Verrückt: Dürfte ich unter x‑Photos »aktueller« Autoren fünf auswählen, deren Bücher ich gern lesen würde – Leif Randt wäre definitiv nicht darunter. Als alte Lookistin gebe ich – sei es: leider – etwas auf den äußeren Eindruck. Herr Randt (Jg. 1983) trägt auf allen Bildern, die im Netz verfügbar sind, formlos-bunte Klamotten und oft Basecaps, ein wenig wie »Rezo«, der CDU-Kaputtmacher.
Dieser Stil mag ironisch gemeint sein, süffisant anspielungsreich oder wie auch immer – ich komme nicht dahinter. Es irritiert mich, weil nun mit Allegro Pastell bereits der dritte Roman aus Randts Feder vorliegt, der mich beeindruckt hat. Die beiden vorangehenden Werke sind in Sezession 51 (2012, Schimmernder Dunst über Coby County) und Sezession 66 (Planet Magnon, 2016) ausführlich besprochen worden. Diese Romane spielten in der nahen Zukunft; Allegro Pastell hingegen ist in der jüngsten Vergangenheit lokalisiert, im Jahr 2018. Hier geht es vordergründig nicht um Gesellschaftsentwürfe, sondern um reale Paarbeziehungen im Zeitalter des »Postpragmatismus«.
Was soll das heißen? Eine »pragmatische Beziehung«: Das wäre ein tendenziell unromantisches Ding, eine Sache, die man früher wohl »Bratkartoffelverhältnis« nannte. Unser postpragmatisch Verbandelter hat die Ebene der Aufrechnung, des do ut des, längst verlassen. Nun geht es darum, das Gefühl des »Okayseins« möglichst photogen zu inszenieren. Unsere Romanfiguren hüten sich, nicht okay zu sein mit sich, mit dem Gegenüber, den Umständen. Und warum sollte man auch – denn: alles ist, ein Minimum an Toleranz vorausgesetzt, doch völlig okay! Toleranz ist auch in diesem Roman ein Dauergefühl, das nie auf die Probe gestellt wird. Es gibt keine Abweichler mehr: »Alles darf, nichts muß.«
Wer nicht ganz auf den Kopf gefallen ist oder vom Schicksal hart geschlagen wurde (und um solche Leute geht es hier dezidiert nicht, selbst die schwer depressive Sarah, eine Nebenfigur, kommt letztlich ganz okay durch), der erreicht – und sei es unter Zuhilfenahme marktgängiger Drogen – einen gewissen Well-being-Faktor. Speziell geht es um Jerome. Er ist Webdesigner, Mitte dreißig, wohnhaft in einem Kaff namens Maintal – übrigens wie Leif Randt selbst. (Mir hat das Buch womöglich auch gefallen weil ich, 28 Jahre direkt neben Maintal lebend, viele Schauplätze, Clubs etc. gut kenne.) Er hat eine Beziehung mit Tanja, einer Autorin, die mit ihrem Debüt »PanoptikumNeu« einen Publikumserfolg gelandet hatte. Tanja, jünger als Jerome und noch eine Spur cooler (Randt stellt das nicht aus, er beschreibt nur) als ihr Freund, ist seit ihrem Bucherfolg »eine Art Ikone« vor allem »für schwule Akademiker zwischen zwanzig und fünfundvierzig Jahren.« Tanja (Berlin) und Jerome (hessisches Kaff) bilden das Traumpaar eines auf- und abgeklärten Bindungsparadigmas.
Beide sind tendenziell »offen« und nicht ausgesprochen monogam (was zu Verwerfungen führt; man kann diese Dinge handlen, selbst wenn sie letztlich einen – okayen – Abschied voneinander bedeuten); Jerome hat mit Absicht kein Auto, sondern mietet gelegentlich einen Tesla; Tanja nimmt Therapiestunden bei ihrer superlockeren Psychotherapeutenmutter – alle Eltern sind hier extrem easy drauf –, die bohrend nachfragt, warum Tanja denn nicht einfach eine Nebenbeziehung starte: »Ist Moral wirklich dein Thema?« Es gibt keinen Schwur, keine Ausweglosigkeit, kein Fatum. Dieses Leben gleicht einer Gummizelle. Das stahlharte Gehäuse besteht: ja. Aber es ist scheinheilig abgefedert durch »Commitments«, Sprachnachrichten, Drogen, hübsche Lügen und wunderbare Inszenierungen. »300% Joy« paßt noch unter jedes Instagram-Photo. Tanjas Lover Janis vertritt die Meinung, daß ein »nachhaltiger Kollaps des Finanzsystems« notwendig sei, »um diverse Gesellschaften aufzurütteln«: »Viele Menschen, die viel Zeit aufs Feiern verwendeten, hatten sich diese Sichtweise angeeignet. Dass Janis diese Haltung auch als junger Dad kultivierte, überraschte Tanja eher positiv.«
Einmal gehen Jerome und Tanja unter leichtem Drogeneinsatz mit einem »antideutschen« Pärchen aus. »Je weiter die Zehnerjahre voranschritten, desto einverstandener war Jerome damit, daß es eine Antifa gab. Solange sie niemanden missionieren wollten, fand Jerome das in Ordnung. Er traute sich, zuzugeben, dass er keine Ahnung vom Antideutschsein hatte. Tanja versucht es zu erklären: ›Man ist gegen den deutschen Staat und pro Israel. Man ist Kommunist, aber nicht Antikapitalist, weil man im Antikapitalismus immer auch Antisemitismus vermutet.‹« Paßt ja! Einige Kritiker haben Allegro Pastell mit Christian Krachts Epochenroman Faserland (1995) verglichen. Das könnte hinkommen.
Allegro Pastell von Leif Randt kann man hier bestellen.