Matthias Politycki: Das kann uns keiner nehmen

Sitzen zwei Deutsche an einer Bar in Stone Town auf Sansibar und trinken Bier, cold, super cold, und werden immer ehrlicher zueinander.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Es ist erst eine gute Woche her, daß sich die bei­den auf fünf­tau­send Metern Höhe am Kra­ter­rand des Kili­man­dscha­ro getrof­fen haben, aus Ver­se­hen, zwei Män­ner, die gegen­sätz­li­cher nicht sein könn­ten. Der eine, Tschar­li, stammt aus der bay­ri­schen Pro­vinz, er redet unun­ter­bro­chen und wie ihm der Schna­bel gewach­sen ist. Er rollt mit sei­nem Ver­hal­ten jede Stel­lung auf, ist über­all der King, hat nichts vor, bloß noch gründ­lich leben will er, denn er ist tod­krank. Der ande­re, Hans aus Ham­burg, ist ein sen­si­bler Intel­lek­tu­el­ler, ein Schrift­stel­ler, kühl, höf­lich. Er ist völ­lig scho­ckiert über den »Tschar­li«, mit dem er nun vom Vul­kan abstei­gen muß und der ihn auf unwi­der­steh­li­che und fas­zi­nie­ren­de Art und Wei­se für die letz­ten Tage sei­nes Lebens zu sei­nem Rei­se- und Par­ty­ge­fähr­ten macht.

An der Bar in Stone Town auf San­si­bar legt der Tschar­li dem Ich-Erzäh­ler »ganz vor­sich­tig« sei­ne Hand auf den Unter­arm: »Denkst’ drü­ber nach, wia ma des als Roman ver­bratn könnt?« Ach, ant­wor­tet der Autor, seit ein paar Jah­ren sei’s schwie­rig gewor­den mit dem Schrei­ben. So vie­le Wör­ter, die man nicht mehr ver­wen­den dür­fe, so vie­le The­men, die einen ver­rückt machen wür­den beim Schrei­ben oder ver­bies­tert … »Die sind bei uns nicht so locker drauf wie du!«

Hans, der Erzäh­ler, hät­te auch »ich« sagen kön­nen. Denn er selbst war noch vor weni­gen Tagen eben­falls über­haupt nicht locker drauf, und das Ein­ge­ständ­nis, daß es sich in Deutsch­land der­zeit und bis auf wei­te­res nicht gut schrei­ben las­se, hät­te er sich ohne den Geburts­hel­fer des gesun­den Men­schen­ver­stands, ohne den Tschar­li, nie erlaubt. Er hät­te wei­ter­hin das hygie­ni­sche Voka­bu­lar und vor allem die Wahr­neh­mungs­vor­ga­ben und The­men­ver­bo­te für selbst­ver­ständ­lich gehal­ten, für alter­na­tiv­los, er hät­te wei­ter­hin ver­sucht, mit die­sen Ver­hal­tens­re­geln zurecht­zu­kom­men und hät­te den Grund für sei­ne Schreib­hem­mung, sei­ne Schreib­un­lust bei sich selbst gesucht und nicht in der asep­ti­schen Atmo­sphä­re sei­nes mora­li­sie­ren­den Vaterlands.

Afri­ka, also: Tan­sa­nia und dann vor allem San­si­bar, sind nicht asep­tisch. Alles ist vor­läu­fig, dys­funk­tio­nal, irgend­wie aus­sichts­los, im Ernst­fall knall­hart. Wer schon ein­mal im Afri­ka süd­lich der Saha­ra war, weiß, wie wenig dort die anony­men Insti­tu­tio­nen mit jener zuver­läs­si­gen Pro­fes­sio­na­li­tät arbei­ten, die wir aus Deutsch­land ken­nen. Die­se das Leben absi­chern­de und auf­fan­gen­de Hül­le wird in Afri­ka von einem Kranz aus Kon­tak­ten, von einer Groß­fa­mi­lie ersetzt, oder gar nicht.

Hans muß­te ein zwei­tes Mal nach Tan­sa­nia rei­sen, um die­se ande­re Form der Orga­ni­sa­ti­on, die­se Lebens­er­mög­li­chungs- und Lebens­si­che­rungs­ebe­ne unter­halb des kaput­ten Staats­ge­bil­des ken­nen­zu­ler­nen. Hel­fen hät­te ihm die­se »Ebe­ne« aber vor zwan­zig Jah­ren nicht kön­nen, als er mit sei­ner Ver­lob­ten eine wochen­lan­ge, geführ­te Afri­ka­tour unter­nahm, durch den Bür­ger­krieg in Ruan­da fuhr und sich schwer infizierte.

Hilf­los hät­te man in Afri­ka sein Bett umstan­den, hilf­los hät­te man den Ster­ben­den in den Tod beglei­tet. Aber da war ja noch die ande­re Welt:

Am 22. Dezem­ber lan­de­ten wir um zehn Uhr mor­gens in Mün­chen. Zwei Sani­tä­ter hoben mich vor­sich­tig von mei­ner Prit­sche auf ihre Trag­bah­re, sie frag­ten mich: “Tun wir ihnen weh?”. Da kamen mir die Tränen.

In den Wochen danach kämpf­te das ste­ri­le Deutsch­land um das Leben von Hans, der wäh­rend­des­sen völ­lig allein, nicht umringt, nicht bemut­tert, in sei­nem Kran­ken­zim­mer lag.

Warm ster­ben in Afri­ka oder küh­ler leben in der BRD? Dut­zend­fach habe ich selbst die Dop­pel­mo­ral aus bei­dem beob­ach­tet: »Aus­stei­ger«, im Ver­gleich zu den Ein­hei­mi­schen in Kame­run, Nige­ria, Alge­ri­en die Taschen vol­ler Geld, flo­hen regel­recht zurück ins »Scheiß Deutsch­land«, wenn der Kör­per sich mel­de­te oder die Part­ne­rin doch nicht im Drei­bett-Zim­mer einer lehm­ver­putz­ten Hüt­ten-Kli­nik nie­der­kom­men wollte.

Poli­ty­ckis Hans kriegt vom Tschar­li die Augen geöff­net für sol­che Lebens­lü­gen, sol­che First-World-Ent­wür­fe von Afri­ka und sei­ner ver­meint­li­chen Warm­her­zig­keit und Lebens­fül­le. Auch der Tschar­li hat in die­sem unfaß­bar geschickt und prall geschrie­be­nen Roman sei­ne Tra­gö­die schon erlebt und ist – wie Hans – zurück­ge­kehrt, um etwas zu voll­enden, hin­ter sich zu brin­gen, abzu­leis­ten. Sein Gespür für Komik, fal­sche Hier­ar­chie, Abschot­tung, dum­mes Moral­ge­schwätz, unan­ge­mes­se­ne Erwar­tungs­hal­tung ist phänomenal.

Am Ein­gangs­tor zu einem Feri­en­res­sort aber, in dem sich vor allem »deut­sche Pau­schal­rei­se­tou­ris­ten« tum­meln, holt den Tschar­li dann end­lich auch sei­ne ganz per­sön­li­che Afri­ka-Geschich­te ein. Er will da rein, wird aber ganz klein­laut. Zum Glück hat der Hans auf der drei­tä­gi­gen gemein­sa­men Motor­rol­ler­tour quer durch San­si­bar genug gelernt und trifft den Ton: »Zu mei­ner Über­ra­schung hör­te ich mich sagen: ›Me Sim­ba One, he Sim­ba Two.‹«

Was das hei­ßen soll? Weiß kei­ner, aber es paßt halt in die Situa­ti­on. Im Grun­de ist es der rei­ne Aus­druck einer gro­ßen Unlust: Argu­men­tie­ren? Höf­lich nach­fra­gen? Tor­wäch­ter akzep­tie­ren? Nein, nicht mehr, damit haben wir es lan­ge genug probiert.

Befrei­en­de Lek­tü­re, gro­ßer Spaß! Und wie stets nach sol­chen Büchern dür­fen wir sagen: »Das kann uns kei­ner mehr nehmen!«

Das kann uns kei­ner neh­men von Mat­thi­as Poli­ty­cki kann man hier bestel­len.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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Kommentare (6)

Andreas Walter

29. Oktober 2020 13:59

Bier super cold, heladas, gibt es auch in Esmeraldas, Ecuador (oder auch am Strand von Lima, Peru). Oder auch in Uruguay und Brasilien, wie ich gerade lese.

Dazu wird der Kühlschrank selbst in den Tropen exakt so kalt eingestellt, minus 4 bis minus 6 Grad Celsius, der Alkohol im Bier macht's möglich, dass erst im Moment des Öffnens der Bierflasche durch die plötzliche Druckentspannung ein klein wenig Eis im Flaschenhals entsteht, durch das man das Bier dann trinkt. Dann aber meist ohne hineingepresste Scheibe Zitrone, weil für die dort kein Platz mehr ist. Dazu passt dann auch gut etwas Reis oder Kartoffeln, gegrillter Fisch und Salat. Wen interessiert da dann noch Berlin, London oder Moskau, Paris oder München, NY und LA. Doch wohl nur die Eitlen und Unverbesserlichen.

Die beschriebene Doppelmoral kennt übrigens auch jeder Entwicklungshelfer (offiziell, "Mitarbeiter der Entwicklungszusammenarbeit") ebenso wie die jeweiligen Landesgesetze zur Vermeidung von Doppelbesteuerung mit Deutschland.

Auch richtig: Viele der Probleme in diesen Ländern lassen sich schlicht durch die fehlenden sozialen Systeme erklären, die durch eine Grossfamilie, durch Korruption (Vetternwirtschaft) und Kriminalität dann ausgeglichen werden (sollen). Die dunkle Seite der Freiheit (oder auch des Waldes), wie sie auch Jordan Peterson deshalb beschreibt. Die Erbarmungslosigkeit der Natur selbst wird dann nämlich zum Gegner, wo andere Menschen als Gegner schlicht nicht mehr da sind. Aber dann auch nicht mehr als Helfer oder zumindest Verbündete in der Not.

Ein gebuertiger Hesse

29. Oktober 2020 15:36

@ Andreas Walter

Ha! Exzellenter Kommentar zur Doppelmoral. Wobei gerade der erste Teil, der ein dekadentes Milieu vermittels einer hochgeschraubt-verfeinerten Gesöff-Rezeptur charakterisiert, der attraktive ist. So ist das mit der menschlichen Natur - der Kühlschrank, meiner jedenfalls, wird nachher exakt auf minus 4 bis 6 Grad eingestellt und später gibt's Reis und gegrillten Fisch.

Laurenz

29. Oktober 2020 16:27

Wer am Flughafen Daniel arap Moi in Mombasa aussteigt, um zur Südküste zu gelangen, mit den vielen 4*-Hotels aufwärts & den vielen schönen Villen, oder einmal das grandiose Erlebnis genoß, im Ali Barbour & the 40 Thieves bei Vollmond zu dinieren, https://www.tripadvisor.de/Restaurant_Review-g775870-d1237444-Reviews-Ali_Barbour_s_Cave_Restaurant-Diani_Beach_Ukunda_Coast_Province.html

...., wird feststellen, daß man außerhalb dieser Lokalitäten, keinen Schwarzen über 40-45 Jahre sieht. Warum? Weil es keine gibt. 

Neue Straßen, von den Chinesen gebaut, werden absichtlich kaputt gemacht, weil viele kleine Werkstätten am Straßenrand sonst keine Existenz-Berechtigung mehr hätten. Zwangs-Korruption permanent neu ernannter Minister vertreibt jeden ausländischen Investor oder das Scheitern der deutschen Papierfabrik - Mombasa über die man im Netz nichts findet. Und Kenia galt mal als die Schweiz Afrikas. Thomas Spitzer & Klaus Eberhartinger (EAV) lebten trotzdem dieses Jet-Set-Leben an der Südküste mit einem unerschöpflichen Vorrat an Frauenmaterial, indischen Ärzten, inklusive eines importierten Aufnahme-Studios, während beide desweiteren ihresgleichen, mitteleuropäische Spießer auf Urlaub, in ihren Liedern geißelten und hier linke Moral verkauften. Ende 2006 war ich nochmal kurz vor Schluß im Aldiana Club, Senegal. Eine deutsche Animateurin gestand mir, wer mit Schwarzen arbeitet, wird automatisch zum Rassisten. Schwarzes Afrika kann man sich nur vorstellen, wenn man es mal erlebt hat.

MARCEL

30. Oktober 2020 09:50

Auch zu empfehlen ein Klassiker der BRD-Literatur über das Zermürbende des Journalistengeschäfts: Nicolas Born (1937-1979) Die Fälschung.

herbstlicht

1. November 2020 19:33

@Andreas Walter schrieb:

»Viele der Probleme in diesen Ländern lassen sich schlicht durch die fehlenden sozialen Systeme erklären, die durch eine Grossfamilie, durch Korruption (Vetternwirtschaft) und Kriminalität dann ausgeglichen werden (sollen).«

Ist es nicht gerade anders herum?  Daß durch zwanghafte Vetternwirtschaft keine neutrale Verwaltung, kein wohl funktionierendes Staatswesen, möglich ist?

Der Politologe Bo Rotstein in Göteborg/Schweden forscht über die Bedingungen funktionierender Staaten.  Dabei erkannte er Korruption, Fehlen einer neutralen, rechtsstaatlich arbeitenden Verwaltung, als Hauptursache von schlecht funktionierenden Staaten.  Rotstein ist auch Mitglied der Schwedischen Akademie der Wissenschaften (nicht zu verwechseln mit der Schwedischen Akademie) und damit beteiligt an der Vergabe der wissenschaftlichen Nobelpreise.  In dieser Eigenschaft schlug er vor einigen Jahren vor, den Nobel-Gedächtnispreis in Wirtschaftwissenschften --- gestiftet von der Schwedischen Reichsbank --- ruhen zu lassen.  Begründung: Studium der Wirtschaftswissenschaften erhöht die Anfälligkeit für Korruption und widerspricht damit dem Sinn von Alfred Nobels Testament. Er belegte dies durch eine Metastudie.

f

herbstlicht

1. November 2020 19:34

2

Rotstein fragte sich dann im Zeitungsartikel weiter, warum in "südlichen Völker" die Korruption verbreiteter is als in Mittel- oder Nordeuropa.  Er beantwortet die Frage nicht sondern beschränkt sich auf die Feststellung, daß man auch dort die Korruption für verwerflich hält, sich aber herausredet mit "Die Anderen machen es ja auch".

Dann wäre es also die Häufigkeit des Hausspruches "Etiam si omnes ...", welche über den Erfolg einer Gesellschaft entscheidet?

Als Beobachter, Führer, Ausbilder mehrer Typen von Gebrauchshunden habe ich gesehen, daß es möglich ist, das typische Wesen in der Population in wenigen Dutzend Generationen an den Verwendungszweck anzupassen.  Sollte dies beim Homo sapiens wesentlich anders sein? Eine Generation dauert halt nicht 3 sondern 30 Jahre.

Im Norden zwang der Untergrund viele Menschen zur Siedlung in kleinen und kleinsten Einheiten auf den Inseln fruchtbaren Bodens, unter dem gnadenlosen Takt der Jahreszeiten.  Dies zwang zu Selbständigkeit/Eigenverantwortung/Selbstdisziplin/Findigkeit --- andere Primaten können in diesen Breiten nicht leben --- und setzte andererseits Kräfte für Überlegung/Planung frei, welche sonst auf das Geschnatter mit den Anderen verwendet werden.  Tatsächlich sind auch der deutschen/schwedischen Kultur wohlgesonnene MENA-Einwanderer oft irritiert, über unseren vergleichsweise geringen Bedarf an Sozialkontakten --- welcher aber den obigen Hausspruch begünstigt.

 

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