Florian Huber: Rache der Verlierer. Die Erfindung des Rechtsterrors in Deutschland

Florian Huber: Rache der Verlierer. Die Erfindung des Rechtsterrors in Deutschland, Berlin: Berlin Verlag 2020. 288 S., 24 €

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

Der His­to­ri­ker Flo­ri­an Huber, Jahr­gang 1967, scheint ins­be­son­de­re auf Spät- und Nach­kriegs­the­men abon­niert: Sei­ne Dis­ser­ta­ti­on beschäf­tig­te sich mit der bri­ti­schen Ree­du­ca­ti­on in Deutsch­land beim Lizenz­funk NWDR. Daß Huber in der Fol­ge bei des­sen Nach­fol­ger NDR als Redak­teur ein­stieg, gehört zu den vie­len beden­kens­wer­ten Details im Zusam­men­spiel von Autor und Werk – man hat ihn dort bis heu­te nicht ver­ges­sen, sie­he unten.
Zum 70. Jah­res­tag des Kriegs­en­des ver­öf­fent­lich­te Huber 2015 Kind, ver­sprich mir, daß du dich erschießt, einen nie­der­schmet­tern­den Blick auf die Mikroebe­ne des Drit­ten Reichs in Ago­nie. Das Buch bil­det einen klei­nen Aus­schnitt all der unge­zähl­ten Schick­sa­le ab, deren kata­stro­pha­le Enden durch das eili­ge offi­ziö­se Anschmie­gen an die »Befrei­er« in West- wie Mit­tel­deutsch­land bis heu­te einer kol­lek­ti­ven Erin­ne­rung ent­zo­gen blei­ben und gegen­über den Opfer­sta­tus­an­sprü­chen kun­ter­bun­ter Rand­grup­pen und Min­der­hei­ten wohl noch bis auf wei­te­res unsicht­bar blei­ben wer­den. Die übli­chen Ver­ständ­nis­flos­keln etwa für mas­sen­ver­ge­wal­ti­gen­de Rot­ar­mis­ten ließ er aber kei­nes­wegs aus.
Im Fol­ge­buch, Hin­ter den Türen war­ten die Gespens­ter, wur­de zusätz­lich die Ten­denz des Autors zur publi­kums­ge­rech­ten, »flot­ten« Schreib­wei­se auf Kos­ten manch kor­rek­ter Dar­stel­lun­gen sehr deut­lich. Aller­dings soll­te dem Leser klar sein, daß heu­ti­ge Publi­ka­tio­nen zu sen­si­blen The­men maxi­mal auf­grund des Quel­len­ma­te­ri­als lesens­wert sind und es zu igno­rie­ren gilt, wenn der jewei­li­ge Autor sich zum Zeit­geist­ko­tau anschickt.
Was hat es zu bedeu­ten, daß das Wer­be­sprüch­lein des vor­lie­gen­den Buchs von Pan­ora­ma-Betrof­fen­heits­e­mit­ter und NDR-Innen­­po­li­tik-Redak­teu­rin Anja »Pro­pa­gan­ja« Resch­ke kommt? Nun, 100 Jah­re nach dem dilet­tan­ti­schen Kapp-Putsch (vgl. das Staats­po­li­ti­sche Hand­buch Deut­sche Daten), hat Huber sich einem weni­ger ver­dienst­vol­len The­ma zuge­wandt: Um die »Erfin­dung des Rechts­ter­rors in Deutsch­land« soll es gehen.
Kein seman­ti­scher Lap­sus: Huber zieht nicht nur die Tra­di­ti­ons­li­nie von der Mari­ne­bri­ga­de Ehr­hardt über die nebu­lö­se »Orga­ni­sa­ti­on Con­sul« bis hin zum »NSU«, son­dern sieht auch in den Anschlä­gen von Oslo / Utøya 2011 und Christ­church 2019 den deut­schen »Export­schla­ger« Rechts­ter­ro­ris­mus am Werk. Genau­so par­al­le­li­siert er den (falsch datier­ten) Kapp-Putsch mit PEGIDA, das Trio Helf­fe­rich /Hindenburg / Luden­dorff mit Höcke / ­Däbritz / Bach­mann und die Uni­for­mie­rung Kor­vet­ten­ka­pi­tän Ehr­hardts mit der von Anders Brei­vik. Damit und mit dem Quel­len­ver­zeich­nis sind bereits 50 Sei­ten des Buchs dahin.
Im Rest lei­tet Huber sei­ne Kurz­vi­ten der bekann­ten O. C.-Granden mit einem Zitat Alex­an­der Gau­lands ein, um des­sen Hei­mat­be­griff mit dem der »Ver­lie­rer« (und ver­ur­teil­ten Mör­der) in eins zu set­zen, hul­digt dem 1922 erschos­se­nen »viel­ge­sich­ti­gen« Walt­her Rathen­au und sieht sich von der AfD – klar – an die par­la­men­ta­ri­sche Rech­te der Wei­ma­rer Repu­blik erinnert.
Sein Fazit? »Die­se letz­ten Deut­schen ster­ben nicht aus.« Als Kund­schaft abge­schöpft glaubt Huber sie aber, sonst hät­te er sei­nen his­to­rio­gra­phi­schen Abste­cher auf weni­ger aus­ge­tre­te­ne Pfa­de kaum mit einem sol­chen Tür­knal­len been­det. Die Lite­ra­tur­zi­ta­te von Salo­mons Die Geäch­te­ten über Heinz’ Die Nati­on greift an bis hin zu Jün­gers Der Kampf um das Reich wer­den jedoch vie­le Neu­in­ter­es­sier­te zu den leicht ver­füg­ba­ren Nach­dru­cken grei­fen las­sen. Und wer einen sach­li­chen Blick auf die O.C. sucht, der fin­det die Stu­di­en von Gabrie­le Krü­ger und Mar­tin Sab­row in jeder Uni­ver­si­täts­bi­blio­thek. Ganz ohne Staatsfunk-Stallgeruch.

Rache der Ver­lie­rer. Die Erfin­dung des Rechts­ter­rors in Deutsch­land kann man hier bestel­len.

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

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