Christoph Fackelmann, Till Kinzel, Michael Rieger (Hrsg.): Lepanto Almanach. Band I, Rückersdorf: Lepanto Verlag 2020, 264 S., 14.80 €
Der kleine katholische Lepanto Verlag hat ein interessantes Projekt gestartet: ein Jahrbuch für christliche Literatur und Geistesgeschichte, dessen erster Band nun erschienen ist. Das Jahrbuch ist historisch orientiert und befaßt sich schwerpunktmäßig mit der Person Reinhold Schneiders, der in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts ein vielgelesener Schriftsteller war. Die Beiträge des Buches sind auf hohem wissenschaftlichen Niveau geschrieben, das Ganze vor dem Hintergrund einer starken Verwurzelung im Katholizismus.
Der Wiener Literaturwissenschaftler Christoph Fackelmann folgt einem Motto von Gertrud von le Fort und entwickelt einen faszinierenden komparatistischen Ansatz. »Die Städte brausen wohl noch eine Weile, aber das große Schweigen sickert schon durch die Mauern« (aus G.v.l. Fort, Hymnen an die Kirche). Fackelmann nimmt die biblische Erzählung des Turmbaus zu Babel und die daraus folgende Sprachverwirrung, ausgelöst durch die Hybris des autonomen Menschen, auf und sucht nach sinnstiftenden Spuren dieser Erzählung in der Lyrik.
Darunter fällt Stefan Georges Zeitgedicht aus Der siebente Ring von 1907, in der George als einsam-erhabener Verkünder einer uralten Tradition gesehen wird, wobei Fackelmann deutlich macht, dass Georges Ansatz keineswegs christlich umgedeutet werden kann, sondern ihn eher in eine Reihe mit Nietzsches Vorstellungen der Unzeitgemäßen Betrachtungen stellt. Die Gedichte »Das babylonische Herz« , Francis Thompson, 1897 , »Schlußghasel« , Joseph Weinheber, 1943, »Das alte Haus der Sprache«, Karl Kraus, 1918, und schließlich »Abschied« , Reinhold Schneider, 1946, werden mit philosophischen Querverweisen verglichen und interpretiert, wobei das letzte Gedicht eine gute Überleitung zum zweiten Teil des Jahrbuches darstellt, in dem Reinhold Schneiders Gesamtwerk kenntnisreich behandelt wird.
Christoph Fackelmann zeigt sehr schön auf, wie das letzte Gedicht von Reinhold Schneider von der künstlerisch-ästhetischen Ebene in die religiös-christliche hineinreicht. Schneider schreibt: »die Kunst ist sehr arm ohne Hilfe (…) ihr letztes Wort kann immer nur eine Bitte sein«, um dann aufzufordern: »beugt euch in Gottes waltendes Gedicht«. Der Versuch, die Sprachkunst in den Dienst der Verkündigung zu stellen, zeigt aber auch, daß damit ein Konfliktfeld betreten wird, denn die Kunst als eigenständige Form kann nicht einfach der Religion unterstellt werden.
Es ist naheliegend, daß die nun folgende Betrachtung des Gesamtwerkes von Reinhold Schneider ihn nicht nur als katholischen Autor sieht, sondern auch zeitgeschichtlich als Vertreter der »inneren Emigration« im Nationalsozialismus, wobei besonders der Roman Las Casas vor Karl V. als Beleg genommen wird, der 1938 erschien und hohe Auflagen erzielte. In einer autobiographischen Notiz von 1953 schreibt Schneider selbst, was ihn umtrieb: »Das Problem der Macht, die Frage: Was ist geboten? Was ist erlaubt? ließ mich keinen Augenblick los. Eine Antwort sehe ich nur im Opfer, sei es nun Verwaltung der Macht oder Verzicht. Je deutlicher ich empfand, dass in der Geschichte Sendungen aufeinanderstoßen, die sich nicht vereinbaren lassen, je mehr sich mir der Mensch als Kampfplatz der Gewalten enthüllte: umso fester war ich überzeugt von der unzerstörbaren Freiheit des Menschen – seiner Freiheit in Christus – und von der christlichen Verantwortung für alles, was in Gedanken und Taten, in Träumen und Wünschen geschieht.«
Passend dazu beschäftigt sich auch ein Beitrag von Benedikt XVI., dem früheren Papst, mit der Frage nach Macht und Gewissen in Schneiders Werk. Die weiteren Kapitel Werkstatt, Umschau und der »Lepanto-Kalender 2020« enthalten eine Fülle von Texten und Literaturhinweisen – dieses Kompendium ist eine wahre Fundgrube.
Den von Christoph Fackelmann, Till Kinzel und Michael Rieger herausgegebenen Lepanto Almanach kann man hier bestellen.