Benedikt Kaiser: Solidarischer Patriotismus. Die soziale Frage von rechts, Schnellroda: Verlag Antaios 2020. 290 S., 18 €
Wer den bizarren Coronatheaternebel unserer Tage durchstößt und wachen Sinns seine Außenwelt beobachtet, dem kann kaum entgehen, daß sich – nach dem politischen Bedeutungsverlust Europas im Zuge des zweiten Dreißigjährigen Krieges (1914 – 1945) – seit geraumer Zeit ein wirtschaftlicher Niedergang in einem bisher unbekannten Ausmaß vollzieht. Die Westernisierung und die hierauf gründenden Irrwege des alten Kontinents (demographisches Desaster, multikulturelles Abenteuer, generalstabsmäßig betriebene Zerstörung von Volk, Familie, Recht, Religion, Ordnung und Institutionen, »braindrain« nach Asien und in die USA etc.) haben eben auch einen ökonomischen Preis. Der Wohlstandscommonwealth zerbröselt vor unseren Augen. Mehr und mehr sickert selbst in derzeit (noch) solide erscheinenden Mittelstandskreisen eine Vorahnung davon durch, daß die am Horizont dräuenden Verwerfungen auch vor dem eigenen Reihenhaus nicht haltmachen könnten. Eine »weiche Landung« nach dem Muster der vergleichsweise beschaulichen Implosion des Kommunismus 1989 / 91 ist jedenfalls nicht in Sicht.
Walter Benjamin hatte schon vor hundert Jahren die Erfahrung seiner Generation in der unheilsschwangeren Erwartungsformel gebündelt, »daß der Kapitalismus keines natürlichen Todes sterben wird«. Angesichts der aufziehenden schwarzen Wolken spricht vieles dafür, daß den Europäern, insonderheit den Exwirtschaftswunderrestgermanen, ausgesprochen ungemütliche, möglicherweise aber auch bewußtseinserweiternde Jahre bevorstehen könnten.
In solch unsicheren Zeiten sind kluge Bücher gefragt, die Orientierung stiften und dem Leser – jenseits der ausgetretenen marxistischen und liberalkapitalistischen Holzwege – neue Perspektiven aufzeigen. Benedikt Kaisers jetzt veröffentlichtes Grundlagenwerk über »die soziale Frage von rechts« gehört in diese selten gewordene Buchkategorie. Am Anfang seiner Untersuchung klärt Kaiser vielzitierte, häufig aber falsch verstandene Begriffe wie Kapitalismus, Sozialismus, Neoliberalismus, Marktwirtschaft etc. Sodann werden die historischen Entwicklungslinien von Volkswirtschaft und Sozialpolitik im Deutschland des 19. und 20. Jahrhunderts dargestellt und im Endkapitel »Der Weg in die neoliberale Abstiegsgesellschaft (1992 – 2020)« zugespitzt. Kaisers Auswertung wesentlicher Autoren wie A. Wagner, Tönnies, Sombart, Niekisch und Freyer macht – für den Kenner wenig verwunderlich – deutlich, daß es der deutsche Geist war, der jenseits der Marktentfesselungsrezepte eines Adam Smith und dem Zwangskollektivierungswahn eines Karl Marx nach gangbaren »dritten Wegen« suchte. Bei der Darstellung der Kapitalismuskritik der Gegenwart besticht Kaiser durch eine stupende Wiedergabe und Analyse linker wie rechter Standpunkte, wie sie – von Sahra Wagenknecht bis Hans-Dietrich Sander – unterschiedlicher kaum sein könnten. Dabei absolviert er die Gratwanderung zwischen klar rechter Positionsbeziehung und diplomatischem Gesprächsangebot nach links geradezu meisterhaft. Ob aus der zuletzt genannten Ecke, jener »durchliberalisierten Resterampe unserer Zeit« (Kaiser), ernsthafte »Querfront«-Offerten zu erwarten sind, erscheint aus Sicht des Rezensenten eher zweifelhaft. Die Auseinandersetzung mit der anderen, die Schattenseiten des globalen Ökonomiediktats routiniert ausblendenden Feldpostnummer, den Hayek-affinen Libertären, hätte man sich vielleicht noch etwas ausführlicher gewünscht. Andererseits bestehen einige Aussichten darauf, daß sich diese ahistorische, philosophisch flachwurzelnde und politisch kurzsichtige Alle-Macht-den-Märkten-Obsession angesichts der Verschärfung der sozialen Frage in den kommenden Jahren von selbst erledigen könnte. Erfrischend an Kaisers Buch ist weiter die ebenso kenntnisreiche wie vernichtende Kritik des »Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE)«; allein die sechsseitige Abfertigung dieser – im BRD-»Diskurs« regelmäßig auftauchenden – Schnapsidee lohnt die Anschaffung des Buches. Wenn man an dem quellengesättigten und stilistisch schnörkellosen Werk überhaupt etwas beanstanden wollte, dann allenfalls seine – freilich bei dem Thema kaum vermeidbare – Übergewichtung wirtschaftlicher Kriterien. Denn der von Kaiser geforderte »solidarische Patriotismus« hat zuallererst die Überwindung des panökonomistischen Denkens, das Kapitalismus wie Marxismus gleichermaßen kennzeichnet, nötig. Der Mensch ist – ebenso wie eine Familie oder ein Volk – nicht allein ein kalkulierendes Wesen, sondern daneben noch viel mehr und anderes. Und wenn es nicht gelingt, die geistige und seelische Existenz des Homo sapiens incl. seiner überlieferten Vergemeinschaftungsformen zu retten, dann kann man sich als Alteuropäer den Anblick des den Planeten abgrasenden Homo oeconomicus eigentlich ersparen.
Benedikt Kaiser berührt mit seinem einfühlsamen und konsequent gegen den Strich der BRDianischen Konsensdenke geschriebenen Werk den Nerv der Zeit. Gäbe es in diesem Land eine offene Debatte, so müßten Kaisers Thesen und sein »Angebot an vernunftbegabte und gemeinwohlorientierte Kräfte aller Seiten der politischen Gesäßgeographie« in allen Gazetten diskutiert werden. Aber was nicht ist, kann ja »im langen Winter der Wahrheit« 2020 / 21 (BILD dixit) noch werden.
Solidarischer Patriotismus von Benedikt Kaiser kann mamn hier bestellen.