Der Titel verrät es: Hier (ver) spricht einer Tacheles. Peter Pomerantsev, 1977 zu Zeiten der Sowjetunion als »Pjotr« in Kiew geboren, seit Jahrzehnten aber Weltbürger mit Hauptwohnsitz in England, hat sich in die Tiefen der Infowars begeben. Wie funktionieren die Mechanismen der Beeinflussung im digitalen Zeitalter? Fraglos ist dies heute das Thema. Pomerantsev hat Elisabeth Noelle-Neumanns Schweigespirale gründlich gelesen: Das Bedürfnis, »dazuzugehören« hatte sie bereits 1974 als »menschliches Grundbedürfnis« erkannt.
Aus Isolationsfurcht nutzen Menschen Verlautbarungen der Medien, um auszutarieren, was gerade »öffentliche« (in Wahrheit aber nur: veröffentlichte)Meinung sei, um sich opportun verhalten zu können. Mit Noelle-Neumann benennt er zwei Typen, die ausscheren: Zum einen ist das der »harte Kern«, dem schlicht einerlei sei, was die Gesellschaft von ihm denkt. Zum anderen: jene Aktivisten, die »trotz aller Rückschläge wollen, daß ihnen die Menschen zuhören.«
Heute ist via Internet jeder ein potentieller Sender von Nachrichten und Ansichten – die Grundregel der Schweigespirale gilt aber weiterhin. Die Masse machts; die Likes, Follower und Wiederverbreiter zählen. Der Autor will darlegen, wie es funktioniert, durch Fake-News, Trollfabriken und Kampagnen in den Sozialen Medien Stimmungen zu erzeugen und zu verstärken. Um zu dieser Gemengelage zu recherchieren, hat er die halbe Welt bereist. Zum Teil bringt er seinen Lesern faszinierende Reportagen mit: Seine Schilderung von den Philippinen, aus Manila, und wie dort Rodrigo Duterte (auch) durch großangelegte Internetkampagnen an die Macht kam, sind bestechend.
Auch aus Aserbaidschan, Venezuela und Bah rain berichtet er nachvollziehbar, wie dort mittels »Trollarmeen« angebliche Jugendbewegungen im Dienste der jeweiligen Regierungen inszeniert wurden. Im Ganzen fällt das Buch allerdings ab. Zwischen seine Reportagen aus aller Herren Länder hat Pomerantsev eine Art »Live-Bericht« aus jenen Jahren geschoben, als seine Eltern als Dissidenten mit dem kleinen Pjotr aus der Sowjetunion flohen. Was ein netter Kunstgriff hätte sein können (»damals Despotie – heute andere Despotie«), floppt allerdings, weil der Ton einfach nicht stimmt. Der Autor liefert mit diesen eingestreuten Passagen eine Art Filmmusik, die den Leser auf »drastische Zeiten« einstimmen soll. Beispielsweise drückte Pomerantsevs Mutter das Kind damals beim Grenzübertritt so fest an sich, daß »ein Abdruck meines Gesichts auf ihrer Brust zurückblieb« – komm, wie bei Jesus! Die größtenteils einfältige Dramatisierung der eigenen – zugegeben harten – Familiengeschichte als Beglaubigung des Zeugenstatus ist nur das eine.
Zum anderen hat Pomerantsev eine klare Agenda, und die ist deutlich Anti-Trump und Anti-Putin. Das wäre legitim. Aber kann er die Abneigung begründen? Nein. Es gelingt ihm überhaupt nicht, die Wirksamkeit von all jenen putin- oder trumpgesteuerten »Bots« und »Cyborgs« überzeugend zu vermitteln. Weshalb sollten automatisierte, stereotype Bots, etwa in Putins »Trollfabriken« generiert, Millionen Follower an sich binden? Anderes Beispiel: Der Autor schreibt, daß in Mexiko im »vorangegangenen Jahr« elf Journalisten ermordet worden seien, und die Täter seien zu »99,75 Prozent« ungestraft davongekommen. Was soll man davon halten? Hat man einen Hundersteltäter also erwischt? Zudem »deckt« Pomerantsov »auf«, daß Martin Sellner aus den Schriften des serbischen Dissidenten und »Revolutionsmachers« Srđa Popović Nektar gesogen habe. Popović (Jg. 1973) ist ein serbischer Widerstandsguru. Pomerantsev nennt ihn brüderlich nur »Srdja«.
Er findet es heikel, daß sich nun ein »Rechter« wie Sellner bei Srdja bedient. Srdja wollte »die Menschen« nämlich dazu ausbilden, die Macht zu übernehmen. Was ist, fragt Pomerantsev, »wenn jene Menschen, die die Macht übernehmen, dies tun, um andere zu misshandeln?« Hier wird es kompliziert. Pomerantsev verkennt und verwechselt Macht, Ohnmacht und Subversität. Er verheddert sich und vermag diese Maschen nicht aufzulösen. Ja, unsere Wirklichkeit wird wahrscheinlich »zertrümmert«. Aber nicht so, wie Herr Pomerantsev es sich vorstellt.
Das ist keine Propaganda von Peter Pomerantsev kann man hier bestellen.