Daher zunächst meinen Dank an alle Vortragsredner, Gesprächspartner und auch an alle, die mir ein paar Mal den Boxhandschuh gegen den Schädel schlugen. Auch das mag zum Vorliegenden beigetragen haben.
Allen intellektuellen Überheblichkeiten zum Trotz müssen politische Bewegungen mit wenigen Strichen ein Weltbild für den Allgemeingebrauch entwerfen. Die vorrangige Aufgabe dieses Weltbildes besteht darin, jedem eine ungefähre Vorstellung der geschichtlichen Lage zu vermitteln, aus welcher heraus sich die Bewegung zum Handeln genötigt sieht.
Das gilt nicht nur für formell organisierte Bewegungen wie die Identitären, sondern auch für breitere und unschärfere politische Lager, wie das der Neuen Rechten, oder Mosaikrechten im allgemeinen.
So blieb es nicht aus, daß am abendlichen Lagerfeuer auch (wieder einmal) die Lehre Alexander Dugins von den drei politischen Theorien der Moderne diskutiert wurde: dem Liberalismus, dem Kommunismus und dem Faschismus, von welchen sich der erste schließlich deshalb durchsetzte, weil er am weitesten der modernen Tendenz zum allumfassenden Zugriff auf die Welt, dem Gedanken der kompletten Machbarkeit entsprach.
Teilweise in Reinform, weitgehender in abgeschwächter Weise, hat sich diese Lehre zu einem der verbreitetsten Muster gemausert, durch das die Neue Rechte die geschichtliche Großlage betrachtet.
Dabei konnte diese Lehre die von ihr behauptete Geschichtstautologie, wonach der Liberalismus siegen mußte, weil er die modernste Weltanschauung war, nie auch nur annähernd untermauern. Immer wieder und zuletzt während dieses Sommerlagers kann ich feststellen, daß gerade junge, frisch zur Neuen Rechten stoßende Männer dies merken und dadurch eine Unzufriedenheit aufbauen, die durch ihren unbeholfenen Ausdruck nicht weniger tiefschürfend wird.
Es ist ja nicht von der Hand zu weisen, daß die Behauptung, der Liberalismus sei die modernste Ideologie gewesen, sich für einen hypothetischen anderen Ausgang des 20. Jahrhunderts problemlos auch auf den Kommunismus oder den Faschismus übertragen ließe. An argumentativen Begründungen würde es nicht mangeln.
Wenn man „Moderne“ in der oben beschriebenen Weise vorrangig als Denkweise bestimmt, die auf Machbarkeit, Planung und Kontrolle einer zum bloßen Objekt degradierten Welt abzielt, dann denke ich, daß dem Kommunismus mit seinen, weit über die bloße Wirtschaft hinausgehenden, zentralplanerischen Gesellschaftsumbauten, die zweifelhafte Ehre gebührt, in diesem Sinne die modernste Ideologie des 20. Jahrhunderts gewesen zu sein.
Ich habe das Wort „Moderne“ in Anführungszeichen verwendet und würde es gerne durch den von Rolf Peter Sieferle stammenden Begriff der „Transformationszeit“ ersetzen. Dieser Begriff kennzeichnet keinen Zustand, der etwa auf ein zugrunde liegendes Prinzip wie „Gedanke der Machbarkeit“, zurückzuführen ist.
Stattdessen beschreibt er die Tatsache, daß sich in, historisch betrachtet, kurzer Zeit, eine miteinander zusammenhängende Reihe verschiedenster Veränderungen des menschlichen Lebens abspielt, deren Ende noch nicht festzustellen ist und deren wohl wiederum nur vorläufigen Endzustand wir nicht kennen.
Diese Transformationszeit ist nicht die erste ihrer Art. Die letzte fand vor etwa 5000 Jahren statt, als an Nil und Euphrat aus primitiven neolithischen Ackerdörfern die ersten Hochkulturen erwuchsen. Es ist also verständlich, aber eben falsch, die gegenwärtige Situation für ein einzigartiges Ereignis zu halten.
Bei einer Reihe miteinander verbundener, aber voneinander unterscheidbarer Veränderungen, gilt es, die für den Bereich des Politischen wesentlichen herauszuarbeiten. Diese Vorgehensweise unterscheidet sich grundlegend von der Suche nach einem Prinzip, welches dann den „Ideologien der Moderne“ zugrunde gelegt werden kann.
Meine, zugegeben wenig originelle These lautet, daß für das Politische die wichtigste Veränderung in der drastischen Steigerung des Umfangs sowie der inneren Ausdifferenzierung politischer Gemeinschaften besteht. Die politische Veränderung dieser Transformationszeit geht also in dieselbe Richtung, wie die der letzten, als aus kleinen Dorf- und Stammesverbänden Völker, Städte und Staaten wurden.
Wohlgemerkt: Ich erachte dies nur im politischen Bereich für die wichtigste Veränderung. Blickt man aus einem anderen Winkel auf diese Transformationszeit, dann stellt sie sich anders dar. Vom Standpunkt der Religion zum Beispiel dürfte die wesentliche Veränderung im Entstehen einer Masse durchschnittlich gebildeter Menschen bestehen.
Dadurch sind Religionen unmöglich geworden, die als Volksreligion im Schamanismus wurzeln und gleichzeitig durch eine kleine Geisteselite die Höhen der Philosophie erklimmen. Eine Religion, wie das mittelalterliche Christentum, in welchem das Dogma vom character indelebilis, welches die Zauberkräfte des Priesters garantierte, harmonisch neben einer religiösen Ontologie von unerreichter Höhe stand, ist in Zeiten weitestgehender Alphabetisierung kaum denkbar.
Doch hier soll es nicht um Religion, sondern um Politik gehen, sosehr beides auch wieder miteinander vermengt ist.
Aus der Feststellung der Komplexitätssteigerung als wesentlicher Veränderung in diesem Bereich stellt sich dann nicht mehr die Frage nach politischen Theorien und Ideologien, die als Antwort darauf entstanden, sondern die nach den Organisationsformen, mit denen ihre Bewältigung versucht wurde.
Um zu verdeutlichen, was ich mit Organisationsformen meine, dekliniere ich das kurz am Beispiel der vorangegangenen agrarischen Hochkulturen durch: Diese kannten einige wenige Organisationsformen, deren Grundprinzipien über 5000 Jahre immer wieder auftauchen.
Es gab das Feudalsystem, welches durch ein Netzwerk aus persönlichen Treuebeziehungen über die verschiedenen Gesellschaftsschichten hinweg, größere Gebiete zusammen hielt. Dann gab es den Stadtstaat, welcher durch die an einem Ort versammelten Bürger gebildet wurde und oft zu republikanischen Herrschaftsformen neigte. Und schließlich traten seit dem alten Ägypten immer wieder monarchische Verwaltungsstaaten auf, in denen eine nach heutigen Maßstäben winzige Beamtenschaft mit monarchischer Spitze ein Gebiet regierte, welches auf den unteren Ebenen teils in feudaler, teils in stadtstaatlicher Form organisiert war.
Nach diesem Ansatz läßt sich die politische Problematik der Transformationszeit auf der tieferen Ebene der Funktionsweise politischer Gemeinwesen erfassen, anstatt bloß auf der ihrer weltanschaulichen Begründung.
Ein Unterbau-Überbau-Schema entsteht dabei nicht. Die weltanschauliche Seite eines Gemeinwesens ist ein gleichwertiger Moment seiner Funktionsweise, welches nicht etwa dem Organigramm seiner politischen Organe untergeordnet wäre.
Für die Transformationszeit zur Diskussion gestellt seien anstelle der drei politischen Theorien, die die ganze sogenannte Moderne anhand des Frontverlaufes des Zweiten Weltkrieges erklären sollen, bloß zwei politische Organisationsformen die hier als weberiansche Idealtypen vorgestellt werden: Der Liberale Gesetzesstaat und der Autoritäre Kaderstaat.
Der Liberale Gesetzesstaat herrscht als Typus heute in der ganzen westlichen Welt vor und gilt dort weitgehend als das einzige legitime politisches Idealbild. Er bewältigt die Komplexität heutiger Gesellschaften durch das Prinzip der Handlungsfreiheit des Einzelnen innerhalb eines allgemeinverbindlichen Systems aus Gesetzen, welches den Handlungsrahmen des Staates absteckt.
Gesetz im Sinne des Liberalen Gesetzesstaat mit seiner „rule of law“ ist nicht jede beliebige Normierung durch jeden, der über die notwendigen Machtmittel verfügt. Als Gesetz gilt hier spätestens seit dem 19. Jahrhundert nur der Beschluß eines Parlaments.
Erst durch diese Definition des Gesetzes wird die Gewaltenteilung sinnvoll, sowie der Grundsatz, daß jede Staatshandlung einer gesetzlichen Grundlage bedarf, während dem Einzelnen jede Handlung gestattet ist, welche nicht durch ein Gesetz verboten ist.
Selbst in föderalen Varianten des Liberalen Gesetzesstaates beschließt eine sehr überschaubare Anzahl gesetzgebender Versammlungen möglichst allgemeine Gesetze. Einzelfallgesetze sind meist sogar durch die Verfassung verboten.
Die „Exekutive“ (diese Bezeichnung für den Staatsapparat, ist nur im Liberalen Gesetzesstaat sinnvoll) wendet diese allgemeinen Gesetze auf den Einzelfall an und kann von jedem Bürger vor ein unabhängiges Gericht gezogen werden.
Der staatliche Teil des Liberalen Gesetzesstaat, den jeder aus dem Schulunterricht kennt, macht aber nur die eine Seite dieses Systems aus. Zum Mittel zur Bewältigung heutiger gesellschaftlicher Komplexität wird der liberale Gesetzesstaat erst dadurch, daß die einzelnen Mitglieder dieser vielfältigen Gesellschaft innerhalb des Rahmens allgemeiner Gesetze ihren eigenen Neigungen und Interessen nachgehen und sich zu diesem Zwecke auch auf vielerlei Art selbst organisieren, von Wirtschaftsunternehmen und Freizeitvereinen, bis hin zu den unterschiedlichsten Arten zivilgesellschaftlicher Verbänden, allen voran den Parteien, ohne welche die Willensbildung innerhalb der gesetzgebenden Versammlungen nicht möglich wäre.
Im entgegengesetzten Typus des Autoritären Kaderstaates gilt hingegen das Prinzip der Handlungsfreiheit politischer Führungspersönlichkeiten innerhalb des Rahmens einer Hierarchie und eines Systems mehr oder weniger genau abgegrenzter Zuständigkeiten.
Vertreter dieses Typus finden wir nicht nur in faschistischen Staaten und im Dritten Reich. Er hat sich auch in vielen kommunistischen Staaten entwickelt und prägt heute in der Volksrepublik China eine aufstrebende Supermacht.
Wo der Liberale Gesetzesstaat seine ausführenden Organe möglichst streng an die allgemeinen Gesetze binden will, geben im Autoritäre Kaderstaat höhere Ebenen den niederen Ebenen der Hierarchie nicht bloß Handlungsanweisungen vor, welche im Wortlaut zu befolgen sind.
Eine mindestens ebenso wichtige Rolle spielen Zielvorgaben, welche in Eigenverantwortung zu erfüllen sind und deren Einhaltung, weniger die angewandten Methoden von höherer Stelle überprüft wird. Danach wird die Leistung der Kader bewertet.
Die kommunistische Partei Chinas führt Akten über jeden einzelnen Kader, in denen alle Erfolge und Mißerfolge aufgelistet sind. Daran wird über Beförderung und Versetzung entschieden. Die Versetzung erfolgt, gerade bei gutbewerteten Kadern, routinemäßig an andere Orte und andere Aufgabengebiete.
Das Idealbild ist nicht der gesetzestreue Beamte, der allgemeine Vorgaben möglichst exakt auf den Einzelfall anwendet, sondern die selbstverantwortliche Führungskraft, die am Platz an den sie gestellt ist, Mittel und Wege findet, die Staatsziele zu erreichen.
Dies ermöglicht eine Dezentralisierung von Entscheidungsprozessen, durch welche die Komplexität heutiger Gesellschaften beherrschbar wird, wobei der Zusammenhalt des Systems durch allumfassende Durchgriffsrechte von oben nach unten gewährleistet wird.
Vom Standpunkt einer am Liberalen Gesetzesstaat orientierten Politikwissenschaft mag die Volksrepublik China ein Zentralstaat sein. Das bedeutet, die unteren territorialen Einheiten haben keinen verfassungsmäßigen Rechtsanspruch auf ihre Zuständigkeiten, so wie in Deutschland der Bund kein Schulgesetz erlassen darf. Praktisch ist China jedoch viel dezentraler organisiert, als irgendein westlicher Staat, abgesehen vielleicht von der Schweiz.
Keiner dieser beiden Idealtypen ist in Reinform verwirklicht. Alle real existierenden Staaten sind Mischformen, die sowohl der Orientierung an allgemeinen Gesetzen wie der Selbstverantwortung politischer Kader bedürfen.
Im Mischungsverhältnis weichen die Staaten dieser Welt jedoch weit voneinander ab. Es ist auch nicht so, daß einfach das Beste zweier Welten verwirklichbar wäre. Beide Organisationsformen schließen einander im Maße ihrer Verwirklichung aus.
Je mehr ein Staat Autoritärer Kaderstaat ist, desto weniger kann er die Rechtssicherheiten des Liberalen Rechtsstaates gewähren, weil diese die Entscheidungsfreiheit des Kaders einschränken und ihn zum bloßen Sachbearbeiter degradieren.
Ein deutscher Statthalter, der im besetzten Osten die Bevölkerung schikanierte, oder ein lokaler chinesischer Kader, der die Ein-Kind-Politik mithilfe von Zwangsabtreibungen durchsetzte mag brutaler vorgegangen sein als seine Kollegen, er handelte jedoch im Rahmen seines Ermessens. Der Autoritäre Kaderstaat nimmt so etwas in Kauf. Falls solche Verantwortlichen diszipliniert wurden, so erfolgte dies aus politischen, vielleicht aus moralischen Gründen, jedoch nicht, weil sie ein Gesetz übertreten hatten.
Je mehr ein Staat Liberaler Gesetzesstaat ist, desto mehr muß sein Volk sich damit abfinden, daß tatkräftige Persönlichkeiten den Staatsdienst meiden, weil er ihnen nicht viel zu bieten hat. Selbst wenn eine solche Person in den Staatsdienst ginge, so hätte sie kaum Entscheidungsspielraum und würde schnell verkümmern.
Jede politische Bewegung unserer Zeit muß entscheiden, wo sie auf diesem Spektrum steht, wenn sie ein Ideal für die Zukunft vertreten will.
Laurenz
Ihre Analyse Herr Poensgen bleibt Theorie & ich teile sie auch nicht. Für die Mächtigen eines jeden Systems, daß Sie ansprachen, bleibt das System hinfällig und belanglos. Ob die USA, offiziell eine römisch gestaltete Republik, massiv in die innere & äußere Politik anderer Staaten eingreift & in vielen Einzelfällen militärisch die Anweisungen durchsetzt oder ein autoritärer Staat, wie China, bleibt für die unterlegenen, botmäßig gemachten Staaten doch völlig unerheblich. Die politisch hegemoniale Wirkung ist & bleibt dieselbe. Und daß in autoritären Staaten keine Rechtssicherheit bestünde, ist so nicht haltbar. Die Sowjetunion lieferte Erdgas immer pünktlich, abseits jeder politischen Befindlichkeit. Und in Ihrem sogenannten liberalistischen Westen, vordergründig Britannien & USA, können Sie eingehaltene Abkommen und Verträge an einer Hand abzählen. Auch Ihre Trennung zwischen Religion und Politik ist unhaltbar. Kommunismus ist reinste Religion. Den einzigen Unterschied, den wir zwischen autoritären (Stadt-)Staaten & liberalistischen Staaten feststellen können, ist der jeweilige Umgang mit dem inneren politischen Gegner. Aber auch diese Unterschiede verwischen immer mehr. Solange eine virtuelle Ausmerzung des politischen Gegners reicht, wird diese auch benutzt, weil billiger. Aber Assange oder Mahler sitzen im Knast.