»Kondylis ist leider noch immer ein ›Geheimtip‹.« Mit diesen Worten schließt Gisela Horst die 488 Seiten des Haupttextes ihrer großen Werkschau Panajotis Kondylis’ (1943 – 1998). Dabei ist der griechische Philosoph, der sein Hauptwerk auf Deutsch verfaßte, dem Namen nach kein Unbekannter – und auch kein Vergessener der Geistesgeschichte. Dennoch ist die Rezeption seines Werkes weitgehend auf Kreise beschränkt, die sich seinem Werk aufgrund persönlicher Begegnung verpflichtet fühlen, oder die nach Rüstzeug für den Kulturkampf der Gegenwart suchen.
Letzteres ist bei denjenigen der Fall, die man im weitesten Sinne als Rechtsintellektuelle bezeichnen könnte (auch wenn sie ihr Weg, wie der von Kondylis selbst, nicht selten von ganz links außen zur rechten Einsicht führte). Die persönliche Begegnung bildet hingegen bei Gisela und ihrem Mann Horst Falk den Ausgangspunkt der Beschäftigung. Horst Falk hat sich in vielerlei Hinsicht um das Werk von Kondylis verdient gemacht, hat ihn schon zu Lebzeiten beratend unterstützt, sein unvollendetes Nachlaßwerk Sozialontologie herausgegeben, in regelmäßigen Abständen mit Sammelbänden auf das Werk von Kondylis aufmerksam gemacht und schließlich als Vorsitzender des Freundeskreises Panajotis Kondylis e.V. die Bemühungen um das Erbe des Denkers koordiniert.
Der vorliegende Band ist die Dissertationsschrift, mit der Gisela Horst, von Hause aus Naturwissenschaftlerin, 2018 an der Fernuniversität Hagen bei Prof. Dr. Peter Brandt promoviert wurde. Brandt gehört als Gründungsmitglied des Kondylis-Instituts für Kulturanalyse und Alterationsforschung ebenfalls zu den bekennenden Kondylis-Freunden. Die Arbeit versucht nichts weniger, als eine Gesamtschau von Leben und Werk Kondylis zu bieten, dabei alle greifbaren Quellen zu nutzen und die erreichbaren Zeitzeugen zu befragen.
Da über Kondylis’ Biographie offensichtlich viele Mythen im Umlauf sind, ist das erste Kapitel »Biographisches« für den Kondylis-Leser vermutlich das interessanteste, weil es erstmals gesicherte Informationen zum Leben bietet, wenngleich auch hier Lükken Anlaß zu Spekulationen geben. Belegt werden die linken Anfänge von Kondylis, die Arbeit und Auseinandersetzungen um seine großen Bücher werden geschildert, und schließlich wird er in Beziehung zu für ihn wichtige Autoren gesetzt.
Etwas merkwürdig ist der dabei zutage tretende Eifer, mit der die Autorin den Nachweis zu bringen versucht, daß Kondylis in keinster Weise von Carl Schmitt beeinflußt gewesen sei. Die Argumente und auch die Selbstaussagen von Kondylis sind nicht besonders überzeugend. Das zweite Kapitel ist den »Begriffen und Themen« gewidmet, die im Werk von Kondylis eine besondere Rolle spielen. Die Zusammenfassungen sind erhellend, wenngleich sie nur sehr zurückhaltend kontextualisiert werden, was es der Autorin erleichtert, Kondylis als eine Monade im Wissenschaftsbetrieb des 20. Jahrhunderts herauszustellen. Da Kondylis ein fleißiger Leser war, ist diese Herangehensweise etwas problematisch, wenngleich im Rahmen eines Buches mehr kaum zu leisten sein dürfte.
Das dritte Kapitel wendet sich dann chronologisch den Texten von Kondylis zu, sowohl den Büchern, als auch den Texten, die in Zeitungen und Zeitschriften erschienen, indem eine kurze Zusammenfassung des Inhalts geboten wird. Abgerundet wird das durch den Anhang, in dem eine Bibliographie (die sich auch seiner Übersetzertätigkeit widmet), eine Zeittafel und Auszüge aus Rezensionen zu finden sind.
Insgesamt handelt es sich um ein überaus nützliches Buch, das hoffentlich dabei hilft, Mißverständnisse von Kondylis’ Werk, die oftmals eher bewußte Fehlinterpretationen sind, aufzuklären. Wünschenswert wäre, um Kondylis vom Geheimtipp zur Bezugsgröße zu erheben, daß die Autorin ihr Wissen zu einer kurzen Einführung in Leben und Werk Kondylis verknappt, die dann auch denjenigen, denen Kondylis bislang nichts sagt, als Einstieg dienen könnte.
Panajotis Kondylis. Leben und Werk – eine Übersicht von Gisela Horst kann man hier bestellen.