Die am meisten vergiftete Reizformel der 2010er Jahre dürfte »Populismus« lauten. Vor einem Jahrzehnt gebrauchte man diesen vieldeutigen Ausdruck höchstens in ausgewählten Fachkreisen. Heute ist er als typisches Pejorativum in politischen Kontroversen omnipräsent. Das zentrale Bekenntnis vieler Diskurse lautet demnach: Nun sag, wie hast du’s mit dem Populismus?
Günter Scholdts Publikation setzt einen wohltuenden Kontrapunkt zum nicht abreißenden Strom von Publikationen mit einseitiger Populismus-Schelte. Dem im Ruhestand lebenden Germanisten geht es nicht um eine systematische politologische Analyse, obwohl er eine Reihe von prominenten Diskutanten anführt.
Vielmehr beleuchtet er basale Topoi der Auseinandersetzung, etwa die umstrittene Parole »Wir sind das Volk«, den bereits berühmt gewordenen Widerspruch der »Anywheres« und der »Somewheres« und Fragen um das unvermeidliche Thema »Fake News und Verschwörungstheorien«. Scholdt arbeitet anhand diverser Beispiele heraus, daß es wenig glaubhaft ist, den lateinischen Begriff für Volk populus negativ zu bewerten und die griechische Bezeichnung demos für die gleiche Sache als positiv davon abzugrenzen.
Gerne wird von den medialen und politischen Meinungsführern die falsche kausale Einstufung jener von ihnen als »Populisten« abgelehnten Kräfte unterschlagen. Überdies versuchen auch die Repräsentanten des Establishments – so Scholdt – sich als Vertreter von Volkes Stimme auszugeben. Aus aktueller Sicht läßt sich – über Scholdts instruktive Erörterungen hinausgehend – die Frage stellen: Werden demnächst auch Gegner der Corona-Maßnahmen als Populisten gebrandmarkt? Unter dem Kautschuk-Begriff dürfte man bald eine neue Opfergruppe subsumieren.
Populismus. Demagogisches Gespenst oder berechtigter Protest? von Günter Scholdt kann man hier bestellen.