Über 150 Anmeldungen gingen bei uns ein, zulassen können wir im September allerdings nur rund neunzig Hörer, die Corona-Auflagen sind eindeutig. Wir haben also sofort über sechzig, mittlerweile über fünfundsiebzig Studenten absagen müssen – und denken bereits darüber nach, dieselbe Akademie ein paar Wochen später einfach zu wiederholen.
Daß unsere Veranstaltungen so beliebt sind und daß sich die Teilnehmer weder von der ins Absurde getriebenen VS-Drohung noch von der Antifa-Folklore vor dem Gasthof und vor unserem Verlagsgebäude abschrecken lassen, wundert mich grundsätzlich nicht: Wo gäbe es etwas ähnliches sonst? Etwas von parteinahen Stiftungen oder von großen Konzernen so ganz und gar Unabhängiges ? Wo auch nur annähernd solche Verdichtungstage im Kreis geächteter und nicht zuletzt deswegen breit und gründlich rezipierter Publizisten, denen der Gegner offiziell bloß das Bohren dünner Bretter, inoffiziell jedoch seit Jahren die treffsichersten politischen Prognosen zutraut?
Aber dann, bloß ein paar Tage, ach was: bloß ein paar Stunden später wundert’s mich doch ganz und gar, daß so viele so jungen Leute so weit fahren und von so weit herkommen, um zu hören und mit uns zu besprechen, was wir zu sagen haben. Ich komme mir unredlich vor, halte mich für einen Scharlatan, der Angelesenes, Passendgedachtes, Gelegentliches, in Stimmungen Zurechtgebogenes ausbreitet, obwohl doch im Moment des Sagens bereits die intellektuelle Erkenntnis par excellence den Fuß in die Tür stellt:
Was Du da sagst: Man könnte das alles auch anders sagen, anders sehen, anders deuten. Woher nimmst Du Deine Sicherheit? Wäre es nicht angebracht, Dich den “Vorläufigen” zu nennen? Sommerakademie, Sonntag, 11 Uhr: “Der Vorläufige” spricht jetzt zum Thema…
Im Grunde: Die Krankheit aller Geisteswissenschaft. Kaum etwas geht auf, vieles ist Gepluster, Geschäume, Gequirle, fast alles ist schon gut genug geschrieben worden, man müßte es heraussuchen und vorlesen und würdigen. Ich weiß, daß es andere Gemüter gibt, vor allem unter Historikern: die Ableger, die Archivierer, die Auftürmer, die Schnellschreiber, die Zettelkastler und vor allem diejenigen mit dem Themenriecher, die durch offene Scheunentore rennen.
Glaubt mir: Die Tage vor den Akademien sind die schlimmsten. Sie sind es, weil man weiß: Diese vielen jungen Leute – sie erwarten zurecht einen Hinweis, einen Impuls, etwas von der Stimmigkeit, die jeder braucht, der seine Lebensmelodie zu pfeifen lernen will.
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Der siebte Referent hat nun auch endgültig zugesagt. Er wird über das Thema “Ordnungsstaat, Rechtsstaat, Sozialstaat” sprechen. Aber einer fehlt noch, und das ist nun etwas, das mich wurmt und wundert. Gibt es unter unseren Lesern, Abonnenten, Mitdenkern keinen, der über Carl Schmitts “Verfassungslehre” vortragen könnte (45 Minuten, anschließend Debatte), und zwar hinzielend auf die erschütternden Monate Ende 1932, als Schmitt an dem Versuch beteiligt war, die Republik mittels Präsidialdiktatur und Militärputsch noch vor Hitler zu retten?
Wenn doch, wenn sich also einer findet: anmeldung(at)staatspolitik.de – Honorar, Hotel und die legendären “Gespräche in der Sicherheit des Schweigens” sind selbstverständlich.
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In der Hitze, also am See oder im Garten oder mit einer Kanne Minztee in einer Ahnung von Nachtkühle: Lesen. Wieder, wie so oft, immer häufiger: nichts Neues mehr, sondern wiederholte Lektüre, Wiedervorlage. Ich hatte darüber für die längst vergriffene Sezession 94 geschrieben:
Von Kindern kennt man das: Man erzählt ihnen Märchen, Anekdoten, Reime, und dieselben Geschichtchen werden nun über Wochen Tag für Tag verlangt. Das Zuhören, die Spannung, die Erleichterung sind ritualisiert, und zum Ritual gehört, daß der Wortlaut derselbe bleibe, daß sich das Gefühl, das sich einstellen soll, erwartbar einstelle, kurzum: daß nicht variiert, nicht abgewichen werde. Etwas ist also gewiß: gewiß immer so! Erst später, wenn die Kinder größer sind, wird der Perspektivwechsel interessant, kann man das Pferd mal so, mal andersherum aufzäumen, beginnt das Immergleiche zu langweilen, greifen sie aus.
Es ist so: Ellen Kositza liest fast nichts ein zweites, drittes, nie irgendetwas ein zehntes Mal, es sei denn, sie muß sich vergewissern, ob sie sich an eine Passage richtig erinnert, auf die sie sich beziehen will. Wie Benedikt Kaiser gehört sie zu den Viellesern, die Unmengen an Büchern und Artikeln durchgehen und verarbeiten können. Das bedeutet nicht zugleich, daß die beiden Bücher nicht genießen könnten – hier wie dort steht die Belletristik hoch im Kurs. Aber eines tun sie nicht: den Genuß wiederholen, Bücher oder auch nur Stellen aufsuchen wie einen Kräutergarten oder einen Medizinschrank. Oder wie ein Gebet.
Ich selbst lese manche Bücher oder Passagen aus Büchern wie Heilsud, wie Formeln, liturgisch, auf Wirkung. Sie wirken wie Musikstücke oder wie der Besuch eines Gottesdienstes, in dem noch liturgische Treue herrscht.
Ich muß Stellen aus Kleppers “Der Vater” alle paar Monate einmal lesen. Ebenso Stellen von Ernst Jünger, von Erhart Kästner, von Gottfried Benn, Hans Bergel, Christoph Ransmayr, Franz Werfel, Wolf v. Niebelschütz, Horst Lange, Knut Hamsun. In der wiederholten Lektüre steckt Vergewisserung, also: Gewißheit. Davon war oben bei den Kindern schon die Rede. Daher zwei Behauptungen: Die Wiederholt-Leser sind kindlicher als die anderen, und sie können mit Lyrik, der Wiederholung als Gebilde, etwas anfangen. Sie wohnen in den Büchern und Gebilden, sie streifen weniger umher.
Wohltuende Fraglosigkeit, seßhaftes Gehirn, Wiederherstellung. Die Grundberufe – der Arzt, der Koch, der Bauer, der Priester: Wiederhersteller.
(Mein Twitter-Account besteht aus 451 Eselsohren in 50 Büchern. Der einzige Follower bin ich selbst. Kaum je kommt ein neuer Tweet hinzu.)
Volksdeutscher
Die Begeisterung der Jugend für die rechte Sache stimmt hoffnungsvoll. Die Wiederholung bei dieser Beliebtheit wäre also wirklich von Nöten. Leider gehöre ich nicht mehr zu dem Alterskreis, um daran teilnehmen zu können.