Sonntagsheld (150) – Ein Reiter verlässt die Stadt

Dem letzten Franzosen zum Gedenken

Dem letz­ten Fran­zo­sen zum Gedenken

Ein Rei­ter ver­lässt die Stadt.

Die sanf­ten Schrit­te tra­gen noch den Staub
unend­lich vie­ler Stra­ßen, alter Welt.
Er kann schon lan­ge nicht mehr so gut sehen
und frem­der Zei­ten schau­ern­des Vergehen
fällt hin­ter ihm wie unsicht­ba­res Laub.

Geschich­ten schla­fen tief in sei­nen Brauen
als er erha­ben in die Knie fällt
und betet, sei­ne Hän­de müh­sam schließt
und aus dem from­men Mund ein Lied ergießt
von kal­tem, uner­bitt­li­chem Vertrauen.

Ver­gnügt fast summt er ein chan­son noir
und geht die letz­ten Schrit­te zum Altar
Bedäch­tig steigt er auf die alten Stufen,
da hört er drau­ßen eine Möwe rufen
und flüs­tert rau ein lei­ses „au revoir!“

Sein Lächeln bis ins Hei­ligs­te verfeinert
wird weiß, die Augen leuch­ten selt­sam klar
Man sieht: Dar­in hat sich etwas bewahrt
für sei­ne letz­te Abenteuerfahrt
Da nimmt er Hal­tung an, nickt, und versteinert.

Nichts schreibt sich
von allein!

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Kommentare (9)

Avalon

15. Juni 2020 08:39

Einfach nur: Danke! Es berührt mich sehr! Mehr davon.

Ein gebuertiger Hesse

15. Juni 2020 09:01

Gänsehaut. Danke!

Der_Juergen

15. Juni 2020 10:27

Prächtiges Gedicht! Aufrichtigen Dank.

Franz Bettinger

15. Juni 2020 12:57

Großartiges Gedicht! Winzige Beckmesserei zur drittletzten Zeile: ‚Was' statt ‚Etwas' (denke ich). 

Brettenbacher

15. Juni 2020 21:48

@ Franz Bettinger

Wenn Sie "etwas" durch "was" ersetzen, läuft die Zeile aus wie eine angestochne Wasserblase und die folgenden werden im Tonus beschädigt. Das ist keine Frage des Denkens sondern des Hörens. Ihrem Lob aber, wie dem aller anderen, schließe ich mich aus vollem Herzen an.

Der_Juergen

16. Juni 2020 09:53

Ebenfalls noch eine Beckmesserei: Chanson noire, nicht chanson noir. "Chanson" ist weiblich.

Simplicius Teutsch

16. Juni 2020 11:38

@ Franz Bettinger: Großartiges Gedicht! Winzige Beckmesserei zur drittletzten Zeile: ‚Was' statt ‚Etwas' (denke ich). 

.........................................

Danke, für Ihre Anregung zum Nachdenken. Erst dadurch habe ich - heute Morgen beim Frühstück - das eindrucksvolle Gedicht noch einmal gründlich gelesen. Aber recht geben in jenem Punkt möchte ich trotzdem @Brettenbacher. - Obwohl ich Ihnen, @Bettinger, gerade in Bezug auf die Corona-Krise fast immer vollständig recht geben würde.

Ich persönlich meine, bei der besagten Verszeile „Man sieht: Darin hat sich etwas bewahrt“ muss man über den Doppelpunkt hinweg lesen, keine Sprechpause beim Doppelpunkt einlegen, - erst hinter "Darin". 

 

Joerch

16. Juni 2020 13:28

Sehr, sehr anrührend. Wunderschön. Danke.

Franz Bettinger

19. Juni 2020 00:01

@Simplicius Teutsch: Danke für die Blumen. Und auch was Wessels Gedicht betrifft, haben Sie recht: Mit der von Ihnen vorgeschlagenen Intonation hört es sich perfekt an.

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