Freiheit der Wissenschaft in Forschung und Lehre sind zwar grundgesetzlich garantiert, aber solche Garantien allein richten wenig aus, wenn ihre kulturellen Voraussetzungen erodieren. Dies aber geschieht zunehmend – ablesbar etwa an den Angriffen gegen Professoren wie den Stalinismusforscher Jörg Baberowski oder den Integrationsforscher Ruud Koopmans in Berlin oder den Ökonomen und Ex-AfD-Vorsitzenden Bernd Lucke in Hamburg – von unbekannteren Personen ganz zu schweigen, die aber erst recht keine hinreichende publizistische und politische Unterstützung erfahren.
Es läßt aufhorchen, wenn selbst ein mit Vorliebe salbungsvolle Reden »gegen rechts« schwingendes Staatsoberhaupt sich bemüßigt fühlt, Vorlesungsstörungen durch Linksradikale – die aber nicht als solche benannt werden – zu kritisieren.
Ein winziger Zipfel des Schleiers, mit dem in diesem Lande die konkrete Lage medial verdeckt wird, darf einen Moment gelüpft werden – doch nicht zu lange, sonst wäre am Ende doch mehr zu sehen, als für die störungsfreie Genußbefriedigung gut ist.
Das fast schon erwartungsgemäß lahme »Es geht nicht, dass sich Studentengruppen oder Aktivisten (sic) als Meinungszensoren aufspielen« der Bildungsministerin klingt wenig anders als das unvergessene »Strafdelikte sind bei uns nicht erlaubt« der Bundeskanzlerin: windelweiches Gerede von Leuten, die vor jeder notwendigen Konsequenz zurückschrecken und die Betroffenen im Zweifelsfall immer im Regen stehen lassen werden.
Solche Äußerungen sind viel beunruhigender als die fanatischen Störer, die ohnehin keinen Zweifel daran lassen, daß sie keinen Wert auf »Gesprächsangebote« legen – wie sie auch Lucke noch gegenüber eben jenen machte, die nicht mit sich reden lassen wollen, sondern auf nichts anderes zielen als die Vernichtung seiner bürgerlichen Existenz.
Es besteht daher trotz der aktuellen medialen Aufmerksamkeit für die Vorlesungsstörungen bei dem Ex-AfD-Vorsitzenden Bernd Lucke kein Grund zur Hoffnung, es werde sich nun absehbar oder gar nachhaltig etwas zugunsten der Wissenschafts- und Lehrfreiheit an deutschen Universitäten ändern.
Sicher: Wenn ein seit Jahren zum Quasi-Nazi (»Nazi« als »soziale und diskursive Konstruktion«, als unwiderlegbare rhetorische Formel) hochgeschriebener Wirtschaftsliberaler wie Bernd Lucke an der Ausübung seiner Lehrtätigkeit gehindert wird, ist dies Grund zu mehr als Sorge.
Denn an ihm wird ein Exempel statuiert, das auch und vor allem auf andere zielt. Die nötigen Vokabeln, die Haß und Hetze gegen potentiell nonkonforme Wissenschaftler legitimieren, werden heute unter dem Deckmantel des Journalismus und der »politischen Bildung« auf allen Kanälen großzügig unters Volk, pardon: »die Menschen«, gebracht.
Das Prinzip, mißliebige Wissenschaftler als »Rassisten« oder »Rechte« zu diffamieren, ist ein besonders effizientes Mittel der moralischen Diskreditierung. Weil randunscharf, so Arnold Gehlen, ließen sich solche rhetorischen Formeln nicht widerlegen.
Und sich von diesen Etikettierungen zu befreien, ist deshalb fast unmöglich, wie Allan Bloom bemerkt hat. Roger Scruton hatte die Funktion eines solchen »ideologischen Sprechens« früh klar beschrieben: Der Vorwurf des Rassismus schließt bereits den Schuldspruch in sich.
Daher gilt: Die Einführung dieser und anderer stigmatisierender Etiketten in die akademische Sphäre ist der unentschuldbare Versuch, diese selbst in ihrem Kern zu treffen und zu zerstören. Aber all das ist nichts grundlegend Neues: Denn Demagogen und aufgehetzte Studenten haben es auch schon in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder verstanden, mißliebige Personen wirkungsvoll am Reden – innerhalb wie außerhalb der Universität – zu hindern.
Und es ist auch nichts Neues, daß ihre linksliberalen Sympathisanten bis in die Spitzen der Hochschulen hinein diesem Treiben nichts Ernsthaftes entgegensetzen, sondern es mit eher wohlwollendem Achselzucken begleiten und nur das Allernötigste tun, während sie den »Aktivisten« gleichzeitig signalisieren, eigentlich ihrer Meinung zu sein.
Dafür gibt es seit 1968 mehr als genügend Beispiele, auch wenn es die breitere Öffentlichkeit in der Regel nicht weiter kümmert. Daß diesem Nebeneinander von »Aktivist« und Administration zudem das Wohlwollen der linken Journalisten sicher ist, unterstreicht diesen Schulterschluß.
Und auch im Fall Lucke zeigen sich bei dem Präsidenten der Hamburger Universität und der grünen Wissenschaftssenatorin ähnliche Muster (siehe ZEIT Nr. 45 vom 30. Oktober 2019). Suggestiv wird neuerdings auch von höchsten Stellen die Platitüde angeführt, Meinungsfreiheit bedeute nicht, daß einem nicht widersprochen werden dürfe.
Das Establishment produziert entsprechend dieser Ansage der Kanzlerin nur mehr wertlose Lippenbekenntnisse zur Freiheit der Rede, wenn etwa eine taz-Journalistin wie Bettina Gaus es »schon auch schwierig« findet, Lucke an seiner beruflichen Tätigkeit zu hindern, aber selbstverständlich eine Grenze zieht: Man dürfe nicht alle rechten Politiker in einen Topf werfen.
Im Klartext heißt das: Lucke darf im Zweifelsfall – vielleicht – reden, aber Jörg Meuthen, Alice Weidel oder Gottfried Curio sicher nicht. Sie unterstreicht damit, was auch Lucke selbst noch gern für sich in Anspruch nähme, nämlich die Grenzziehung zu denen, mit denen er nun nichts mehr zu tun haben möchte.
Er habe sich doch von der AfD getrennt, er sei ja auch gegen eine Verrohung der Sprache undsoweiter. Damit wird jedoch verkannt, welche Funktion die Verhinderung freier Lehre und Forschung hat: Es geht nicht um Netiquette oder ähnliches, sondern generell um die Unterbindung kritischer Diskussionen; nicht darum, ob vielleicht irgend jemand »wirklich« ein »Nazi« oder »Faschist« ist oder sich im Ton oder der Wortwahl vergriffen hat.
Im Rahmen des herrschenden Systems der Pro-Migrations-Orthodoxie würde auch noch die nüchternster Sachlichkeit verpflichtete Rede, sobald sie als entschieden migrationskritisch identifiziert wäre und Aussicht auf nennenswerte politische Außenwirkung hätte, ebenso heftig bekämpft wie tatsächlich hetzerische Pöbeleien.
Die FAZ-Journalistin Heike Schmoll hatte schon 2011 konstatiert, es sei um die Universität als Lebensform ein für allemal geschehen. Es gibt wenig Anlaß, dieses Urteil zu revidieren. An diesen Universitäten, die sich gegen ihre Schwächung durch »Bologna« schon nicht zur Wehr setzten, herrscht seither das Duckmäusertum in ideologischen Dingen.
Sogenannte Forschungsprojekte, die sich im Einklang mit dem Zeitgeist befinden, werden gefördert, während ansonsten gerade dort, wo der Idee nach die Republik des Geistes der freien Auseinandersetzung ihren Ort haben sollte, zunehmend Gesinnungskorridore den Alltag bestimmen.
Diejenigen Hochschulangehörigen, die sich nicht als links verstehen, dürften meist schon froh sein, wenn sie halbwegs in Ruhe gelassen werden. Von ihnen kommt daher auch keine offene Kritik am eklatanten Niveauverlust der Forschung durch die Politisierung der Wissenschaften im Zeichen von Massenmigration, Gender Studies, »Antirassismus« und »Klimaschutz«.
Und eine spürbare Solidarisierung mit politisch Verfemten wie Lucke, von anderen ganz zu schweigen, gibt es nicht. Vorlesungsstörungen, mit denen die Lehrfreiheit ausgehebelt wird, haben so auch immer den maoistischen Zweck und Effekt, den Einen zu bestrafen, um Hunderte oder Tausende zu »erziehen«.
Die so Erzogenen sollen dazu gebracht werden, sich eben nicht zu exponieren, und zwar noch nicht einmal dadurch, daß man potentiell mißliebige Personen überhaupt an die Universität einlädt – selbst harmlose FDP-Vorsitzende können schon zu anstößig sein.
Da kommt es dann auch, wie im Falle der Einladungen eines Siegener Philosophen an Thilo Sarrazin und Marc Jongen, zu dem, was man Mikroschikanen nennen kann: Die sonst üblichen Gelder können auf einmal nicht angezapft werden, so daß Vortragsredner ihre Reisekosten selber bezahlen müssen; es soll nicht über die eigentlichen (da ja umstrittenen) Thesen gesprochen werden, sondern nur über das Thema Meinungsfreiheit allgemein etc.
Wenn das ein Professor einmal mitgemacht hat, läßt er es in den meisten Fällen beim nächsten Mal lieber sein. Das Prinzip der Einschüchterung hat damit bereits seinen Zweck erfüllt, werden so doch in jeder Beziehung die Kosten dafür in die Höhe getrieben, sich auch nur zaghaft gegen den Mainstream zu stellen.
Nicht nur die wirklichen Dissidenten werden diszipliniert, sondern auch die potentiellen Seitenwechsler, die sich wenigstens halbwegs offen zeigen und an dem Ideal einer ergebnisoffenen Wissenschaft festhalten.
Die öffentlichkeitswirksameren Fälle von politisch bedeutungslos gewordenen Professoren wie Lucke oder ehemaligen Ministern wie Thomas de Maizière, denen das Recht auf freie Rede in der Lehre in der üblichen antifaschistischen Manier genommen wird, sollten indes nicht übersehen lassen, daß die wahren Probleme der deutschen Universitäten auf anderen Ebenen liegen.
Sie liegen dort, wo sie ihrer Natur nach gar nicht erst in das ohnehin nur kurzzeitige Rampenlicht der Öffentlichkeit dringen. Hier sind auch nicht nur Professoren betroffen: Denn wie sieht es beispielsweise mit Habilitationsverfahren aus, die aus politischen Gründen scheitern oder gar nicht erst in die Wege geleitet werden?
Wie steht es um die Weiterbeschäftigung von Akademikern in der Qualifikationsphase, wenn sie den Kopf nicht eingezogen und der politischen Korrektheit ihren Tribut verweigert haben? Wie wirkt sich genderfeministisches Gemauschel auf die Freiheit der Forschung aus, wenn bedingt durch den Genderbonus keine Besten‑, sondern eine Gesinnungsgenossinnenauslese betrieben wird?
»Professoren sind selten Helden«, konstatiert der Historiker Andreas Rödder nüchtern und zutreffend (NZZ vom 4. November 2019).
Und Universitäten waren selten Widerstandsnester gegen den herrschenden Zeitgeist. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Ob die deutschen Universitäten selbst noch die Kraft zum Widerstand aufbringen werden, ist daher fraglich. In Frankreich fordern prominente Akademiker schon schlichte Selbstverständlichkeiten:
Die Redefreiheit muss von den Universitätspräsidenten garantiert und verteidigt werden (…) Mit ihrem Hausrecht können und müssen sie sicherstellen, daß Vorträge und Konferenzen unbehelligt stattfinden können, wobei im Zweifelsfall auch die Polizei zu rufen ist.
Die heutige Universität ist weit davon entfernt, ein Hort »herrschaftsfreier Diskurse« zu sein; bloße Appelle, die von Antifaschisten gezielt eingesetzten Aktionen »gingen nicht«, sind in keinem Falle hinreichend, um irgendetwas zu bewirken.
Es fehlt zudem auf allen Ebenen – von der Politik über die Wirtschaft und die Medien bis hin zu den Universitäten selbst – auch nur der Ansatz eines Bewußtseins für die Notwendigkeit, die »hirnverheerende Denkhemmung« des »Antifaschismus« (Bernard Willms) zu überwinden.
An der Bedrohung der Wissenschafts- und Lehrfreiheit mißliebiger Persönlichkeiten wird sich ohne Etablierung einer sicht- und spürbaren Gegenmacht nichts ändern. Auch im Bereich der Wissenschaft und ihrer Organisationen gilt »das anthropologische Gesetz von Macht und Entscheidung«.
Daraus, so Panajotis Kondylis’ ernüchternde Schlußfolgerung, »ergibt sich der utopische Charakter der Forderung, aus der Wissenschaft ein macht- und herrschaftsfreies Terrain zu machen«. Gewiß: Es hat noch zu keiner Zeit eine Gesellschaft gegeben, in der eine umfassende Freiheit der Meinungsäußerung herrschte.
Eine freiheitliche Verfassungsordnung sollte aber eine solche Freiheit nicht nur normativ, sondern auch faktisch möglichst weitgehend garantieren. Die staatliche Universität jedenfalls, so Ernst Topitsch, ist nur legitimiert als »Raum institutionell geschützter Freiheit empirisch-rationaler Wahrheitsfindung, wo sowohl die Ideologien der an der Herrschaft Sitzenden wie die der nach der Herrschaft Strebenden gleichermaßen der Kritik ausgesetzt sind, die sie ihrer anmaßenden Absolutheitsansprüche entkleidet«.
Doch derzeit stehen die Zeichen auf eine immer weitere Verengung dieser Freiheit, weil jede tatsächliche Erweiterung des Diskutierbaren mit Notwendigkeit auf eine Infragestellung der linken politisch-kulturellen Hegemonie hinausliefe. Das aber ist für das juste milieu eine schier unerträgliche, die »Grenzen« ihrer »Toleranz« überschreitende Vorstellung,der mit allen Mitteln gewehrt werden muß.
Angesichts der Lage ist es mehr als verständlich, wenn so mancher Universitätsangehörige sich lieber für das »Martyrium des Schweigens« (David Friedrich Strauß) entscheidet. Ein Verlassen der Meinungs- und Gesinnungskorridore, die von einer Kombination aus vormundschaftlichem Staat und vorgelagerten Hilfstruppen der »Zivilgesellschaft« etabliert wurden, soll zudem unmöglich gemacht werden, indem ihre faktische Existenz abgestritten wird und gegenteilige Behauptungen als fake news entlarvt werden.
Doch es gibt auch anspornende Vorbilder für Gelehrte, die Gesinnungskorridore nie akzeptiert haben, von Johann Gottlieb Fichte bis Ernst Nolte. Die Neugründung eines offensiv agierenden »Bundes Freiheit der Wissenschaft« – und zwar aus den Hochschulen heraus – ist das Gebot der Stunde.
Denn nur so könnte erstens konkrete Solidarität über Parteigrenzen organisiert und zweitens nachhaltig Öffentlichkeit hergestellt werden. Dies wäre nur ein erster Schritt zum Aufbau von Gegenmacht, denn allzusehr ist das wissenschaftliche Establishment an allen Ecken und Enden, von der Forschungsförderung bis zur Personalpolitik, heute mit den Kräften der politischen Korrektheit im Sinne des »kulturwissenschaftlichen Mantras« von race, class, gender sowie climate change verwoben.
Und die postmoderne Wahrheitsindifferenz, die dem akademischen Geist diametral entgegensteht, verschärft die Probleme. Denn die vom postmodernen Denken mittels des Abschieds von der Logik sanktionierten doppelten Maßstäbe erlauben es ihren Vertretern, immer beides zu tun: lauthals fake news zu beklagen und sie gleichzeitig selbst in die Welt zu setzen; Meinungsfreiheit, Demokratie und bunte Vielfalt verbal zu beschwören und durch die Tat zu unterminieren; zu den Klängen des Mantras von Aufklärung und »offener Gesellschaft« deren faktische Desavouierung zu betreiben.
Das einzige, was die Macht der neuen ideologischen Einheitsfront auch in den Bildungsinstitutionen zurückdrängen könnte, um wenigstens ein »Parallelogramm der Kräfte« (Gómez Dávila) zu etablieren, ist also Gegenmacht: die Präsenz vernetzter Akteure, die wissen, worum es geht, die sich erkennbar positionieren und zumindest Waffengleichheit für sich in Anspruch nehmen.
Die sich nicht davor scheuen, stigmatisiert zu werden, sondern entschlossen zum Gegenangriff auf die »zivilgesellschaftlich« motivierte Verbreitung ideologischen Mehltaus an den Hochschulen übergehen. Es wäre noch viel Grundlagenarbeit zu leisten, um diesen Mehltau – Rödder bezeichnet diese emanzipatorisch-repressive Konstellation als »Regenbogen« – abzustreifen. Erst dann kann, in Abwandlung eines Wortes von Spinoza, wieder gelten:
In einer freien Universität muß jedem erlaubt sein, zu denken, was er will und zu sagen, was er denkt.