Mehr noch, er kann überhaupt für die Leitkultur der gegenwärtigen Entscheidungsträger und des sie tragenden linksliberalen, linksökologischen und linksintellektuellen Neubürgertums stehen, also für jene, die sich als Elite der „neuen urbanen Schichten“ verstehen und trendbestimmend wirken. Alle und alles soll “inkludiert”, mithin gleichgestellt, aber so auch gleichgeschaltet, also angeglichen und nivelliert werden.
Dank artiger Anpassung und Leistungsbereitschaft aufgestiegen und kraft Erfolges selbstbewußt, aber im Gegensatz zur eigenen Selbstwahrnehmung „Wir sind mehr!“ eben nicht Bevölkerungsmehrheit, entwickelte diese vergleichsweise vermögende und in ihrer „Work-Life-Balance“ betont hedonistisch orientierte Gruppe der “Anständigen” eine Sichtweise auf die Benachteiligten, die von moralischen oder neurotisch bedingten Kompensationsbedürfnissen bestimmt ist.
Die deutsche Komfort-Generation ab Jahrgang 1980 und die karrierestarken Migrantennachkommen folgen in ihrer Welt-Anschauung den “Grundvereinbarungen” der eigentlichen politischen Wende in Deutschland, nämlich jener von 1968 ff. Die davon ausgehenden Neubestimmungen, seit den späten Siebzigern durchweg schulisch vermittelt und – im Vergleich zum Nachkrieg – einem völlig verändertem Menschenbild verpflichtet, wirkten über Jahrzehnte viel intensiver als etwa die Wiedervereinigung, in deren Verlauf die postachtundsechziger Werte einer betont antikonservativen, antinationalen und antirechten Bekenntnis‑, Schuld- und Sühnekultur auf das Beitrittsgebiet übertragen wurden.
Mittlerweile entstand daraus eine verfestigte und bereits eingeübte Ideologisierung, die jedoch Ungehorsam und gar Widerstand aufruft, der sich zuerst während der entgrenzten Flüchtlingspolitik 2015 und nun aktuell im Zuge der Corona-Maßregelungen und ‑Bevormundungen vitalisierte. Dieser Unmut folgt eher dem gesunden Menschenverstand, als daß er eine akademische Selbstvergewisserung nötig hätte. Der gesunde Menschenverstand, der common sense, weiß, wie der Mensch ist – und daß er seiner Natur nach nicht so ist, nicht so sein will und sein sollte, wie ihn sich die Apostel der großen Gerechtigkeit konstruieren möchten.
Aktuell hält die Bundesregierung in Person des Finanzsozialisten Scholz den Unzufriedenen und den Lockdown-Kritikern entgegen, sie werde alle angeblich prophylaktisch notwendigen Einbußen und Verluste auszugleichen wissen: „Wir können noch nachlegen!“ (“Wir!”) Die Regierung legt aber nach, indem sie Steuergelder versenkt, um die Gegenwehr der Bürger zu dämpfen. Die Exekutive bezahlt die dem Bürger zugemuteten Schäden mit dem Vermögen des Bürgers, hofft auf Burgfrieden aus Seuchenangst und spricht fälschlicherweise, also demagogisch von einem “Wir”. Abermals verhängnisvoll im Sinne von: “Wir schaffen das!”
Zurück: Die Christdemokraten gaben ihre gut konservativen Positionen der Nachkriegszeit – Leistungsorientierung, vaterländische Gesinnung, Traditionsbewußtsein, christlich grundierte Ethik, Maßhalten und Sparsamkeit – in einem vermeintlichen Modernisierungsprozeß seit den Achtzigern vollständig auf, während die FDP zwar weiterhin wirtschaftspragmatisch, also marktliberal agierte, dabei aber ihr nationalliberales Erbteil ausschlug und betont auf die angeblich universellen Rechte einer Weltbürgergemeinschaft setzte.
Mehr noch als die C‑Parteien und die Reste der Liberalen verlor die SPD ihre Kontur, weil sie sich aus Gründen des industriegeschichtlichen Wandels zwar noch als gewerkschaftsfreundlich, aber nicht mehr als Arbeiterpartei verstehen konnte und die wertvollen Traditionen der Arbeiterbewegung durch einem didaktisch vorgetragenen Moralismus ersetzte.
Richtung und Leitlinien bestimmten mehr und mehr die Grünen, zumal tatsächlich offenbar wurde, daß die Welt einem ökologischen Desaster entgegentreibt, wenn der Wachstumsbegriff nicht relativiert, die Biosphäre nicht geschont und die Artendiversität nicht gerettet würde. Grüner Politik eignet daher ein apokalyptischer Zug, der in den Greta-Protesten der Friday-for-Future-Kinderdemos beinahe die Gestalt einer modernen Geißlerbewegung gewann.
Die Teletubbies-Generation klagt ihre Eltern an und gibt sich erschüttert darüber, daß gesellschaftlicher Reichtum aus kapitalistischem Wirtschaften entstand. Sie vergißt, daß sie dem hochgedrehten Weltmarkt ihren eigenen Wohlstand zu verdanken hat, den sie weder missen könnte noch wollte. Alles, was sie ist, im Guten wie im Problematischen, ist sie durch den modernen Kapitalismus, der mittels so fest wie nie zupackender Technik nun mal die Natur verschleißt und dank seiner informationsverarbeitenden Systeme alle Mannigfaltigkeit in ein ökonomisch verdatendes Raster scannt. Die Natur allein wird für ihren enormen Einsatz nicht bezahlt.
Aber alle Parteien der Bundesrepublik richteten sich längst nach grünen Maßgaben aus und verbanden diese mit sozialen Gerechtigkeitsvorstellungen, die um so utopistischer und radikaler formuliert wurden, je erfolgreicher – wenigstens vergleichsweise – die wirtschaftliche Entwicklung nach Zahlen verlief.
Daß aber im Zuge der tiefgreifenden Effektivitätssteigerung des Wirtschaftens, wesentlich beschleunigt durch die digitale Revolution und durch Deregulierungen, immer mehr Menschen für den Wertschöpfungsprozeß nicht mehr gebraucht wurden und als sozial absteigende Verwaltungsmasse zu alimentieren waren, bedingte die neurotische Reaktion der neuen Eliten, mindestens noch sich selbst eine gesellschaftliche Gerechtigkeit suggerieren zu wollen, die es natürlicher- und ökonomischerweise nicht gab, die der Staat aber auf quasisozialistische Weise über die Bereitstellung von immer mehr Mitteln herzustellen hätte. Wer als Produzent nicht mehr benötigt wird, behält immerhin als Konsument die Funktion, mittels der ihm zugewiesenen Transferzahlungen noch die Konsumtion im Sinne einer staatlichen Wirtschaftshilfe aufrecht zu erhalten. Die Phrasen von Wert und Würde klingen um so eindringlicher, je ökonomisch unerheblicher immer mehr Menschen werden.
Der Benachteiligte, der „Bedarfe“ anzumelden hatte, avancierte vom hilfsbedürftigen Sonderfall längst zur Hauptsache politischer Anliegen. Ihm sollten, so die linken Ideologen, immer mehr Rechte zustehen, während die Fähigen, Talentierten und Tatkräftigen zuerst in der Pflicht wären, diese Schwachen über progressive Sozialtransfers zu „inkludieren“. Mehr noch: Diese Verpflichtung auf Solidarität bezieht sich nicht mehr nur auf den einheimischen Benachteiligten, sondern mittlerweile auf die Armen und Beladenen der ganzen Welt, deren Fluchtbedürfnis aus dem „postkolonialen“ Elend ebenso selbstverständlich erscheinen soll wie die von uns gefälligst zu leistende Fluchthilfe.
Zwischenspiel: Daß die Schröder-SPD 2003 in Nachahmung von „New Labour“ mit der „Agenda 2010“ einen so mutigen wie notwendigen, für sich selbst aber politisch selbstmörderischen Akt vollzog, versetzte alle anderen Kräfte der Berliner Republik in die bequeme Lage, jetzt um so mehr eine umfassendere Gerechtigkeit fordern zu können, ohne dabei selbst in der Verantwortung zu stehen, denn kurioserweise hatten die Sozialdemokraten in der Sozialpolitik ja den Schwarzen Peter gezogen. Besonders lautstark forderte das zwar die sich zur gesamtdeutschen „Linken“ wandelnde einstige ostdeutsche Regionalpartei PDS, nur verfügte sie schon aus Gründen ihrer fortschreitenden Vergreisung nicht über die Kraft, daraus nachhaltige Vorteile zu ziehen. Immerhin kam sie nun in der „Mitte der Gesellschaft“ an, also dort, wo alle anderen Parteien bereits einheitsfrontlich versammelt waren – modern humanistisch, ökologisch, gerechtigkeitssozialistisch den Wegweisungen der Grünen folgend.
Nirgendwo manifestiert sich dieses Bestreben gegenwärtig so signifikant wie in der Inklusionskampagne an den Schulen. Sie wurde mit enormer Rigorosität durchbefohlen. Als Autoritätsbeweis für die unsägliche Beschädigung eines völlig intakten, ja weltweit vorbildlichen Bildungssystem, das insbesondere Kindern mit Handicaps zugute kam, wurde die kurzschlüssig und damit falsch ausgelegte UN-Behindertenkonvention aufgerufen. Mit ihr begründete man die skandalöse Zerschlagung der deutschen Förderschulen und die Verteilung ihrer Schüler und Lehrkräfte an die Regelschulen und suggerierte, genau damit wäre endlich die Diskriminierung benachteiligter Heranwachsender überwunden. Alles, was dann folgte, waren Absichtserklärungen und Scheinvorgänge in Aktenordnern, die nur auf dem Papier eine positive Vorstellung generierten, die in der Praxis jedoch zum Desaster wurde. Dies mindestens in den Wahrnehmungen auszugleichen, warf man „Forschungsprogramme“ an, die den Irrweg zu rechtfertigen hatten, und gründete teure “Institute für Qualitätssicherung”, die „Weiterbildungsprogramme“ konstruierten, mit denen desillusionierte Lehrer pflichtig auf Linie gebracht werden sollten.
Nach einer aktuellen und repräsentativen Umfrage von Forsa im Auftrag des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) gibt es zum Fortbestand der Förderschulen keine Alternative. Sie hätten erhalten werden müssen, weil die normalen Schulen Kindern mit besonderen Förderbedarf eben nicht gerecht werden können. Die Befragten geben den Landesregierungen und Kultusministerien für die erzwungene Inklusionspolitik realistischerweise die Note 4,5. Man hätte sie viel früher fragen sollen, wollte aber durchregieren und aus rein politischen Gründen Zeichen setzen und Tatsachen schaffen.
Nur 56 Prozent aller Lehrkräfte halten heute die gemeinsame Beschulung für sinnvoll. Selbst von den Aufgeschlossenen meinen nur 27 Prozent, daß die Inklusionsvorhaben so, wie sie gerade ablaufen sollen, praktisch tatsächlich umsetzbar sind. Fast siebzig Prozent hielten es für viel sinnvoller, würden Kinder mit Behinderung und sonderpädagogischem Förderbedarf in deren ureigenem Interesse in der über Jahrzehnte bewährten Weise in speziellen Förderschulen unterrichtet.
Noch besucht bundesweit eine Mehrheit förderbedürftiger Kinder, 321.000, eine Förderschule, 235.000 sind bereits an die Regelschulen übergeben worden. Dort aber konnten erforderliche technische Maßnahmen wie etwa die Barrierefreiheit nicht realisiert werden; vor allem aber sind die Klassengrößen nicht auf die Bedürfnisse der Förderschüler angepaßt worden: Seit 2015 liegt die durchschnittliche Größe von Inklusionsklassen beinahe unverändert bei 18,6 Kindern – bei durchschnittlich 3,9 Kindern mit einem Förderbedarf.
An ihre Grenzen stoßen die Regelschulen jedoch am allerwenigsten in der Bildung und Erziehung körperlich behinderter Schüler, obwohl auch die an besonderen Schulen besser aufgehoben waren. Vielmehr fällt es schwer, die zahlreichen Kinder mit Förderbedarf Lernen, also die einstigen „Hilfsschüler“, tatsächlich zu integrieren. Sie werden einfach nebenher durchgezogen und mittels sogenannter Nachteilsausgleiche „fair benotet.“
Eigentlich problematisch ist die Integration von Kindern mit „sozialen und emotionalen Entwicklungsstörungen“, also verhaltensgestörten Schülern. Klassenverbände, die an nichtgymnasialen Schulen häufig schon in sich schwierig zu führen sind, geraten nach Übernahme ausnehmend verhaltensauffälliger Schülern erst recht in Turbulenzen, ganz abgesehen davon, daß die „ESE-Schüler“ ihrerseits in ein Reizfeld geraten, das ihre Probleme mit sich selbst und anderen verschärft. Jeder zweite ESE-Schüler benötigte intensive Förderung“, so der Verband Bildung und Erziehung. Das heißt aus, er müßte gesondert betreut werden – um selbst zu seinem Recht zu kommen und um nicht ohnehin labile Klassen aufzumischen.
Lehrer können sich – besetzt u. a. von den Anforderungen der Ganztagsschule – kaum eigens auf inklusiven Unterricht vorbereiten; nur knapp die Hälfte der Lerngruppen ist parallel mit Sonderpädagogen versorgt. Vor dem Hintergrund desaströser Erfahrungen, die vor allem zu Lasten der Kinder mit Handicap gehen, wünschen sich 83 Prozent aller Lehrer den Erhalt bzw. eher die Rettung der bewährten Förderschulen. Sie waren vor ihrer Zerschlagung Einrichtungen, die hielten, was sie versprachen, und eine Inklusion zu realisieren verstanden, die diesen Namen verdiente – nicht außerhalb der Gesellschaft, sondern mittendrin, geborgen und optimal betreut. Den Kultusministerien ist das bisher einerlei. Aus Prinzip reiten sie den toten Gaul “Inklusion” weiter.
Maiordomus
Es sind zwei Artikel; die erste Hälfte mit den allgemeinen Ursachen; die zweite Hälfte stärker konkret bildungspolitisch. Es gibt aber nicht nur das Problem derjenigen, die man früher "schwachbegabt" oder "behindert" nannte. Die Hochbegabten müssten eigentlich genau so aus vielen heutigen Schulen herausgenommen werden; ein altes Problem. Die Kinder der Familien Bernoulli, Euler und andere hatten im 18. Jahrhundert im damals grottenschlechten Basler Gymnasium keine Fördermöglichkeit, wären ohne Privatunterricht nicht geworden, was sie waren; vgl. noch Mozart, Goethe, die Bachs. Auch wenn es diese Liga heute nicht mehr gibt: Welcher wirklich Hochbegabte kann an den z.B. durch Sprachregelungsprogramme und Korrektheitsvorschriften usw. gegängelten geisteswissenschaftlichen Fakultäten von heute noch wirklich was lernen? Max Weber wusste genau, was er sagte mit der Formulierung "Politik gehört nicht in den Hörsaal". Wie er es aber meinte, kann hier nicht kurz erklärt werden.