Das Erstaunliche an diesem Buch ist sein Autor. Jonathan Aldred, der Mann, der hier einen Streifzug durch die Wirtschaftswissenschaft des vergangenen halben Jahrhunderts unternimmt, um zu dem Schluß zu gelangen, diese Theorien hätten die öffentliche Moral verdorben, ist wirtschaftswissenschaftlicher Dozent an der Universität von Cambridge. Das muß man auf dem Umschlag nachlesen, andernfalls würde man es nicht glauben. Sein Buch enthält Passagen wie: »Ein Nullsummenspiel ist jedes Spiel, bei dem alles, was für den einen Spieler gut ist, für den anderen schlecht ist.« Mancur Olson habe gesagt, daß Kooperation irrational sei und nicht etwa (was der Wahrheit entspräche) begründet, warum kleine Gruppen, die viel für das einzelne Mitglied herausschlagen können, besser kooperieren, als große Gruppen, bei denen der Einzelne seinen Nutzen nicht sieht. Derartiges, das einem Germanistikdozenten entspräche, der den Stabreim in Goethes Faust kritisiert, findet sich auf Schritt und Tritt. Aldred gelingt das nicht geringe Kunststück, selbst der Hypothese der effizienten Finanzmärkte, die wirklich auf den Müllhaufen der Wissenschaftsgeschichte gehört, Unrecht zu tun. Diese besagt nämlich nicht, daß Börsenhändler allwissende Hyperrationalisten seien, die niemals Fehler machen. Sondern: daß die Volatilität an Börsen ausschließlich den Schwankungen externer Informationen geschuldet sei, die durch den Marktmechanismus gemäß dem vorhandenen Informationsstand richtig eingepreist würden. Selbst in diesem noch besten Abschnitt seines Buches dringt Aldred nicht zum Kern der Sache vor. Der Ausdruck »Endogene Unsicherheit« taucht ebenso wenig auf wie der Name des Stanfordprofessors Mordecai Kurz, der die Effizienzmarkthypothese bereits Anfang der 1990er widerlegte.
Entweder ist dieses Buch aus dem Frust eines Dozenten geschrieben, der den Anforderungen seiner Wissenschaft nicht gewachsen ist, oder es ist der zynische Versuch, an der berechtigten Skepsis des breiteren Publikums gegenüber der heutigen Wirtschaft zu verdienen. In letzterem Falle muß er eine abgrundtief niedrige Meinung von der Intelligenz seiner Leser haben. Denn abgesehen von fachlichen Mängeln, die selbst dem dilettantisch gebildeten Laien auffallen müssen, ist seine Argumentation allgemein dünn. Fliegend wechselt Aldred zwischen Kritikpunkten, die einander ausschließen, behauptet, eine Theorie sei falsch (oft unter Verweis auf ein einziges Experiment der Verhaltenswissenschaft, deren eigene Schwierigkeiten mit keinem Wort erwähnt werden), um einen Absatz weiter ihre Richtigkeit zu implizieren, während er ihre Amoralität geißelt. Den Ökonomen, die bei Berechnung der wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels die menschlichen Schäden einberechnen, wirft er vor, den Wert von Menschenleben in Geldbeträgen zu messen, denen, die sich auf den wirtschaftlichen Schaden beschränken, daß sie die menschlichen Schäden außer acht ließen. Auch für die Kernhypothese, die die disparaten Kapitel miteinander verbindet, bringt er keinerlei Belege vor. Daß eine Reihe – der breiten Mehrheit der Menschen unbekannter – ökonomischer Theoretiker unsere Moral verdorben und den Egoismus legitimiert hätten, bleibt eine bloße Behauptung. So wirkt das Buch in seiner Gesamtheit ebenso wie eine Satire auf das Konzept der Metapolitik, wie eine Karikatur jeder ernsthaften Kritik der heutigen Wirtschaftsweise.
Der korrumpierte Mensch. Die ethischen Folgen wirtschaftlichen Denkens von Jonathan Aldred kann man hier bestellen.