß die Lin­ken wei­ter gehen als die Libe­ra­len, vom Staat mit­hin sogar den Kampf gegen die Wis­sen­schaft for­dern – z. B. die Bio­lo­gie – wenn sie den Eman­zi­pa­ti­ons­wün­schen des Indi­vi­du­ums wider­spricht (Gen­der-Stu­dies). Ger­ne kann man zuge­ben, daß am Ende der Ent­wick­lung des indi­vi­dua­lis­ti­schen Staa­tes eine tota­li­tä­re Dik­ta­tur ste­hen kann.

Die Geschich­te des Sozia­lis­mus zeigt das ein­drucks­voll. Eines Tages mag das­sel­be aber auch für die west­li­chen Markt­wirt­schaf­ten zutref­fen, dann näm­lich, wenn sich die tota­li­tä­re Nei­gung zur Gleich­ma­che­rei noch stär­ker ent­wi­ckeln soll­te. Dies ist dann ein­fach das Para­dox, von dem Jacob Tal­mon spricht, wenn er schreibt, daß auch der Kol­lek­ti­vis­mus eine indi­vi­dua­lis­ti­sche Basis haben kann.

Trotz­dem bleibt fest­zu­hal­ten, daß der Staat bei Libe­ra­len und Sozia­lis­ten sol­che Auf­ga­ben über­neh­men soll, die dem Wesen des moder­nen Staa­tes ent­spre­chen. Der moder­ne, zen­tra­li­sier­te Staat ist aus den Trüm­mern der mit­tel­al­ter­li­chen und feu­da­lis­ti­schen Gesell­schaft ent­stan­den, deren Haupt­merk­mal es war, daß der Staat eben nicht zen­tra­li­siert war, die Macht mit­hin plan­mä­ßig zer­legt war. Es gab, um es ver­ein­facht zu sagen, ver­schie­de­ne Stän­de, die sich die poli­ti­schen Rech­te und Pflich­ten unter­ein­an­der aufteilten.

Die Men­schen waren nicht gleich, son­dern hat­ten von Geburt an unter­schied­li­che Funk­tio­nen inne und, damit eng ver­knüpft, einen unter­schied­li­chen Sta­tus inner­halb der Gesell­schaft. Weder die Frei­heit noch die Gleich­heit des ein­zel­nen stand im Mit­tel­punkt, son­dern die aus Stän­den bestehen­de Gesell­schaft (der Per­so­nen­ver­band) als gan­zes, die gemäß bestimm­ten, all­ge­mein akzep­tier­ten ethi­schen Ideen struk­tu­riert war. Der ein­zel­ne hat­te sich der Gemein­schafts­idee schlicht und ergrei­fend zu fügen.

Der moder­ne Staat ist als das Gegen­pro­gramm zu die­ser ethisch begrün­de­ten Gemein­schaft ent­stan­den, als ihr Zer­stö­rer. Man lese nach bei Tho­mas Hob­bes. Die Grund­idee des Levia­thans, des moder­nen Staa­tes, ist der Schutz der Indi­vi­du­en. Sein Zweck ist ein indi­vi­dua­lis­ti­scher. Er bekämpft alle Insti­tu­tio­nen, die den Men­schen der Macht ande­rer Men­schen aus­lie­fern, und setzt sich selbst als ein­zi­ge und letz­te Macht ein, unter die sich der Mensch zu unter­wer­fen hat, wenn er frei und gleich sein will. Der moder­ne Staat schafft die Mas­se, die ihm als eine Sum­me von im Prin­zip gleich­be­rech­tig­ten und gleich­ge­stell­ten Indi­vi­du­en gegen­über­steht, und damit schafft er auch die moder­ne Markt­ge­sell­schaft. »Lais­sez-fai­re wur­de vom Staat erzwun­gen« (Karl Polanyi).

Es wider­spricht daher völ­lig der Logik des moder­nen Staa­tes, wenn man ihn zum Garan­ten der Volks­ge­mein­schaft machen möch­te. Der moder­ne Staat wür­de sich sel­ber auf­he­ben, wenn er das Indi­vi­du­um als sei­ne Bezugs­grö­ße auf­ge­ben wür­de. An die Stel­le der indi­vi­dua­lis­ti­schen Mas­sen­ge­sell­schaft, die von der staat­li­chen Büro­kra­tie ver­wal­tet wird, müß­te dann näm­lich wie­der eine Gesell­schaft tre­ten, in der die Gemein­schaft dem Indi­vi­du­um über­ge­ord­net ist.

Das bedeu­tet, daß das Indi­vi­du­um wie­der zu einem Mit­tel wer­den müß­te, das der Gemein­schaft zu die­nen hat. Es büß­te sei­ne Frei­heit und sei­ne Gleich­heit ein und wür­de wie­der zu einem poli­ti­schen Funk­ti­ons­trä­ger, der sei­ne Funk­ti­on zum Woh­le der Gesamt­heit aus­zu­üben hat. Damit aber wäre die moder­ne Staats­idee tot.

Wenn der ein­zel­ne Bür­ger zum Funk­ti­ons­trä­ger wer­den soll, müß­ten sich Zen­tral­staat und staat­li­che Büro­kra­tie, wel­che die poli­ti­schen Funk­tio­nen in der moder­nen Welt über­nom­men haben, erst wie­der auf­lö­sen. Denn solan­ge der moder­ne Zen­tral­staat der Mas­se an gleich­be­rech­tig­ten Indi­vi­du­en gegen­über­steht, haben alle sons­ti­gen Bezie­hun­gen zwi­schen den Bür­gern kei­ner­lei poli­ti­sche Funktion.

Im Gegen­satz zu einer Markt­ge­sell­schaft und einer sozia­lis­ti­schen Gesell­schaft, die bei­de indi­vi­dua­lis­ti­sche Mas­sen­ge­sell­schaf­ten sind, die den moder­nen Zen­tral­staat vor­aus­set­zen, ist der Gemein­schafts­ge­dan­ke inner­halb des moder­nen Staa­tes nicht umsetz­bar. Aus die­sem Grund ist es auch illu­so­risch zu mei­nen, eine rech­te Bewe­gung kön­ne den Marsch durch die Insti­tu­tio­nen antre­ten und den Staat für ihre Zie­le einspannen.

Alle bis­he­ri­gen Ver­su­che, den Staat zum Bezugs­punkt der Gemein­schaft zu machen, sind kläg­lich oder – gera­de in Deutsch­land – kata­stro­phal geschei­tert. Als Ersatz für die moder­ne Markt­ge­sell­schaft kommt aus kon­ser­va­ti­ver Sicht viel eher ein vor­mo­der­ner, dezen­tra­li­sier­ter Staat in Fra­ge, also in etwa in Rich­tung der Stän­de­staats­idee, die von Oth­mar Spann ver­tre­ten wurde.

Es über­steigt mei­ne Kom­pe­tenz, den Stän­de­staat sinn­voll ein­zu­ord­nen, und das soll hier auch nicht gesche­hen. Offen­sicht­lich scheint mir aber zu sein, daß er nicht im Rah­men unse­rer Ver­fas­sung zu ver­wirk­li­chen sein wür­de. Der moder­ne Staat, sei­ne Ver­wal­tung und sei­ne Insti­tu­tio­nen sind nicht dazu gemacht und nicht dazu geeig­net, kon­ser­va­ti­ve Ideen umzu­set­zen, ins­be­son­de­re die Idee einer funk­tio­nie­ren­den (Volks-) Gemeinschaft.

Sei­ne gan­ze Anla­ge ist dar­auf aus­ge­rich­tet, indi­vi­dua­lis­ti­sche Zie­le zu ver­fol­gen, sei es die all­ge­mei­ne Par­ti­zi­pa­ti­on an der Markt­ge­sell­schaft, sei es die all­ge­mei­ne Gleich­heit aller Bür­ger bzw. sogar Welt­bür­ger.  Es blei­ben also nur zwei Mög­lich­kei­ten. Ent­we­der zielt man auf eine völ­li­ge Reform unse­res Staa­tes, stellt mit­hin die Sys­tem­fra­ge. Hier­zu sind mir kei­ne aktu­el­len Über­le­gun­gen bekannt, weder inner­halb noch außer­halb der AfD. Oder aber man ver­sucht, sich im gegen­wär­ti­gen Sys­tem irgend­wie und mehr schlecht als recht zu behelfen.

Das lie­fe und läuft dann aber auf das hin­aus, was die Ordo­li­be­ra­len um Wal­ter Eucken anstreb­ten. Dem Staat wird ers­tens die Auf­ga­be zuge­wie­sen, die Wirt­schaft und den frei­en Wett­be­werb zu kon­sti­tu­ie­ren, und zwei­tens die Auf­ga­be, Macht­struk­tu­ren inner­halb der Gesell­schaft wirk­sam und dau­er­haft zu bekämp­fen. Ein sol­cher Staat müß­te im übri­gen viel stär­ker sein als die heu­ti­ge Bun­des­re­pu­blik, die allem Anschein nach zum Spiel­ball inter­na­tio­na­ler Inter­es­sen gewor­den ist.

Wer sich der inter­na­tio­na­len Finanz­olig­ar­chie ent­ge­gen­stel­len will, muß fest im Sat­tel sit­zen und über ent­spre­chen­de Mit­tel ver­fü­gen. Natür­lich soll­te allen Betei­lig­ten bewußt sein, daß es sich dabei nicht um ein gemein­schafts­för­dern­des Pro­jekt han­delt, oder höchs­tens bis zu dem Grad, als es ihm gelingt, den Ein­fluß der inter­na­tio­na­len Finanz­märk­te zurückzudrängen.

Im Rah­men des moder­nen Staa­tes könn­te man Gemein­schafts­för­de­rung allen­falls am Ran­de, sozu­sa­gen als flan­kie­ren­de Maß­nah­me betrei­ben, näm­lich mit­hil­fe einer nach­drück­li­chen poli­ti­schen Umset­zung des Sub­si­dia­ri­täts­ge­dan­kens, was eine Ver­la­ge­rung der poli­ti­schen Macht mög­lichst nahe an den Bür­ger bedeu­ten würde.

Kei­ner­lei Sinn hat es jeden­falls, Vor­schlä­gen, die in die genann­ten Rich­tun­gen gehen, mit dem Argu­ment zu begeg­nen, der Staat möge doch in sen­si­blen und für die Gemein­schaft wich­ti­gen Berei­chen die Wirt­schaft selbst in die Hand neh­men. Der (moder­ne) Staat ist dafür nicht geschaffen.

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