Der frühere Berliner Staatssekretär Mark Rackles legte eine vor. Diese Studie findet die Ursachen im Strukturellen und liegt damit richtig, insofern nicht mal bedarfsgerecht ausgebildet wird.
Aber die Analyse folgt dem üblichen Ansatz, lediglich verwaltungstechnisch und rein statistisch zu quantifizieren, anstatt nach Qualität und Idee der Bildung bzw. nach dem System als Ganzem zu fragen. Dies zu tun hieße die politischen Lebenslügen der Republik aufzudecken, indem offenbar würde, daß es im Zustande der ideellen Erschöpfung und aus Farce und Phrase heraus eben keine tragfähigen Ideen mehr gibt. Schon lange nicht mehr.
Trotz einer gesteigerten Absolventenzahl wollen zu wenig geeignete junge Menschen Lehrer werden. Viele davon kommen dann im Beruf nicht zurecht. Nachvollziehbar, denn Lehrer zu sein frustriert, es erschöpft und macht krank, insbesondere an den nichtgymnasialen “Resteschulen”.
Über fünf Wochen sind Lehrer durchschnittlich pro Jahr krankgeschrieben, etwa eine zusätzliche Sommerferienzeit. Hinter der Vielzahl der Diagnosen steht wesentlich ein Überlastungssyndrom, denn Schulen erzeugen derzeit Extremstreß. Daß sie nach politischer Maßgabe Ganztagsschulen sein müssen, erhöht die Belastungen. Schüler und Lehrer verbleiben viel länger als früher im Reizfeld von Lautstärke und nervigen Zwangsabläufen interniert, haben weniger Zeit für Kompensation und können und wollen sich nach 16.00 Uhr nicht mehr gründlich auf den nächsten Tag vorbereiten. Sie improvisieren sich durch.
Unterricht ist längst nicht mehr Hauptsache, vielmehr nämlich das permanente Moderieren und Klären von Konflikten, das Kommunizieren all der Bedürfnisse, die Eltern und Schüler haben, weil sich die Schule ihnen als Dienstleisterin anbiedert, das Verwalten und Dokumentieren von Scheinvorgängen, all die öden Sitzungen mit bildungspolitisch regiertem Gedöns und überhaupt die permanent erforderte Rollentäuschung im Als-ob, eben so, als ob Bildung und Erziehung noch verantwortungsvoll und wirksam möglich wären.
Ferner: Gewalt gegen Lehrer nimmt stetig zu. Ein entscheidender Indikator des völlig veränderten Schullebens und ein Zeichen des Auseinanderklaffens von politischer Rhetorik und Realität. Allein das vergleichsweise gute Gehalt läßt die meisten Kollegen irgendwie durchhalten. Beamte bleiben sowieso und haben es mit Krankschreibungen und Auszeiten noch einfacher.
Am sogenannten Gymnasium hingegen läuft es, liest man. Dort gibt es noch genügend Lehrkräfte. Die einst Hochschulbildung vorbereitende Bildungseinrichtung fungiert jedoch mittlerweile als eine Art Gesamtschule. Über fünfzig Prozent der Schülerschaft bekommen ein Abitur ausgedruckt. War das einst Garantie für einen besonders qualifizierten Beruf, ist es nurmehr noch die Voraussetzung dafür. Weil selbst Minderbegabte zum Studium drängen, testen die Universitäten zunehmend selbst oder senken ihrerseits die Zugangsbedingungen. Andererseits fehlen den nichtgymnasialen Schulen kluge Kinder.
Die vom humanistischen Bildungsverständnis übernommene antiquierte Bezeichnung „Gymnasium“ sagt nichts mehr aus, insofern die Schulart kaum mehr auf Studierfähigkeit orientiert, weil sie viel zu viele Schüler aufnimmt, aber sie rettet immerhin all jene, die kognitiv noch einigermaßen belastbar scheinen und ihr Verhalten leidlich im Griff haben. Für den betreuten Durchschnitt ist es die richtige Schule – mit der Folge, daß die echte Leistungselite im Schulsystem längst keine Bildungsadresse mehr hat.
Einfache Sekundarschulen stiegen mit der Trivialisierung des Gymnasiums zu Resteschulen ab, an denen eher sozialpädagogisch betreut als noch konventionell Inhalt und Befähigungen vermittelnd „unterrichtet“ wird. Wer etwas will und wer etwas kann, der lernt anderswo, vorzugsweise an den sogenannten Gymnasien oder besser noch an privaten Schulen, die quasi gegen Aufpreis insbesondere kleinere Klassen bieten und so die allerwichtigste Grundvoraussetzung für guten Unterricht realisieren. Kleinere Klassen wären ebenso im staatlichen Schulwesen weit hilfreicher als das teure Heilsversprechen Digitalisierung mit Lehrer-Laptops und Schüler-Flatrates aus den Mitteln Corona-Fonds.
Nichtgymnasiale Sekundarschulen heißen in Mecklenburg-Vorpommern Regionalschulen. Sie beginnen mit einer „Orientierungsstufe“, also den an die Grundschule anschließenden Klassen 5 und 6, in denen alle Schüler noch einmal in den gemeinsamen Unterricht genötigt werden, weil Politik und Bildungsforschung meinen, längeres gemeinsames Lernen täte allen gut. So erzwingt die Politik zwei Wechsel – für zwei Jahre den aus der Grundschule in die Orientierungsstufe, dann jenen in die Regionalschule oder ans sogenannte Gymnasium, wohin sich mit Beginn der siebenten Klasse alle retten, die talentiert sind oder einfach nur halbwegs normal zurechtkommen.
In der von mir in den Fächern Deutsch und Mathematik unterrichteten sechsten Klasse der Orientierungsstufe einer Regionalschule waren – in einem normalen innerstädtischen Wohngebiet – von 27 Schülern etwa sechs in der Lage, die von den Rahmenrichtlinien verlangten Aufgabentypen mit befriedigenden und besseren Resultaten zu erfüllen. Das sind etwa 22 Prozent.
Alle sechs werden mit dem nächsten Schuljahr aufatmend ans Gymnasium wechseln. Mindestens diese sechs. Sicherlich folgen ihnen noch etwa zehn andere, die selbst meinen, sie hätten das Zeug dazu. Zwar gibt eine Laufbahnempfehlung der Lehrerkonferenz Aufschluß über Eignung und Nichteignung, aber allein der Elternwille entscheidet über den weiteren Weg. Völlig klar, daß selbst jene Eltern, die ihre Kinder nicht überschätzen, ein halbwegs kultiviertes Milieu suchen, das die Regionalschulen mit ihrem Klientel nicht bieten können. Dort bleibt es laut, und es wird substantiell allzu wenig erreicht.
Einundzwanzig meiner Schüler kamen in Mathematik und Deutsch selbst mit reduzierten Anforderungen kaum zurecht. Darüber hinaus war etwa im Fach Geschichte das Desinteresse gegenüber anschaulich aufbereiteten Themen der Ur- und Frühgeschichte und des Altertums erstaunlich. Das Fach Deutsch indessen ist ohnehin degradiert: Fehlerquoten können mangels solider elementarsprachlicher Grundausbildung nicht in Anschlag gebracht werden, so daß sie selbst im Abitur keine Rolle mehr spielen; von einer halbwegs systematischen literarischen und stilistischen Ausbildung kann keine Rede sein, ganz zu schweigen von einem Kanon an Werken, die verbindlich behandelt würden.
Den meisten Kindern meiner Klasse fehlt es an Anstrengungsbereitschaft, andere haben mangels Befähigung aufgegeben; die Hälfte davon aber, etwa zehn Schüler, erscheint im Verhalten so problematisch, daß sie nicht nur beständig motiviert, sondern permanent beruhigt oder diszipliniert werden muß. Ansonsten leisten diese Minimalisten aus eigener Motivation nichts und vergällen mit ihrem destruktiven Narzißmus stattdessen allen anderen die Unterrichtsatmosphäre. Fragt man danach, was ihnen Freude bereiten würde, worauf sie also richtig Lust hätten, so wissen sie es nicht. Unterhaltung ist ihnen wichtig, das “Zocken” vor allem, also Computerspiele, vorzugsweise online. – Die Eltern? Hilflos. Aber gerade ihre Hilflosigkeit läßt sie alle nur möglichen Forderungen an die Adresse der Schule stellen. Die soll richten, was die frühkindliche Erziehung zu Hause versäumte.
Problematische Schüler binden die Kräfte des Lehrers; er fördert und befriedet die Schwachen und Unwilligen, während zur Entwicklung der Talente kaum Ressourcen übrigbleiben.
Dabei erschienen die Minderleister und Nervösen nicht eigentlich böswillig oder direkt verhaltensgestört, sondern vielmehr überhaupt nicht in der Lage, sich einer Thematik aufzuschließen und Arbeitsphasen dazu durchzuhalten. Bis in ihre Physis hinein wirkten sie geradezu amorph. Sie verfügen kaum über Impulskontrolle; sogar kurzes ruhiges Stehen oder Sitzen fällt ihnen enorm schwer. Nur ihre eigenen Botschaften, einerseits Ausdrücke der Hilf- und Lustlosigkeit, anderseits billigste Angeberei ohne wirkliche Befähigung zu irgendwas, sind ihnen wichtig, anderen Schülern oder gar einem Unterrichtsvortrag vermögen sie sich kaum zuzuwenden; Empathie scheint ihnen zu fehlen.
Mitunter waren sie sogar sporadisch aufzuschließen und zu interessieren, dann aber nicht auf Aufträge zu fokussieren, weil ihr Konzentrationsvermögen das nicht zuließ. Durchweg fehlte ihnen Ausdauer, in Mathematik ebenso wie im Sport. Viele Schüler erscheinen extrem unruhig und hippelig; sie sind u. a. durch entgrenztes Computerspielen – vorzugsweise gerade “Fortnite” – reizüberflutet und nicht in der Lage, sich ruhig und gar stetig auf Unterrichtsthemen einzustellen. Haben sie nicht unmittelbar Erfolg und wurde nicht nach kurzen Sequenzen für neue Anreize gesorgt, brachen sie ab. Fortlaufendes Versagen ist ihnen einerlei; sie sind leider daran gewöhnt und feiern um so mehr ihre virtuellen Erfolge im Computer-Gaming.
Das Schulsystem reagiert auf Defizite, indem es zunächst mal die Ursachen in mangelnder Lehrertätigkeit zu erkennen versucht. Obwohl gerade in schwierigen Klassen eher der lehrerzentrierte Unterricht Inhalte zu sichern und Befähigungen auszubilden vermag, präferieren Bildungsforschung und die aufgeblähten landeseigenen Institute für Qualitätssicherung durchweg „handlungsorientierte“ Partner‑, Gruppen- und Freiarbeit, obwohl diese Unterrichtsformen unweigerlich Geschrei und Chaos bedingen. Intelligente Schüler sind mittlerweile so erstaunlich an unruhige Unterrichtssituationen angepaßt, daß sie die wichtigsten Inhalte dennoch mitbekommen und selbständig jene Fertigkeiten einüben, die anderen trotz intensiver Bemühungen längst nicht mehr zu vermitteln sind.
Fallen die Bewertungen trotz reduzierter Anforderungen und Maßstäbe sowie inflationierter Notengebung immer noch zu schlecht aus, greift die „Inklusion“ und es wird “diagnostiziert”: Auf LRS (Lese- und Rechtschreibschwäche) wird dabei sehr schnell erkannt, selbst wenn es sich lediglich um schwache oder nachlässig flüchtige Schreibung handelt, die unter anderem dem reduzierten elementarsprachlichen Unterricht in der Grundschule anzulasten ist.
Ähnlich verhält es sich für das Fach Mathematik mit Dyskalkulie. Was früher nur einzelnen Schülern mit auffallend isolierten Teilleistungsstörungen zuerkannt wurde und dann intensiv betreut werden konnte, schreibt man heute in jeder Klasse gleich mehreren Kindern zu.
In meiner sechsten Klasse verfügten allein vier über eine „diagnostizierte“ LRS. Der damit verbundenen Nachteilsausgleiche wegen drängen Eltern sogar darauf, ihrem Kind möge dieser Status endlich zuerkannt werden. Sie versprechen sich davon ganz nachvollziehbar Boni in der Bewertung. Legasthenie und Dyskalkulie fungieren zudem nicht nur als Euphemismen, sie gelten bereits als interessante Eigenheiten von „Schülerpersönlichkeiten“.
Wer schulisch überhaupt nicht zurechtkommt, wird gemäß “sonderpädagogischen Förderbedarfs” in verschiedene Kategorien eingeteilt. Förderschwerpunkte sind gemäß eines bundesweit gehandhabten Diagnose-Katalogs zunächst „Lernen“, also eine “diagnostizierte” Lernbehinderung, ferner „geistige Entwicklung“ als veritable geistige Behinderung, noch häufiger „emotionale und soziale Entwicklung“, also Verhaltensstörungen, ferner „Sprache“, „körperliche und motorische Entwicklung“ und anderes mehr.
Diese „Tickets“, wie sie im Schuljargon heißen, werden von Eltern wie Schülern gern angenommen und gerade eben nicht als Problem, sondern im Gegenteil als neue Chance empfunden und daher eher wie eine Art Zertifikat aufgefaßt, mindestens als ein Erklärungsmuster, das insbesondere Eltern tröstet. Diese sagen sich: Mein Kind hat nun mal „esE“, mithin eine problematische Auffälligkeit in seiner „emotionalen und sozialen Entwicklung“, also etwas, wofür niemand etwas kann und was nicht einfach durch Selbstüberwindung oder Anstrengungsbereitschaft zu ändern ist, schon gar nicht vom Kind selbst. Ferner hat das mit der Erziehung im Elternhaus eben gar nichts zu tun; eher handelt es sich, nun ja, um so eine Art Defekt, für den gern abgemildert das Wort Handicap gebraucht wird.
Immerhin gibt es für fehlendes Betragen nun eine ganz offizielle „Diagnose“ vom schulpsychologischen Dienst und daher folgerichtig auch „Nachteilsausgleiche“ und vor allem Aktenbände füllende „Förderpläne“, rein papierne Vorgänge im Aktengrab, mit denen der „Erfolg“ weiterhin gesichert werden soll. Das Kind hat selbstverständlich kein „Problem“, nein, es ist eher etwas Besonderes und bedarf daher aufmerksamer und intensiver Förderungen, die die Schule ihm im Sinne ihrer Gerechtigkeitsverheißungen durchweg pauschal verspricht.
Tatsächlich Lernbehinderten oder massiv Verhaltensgestörten war vor der Inklusionskampagne die Sonderschule vorbehalten. Diese weltweit beispielhafte Schulform, an der eigens ausgebildete Sonderpädagogen Schüler mit immensen Defiziten in geschützter Lernumgebung einfühlsam unterrichteten und erzogen, wurden mit Berufung auf eine teils fragwürdige und teils mißverstandene UN-Deklaration ohne Not aufgelöst, die Sonderpädagogen fanden sich im Zuge dessen an die Regelschulen verteilt, und aus politischen Motiven wurde verkündet, daß damit endlich keine Diskriminierung mehr stattfinde und so eine vollständige Schulgerechtigkeit herrsche.
Einstige Hilfs- oder Sonderschüler verloren ihre auf sie spezialisierten Schulen und Refugien und sind fortan den Regelschulen zugewiesen, die auch ohne „Inklusion“ schon genug Sorgen insbesondere mit verhaltensauffälligen und unwilligen Schülern hatten. Nicht selten werden einstige Sonderschüler von den „normalen“ Verhaltensgestörten getriezt. Einwände, selbst solche moderater Art, wurden nicht zugelassen; es erging eine Art Diskussionsverbot.
Und die intelligenten, die wirklich begabten Schüler? Dazu die Zurückhaltenden, die Stillen, die Feinsinnigen und Empfindsamen? – Sie müssen es eben aushalten im „längeren gemeinsamen“ Lernen und in der Inklusion zugunsten der Beschränkten und Gestörten. Und sie müssen geschützt werden!
Ab und an erschreckt es sie, wenn ihr Lehrer zur Gewährleistung von Ruhe und Frieden zum Drill-Sergeant wird, sie erkennen aber, daß er als Erwachsener seine Verantwortung wahrzunehmen hat und verhindert, daß Kretins und Entgrenzte das Zusammenleben stören. Mag sogar sein, sie lernen rechtzeitig eine wichtige Lektion in Anthropologie: Die Menschen sind verschieden; was den einen möglich ist, bleibt anderen verschlossen.
Nein, das sagt nichts Negatives über Wert und Würde aus; es deutet eher darauf hin, daß früher und gründlicher zu differenzieren wäre, auf daß jedes Kind zu seinem Recht kommt.
MARCEL
Traurig stimmender, gleichwohl wichtiger Beitrag.
Wer auf den Schulhof schaute, konnte immer schon wie durch ein Teleskop die Zukunft sehen.
Der Lehrer muss immer zuerst Autorität sein (dabei nicht zwingend autoritär) und nicht gleich Kumpel oder Seelsorger, denn Unterricht ist auch ein Machtkanpf, wie fast alle menschlichen Beziehungsgeflechte. Vor allem die dominierenden muslimischen Migrantenkinder respektieren nur noch einen Lehrer, der den 10. Dan hat.(bei solchen gilt Generalfeldmarschall Schörners Motto: "Kraft durch Furcht")
Wir hatten als Sextaner Mitte der 80iger noch wenige alte Lehrer, die bei der Wehrmacht gedient hatten. Vor denen hatte man Respekt und bekam noch etwas beigebracht. Wenn sie neben der Strenge noch die Begeisterung für ihr Fach walten ließen, wurden sie zu prägenden Gestalten (Einer sagte einmal ironisch: "als Lehrer bin ich Idealist und Stalinist zugleich")
Das fehlt heute auch: Personen, die prägen können!