Mosaik-Rechte: eine Aktualisierung

PDF der Druckfassung aus Sezession 93/Dezember 2019

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Rech­te Bin­nen­theo­rie erreicht kein brei­tes Publi­kum. Wer sich mit ihr beschäf­tigt, stößt aber fast sicher auf den wenig bekann­ten, aber stark pola­ri­sie­ren­den Domi­ni­que Ven­ner, der sich am 21. Mai 2013 öffent­lich­keits­wirk­sam am Altar der mitt­ler­wei­le aus­ge­brann­ten Kathe­dra­le Not­re-Dame in Paris erschoß.

In Deutsch­land pflegt der Jun­g­eu­ro­pa Ver­lag Ven­ners Werk. Dort erschien 2017 die deut­sche Erst­ver­öf­fent­li­chung des Plä­doy­ers Für eine posi­ti­ve Kri­tik aus der Feder Ven­ners, ein Text aus dem Jahr 1962. Ven­ners Leit­li­ni­en und Maxi­men für die Eli­ten­bil­dung einer neu­en Rech­te schei­nen im Wider­spruch zu ihrem der­zei­ti­gen Zustand zu ste­hen: Vor allem in Deutsch­land kon­zen­triert man sich seit eini­gen Jah­ren im Kiel­was­ser der AfD auf quan­ti­ta­ti­ves Wachstum.

Eben­so wider­sprüch­lich ist der Umstand, daß Ven­ners Pos­tu­lat der Not­wen­dig­keit einer unver­kenn­ba­ren »revo­lu­tio­nä­ren poli­ti­schen Dok­trin« in Wider­spruch zu ideo­lo­gisch inte­grie­ren­den »Mosaik«-Bemühungen der Neu­en Rech­ten stün­de (vgl. Sezes­si­on 77). Bei­de Ein­wän­de gegen die Ver­ein­bar­keit von (theo­re­ti­scher) Ven­ner-Rezep­ti­on und (prak­ti­schem) Han­deln müs­sen im Zuge einer Revi­si­on der mosa­ik­rech­ten Theo­rie und Pra­xis geprüft werden.

Die Debat­te um Ven­ners The­sen muß vor dem Hin­ter­grund des Jah­res 2015 geführt wer­den. Die nicht erfolg­te Grenz­schlie­ßung durch die bun­des­deut­sche Regie­rung und die Kri­se in Per­ma­nenz haben die Reso­nanz­räu­me der dis­si­den­ten Rech­ten erweitert.

Das Aus­grei­fen einer grund­sätz­lich alter­na­ti­ven poli­ti­schen Strö­mung auf bis dato apo­li­ti­sche oder bür­ger­lich-patrio­ti­sche Krei­se ver­lief indes pri­mär auf quan­ti­ta­ti­ver Ebe­ne. Das zah­len­mä­ßi­ge Wachs­tum der Mosa­ik-Rech­ten beinhal­te­te oft­mals kei­ne qua­li­ta­ti­ve Kategorie.

Der »Koope­ra­ti­ons­ver­bund kri­ti­scher Kräf­te« (Hans-Jörg Urban), als wel­cher das arbeits­tei­li­ge hei­mat­ori­en­tier­te Mosa­ik aus Par­tei, Peri­odi­ka, Jugend­grup­pen und ande­ren Außer­par­la­men­ta­ri­ern per­so­nel­len Zuwuchs erfuhr, blieb zu oft eine Ansamm­lung kri­ti­scher Kräf­te ohne Ambi­tio­nen, über die Ableh­nung der Mer­kel-Ära hinauszuweisen.

Selbst der migra­ti­ons­kri­ti­sche Grund­kon­sens, der sogar sehr unter­schied­li­che Akteu­re zusam­men­fü­gen kann, wur­de wie­der­keh­rend als »islam­kri­ti­scher« oder gar neo­kon­ser­va­tiv-islam­feind­li­cher Grund­kon­sens – expli­zit auch durch media­le Mul­ti­pli­ka­to­ren der Sze­ne – fehl­ge­deu­tet (wobei noch nichts über ande­re schwer­wie­gen­de Dif­fe­ren­zen gesagt ist!).

Vie­le »Neu­zu­gän­ge« und seit 2015 Poli­ti­sier­te sind vor allem empört über die Mas­sen­mi­gra­ti­on, den »Refu­gees Welcome«-Wahn, die Gen­der-Ideo­lo­gie, ver­nach­läs­si­gen aber inhalt­li­che Arbeit. Außer­dem liegt die Not­wen­dig­keit der brei­test­mög­li­chen Kräf­te­samm­lung des »patrio­ti­schen Lagers« auf der Hand.

Domi­ni­que Ven­ner nun stell­te 1962 die The­se auf, daß ohne die gründ­li­che und mobi­li­sie­ren­de Theo­rie einer selbst­be­wuß­ten Eli­te eine spür­ba­re Rich­tungs­um­kehr von Zeit­ten­denz und gesell­schaft­li­chem Zustand unmög­lich sei. Lei­den des­halb jene, die sich auf Ven­ners Früh­werk beru­fen und zugleich die viel­fäl­ti­ge und mit­un­ter »popu­lis­tisch« ope­rie­ren­de Mosa­ik-Rech­te gestal­ten, an poli­ti­scher Schizophrenie?

Die Beant­wor­tung die­ser Fra­ge setzt vor­aus, daß die Dimen­sio­nen geklärt sind. Es gibt eine hand­lungs­ori­en­tier­te Ebe­ne, wel­che Struk­tur, For­ma­li­tä­ten und Orga­ni­sa­to­ri­sches umfaßt. Die­se Ebe­ne ist die Pri­mä­re­be­ne der Mosa­ik-Rech­ten. In der Sezes­si­on führ­te ich 2017 – par­al­lel zur Ven­ner-Ver­öf­fent­li­chung – eini­ges zur The­ma­tik aus, und spä­tes­tens mit dem ein­dring­li­chen Hin­weis, daß es dar­um gehe, in Rich­tung »einer brei­te­ren Bewe­gung zu wir­ken, die auf­grund ihrer Viel­falt (Denk­fa­bri­ken, Peri­odi­ka, Jugend­be­we­gun­gen usw.) als ›Mosa­ik-Rech­te‹ zu bezeich­nen ist«, soll­te deut­lich wer­den, daß die Mosa­ik-Struk­tur als Teil­chen­struk­tur vor allem ande­ren ein Netz­werk der effek­ti­ven, soli­da­ri­schen Arbeits­tei­lung dar­stel­len muß – und weni­ger eine ein­heit­li­che inhalt­li­che Stoß­rich­tung verkörpert.

Mit der erst­ma­li­gen flä­chen­de­cken­den par­la­men­ta­ri­schen Prä­senz einer Wahl­par­tei des rech­ten Lagers in der BRD wur­de die­se Klar­stel­lung nötig, da das Ver­hal­ten aller Rechts­par­tei­en im deutsch­spra­chi­gen Raum – die FPÖ bie­tet das bes­te Bei­spiel – belegt, daß zu vie­le Par­tei­leu­te par­la­ments­gläu­big auf­tre­ten und ein außer­par­la­men­ta­ri­sches Umfeld und Vor­feld für über­flüs­sig halten.

War die Mosa­ik-Meta­pher also auch dafür gedacht, dem par­tei­po­li­ti­schen Feld ein poli­tik­theo­re­ti­sches und ‑stra­te­gi­sches Update zu ver­pas­sen, so hat­te sie zusätz­lich eine inhalt­li­che Kom­po­nen­te. »Es gilt«, so schloß ich 2017, »eine Rech­te zu schaf­fen, in der vie­le Rech­te Platz haben«. Das war eine Chif­fre für Arbeits­tei­lung – Wir­kungs­feld I des Mosa­iks – und inhalt­li­che Hete­ro­ge­ni­tät – Feld II – zugleich.

Nun gibt es zwei­fel­los Zei­ten, in denen es not­wen­dig ist, (inhalt­li­che) Wider­sprü­che aus­zu­hal­ten und über die ein­zel­nen Frak­tio­nen hin­weg die Kräf­te zu bün­deln. Es spricht nichts dage­gen, das Feld je nach Lage zu öff­nen und zu erwei­tern. Ven­ner schrieb in der Posi­ti­ven Kri­tik, daß »akti­vis­ti­sche Min­der­hei­ten kei­ne ste­ri­len Sek­ten« dar­stel­len, denn »sie ste­hen in direk­tem Kon­takt zu der Bevölkerung«.

In die Gegen­wart pro­ji­ziert soll­te die­se Absa­ge an Sek­ten­bil­dung samt Auf­for­de­rung zur Volks­nä­he bedeu­ten, die Nähe zu inhalt­lich Auf­ge­schlos­se­nen zu suchen. Mit »2015« ist erst­mals seit Jahr­zehn­ten die Situa­ti­on ein­ge­tre­ten, daß bis dato apo­li­ti­sche Men­schen Abnei­gung zu den herr­schen­den Ver­hält­nis­sen verspüren.

Deren Unbe­ha­gen ent­zün­det sich an Ein­zel­fra­gen (Migra­ti­on, Medi­en­lü­gen, Mer­kel etc.), wobei das Ver­ständ­nis der Zusam­men­hän­ge und die Beschrei­bungs­fä­hig­keit in »unse­rem« Sin­ne meist feh­len. Daher wir­ken nicht nur genu­in neo­kon­ser­va­ti­ve (erz­li­be­ra­le, pro­west­li­che, anti­staat­li­che und kaum erreich­ba­re) »Wut­bür­ger« weit ent­fernt von der Neu­en Rech­ten, son­dern auch die gro­ße Majo­ri­tät jener nun anpo­li­ti­sier­ten Men­schen, die sich noch im Voka­bu­lar des fal­schen Gan­zen bewegen.

Eine »Ein­ige­lung« auf eine »akti­vis­ti­sche Min­der­heit« (Ven­ner) wür­de nicht nur den Reso­nanz­raum, der sich im zeit­ge­nös­si­schen »popu­lis­ti­schen Augen­blick« (Alain de Benoist) geöff­net hat, unge­nutzt las­sen. Es wür­de auch Ven­ners Anspruch, »Unent­schlos­se­ne zu absor­bie­ren«, unmög­lich machen.

Es darf ohne­hin nie dar­um gehen, die Theo­rie zu »erfül­len«: Sie wür­de dadurch zum läh­men­den Dog­ma. Die gro­ße, zeit­be­ding­te Auf­ga­be des gesam­ten Mosa­iks und sei­ner Ein­zel­stei­ne, Unent­schlos­se­ne und Anpo­li­ti­sier­te zu errei­chen und ein­zu­bin­den, macht es dem­nach erfor­der­lich, inhalt­li­che Wider­sprü­che zuzu­las­sen und ideel­le Viel­falt zu ermöglichen.

Nur so kön­nen unter­schied­li­che Akteu­re unter­schied­li­che Ziel­grup­pen mit unter­schied­li­chen Schwer­punkt­le­gun­gen, Begrif­fen und Inhal­ten errei­chen. Aber zugleich, und das ist die Her­aus­for­de­rung, die das Poli­ti­sche eben­so wie die mensch­li­che Geschich­te mit sich bringt, darf kei­ne welt­an­schau­li­che Belie­big­keit eintreten.

Das Pro­blem, das Ven­ner vor 60 Jah­ren beschrieb, wonach die »Akti­vis­ten ihre gemein­sa­men Vor­fah­ren und Vor­den­ker« nicht mehr ken­nen, wonach »ihre ein­zi­ge Gemein­sam­keit nega­ti­ver Natur« ist, wonach die »Wör­ter, die sie ver­wen­den«, »unter­schied­li­che, teils gegen­sätz­li­che Bedeu­tung haben« – all das gilt heu­te, in einer Zeit der Auf­lö­sung aller Gewiß­hei­ten und der noto­ri­schen Per­ver­tie­rung gan­zer Begriffs­wel­ten (ori­gi­nä­re Anti­fa­schis­ten als »Links­fa­schis­ten«, Mus­li­me als »neue Nazis«, der Staat als »Moloch«, Links­ra­di­ka­le als »rote SA«, EU-Appa­rat als »EUdSSR«, kapi­tal­treue Christ­de­mo­kra­ten als »Links­grü­ne« etc.), um so mehr.

Es gibt nun zwei Optio­nen. Ent­we­der man stößt die »2015er Gefal­le­nen« pau­schal ab, weil man deren von klein auf ver­in­ner­lich­te »Spra­che der BRD« (Man­fred Klei­ne­Hart­la­ge) für so fol­gen­schwer hält, daß eine Kor­rek­tur nicht mög­lich erscheint. »Die weni­gen wert­vol­len Ele­men­te«, mahn­te ja Ven­ner, wür­den »gelähmt von den Ver­rück­ten, die sie umgeben«.

Die­se ers­te Opti­on kor­re­liert mit dem Anspruch der Eli­ten­bil­dung Ven­ners, stößt sich aber an sei­nem eben­so for­mu­lier­ten Anspruch, brei­te Schich­ten eines Vol­kes durch arbeits­tei­li­ge Anspra­che und Orga­ni­sa­ti­ons­ar­beit zu errei­chen. Gera­de heu­te ist, mit Ven­ner for­mu­liert, »nicht die pas­sen­de Gele­gen­heit, um dem Puris­mus zu verfallen«.

Über­dies erscheint die­se Opti­on in ihrer Pau­scha­li­tät unan­ge­mes­sen, weil 2015 nicht nur ins Neo­kon­ser­va­ti­ve nei­gen­de »Boo­mer« und ande­re Ver­hal­tens­li­ber­tä­re poli­ti­siert wur­den, son­dern dar­über hin­aus auch zahl­rei­che Men­schen mit Leis­tungs­ver­mö­gen und erwie­se­nem Rea­li­täts­sinn, die auf schril­les Auf­tre­ten ver­zich­ten und daher oft­mals unter dem Radar bleiben.

Es emp­fiehlt sich folg­lich die zwei­te Opti­on, nament­lich der Ver­such einer – gewiß wei­ter­hin auf schma­lem Grat ver­lau­fen­den – Syn­the­se samt zeit­ge­mä­ßer Wei­ter­ent­wick­lung bei­der Ven­ner-Ansprü­che: Eli­ten­bil­dung (intern) und quan­ti­ta­ti­ves Maxi­mal­wachs­tum (extern).

Bilan­ziert man die Stand­ort­be­stim­mung der Mosa­ik-Rech­ten im aus­ge­hen­den Jahr 2019, wer­den elf Eck­pfei­ler deutlich:

1. Der zeit­his­to­risch not­wen­dig gewor­de­ne For­mie­rungs­pro­zeß der Mosa­ik-Rech­ten seit 2015 folgt kei­ner linea­ren Ent­wick­lung, son­dern kennt neben Fort­schritt und Erfolg auch Rück­schlä­ge. Inter­ne Kon­flik­te sind kaum zu ver­mei­den. Dabei darf nie ver­ges­sen wer­den, daß jedes poli­ti­sche Mosa­ik »den Bezug auf ein allen Gemein­sa­mes, aus dem allein die Bin­de­kraft des Mosa­iks sich bil­den kann«, benö­tigt (Peter Jehle).

Die strö­mungs­über­grei­fen­de iden­ti­täts­stif­ten­de Klam­mer unse­res Mosa­iks ist das Bekennt­nis zum Eige­nen, die Akzep­tanz des Vor­rangs eines »Wir« und die Geg­ner­schaft zu indi­vi­dua­lis­ti­schen Ideo­lo­gien samt ihrer Praxisresultate.

2. Wer die­sen kleins­ten gemein­sa­men Nen­ner der Mosa­ik-Rech­ten annimmt, bestä­tigt zugleich, daß eine gegen­sei­ti­ge Aner­ken­nung als Schritt zur Poli­tik­fä­hig­keit von­nö­ten ist. Die­se Aner­ken­nung beinhal­tet, daß auf einen über­trie­be­nen (weil über­am­bi­tio­nier­ten) »Ver­ein­heit­li­chungs­an­spruch« (Hans-Jür­gen Urban) ver­zich­tet wird, obschon der Spa­gat gelin­gen muß, die Zen­tri­fu­gal- und damit Spal­tungs­kräf­te nicht frei obwal­ten zu lassen.

Ein »orga­ni­sie­ren­des und ori­en­tie­ren­des Zen­trum« (Wolf­gang Fritz Haug) der Mosa­ik-Struk­tur ist zwin­gend erfor­der­lich; nur darf es kei­ne kri­tik­re­sis­ten­te Schalt­stel­le sein.

3. Das Orga­ni­sa­ti­on ver­mit­teln­de und Ori­en­tie­rung spen­den­de Zen­trum kann im Zwei­fels­fall das Wachs­tum des Mosa­iks ein­schrän­ken. Nicht jeder Stein paßt ins Gefü­ge, nicht jede Far­be paßt ins Bild. Wenn die Kohä­si­on oder Bin­de­kraft des gesam­ten Auf­baus in Gefahr ist, kann die Tren­nung von einem Mosa­ik­stein unum­gäng­lich werden.

Es ist die Auf­ga­be des Zen­trum, Ver­mitt­lungs­schrit­te dort zu ent­wi­ckeln, wo es sinn­voll ist, und eine Tren­nung zu beschleu­ni­gen, wo es unver­meid­lich erscheint. Kraß abwei­chen­de Mei­nun­gen zum ein­gangs skiz­zier­ten kleins­ten gemein­sa­men Nen­ner sowie Lebens­bil­der, die Hedo­nis­mus und diver­se Ich-Ideo­lo­gien trans­por­tie­ren, gefähr­den den auf­ge­spann­ten Akti­vi­täts­rah­men und die müh­sam erkämpf­ten Handlungsfähigkeiten.

4. Die Mosa­ik-Rech­te wird immer als Nukle­us gedacht; wei­te­re Alli­an­zen ihrer Ein­zel­tei­le mit exter­nen Akteu­ren sind mög­lich, aber erge­ben sich nicht auto­ma­tisch, son­dern situa­tiv. Ein Bünd­nis der gesam­ten Mosa­ik-Struk­tur mit außen­ste­hen­den Akteu­ren, mit denen es eine the­ma­ti­sche Schnitt­men­ge geben mag, kann tem­po­rär oder ört­lich begrenzt nach einer Kos­ten-Nut­zen-Prü­fung erfol­gen, ohne daß zugleich deren jewei­li­ge Sze­ne­rie ins Mosa­ik inte­griert würde.

Jeder Autor, jeder Mul­ti­pli­ka­tor, jeder Akti­vist der Mosa­ik-Struk­tur trägt Ver­ant­wor­tung, der Ero­si­on des Gesamt­werks durch vor­ei­li­ge und kon­tra­pro­duk­ti­ve Alli­anz­ver­su­che kei­nen Vor­schub zu leisten.

5. Eine ent­schei­den­de Rol­le spie­len bei die­ser ste­ten Bildungs‑, Ver­mitt­lungs- und Sor­tie­rungs­ar­beit »inte­grie­ren­de Bewe­gungs­in­tel­lek­tu­el­le« (Hans-Jür­gen Urban). Sie müs­sen Ent­wick­lun­gen anti­zi­pie­ren, Debat­ten ansto­ßen und auf der Höhe der Zeit Auf­klä­rungs- und Theo­rie­ar­beit leisten.

Es ist davon aus­zu­ge­hen, daß Grup­pen, Ideen und Pro­jek­te kom­men und gehen, denn »gedul­di­ges und sys­te­ma­ti­sches Bestre­ben wird die unter­schied­lichs­te Gestalt anneh­men« (Ven­ner).

Die inte­grie­ren­den Bewe­gungs­in­tel­lek­tu­el­len wir­ken hier als Kitt und Kor­rek­to­ren zugleich; das bereits Erreich­te darf von den ein­zel­nen Bau­stei­nen nicht gefähr­det wer­den, ein Rück­schritt in die Zeit vor 2015 wäre Zeit- und Sub­stanz­ver­lust; doch der­lei kann sich das alter­na­ti­ve Lager nicht leisten.

6. Vor ihrer Neu­jus­tie­rung im Rah­men des Mosa­iks war die poli­ti­sche Rech­te der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land aus inter­nen wie exter­nen Grün­den iso­liert von rele­van­ten poli­ti­schen Pro­zes­sen. Die Mosa­ik­Rech­te des frü­hen 21. Jahr­hun­derts ist nun ange­sichts der Lage, die neue Reso­nanz­räu­me schuf, der ambi­tio­nier­te Ver­such, ein hand­lungs­fä­hi­ges, arbeits­tei­li­ges, welt­an­schau­lich pro­fi­lier­tes und authen­ti­sches Milieu aufzubauen.

Es ist, in den Wor­ten Ven­ners, »eine Arbeit des lan­gen Atems – ohne Glanz und Glo­ria, ohne Ruhm. Doch ein­zig und allein die­se Form des Akti­vis­mus ist wirk­sam«. Das gilt 2019ff. um so mehr.

7. Die Mosa­ik-Struk­tur ist weder ein rein theo­re­ti­sches Pro­jekt noch ein exklu­siv prak­ti­sches. Was zählt, ist der fort­wäh­ren­de Ver­such, Anstö­ße und Leh­ren aus der poli­ti­schen Pra­xis in die eige­ne Theo­rie zu inte­grie­ren und – im ste­ti­gen Wech­sel­spiel – der Pra­xis ein Fun­da­ment aus der poli­ti­schen Theo­rie zur Ver­fü­gung zu stellen.

Das schließt ein Wei­ter­ar­bei­ten an Begrif­fen und Inhal­ten, an Stra­te­gien und Tak­ti­ken eben­so ein wie die Akzep­tanz der Mög­lich­keit des Scheiterns.

8. Bei allen grund­sätz­li­chen Fra­gen nach der Mosa­ik-Rech­ten und ent­spre­chen­den Kor­rek­tu­ren an ihrer Gestalt wird dabei vor­aus­ge­setzt, daß eben­die­se Mosa­ik-Rech­te nicht am Reiß­brett plan­bar ist. Alle Über­le­gun­gen kön­nen und wer­den durch die Rea­li­tät – gewis­ser­ma­ßen: »orga­nisch« – modi­fi­ziert. Dies ist eine Konstante.

9. Die mosa­ik­rech­te Struk­tur (und damit auch die Kri­tik an ihren Unzu­läng­lich­kei­ten) ist ein Kind die­ser Zeit, das man arg­wöh­nisch beäu­gen darf. Doch ange­sichts der sozia­len und poli­ti­schen Zustän­de, die uns umge­ben, wäre das Ver­säu­men des Ver­suchs einer effek­ti­ven Mosa­ik-Rech­ten unter­las­se­ne Hil­fe­leis­tung und min­des­tens unver­ant­wort­lich. Es man­gelt bis dato an prak­ti­ka­blen Gegen­vor­schlä­gen; eine posi­ti­ve Kri­tik unse­rer Tage wur­de noch nicht verfaßt.

10. Haupt­pro­blem und größ­te Chan­ce zugleich ist einer ihrer Haupt­ak­teu­re: Die Mosa­ik-Rech­te ver­fügt mit der AfD näm­lich über einen über­gro­ßen Bau­stein, der in sich so hete­ro­gen ist, daß sich eine Gene­ral­li­nie noch nicht abge­zeich­net hat (was die Arbeit mit und an ihm inso­fern erschwert, als daß man noch kei­ne gemein­sa­me Spra­che spricht).

Par­la­men­ta­ri­sche Akteu­re müß­ten von nicht­par­la­men­ta­ri­schen Kräf­ten ler­nen, wie man arbei­tet, ohne per­ma­nent ein Getrie­be­ner der Geg­ner zu sein; wie man eine frucht­brin­gen­de Dia­lek­tik aus Sta­bi­li­tät (der eige­nen Per­so­nen und Struk­tu­ren) und Frei­heit (des eige­nen Tätig-Seins und der eige­nen Gestal­tungs­ho­heit) zustan­de bringt; wie man sich Ruhe­punk­te in Unru­he­si­tua­tio­nen aneig­net; wie man das Zusam­men­spiel aus Vor­feld, Umfeld und Par­tei zu einer Erfolgs­ge­schich­te ver­dich­ten kann.

11. Die ent­spre­chen­de grü­ne Durch­drin­gung der Gesell­schaft ist eben, um ein aktu­el­les Bei­spiel anzu­füh­ren, kein Tri­umph einer Bun­des­tags­frak­ti­on oder einer Viel­zahl von Land­tags­frak­tio­nen; die grü­ne Durch­drin­gung ist das Resul­tat einer arbeits­tei­li­gen Effek­ti­vi­tät im meta­po­li­ti­schen Feld.

Die­se Leh­re muß dem über­groß wer­den­den Bau­stein der Mosa­ik-Rech­ten ver­mit­telt wer­den, damit eine spä­te­re, all­fäl­li­ge Destruk­ti­on des außer­par­la­men­ta­ri­schen Netz­werks durch par­la­men­ta­ri­sche Akteu­re unmög­lich wird – von der FPÖ und ihrem kolos­sa­len Irr­weg ler­nen, hie­ße in die­sem Kon­text sie­gen ler­nen, oder zumin­dest: Feh­ler vermeiden.


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Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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