Urlaubsreisen ins Kriegsgebiet?

von Andreas Karsten
PDF der Druckfassung aus Sezession 92/Oktober 2019

Ende August sorg­te Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Horst See­ho­fer für media­len Wir­bel im poli­ti­schen Som­mer­loch. Er übte Kri­tik an ver­mehrt auf­tre­ten­den Urlaubs­rei­sen von Asyl­be­wer­bern in deren Hei­mat­land Syri­en, die doch vor­geb­lich vor Krieg und / oder Ver­fol­gung von dort geflüch­tet sei­en. »Wer als syri­scher Flücht­ling regel­mä­ßig in Syri­en Urlaub macht, kann sich ja nicht ernst­haft dar­auf beru­fen, in Syri­en ver­folgt zu wer­den. Dem müs­sen wir sei­nen Flücht­lings­sta­tus entziehen.«

Das von See­ho­fer kri­ti­sier­te Phä­no­men ist kei­nes­wegs neu. Bereits in den 1990er Jah­ren lagen Berich­te über teils mona­te­lan­ge Hei­mat­ur­lau­be von Asyl­be­wer­bern vor – sei es für Hoch­zeits­rei­sen oder um Ver­wand­te nach­zu­ho­len. Die Angst vor Ver­fol­gung oder die bri­san­te Lage im Hei­mat­land – als Asyl­grund in Deutsch­land gel­tend gemacht – schie­nen und schei­nen die Rei­se­freu­de nicht zu trüben.

Der Aus­lö­ser für See­ho­fers aktu­el­len Vor­stoß war eine inves­ti­ga­ti­ve Recher­che eines Bild-Repor­ters (selbst syri­scher Asyl­be­wer­ber), der die Pra­xis von Urlaubs­rei­sen syri­scher Asy­lan­ten nach­zeich­ne­te. Folgt man sei­nen Erkennt­nis­sen, so reis­ten die meis­ten Syrer über Nach­bar­län­der wie den Liba­non, den Iran oder die Tür­kei in ihre Heimat.

Es gebe Tou­ris­mus­bü­ros, die Rei­sen spe­zi­ell für Syrer in ihre Hei­mat zu Pau­schal­prei­sen anbie­ten – inklu­si­ve der Beschaf­fung von Doku­men­ten und Bestechungs­gel­der für die ört­li­chen Grenz­be­hör­den. Die Ableh­nung der beschrie­be­nen Vor­gän­ge ist obli­ga­to­risch. Doch wie sieht die Rechts­la­ge aus? Grund­sätz­lich haben Asyl­be­rech­tig­te und aner­kann­te Flücht­lin­ge das Recht zu rei­sen, und zwar auch ins Ausland.

Die Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on garan­tiert ihnen die Aus­stel­lung eines »Rei­se­aus­wei­ses für Flücht­lin­ge«. Sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­te, wel­che die Vor­aus­set­zun­gen für die Aner­ken­nung als Flücht­ling nicht erfül­len, aber den deut­schen Behör­den in irgend­ei­ner Wei­se glaub­haft machen konn­ten, daß ihnen in der Hei­mat Scha­den dro­he, haben nach deut­schem Asyl­ge­setz eben­falls die Mög­lich­keit, einen sol­chen Rei­se­aus­weis zu erhalten.

Damit kön­nen sie fast unein­ge­schränkt ver­rei­sen. Pro­ble­ma­tisch sieht es aber in der Tat mit Rei­sen in das eige­ne Her­kunfts­land aus. Gemäß Asyl­ge­setz erlischt die Aner­ken­nung als Asyl­be­rech­tig­ter, wenn er »frei­wil­lig in das Land, das er aus Furcht vor Ver­fol­gung ver­las­sen hat oder außer­halb des­sen er sich aus Furcht vor Ver­fol­gung befin­det, zurück­ge­kehrt ist und sich dort nie­der­ge­las­sen hat«.

In der Pra­xis gibt es frei­lich Schlupf­lö­cher. Der Wis­sen­schaft­li­che Dienst des Bun­des­ta­ges stell­te im Jahr 2018 im Rah­men eines Rechts­gut­ach­tens fest, daß ein Erlö­schen der Asyl­be­rech­ti­gung nach § 72 Abs. 1a AsylG nur mög­lich ist, wenn die Per­son tat­säch­lich beab­sich­tigt, sich wie­der dau­er­haft im Her­kunfts­land nie­der­zu­las­sen. Selbst mona­te­lan­ge Urlaubs­rei­sen und / oder Fami­li­en­be­su­che wären davon nicht betroffen.

Bei lau­fen­den Asyl­ver­fah­ren sieht es mode­rat anders aus. Das Ver­fah­ren kann nach § 33 Abs. 3 AsylG ein­ge­stellt wer­den, wenn die betref­fen­de Per­son vor des­sen Abschluß in die jewei­li­ge Hei­mat reist, da dann davon aus­ge­gan­gen wer­den kann, daß sie sich dort sicher genug für eine sol­che Rei­se fühlt respek­ti­ve ihr kei­ne tat­säch­li­che Ver­fol­gung droht.

Aber auch hier gibt es Aus­nah­men. Die gesetz­li­che Rege­lung greift nicht, sobald Asyl­be­wer­ber ange­ben, auf ihrer Rei­se kran­ke Ange­hö­ri­ge zu besu­chen oder an reli­giö­sen Zere­mo­nien teil­neh­men zu wol­len. Eine Über­prü­fung sol­cher Anga­ben dürf­te in der Rea­li­tät kaum mög­lich sein – ent­spre­chend popu­lär sind die übli­chen Begründungsmuster.

Wäh­rend die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land also wei­ter­hin Hei­mat­ur­lau­be von Asyl­be­wer­bern zuläßt, obwohl die­se nach eige­nen Anga­ben aus Furcht vor Krieg oder Ver­fol­gung dort nicht leben könn­ten, haben ande­re Staa­ten bereits Gegen­maß­nah­men getrof­fen, etwa die Schweiz. Zwi­schen Genf und Basel leben vie­le Asyl­be­wer­ber aus Eritrea.

Die Aner­ken­nungs­ra­te für sie ist mit 75 Pro­zent und mehr kon­stant hoch. Doch immer wie­der wur­de bekannt, daß Eri­tre­er, teils über Umwe­ge, Rei­sen in die Hei­mat unter­nah­men. Dar­auf­hin wur­de die Rechts­la­ge für sol­che Aus­lands­auf­ent­hal­te ver­schärft. Künf­tig geht der schwei­ze­ri­sche Gesetz­ge­ber davon aus, daß Asyl­be­wer­ber, die in ihre Hei­mat rei­sen, sich frei­wil­lig unter den Schutz die­ses Staa­tes stellen.

Wird den Behör­den eine sol­che Rei­se bekannt, so wird auto­ma­tisch ein Ver­fah­ren zur Aberken­nung der Flücht­lings­ei­gen­schaft ein­ge­lei­tet. Der Asyl­be­wer­ber muß stich­hal­tig nach­wei­sen, daß er schwer­wie­gen­de Grün­de für sei­ne Rei­se hat­te (bei­spiels­wei­se Tod oder schwe­re Erkran­kung naher Ver­wand­ter) und es sich nicht um einen frei­wil­li­gen Auf­ent­halt handelte.

Im Gegen­satz zur Bun­des­re­pu­blik ist hier also die Beweis­last umge­dreht. Wäh­rend für die bun­des­deut­schen Behör­den ein Anfangs­ver­dacht für die Über­prü­fung sol­cher Rei­sen bestehen muß und selbst dann Schlupf­lö­cher bestehen, müs­sen Asyl­be­wer­ber in der Schweiz stich­hal­ti­ge Bewei­se liefern.

Im König­reich Nor­we­gen, das eben­falls eine Anlauf­stel­le für vie­le Eri­tre­er ist, nahm man sich dar­an ein Bei­spiel und schränk­te die Gül­tig­keit der Aus­län­der-Rei­se­pa­pie­re für eri­tre­ische Staats­bür­ger eben­falls ein. 2016, zum 25jährigen Jubi­lä­um der Unab­hän­gig­keit, zeig­ten vie­le Eri­tre­er die Absicht, in ihre Hei­mat zu rei­sen, um an den Fei­er­lich­kei­ten teilzunehmen.

Die dama­li­ge Minis­te­rin für Immi­gra­ti­on, Syl­vi List­haug, warn­te die Migran­ten mit Nach­druck, daß es Asyl­be­wer­bern nicht gestat­tet sei, ihr Her­kunfts­land zu besu­chen. Man kön­ne nicht behaup­ten, vor einem Unrechts­re­gime geflo­hen zu sein und Schutz in Nor­we­gen zu suchen, um dann zurück­zu­rei­sen und dem Regime die Ehre zu erweisen.

Wenn Migran­ten in ihr Her­kunfts­land ein­rei­sen kön­nen, frei von Repres­sio­nen an der Gren­ze und frei vor der aku­ten Furcht, dort schwe­ren kör­per­li­chen Scha­den zu erlei­den, gibt es dafür zwei mög­li­che Erklärungsansätze.

  1. Die Sicher­heits­la­ge im Her­kunfts­land ist kei­nes­wegs so deso­lat, wie die Migran­ten es in ihrem Asyl­ver­fah­ren ange­ben. Wenn sie als Mit­glied einer poli­ti­schen Grup­pie­rung oder eth­ni­schen Min­der­heit ver­folgt wür­den, dann wäre auch ihre Fami­lie davon betrof­fen. Wie kann es also sein, daß die Fami­li­en der Asyl­be­wer­ber wei­ter­hin rela­tiv unbe­hel­ligt dort leben kön­nen, Besuch emp­fan­gen und sogar gro­ße Fes­te wie Hoch­zei­ten aus­rich­ten können?
  2. Wenn ein Herr­schafts­sys­tem tat­säch­lich so restrik­tiv ist, wie es etwa von Syri­en und Eri­trea behaup­tet wird, poli­tisch miß­li­e­bi­ge Per­so­nen dort also gna­den­los ver­folgt wer­den – sprä­che dann die unge­hin­der­te Ein­rei­se der Asyl­be­wer­ber in ihr Hei­mat­land nicht dafür, daß sie im eigent­li­chen Sin­ne sys­tem­treu sind, von den Macht­ha­bern daher nicht behel­ligt wer­den und bei den deut­schen Behör­den fal­sche Anga­ben mach­ten? Durch die anhal­ten­de Pra­xis der Hei­ma­trei­sen von in Deutsch­land ansäs­si­gen Asyl­be­wer­bern kommt dem ver­schmäh­ten und pejo­ra­ti­ven Begriff »Asyl­tou­ris­mus« eine neue, rea­lis­ti­sche Bedeu­tung zu.

In der Ver­gan­gen­heit wur­de häu­fig ver­sucht, die­se tref­fen­de Wort­schöp­fung mit dem Argu­ment zu dis­kre­di­tie­ren, Migran­ten sei­en kei­nes­wegs ratio­nal han­deln­de Akteu­re, die den Bestim­mungs­ort Deutsch­land aus per­sön­li­chem Kal­kül ansteu­ern, um sich einen Platz an der Son­ne zu sichern. Sie sei­en panisch Flüch­ten­de, getrie­ben von der Angst vor Tod und Ver­fol­gung, die in Deutsch­land den ers­ten siche­ren Hafen auf ihrer Rou­te erkennen.

Folg­te man die­ser links­li­be­ra­len Mus­ter-Argu­men­ta­ti­on, wäre »Tou­ris­mus« tat­säch­lich kei­ne tref­fen­de Bezeich­nung. Rei­sen Migran­ten jedoch zurück an ihren Ursprungs­ort, nicht unter klan­des­ti­nen Bedin­gun­gen, son­dern durch­aus offi­zi­ell, orga­ni­siert von gewerb­li­chen Rei­se­bü­ros und mit­tel­bar finan­ziert vom deut­schen Steu­er­zah­ler, so fällt es schwer, die­se Pra­xis anders zu beschrei­ben als eben in Gestalt des »Asyl­tou­ris­mus«.

Die Gut­gläu­big­keit und Frei­gie­big­keit des bun­des­deut­schen Staa­tes öff­net dem mas­sen­haf­ten Miß­brauch von Asyl und sub­si­diä­rem Schutz Tür und Tor. Schlupf­lö­cher wird es immer geben. Auch die Schweiz und Nor­we­gen wer­den sol­che Rei­sen auf Staats­kos­ten nicht ver­hin­dern können.

Vor allem wenn Migran­ten über Dritt­staa­ten aus­rei­sen und es dabei ver­ste­hen, Aus­weis­pa­pie­re aus der Hei­mat und die neu erhal­te­nen Doku­men­te vir­tu­os ein­zu­set­zen, läßt sich ihr Weg kaum nach­voll­zie­hen. Gleich­wohl bil­den der­ar­ti­ge Restrik­tio­nen einen wich­ti­gen Schritt hin zu einem kri­ti­schen Umgang mit jenen Migran­ten, denen es heu­te noch leicht gemacht wird, unser Asyl­sys­tem zu unter­lau­fen. Mit allen mone­tä­ren wie gesell­schaft­li­chen Folgen.

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