Volker Ullrich: Acht Tage im Mai. Die letzte Woche des Dritten Reiches

Eine Rezension von Olaf Haselhorst

Vol­ker Ull­rich: Acht Tage im Mai. Die letz­te Woche des Drit­ten Rei­ches, Mün­chen: Ver­lag C. H. Beck 2020. 317 S., 24 €

Spä­tes­tens seit Wal­ter Kem­pow­skis Werk Echo­lot fin­den Dar­stel­lun­gen zu his­to­ri­schen Ereig­nis­sen, die auf Zeit­zeu­gen­aus­sa­gen beru­hen, beim Publi­kum ein reges Inter­es­se. Zita­te aus Tage­bü­chern, Brie­fen, Erin­ne­run­gen, Doku­men­ten, Befeh­len usw. geben einen authen­ti­schen Ein­blick in das Den­ken und Füh­len der Men­schen in ihrer Zeit mit allen ihren Wider­sprü­chen und mit für Nach­ge­bo­re­ne mit­un­ter scho­ckie­ren­den Ein­sich­ten und Beob­ach­tun­gen. Wo aber der Schrift­stel­ler Kem­pow­ski die Selbst­zeug­nis­se nicht kom­men­tiert und Schluß­fol­ge­run­gen allein dem Leser über­läßt, muß der His­to­ri­ker Vol­ker Ull­rich das Vor­ge­fun­de­ne im Sin­ne einer zeit­ge­mä­ßen Inter­pre­ta­ti­on len­kend kom­men­tie­ren und ein­ord­nen. Der Autor läßt in sei­nem Buch die letz­te Woche des Drit­ten Rei­ches Revue pas­sie­ren. Was er prä­sen­tiert, ist nicht neu, viel­mehr schöpft er aus der umfang­rei­chen Erin­ne­rungs­li­te­ra­tur, die nach 1945 erschie­nen ist. Wer sich für das The­ma inter­es­siert, hat alles irgend­wo schon mal gele­sen. Trotz­dem ist Ull­richs Dar­stel­lung flüs­sig und span­nend. Pro­ble­ma­tisch sind jedoch man­che Ein­las­sun­gen des Ver­fas­sers. Irri­tie­rend ist der Ver­such, rus­si­sche Kriegs­ver­bre­chen beim Ein­marsch in Deutsch­land mit Ver­weis auf vor­an­ge­gan­ge­ne deut­sche Ver­bre­chen in Ruß­land zu rela­ti­vie­ren. Wie­der­holt betont der Autor das angeb­lich weit ver­brei­te­te Wis­sen der Deut­schen um die Ver­bre­chen des NS-Regimes, dies jedoch immer ohne Quel­len­be­leg. Als Kron­zeu­ge dient ihm die von Han­nes Heer kura­tier­te Wehr­macht-Aus­stel­lung von 1995 / 2001. Heer aller­dings konn­te sei­ne The­se von der »ver­bre­che­ri­schen Wehr­macht« nicht bewei­sen, sei­ne auf »Legen­den, Gerüch­ten und Fehl­ur­tei­len« (Ste­fan Scheil) beru­hen­de Schau muß­te nach mas­si­ven Pro­tes­ten und har­scher Kri­tik vor allem von aus­län­di­schen Fach­leu­ten (Bog­dan Musiał, Krisz­tián Ungvá­ry) geschlos­sen wer­den. Ihre »Welt­tour­nee« wur­de abge­bla­sen, das Mate­ri­al ein­ge­mot­tet. Unver­ständ­lich sind die vie­len Wider­sprü­che: Mas­sen­ver­ge­wal­ti­gun­gen durch Sie­ger­trup­pen erklär­ten sich durch den vor­an­ge­gan­ge­nen Besat­zungs­ter­ror der Deut­schen. Wor­aus die beson­de­re Bru­ta­li­tät marok­ka­ni­scher Ver­bän­de der Fran­zo­sen beim Ein­marsch in Baden und Würt­tem­berg resul­tiert, wo doch Fran­zö­sisch-Marok­ko nie von der Wehr­macht besetzt wor­den war, erläu­tert der Autor nicht. Über­haupt sei­en vie­le Ver­bre­chen der Sie­ger aus einer »Fei­er­lau­ne« her­aus gesche­hen oder als eine Art »gerech­ter Zorn« zu ver­ste­hen. Einer­seits brach­te erst die Nie­der­la­ge die NS-Mas­sen­ver­bre­chen ans Tages­licht, weni­ge Zei­len wei­ter wird dann behaup­tet, daß fast alle Deut­schen etwas davon gewußt hät­ten. Ull­rich schreibt rich­tig, daß am 7. / 8. Mai 1945 die Wehr­macht, an ande­ren Stel­len jedoch fälsch­li­cher­wei­se, daß Deutsch­land bedin­gungs­los kapi­tu­liert habe. Karl Dönitz tra­ge als neu­er Reichs­prä­si­dent die Haupt­ver­ant­wor­tung dafür, den Krieg um eine opfer­rei­che Woche ver­län­gert zu haben, ande­rer­seits sei es ihm gelun­gen, in der Zeit durch for­cier­te Rück­füh­rung über die Ost­see rund drei Mil­lio­nen Men­schen dem Zugriff der Sowjets zu ent­zie­hen. Im Abschnitt über die durch bri­ti­sche Jagd­bom­ber am 3. Mai 1945 ver­senk­ten, mit KZ-Häft­lin­gen voll­ge­stopf­ten Schif­fe »Cap Arko­na«, »Thiel­bek« und »Athen« erfährt der Leser nicht, daß die Fahr­zeu­ge mit dem Roten Kreuz gekenn­zeich­net waren und die ver­zwei­fel­ten Pas­sa­gie­re mit wei­ßen Tüchern auf sich auf­merk­sam gemacht hat­ten. Die Ver­haf­tung der »Regie­rung Dönitz« ver­lief unter weit ent­wür­di­gen­de­ren Umstän­den als geschil­dert. Nach dem Befehl »Hän­de hoch« folg­te »Hosen her­un­ter!«, und die höchst pein­li­che Lei­bes­vi­si­ta­ti­on voll­zog sich für Offi­zie­re und Sekre­tä­rin­nen coram publi­co. Uhren, Wert­ge­gen­stän­de, Radi­os, Orden- und Ehren­zei­chen wur­den dabei unter den Augen der Eigen­tü­mer ent­wen­det. Gene­ral­oberst Jodl präg­te dafür die Bezeich­nung »orga­ni­sier­te Plün­de­rung«. Der Rezen­sent rät: Wer sich über die End­pha­se des Krie­ges infor­mie­ren möch­te, grei­fe bes­ser zu Kem­pow­skis authen­ti­scher und unkom­men­tier­ter Text-Col­la­ge Abge­sang.

Acht Tage im Mai. Die letz­te Woche des Drit­ten Rei­ches von Vol­ker Ull­rich kann man hier bestel­len.

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