15. Juni 2020
Sonntagsheld (150) – Ein Reiter verlässt die Stadt
Till-Lucas Wessels / 9 Kommentare
Dem letzten Franzosen zum Gedenken
Ein Reiter verlässt die Stadt.
Die sanften Schritte tragen noch den Staub
unendlich vieler Straßen, alter Welt.
Er kann schon lange nicht mehr so gut sehen
und fremder Zeiten schauerndes Vergehen
fällt hinter ihm wie unsichtbares Laub.
Geschichten schlafen tief in seinen Brauen
als er erhaben in die Knie fällt
und betet, seine Hände mühsam schließt
und aus dem frommen Mund ein Lied ergießt
von kaltem, unerbittlichem Vertrauen.
Vergnügt fast summt er ein chanson noir
und geht die letzten Schritte zum Altar
Bedächtig steigt er auf die alten Stufen,
da hört er draußen eine Möwe rufen
und flüstert rau ein leises „au revoir!“
Sein Lächeln bis ins Heiligste verfeinert
wird weiß, die Augen leuchten seltsam klar
Man sieht: Darin hat sich etwas bewahrt
für seine letzte Abenteuerfahrt
Da nimmt er Haltung an, nickt, und versteinert.
Nichts schreibt sich
von allein!
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Kommentare (9)
Avalon
Einfach nur: Danke! Es berührt mich sehr! Mehr davon.
Ein gebuertiger Hesse
Gänsehaut. Danke!
Der_Juergen
Prächtiges Gedicht! Aufrichtigen Dank.
Franz Bettinger
Großartiges Gedicht! Winzige Beckmesserei zur drittletzten Zeile: ‚Was' statt ‚Etwas' (denke ich).
Brettenbacher
@ Franz Bettinger
Wenn Sie "etwas" durch "was" ersetzen, läuft die Zeile aus wie eine angestochne Wasserblase und die folgenden werden im Tonus beschädigt. Das ist keine Frage des Denkens sondern des Hörens. Ihrem Lob aber, wie dem aller anderen, schließe ich mich aus vollem Herzen an.
Der_Juergen
Ebenfalls noch eine Beckmesserei: Chanson noire, nicht chanson noir. "Chanson" ist weiblich.
Simplicius Teutsch
@ Franz Bettinger: Großartiges Gedicht! Winzige Beckmesserei zur drittletzten Zeile: ‚Was' statt ‚Etwas' (denke ich).
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Danke, für Ihre Anregung zum Nachdenken. Erst dadurch habe ich - heute Morgen beim Frühstück - das eindrucksvolle Gedicht noch einmal gründlich gelesen. Aber recht geben in jenem Punkt möchte ich trotzdem @Brettenbacher. - Obwohl ich Ihnen, @Bettinger, gerade in Bezug auf die Corona-Krise fast immer vollständig recht geben würde.
Ich persönlich meine, bei der besagten Verszeile „Man sieht: Darin hat sich etwas bewahrt“ muss man über den Doppelpunkt hinweg lesen, keine Sprechpause beim Doppelpunkt einlegen, - erst hinter "Darin".
Joerch
Sehr, sehr anrührend. Wunderschön. Danke.
Franz Bettinger
@Simplicius Teutsch: Danke für die Blumen. Und auch was Wessels Gedicht betrifft, haben Sie recht: Mit der von Ihnen vorgeschlagenen Intonation hört es sich perfekt an.
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