Diese Stellungnahmen lassen sich einander zusortieren. Am wenigsten interessant, aber bezeichnend sind diejenigen Kommentare, die den Reinigungsvorgang im Hause Fischer begrüßen, mit Hygienerichtlinien erklären und auf andere, noch nicht behandelte Flecken hinweisen. Wäre dieses Aufstöbern des “Anrüchigen” bloß ein Fimmel, könnte man darüber lachen. Aber es ist keiner. Es steckt dahinter tatsächlich ein Wahn, etwas Wahnhaftes, eine eliminatorische Energie, von der wir aus der Geschichte wissen und die sich stets moralisch und ins beste Gewissen zu kleiden wußte.
Die einzige Ungereimtheit, die solche Puritaner zu verkraften haben, ist die, daß sie mit Bedeutung aufladen, was bloß ein Fleck sein sollte. Man kann die Stellungnahmen aus dieser Richtung auch im Fall Maron daraufhin analysieren, wie aus der mangelhaften Hygienebereitschaft der Schriftstellerin zugleich ein Drama gemacht, ihr Werk und ihre “Einmischung” aber als unwesentlich und nicht der Rede wert abgekanzelt werden.
Benedikt Kaiser und ich haben über genau diesen Vorgang in unserer Video-Präsentation der 98. Sezession einen kurzen Gag gedreht (hier zu sehen, ab 38.20), der bei Lichte betrachtet aber gar nicht so witzig ist. Es ging dabei um den halben Meter an Büchern, die in den vergangenen fünf Jahren über uns erschienen sind: Romane, Untersuchungen, Szeneschilderungen, in denen monate‑, jahrelange Beschäftigung mit uns und unserer Arbeit stecken und in denen dennoch (bis auf wenige Ausnahmen) stets betont wird, wie dürftig, unwichtig, überschätzt unser Treiben doch sei.
Wirklich unwichtig sind doch aber bloß diejenigen, über die keine Bücher geschrieben werden und die nie der aufwendigen Beschäftigung wert sind, oder irre ich mich? Jedenfalls uns interessiert das offensichtlich Denunziatorische und Hygienewahnsinnige überhaupt nicht.
Interessant wird es im Fall Maron erst, wo den Texten eine gewisse Unsicherheit, ein feines Zittern zwischen den Zeilen anzumerken ist. Das muß gar nicht ausgedrückt sein, da muß einer gar nicht ausdrücklich schreiben, daß ihm jede Seite als die Falsche vorkomme: die der mangelnden Distanz zu den Rechten ebenso wie die der Treibjäger, der Rudeljournaille, der Vergangenheitsbewirtschafter, die allen Ernstes Maron das widerständige Erbe des S. Fischer Verlags vorgelegt und sie so in eine Freund-Feind-Lage gestellt haben, bevor sie sie hinausbeförderten: Wir oder die? Moral oder Nazi?
Das scheint mir ja die Hoffnung der Freiheitsoptimisten zu sein, die sich unter anderem rund um das Buchhaus Loschwitz und Susanne Dagen sammeln: daß bei jedem neuen Fall die Zahl der fein zitternden Stifte, der auf den Tastaturen unsicherer schreibenden Finger größer werde, weil man Verdammungsgebot und eigene Wahrnehmung nicht mehr in Übereinstimmung bringen, nicht mehr überkitten könne.
Solche nicht aus der Blend-a-Med-Laune der Säuberungspublizistik heraus geschriebenen Texte haben manchmal etwas verzweifelt Weinerliches an sich: eine ehrliche Regung, eine Präsentation der Unentschiedenheit, ein Händeringen. (Bei der Lektüre schwingt Mitleid mit.)
Aber jetzt: die dritte Äußerungsform! Sie ist die interessanteste, denn sie setzt gründliches Nachdenken, goldwaagenfeines Ausbalancieren der Worte voraus. Sie ist dadurch bereits ein Zeichen, dafür, daß man um die Nähe von Inquisitoren weiß und ein wenig pfeifend, ein wenig beflissen an ihnen vorüberziehen will – ohne aber darauf zu verzichten, etwas Widerstand durch reine Geistesmacht zu leisten.
Spielart 1: Patrick Bahners in der FAZ vom 23. Oktober: “Das Gerücht der rechten Lieferkette”, hier hinter der Bezahlschranke abrufbar. Der Wert dieses Textes liegt zum einen in seiner Unaufgeregtheit. Bahners blättert Fakten auf und protokolliert die ungeheure Schlampigkeit, mit der die Denunzianten und die Jammernden vorgehen. Die Sachfehler, Verständnisfehler, Vokabularfehler beim Blick auf Verlags‑, Vertriebs‑, Verantwortungsstrukturen sind so unglaublich, daß man froh sein muß, bloß die Arbeitsproben von Maulwerks- und nicht die von Handwerksburschen vorgelegt bekommen zu haben.
Hier hält kaum ein geistiger Dübel. “Büchermenschen” schreiben über ihr ureigenes Feld und wissen die simpelsten Dinge, kennen die Grundlagen des Handelns mit Büchern nicht. Was herauskommt, sind Gestammel und falsche Schlüsse, ist allen Ernstes Empörung darüber, daß Maron zugesehen habe, wie Antaios ihre Bücher vertreibe.
Natürlich vertreibt auch mein Verlag Marons Bücher und in Einzelexemplaren und im Paket natürlich auch Marons Essayband Krumme Gestalten, vom Wind gebissen aus der Reihe Exil des Verlags von Susanne Dagen. Wir liefern jedes uns erreichbare Buch, einfach alles, was die Barsortimente in Deutschland vorrätig halten oder besorgen können, und es gibt Verlage, die uns direkt beliefern, auch das ist kein ungewöhnlicher Vorgang, ganz und gar nicht. S. Fischer gehört übrigens nicht dazu.
Aus den Empörungstexten werden Handlungsaufforderungen. Das ist die Ableitung, die Bahners in seinem Text mit derselben Unaufgeregtheit vornimmt, mit der er die Schlampereien konstatiert. Bahners scheibt:
Richard Kämmerlings hat gestern in der “Welt” nahegelegt, dass Monika Maron die Unwahrheit sagt, wenn sie erklärt, sie habe nicht gewusst, dass Kubitschek die Bücher vertreibe. “Das mag man glauben oder nicht (Maron ist alles andere als naiv) – heute jedenfalls weiß sie es.”
Dieser eine Satz bereits aus der Feder von Kämmerlings ist eine Ungeheuerlichkeit: Er bezichtigt Maron der Lüge und fordert sie indirekt auf, öffentliches Wohlverhalten zu zeigen, was nichts anderes bedeuten würde als öffentliche Selbstkritik, Zerknirschtheit, Abbitte. Bahners schließt seinen Beitrag daher auch mit einer Formel, die wir vor bald 15 Jahren erstmals für die Beschreibung solcher an Schauprozesse gemahnende Verfahrensweisen verwendeten:
Wo keine Gründe gegeben werden, wo Formeln suggerieren, jeder wisse doch sowieso, wovon man rede, da breiten sich Irrtümer und Gerüchte aus. So kommt es, wenn man den Verdacht zur Herrschaft gelangen lässt.
Den Typ Kämmerlings, der sich innerhalb der Herrschaft des Verdachts gern als einer der Herrscher sieht, gab es zu jeder Zeit. Die letzte Frage lautet schlicht, ob er weiß, was er tut oder ob er auch dazu ein zu schlampiger Denker ist.
Aber weiter zum zweiten Text, zur zweiten Spielart des freieren Denkens in engen Korridoren. Wo Bahners in aller Breite die Fakten aufblättert und seine Schlüsse daraus zieht, legt die Schriftstellerin Judith Hermann einen dichten und kryptischen Text vor, ebenfalls in der FAZ. Er ist mit der schlichten, harten Aussage “Wir kennen nur noch Rechthaber” überschrieben und ist hier ohne Beschränkung einsehbar.
Der wichtigste Satz darin lautet:
Ich wurde gefragt, ob ich als Freundin Monika Marons Stellung nehmen könnte – genauer, ob ich etwas zu ihrer Verteidigung schreiben könne, weil ich mit ihr befreundet bin –, eine Anfrage, die für ihren moralischen Druck eine extra Antwort bräuchte.
In diesem Satz steht die Leseanweisung für alles, was Hermann in den knappen Zeilen davor und danach über den Fall Maron zu sagen hat – als Kollegin bei S. Fischer und als Freundin der Autorin: Sich nicht zu äußern trotz auffordernder Bitte würde bedeuten, dem eigenen Verlag, der sich an die Sitze von Säuberungsmaßnahmen stellte, keine weitere Bürste zu reichen. Was also tun? Nach der Bürste greifen und sie angelegentlich betrachten? Ja, vielleicht so.
Daher bitte ich nun jeden, Hermanns Zeilen eingehend zu studieren und darüber nachzudenken, was sie meint, wenn sie schreibt, daß beide Seiten nun dastünden und nicht anders könnten und daß dies immerhin noch nicht so hoffnungslos sei “wie die Wahrheit, die unter Verfassungsschutz steht”.
altmod
Zum Thema "Kontaktschuld".
Ein Bekannter, Ethnologe und Linguist, Professor em. an einem Universitätsinstitut für Afrikanistik, wollte für seine Arbeit einen Beitrag aus Vonderachs "Völkerpsychologie" kopieren lassen. Die zuständige Hilfskraft am Institut belehrte ihn, dass das Buch in einem rechtsradikalen Verlag - Antaios- erschienen sei und es ihm nicht zuzumuten sei, derartiges Material hier in Verbreitung zu bringen; und er werde sich zudem an die Institutsleitung wenden.