Martin Schröder: Wann sind wir wirklich zufrieden?

Martin Schröder: Wann sind wir wirklich zufrieden? Überraschende Erkenntnisse zu Arbeit, Liebe, Kindern, Geld, München: Bertelsmann 2020. 288 S., 20 €

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Zuge­ge­ben: Der Titel klingt nicht so, als müß­te man das Werk drin­gend lesen. Er paßt zudem per­fekt zu der Art, wie wir durch das Geflecht all die­ser Zah­len, Erhe­bun­gen, Sta­tis­ti­ken und Kor­re­la­tio­nen gelei­tet wer­den. Der jun­ge Sozio­lo­gie­pro­fes­sor Mar­tin Schrö­der (*1981) erklärt uns betont locker sei­nen »Job«: mit ihm durchs Daten­di­ckicht! Aber, ey, »vie­le die mich ken­nen, wür­den sagen: Es ist das Ein­zi­ge, was ich wirk­lich kann. Ich ste­he oft ver­wirrt im Kel­ler, weil ich ver­ges­sen habe, was ich dort holen woll­te. Alle paar Wochen ver­ges­se ich mei­nen Kof­fer im Zug, weil ich über Sta­tis­ti­ken nach­ge­dacht habe.« Solch kum­pe­li­ges Anbie­de­rungs­ver­hal­ten geht weit über den typisch angel­säch­si­schen Schreib­stil hinaus.

Aber wir müs­sen durch! Denn die Zah­len, die hier prä­sen­tiert wer­den, haben es in sich. Es sind die Daten des Sozio­öko­no­mi­schen Panels, (SOEP) das – finan­ziert durch den Bund und Ber­lin – vom Deut­schen Insti­tut für Wirt­schafts­for­schung erstellt wird. Seit 1984 wur­den in die­sem Rah­men rund 85 000 Men­schen ins­ge­samt 640 000 mal befragt, wie »zufrie­den« sie mit ihrem je der­zei­ti­gen Leben sei­en. »Zufrie­den­heit« ist eng mit »Glück« kor­re­liert. Die Grün­de, den­noch ers­te­res zu mes­sen, wer­den hier nach­voll­zieh­bar dar­ge­stellt. Der ent­schei­den­de wie ein­schnei­den­de Satz lau­tet: »Indem wir berech­nen, wann Men­schen zufrie­den sind, kön­nen wir also berech­nen, wel­che Lebens­be­din­gun­gen sie benötigen.
Statt end­los zu phi­lo­so­phie­ren, was das rich­ti­ge Leben ist, kann man es erst­mals mit Daten berechnen.«
Das ist frei­lich eine end­los küh­ne Aus­sa­ge (hier wird also die Befind­lich­keit der deut­schen Durch­schnitts­see­le kal­ku­liert), aber es ist tat­säch­lich hoch­in­ter­es­sant. Hier geht es nicht um Mei­nungs­um­fra­gen oder einen jah­re­lan­gen »Psy­cho­test«. Hier wer­den mit­tels mas­si­ver Daten­la­ge feins­te Kor­re­la­tio­nen aus­ge­ar­bei­tet. Was kommt dabei her­aus? Schrö­der: »Es ist nicht das, was die meis­ten hören wol­len, und wider­spricht sogar dem, was wir für mora­lisch rich­tig hal­ten.« Näm­lich? Gemäß der befrag­ten Lebens­zu­frie­den­heit sind jene Väter am zufrie­dens­ten, die die meis­ten Stun­den »auf Arbeit« ver­brin­gen. Nun wol­len Müt­ter bekann­ter­ma­ßen, daß sich Väter ihren Kin­dern widmen.
Jeden­falls liest und hört man das allent­hal­ben. Das SOEP hat nun in sei­ner Lang­zeit­stu­die her­aus­ge­fun­den, daß Müt­ter tat­säch­lich um so zufrie­de­ner sind, je län­ger die Väter außer Haus sind. Und: Bei Män­nern steigt die Unzu­frie­den­heit signi­fi­kant, wenn die Frau auch nur gering­fü­gig mehr verdient.

Sind das nicht exakt die Rol­len­mus­ter, die »wir« der »Gesell­schaft« seit Jahr­zehn­ten pro­pa­gan­dis­tisch aus­trei­ben wol­len? Was ist da los? Etwa eine Kluft zwi­schen öffent­li­cher und ver­öf­fent­lich­ter Mei­nung? Dies ist nicht das The­ma unse­res Autors. Der fabu­liert nur hin und wie­der: Eigent­lich sei­en ja »die­se Daten eine Kata­stro­phe« oder: »Es wird noch merk­wür­di­ger …« Näm­lich: Die Daten zei­gen wei­ter­hin klar, daß Väter wie Müt­ter dann am zufrie­dens­ten sind, wenn er ca. 80 und sie 20 Pro­zent der Erwerbs­ar­beit übernimmt.
Vie­les ist wirk­lich hoch­in­ter­es­sant. Nach dem Tod eines Kin­des sinkt die Lebens­zu­frie­den­heit des Vaters für drei Jah­re deut­lich, danach ist sie sta­tis­tisch auf dem vori­gen Stand. Bei Müt­tern sinkt sie ins Boden­lo­se und erholt sich im Bemes­sungs­zeit­raum nie wie­der. Gute Schul­no­ten sor­gen sogar dann für höhe­re Zufrie­den­heit, wenn sie spä­ter nicht mit einem höhe­ren Ein­kom­men kor­re­lie­ren. Es scheint bes­ser, eltern­los auf­ge­wach­sen zu sein als mit Eltern, mit denen man häu­fig stritt.
Ins­ge­samt erreicht mehr als die Hälf­te der befrag­ten Deut­schen einen Zufrie­den­heits­in­dex von 80 (von 100) oder dar­über. In Län­dern wie Sim­bab­we beträgt der Mit­tel­wert nur 40, bei den hei­te­ren Süd­ame­ri­ka­nern aus Gua­te­ma­la und Kolum­bi­en deut­lich über 80. Wir spre­chen also stets über rela­ti­ve Zufrie­den­heit. Die­ses Buch ist direkt anti-phi­lo­so­phisch. Aber es lehrt uns unglaub­lich viel über den bun­des­deut­schen Menschen.

Wann sind wir wirk­lich zufrie­den? von Mar­tin Schrö­der kann man hier bestel­len.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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