Ökologische Betrachtungen (1) – postmoderne Maßlosigkeit

PDF der Druckfassung aus Sezession 92/Oktober 2019

Fährt man nachts durch das süd­li­che Sach­sen-Anhalt brei­tet sich vor einem ein Sze­na­rio aus, das der Lan­de­bahn des Frank­fur­ter Flug­ha­fens gleicht – blin­ken­de rote Lich­ter erstre­cken sich über die gan­ze Brei­te des Blick­felds. Es wirkt wie eine Inva­si­on; so, als ob sta­b­ar­ti­ge Raum­schif­fe auf der fla­chen Fel­der­land­schaft gelan­det sei­en, die das Land unter Beschlag neh­men, die wei­te Flä­che für sich bean­spru­chen. »Inva­siv«, das beschreibt es ganz gut, wie die Wind­kraft in den Raum, die Umwelt, den Boden drängt.

Waren Indus­trie­parks vor der Ener­gie­wen­de räum­lich begrenz­te Area­le gewe­sen, hat sich die Indus­tria­li­sie­rung seit dem Erneu­er­ba­ren Ener­gien Gesetz 2000 in die gesam­te Flä­che ergos­sen. In Sach­sen-Anhalt ste­hen mitt­ler­wei­le 2863 Anla­gen mit einer instal­lier­ten Leis­tung von 5118 Mega­watt. Wah­re Kolos­se aus Stahl und Beton: Eine der moderns­ten Anla­gen der Fir­ma Ener­con, die E‑126, bringt mit allen Bau­tei­len 6950 Ton­nen auf die Waage.

Für ihr Fun­da­ment wer­den 1500 Kubik­me­ter Beton und etwa 180 Ton­nen Beweh­rungs­stahl tief in den Boden hin­ein­ge­preßt. Die öko­lo­gi­schen Nega­tiv­fol­gen die­ser Unge­tü­me sind man­nig­fal­tig: Rot­mi­la­ne, Schwarz­stör­che, Uhus, Fle­der­mäu­se und Insek­ten wer­den gehäck­selt; Wald muß wei­chen, Flä­che wird ver­sie­gelt. Das gesam­te Öko­sys­tem, das die Anla­ge umgibt, wird aus den Fugen gerissen.

Ein rela­tiv unbe­ach­te­ter »Neben­ef­fekt« der 1500 Kubik­me­ter Beton im Boden ist die Stö­rung des natür­li­chen Was­ser­haus­halts – der ober­fläch­li­che Abfluß wird gestei­gert, Dür­re­schä­den wer­den geför­dert. Außer­dem läßt die Fil­tra­ti­ons­leis­tung des Bodens nach, wodurch die Stoff­kon­zen­tra­ti­on und die Grund­was­ser­be­las­tung zuneh­men. Die Umwelt­fol­gen des­sen, was vor­geb­lich das Kli­ma schützt, wer­den, so scheint es, kon­se­quent ausgeblendet.

Das liegt auch dar­an, daß in der brei­ten Öffent­lich­keit der Natur­schutz und der Kli­ma­schutz die­ser Tage deckungs­gleich behan­delt wer­den. Die Pro­tes­te der Jugend­be­we­gung #Fri­days­For­Fu­ture (FFF) geben dafür das offen­kun­di­ge Bei­spiel: Für die demons­trie­ren­den Schü­ler und Stu­den­ten dreht es sich bei der Öko­lo­gie zuvor­derst um Fra­gen, die das Kli­ma betreffen.

Das hat zur Fol­ge, daß etli­che Umwelt­ver­hee­run­gen – so wie die hier expli­zier­ten der Wind­kraft –, die in ers­ter Linie kei­nen signi­fi­kan­ten Ein­fluß auf die Gas­kom­po­si­ti­on unse­rer Atmo­sphä­re haben, miß­ach­tet wer­den oder ihnen ledig­lich eine mar­gi­na­le Auf­merk­sam­keit zuteil wird. Tech­nik wird zual­ler­erst anhand sei­ner CO2-Emis­sio­nen bewer­tet – Aus­wir­kun­gen auf die Bio­di­ver­si­tät, Eutro­phie­rung der Böden und Gewäs­ser, gene­rel­ler Was­ser­ver­brauch oder radio­ak­ti­ver Abbau­staub ver­schwin­den im Hintergrund.

Dar­über hin­aus ver­steift man sich auf ein Modell des Kli­ma­wan­dels, das aus­schließ­lich anthro­po­lo­gisch begrün­det wird  – »natür­li­che« Fak­to­ren sind absent. Die »Kli­ma­hys­te­rie« ent­steht auch dadurch, daß man den mono­kau­sa­len Aus­lö­ser für die Erwär­mung der letz­ten Jahr­zehn­te in fel­sen­fes­ter Glau­bens­treue im Men­schen aus­ge­macht haben möch­te, wodurch man ein hoch­kom­ple­xes Sys­tem auf ledig­lich eines sei­ner Wan­del indu­zie­ren­den Bestand­tei­le beschränkt.

Das öko­lo­gi­sche Welt­bild der FFF-Demons­tran­ten gleicht dem­zu­fol­ge einer Schwarz-Weiß-Scha­blo­ne. Daher ver­wun­dert es nicht, daß der Mensch aus die­ser Per­spek­ti­ve wie ein exter­ner, außer­ir­di­scher Fak­tor behan­delt wird, er also als ein außer­halb der Natur ste­hen­des Wesen erscheint. Zuwei­len arti­ku­lie­ren sich dar­aus For­de­run­gen, die jeg­li­che Form der Kul­tur­land­schaft ihr Exis­tenz­recht abspre­chen und qua­si zu einer Bar­ba­ri­sie­rung der mensch­li­chen Umwelt aufrufen.

Daß auch ande­re Spe­zi­es durch ihr Ver­hal­ten Ein­fluß auf das sie umge­ben­de Öko­sys­tem neh­men und die­ses nach­hal­tig ver­än­dern, wird dabei über­se­hen. »Natur« wird bei FFF als har­mo­ni­sches Sys­tem per­zi­piert, dem ohne den Men­schen jed­we­de Kri­sen­haf­tig­keit fremd wäre. Jedoch sind Umwelt­zer­stö­run­gen in evo­lu­tio­nä­ren Maß­stä­ben nichts Unge­wöhn­li­ches, son­dern viel­mehr die Regel.

Unge­ach­tet des­sen ergibt sich die sub­stan­ti­ells­te öko­lo­gi­sche Impo­tenz der Bewe­gung dar­aus, daß sie sich selbst als Teil des pro­gres­sis­ti­schen Lagers betrach­tet und damit ein (Indus­trie-) Sys­tem stützt, dem die Ver­nut­zung von Bestän­den und ein unkon­trol­lier­tes Über-sich­Hin­aus­grei­fen inhä­rent sind. Es ist unwahr­schein­lich, daß die durch die­ses Sys­tem erzeug­ten öko­lo­gi­schen Ver­wer­fun­gen den Men­schen bzw. das Leben als Gan­zes vom Pla­ne­ten til­gen werden.

Hin­ge­gen steht das »west­li­che« Indus­trie­sys­tem vor sei­nem Kol­laps, das mitt­ler­wei­le in sei­nen Grund­zü­gen den gan­zen Glo­bus umspannt. Letz­ten Endes treibt die jun­gen Demons­tran­ten die Sor­ge um ihre Über­fluß­ge­sell­schaft an, die sie mit der laut­star­ken For­de­rung nach »grü­nem Wachs­tum« zu ret­ten ver­su­chen. Wenn sich in den Rei­hen von FFF ein Anrecht auf eine unbe­schwer­te Zukunft arti­ku­liert, dann han­delt es sich um eine Zukunft des garan­tier­ten Wohl­stands samt Kon­su­me­ris­mus in einer ver­meint­lich mög­li­chen Har­mo­nie eben­je­nes Indus­trie­sys­tems mit der Natur.

Die­se Ver­blen­dung ist unter ande­rem dar­auf zurück­füh­ren, daß die Schü­ler- und Stu­den­ten­be­we­gung sich haupt­säch­lich aus der glei­chen Kli­en­tel rekru­tiert, die im gro­ßen und gan­zen grün wählt: groß­städ­tisch, fort­schritt­lich, aka­de­misch. Für die­se Grup­pe sind die öko­lo­gi­schen Aus­wir­kun­gen der von ihnen wie Heils­brin­ger ange­prie­se­nen Erneu­er­ba­ren Ener­gien nicht erfahr­bar bzw. leich­ter abzu­tun, inso­fern als ihre eige­ne Lebens­rea­li­tät mit eine der natur­ärms­ten dar­stellt, die sich inner­halb der bun­des­deut­schen Gren­zen findet.

Ins­be­son­de­re aus die­ser Bla­se her­aus kön­nen die ton­nen­schwe­ren Wind­rad­ko­los­se aus Stahl, Koh­le­fa­ser und Beton zu nach­hal­ti­gen Hoff­nungs­trä­gern ver­klärt wer­den. Daß gera­de die von ihnen gepfleg­ten urba­nen Lebens­sti­le von ste­ti­gen Ener­gie­flüs­sen abhän­gig sind und dadurch in distink­tem Wider­spruch zu einer vola­ti­len Ener­gie­er­zeu­gung ste­hen, gehört nur zu einer wei­te­ren Ver­drän­gungs­leis­tung unter vie­len der kon­for­mis­ti­schen Rebellen.

Dar­über hin­aus ten­diert die­ses Milieu dazu, eine Vor­stel­lung von Land­wirt­schaft zu pfle­gen, die sich ledig­lich aus bun­ten Alna­tu­ra-Pro­spek­ten speist. Etli­che Ver­ord­nun­gen, die in grü­nen Par­la­ments­zim­mern geschmie­det oder von füh­ren­den Poli­ti­kern der »Öko-Par­tei« laut­stark pro­pa­giert wur­den, ent­pupp­ten sich nach ihrer Imple­men­ta­ti­on als öko­lo­gi­sche Agra­rirr­lich­ter, die mehr Scha­den anrich­ten als sie behe­ben soll­ten (sie­he »Bio­kraft­stof­fe« oder die Mono­kul­tu­ra­li­sie­rung auf­grund des Anbaus von »Bio­mas­se«).

Erschwe­rend für eine ernst­zu­neh­men­de öko­lo­gi­sche Posi­tio­nie­rung von FFF gesellt sich zur Urba­ni­tät ein aus­ge­präg­ter Kos­mo­po­li­tis­mus hin­zu, des­sen Auf­recht­erhal­tung bzw. flä­chen­de­cken­de Eta­blie­rung nur durch eine weit­rei­chen­de Mobi­li­tät rea­li­siert wer­den kann. Die­se Entor­tung gibt es wie­der­um nur im Aus­tausch für einen öko­lo­gi­schen Preis, der kein gerin­ger ist. Schlu­ßend­lich sind wir damit wie­der an dem Punkt ange­kom­men, an dem offen­sicht­lich wird, daß Sozia­les, Öko­no­mi­sches und Öko­lo­gi­sches untrenn­bar mit­ein­an­der ver­zahnt sind.

Ange­streb­te Ver­än­de­run­gen auf einem Feld allein müs­sen zwangs­läu­fig schei­tern – wenn kei­ne Kon­gru­enz zwi­schen den drei Sphä­ren besteht, resul­tiert aus die­ser Inkon­sis­tenz eine Dis­rup­ti­on, die zumin­dest eine dau­er­haf­te Dys­funk­tio­na­li­tät des Gesamt­sys­tems und in letz­ter Kon­se­quenz einen völ­li­gen Kol­laps indu­zie­ren kann. Für die FFF-Prot­ago­nis­ten liegt eine der­ar­tig ganz­heit­li­che Auf­fas­sung umwelt­be­zo­ge­ner Zusam­men­hän­ge in wei­ter Fer­ne, schei­tert es ja schon dar­an, daß man selbst in der öko­lo­gi­schen Sphä­re zur Ver­en­gung neigt.

Letzt­lich ver­dich­tet sich in #Fri­days­For­Fu­ture all das, wor­an die auf links gewen­de­te Öko­lo­gie­be­we­gung gene­rell krankt – post­mo­der­ne Maß­lo­sig­keit. Hän­de­rin­gend ver­su­chen die Anhän­ger eman­zi­pa­to­ri­scher Ideo­lo­ge­me die Ris­se zuzu­kle­is­tern, die sie selbst immer wie­der in die Sub­stanz reißen.

Doch in dem Moment, wo pro­gres­si­ve Prot­ago­nis­ten einen grund­le­gen­den Öko­lo­gie­an­satz in die Pra­xis umzu­set­zen ver­such­ten, führ­te sie ihr Weg gera­de­wegs ins »rech­te Leben«, auch wenn sich das man­cher der zwangs­wei­se Gewen­de­ten nie ein­ge­ste­hen könn­te. Der Aus­bruch aus der kon­for­mis­ti­schen Rebel­li­on wird nicht vie­len gelingen.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)