Wissenschaft und Statistik, “Zahlen und Figuren” (Novalis), damit mag vieles zu beschreiben sein, handhabbar werden und sich oberflächlich verdeutlicht finden, aber das Wesen des Geschehens wird davon nicht berührt, sondern sogar eher verschleiert.
Wenn täglich die vom Robert-Koch-Institut zu vermeldenden Infektionszahlen in den Morgennachrichten durchgegeben werden wie Wasserstände und Tauchtiefen oder wie Börsenwerte, so erläutert das vermeintliche Fakten, erhellt aber wenig. Nicht nur, weil keine Unterschiede zwischen Infizierung und Erkrankung gemacht werden, nicht nur, weil auf die Infizierten mit Symptomen offenbar noch ein Vielfaches an symptom- und beschwerdefreien Menschen kommt, sondern vor allem, weil damit diese „Seuche“, diese „Pandemie“ nicht erlebbarer, vorstellbarer, erfahrbarer wird.
Der in den „sozialen Medien“ kursierende Post, daß man von „Corona“ vermutlich gar nichts wüßte, würden Regierung und Medien nicht immerfort davon berichten, trifft tatsächlich die Situation der Mehrheit: Noch immer sind die Zahlen der Erkrankten – zum Glück – so gering, daß es unter uns folgerichtig nur wenige gibt, die einen Corona-Erkrankten kennen. Die „Pandemie“ ist mindestens hierzulande in der Breite kaum erfahrbar. Sie scheint – im Wortsinne – vor allem dahergeredet. Die Gesellschaft ist auf etwas fokussiert, was kaum sichtbar erscheint. Wie in Horrorfilmen haben wir also zu raunen: „Es ist irgendwo das draußen.“ Und wer dort nur niest, ist schon verdächtig.
Ja, wir haben von Bergamo gehört, von gestapelten Särgen, von weißen Zelten in New York, wir hören von Spanien und Frankreich und Österreich, wir hören und hören. Aber wir sehen hierzulande wenig bis nichts, und vor allem spüren wir selbst nichts. Dankbar dafür, ja, aber immer skeptischer werdend. Wir hören von beatmeten Menschen auf den Intensivstationen und atmen selbst auf, wenn es dann heißt, dort wäre wegen der vorausschauenden Politik der Regierung noch genügend Platz für uns, wenn wir mit Atemnot dort eingeliefert werden sollten; aber wir sind in übergroßer Mehrheit mit dieser „Pandemie“ mindestens medizinisch nicht konfrontiert, solange die Erkrankungsziffern eher im Promille- als Prozentbereich abbildbar sind. Gott und der Medizin sei dank, ja.
Um so mehr sind wir aber erlebbar betroffen von der Maßnahmepolitik der Regierung, die uns so wie noch nie nicht nur mit Verboten gängelt, sondern mit einer didaktischen Impertinenz zur seuchenmedizinischen Disziplin erziehen will, was allen Ängstlichen zwar notwendig, allen anderen aber so obrigkeitsstaatlich erscheint, wie es niemand je erwartet hätte. Auch hinsichtlich der „Einschränkungsmaßnahmen“ des mittlerweile permanenten Ausnahmezustandes sind es nicht zuerst die Zahlen, diesmal jene der geschlossenen und von der Pleite bedrohten Betriebe, die uns etwas erklären, sondern es ist die Art, wie verfahren wird: Weil wir euch schützen wollen, Kanaillen, habt ihr uns in allen exekutiven Befehlen zu folgen. Bei Gegenwehr fahren wir Wasserwerfer auf und bringen die Knüppelgarde zum Einsatz.
Verdientermaßen! Denn wer sich in diesen Zeiten unbotsam verhält, hören wir, ist verantwortungslos, unmoralisch, verschwörungstheoretisch infiziert, nicht nur unvernünftig, sondern gemeinschafts‑, staats- und demokratiefeindlich und vor allem ein schlimmer Gefährder seiner Mitmenschen. Wir sind eine solche Vormundschaftlichkeit nicht nur nicht gewohnt, wir sehen einfach ihre Notwendigkeit nicht. Die gutwillig Gestimmten verlangen eine klügere Handhabung der Hygiene und regen an, doch bitte differenzierter zu verfahren. Sie orientieren sich etwa an den Maßgaben des Virologen Hendrik Streeck und des Gesundheitswissenschaftlers Gerd Glaeske. Noch wird angeregt, noch wird erbeten, noch sind die Demonstrationen grundsätzlich friedlich. Es sind aber Spannungen zu spüren, die den Protest dynamisieren könnten. In Berlin, Leipzig, Chemnitz wurde es deutlich rauher. Aber auch die Satire läuft sich bissig warm.
Während die Verzagten sich der Schutz- und Trutzmaßnahmen freuen und mindestens den faulen Burgfrieden halten, fordern vitalere Naturen, es müsse endlich ein Ende haben mit diesem Konnex von regierungsgeiler Exekutivpolitik von oben und würdeloser Angst einer verzärtelten hypochondrischen Gesellschaft von unten. Zustimmung und Ablehnung gegenüber den „Maßnahmen“ des „Infektionsschutzgesetzes“ – Gruseliges Wort. – halten sich etwa die Waage, mit leichtem Übergewicht für die Loyalen. Derart beinahe hälftig gespaltene Gesellschaften sind politisch aber so fragil wie volatil. Das Hin und Her, so wie jetzt an den Schulen, steigert die Nervosität und Entzündlichkeit. Mag sein, dieses gesellschaftliche Nervenfieber erweist sich noch als die eigentliche Infektion. Den Leuten reicht die Wahrnehmung, daß bräsige Politiker über sie entscheiden, indem sie ihnen Lasten zumuten, die sie selbst überhaupt nicht mitzutragen haben.
Die meisten Kritiker leugnen weder Virus noch die mystifizierten Krankheitsziffern, meinen aber, man müsse damit kraft gesundem Menschenverstand einfach zu leben lernen, indem man sich und andere schütze, so weit das geht, ohne daß aber eine Garantie je möglich wäre; man müsse also endlich den Mumm aufbringen, mit der vermeintlichen „Seuche“ unverzagt zu leben, dabei auf sein Immunsystem und überhaupt gutes Geschick hoffen, aber vor allem die Geschäfte wieder aufnehmen, so wie es die Menschen im Gott- oder Schicksalsvertrauen immer taten, auch wenn die Tuberkulose, der Typhus oder alljährlich die Grippe kursierten. Es toben doch keine apokalyptischen Reiter durch das Land!
Die nach wie vor in Relation zu anderen Krankheiten und zu den Erkrankungsständen und Todesziffern geringen Fallzahlen der sogenannten Corona-Pandemie (Sterblichkeit nach Ioannidis global bei 0,24 %, bei unter Siebzigjährigen 0,04 %) werden nun zum Anlaß genommen, die Haushalte von Bund und Ländern auf Jahrzehnte zu überschulden. Der Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern etwa liest der Landesregierung daher die Leviten:
Für den MV-Schutzfonds soll eine Kreditaufnahme so lange ermöglicht werden, wie die Landesregierung dies für erforderlich hält und bis die Kreditlinie von insgesamt 2,85 Milliarden Euro gänzlich ausgeschöpft ist. Ein zeitlicher Bezug zur Corona-Pandemie ist damit nicht mehr herzustellen. Vielmehr wird ein umfassender Schattenhaushalt aufgestellt und mit Notlagenkrediten ausgestattet. Das erweckt den Eindruck, dass damit ein gesondertes Regierungsprogramm umgesetzt werden soll, welches ohne Kreditaufnahme nicht zu finanzieren wäre.”
Beklagt wird, “daß die Landesregierung Mittel aus dem Sondervermögen zu nicht eindeutig bestimmten Zwecken entnehmen und verausgaben darf. Das verletzt nicht nur die Grundsätze der Einzelveranschlagung und der sachlichen Bindung, sondern insbesondere das Budgetrecht des Parlaments.”
Die aufgenommenen Kredite sollen ab 2025 über 20 Jahre (!) zurückgezahlt werden. Der Landesrechnungshof: “Damit werden jährlich 142,5 Millionen Euro für die Schuldentilgung gebunden sein. Eine Tilgung in dieser Höhe wäre jedoch schon in den zurückliegenden 14 Jahren mit sehr guten Überschüssen ein Kraftakt gewesen. In dieser Zeit hat das Land rund 1,6 Milliarden Euro Schulden abgebaut. Nun wird in 20 Jahren ein rund 75 % höherer Betrag an Krediten zu tilgen sein.
Läßt man alles Abstrakte beiseite, all die Studien, Zahlen und Diagramme, so ist ganz unabhängig von Deutungen und Interpretationen schon jetzt klar, daß mit diesen Monaten der Angst, der Blockaden, der übergriffigen Erzieherei und Gängelei von oben das Ende der Berliner Republik, so wie wir sie bislang kennen, eingeleitet ist. Dafür braucht es keine Beweise, nur den Nachvollzug des Gedankens, daß so prinzipielle, so harte Eingriffe durch die Regierung von oben zwangsläufig gravierende Veränderungen der gesellschaftlichen Situation von unten zur Folge haben werden.
Diese Krise geht nicht einfach damit vorüber, daß alle Willigen durchgeimpft sind. Es kühlt sich die Erhitzung nicht plötzlich ab, um dann im Feuilleton und in Promotionsschriften sanft nachbereitet zu werden. Nein, bekommen erst alle wieder richtig Luft, beginnt das Aufarbeiten. Es wird sich die ganze Republik ändern. Kaum vorstellbar, daß sich die gerade erfolgenden Einschnitte später mit ein paar Enquete-Kommissionen kurieren lassen. Die Leute werden eine gründlichere Abrechnung fordern.
Gegenüber dem Mitte-Block der vermeintlich Wohlgesinnten und Anständigen gibt es nur eine einzige Oppositionspartei, die gleichzeitig die einzige „coronaskeptische“ Kraft darstellt. Sie wird von der „Mitte“ geschmäht, soll nach Maßgabe der selbsterklärten Vorbilddemokraten bespitzelt und verboten werden, wird aber gerade wegen ihrer Alleinstellungsmerkmale spürbar Wählerstimmen einfahren, wenn weiterhin eher die Zwangsnahmen als die Krankheit Land und Leute beschädigen. Noch gibt es keine Regierungskrise, aber es mag sein, daß wir bald von einer politischen Krise reden, ausgelöst von der Regierung.
Um ein Dilemma ist diese Regierung nicht zu beneiden: Sie wird rückblickend nicht beweisen können, ob ihre Maßnahmen angemessen waren. Sie wird nur weiter beschwören, der Horror wäre über uns gekommen wie in „The Walking Dead“, wenn sie, die gute und wohlmeinende Regierung, in Wahrnehmung ihrer Verantwortung nicht genau so gehandelt hätte, wie sie im Stil von “Whatever it takes!” gehandelt hat. Ganz ohne hier noch wissenschaftstheoretisch, also etwa mit Karl Raimund Poppers Falsifikationskriterium zu argumentieren: Es wird einfach der Vorwurf bestehen bleiben, die Regierung hätte die sogenannte Corona-Krise zur Ausweitung ihrer Bedürfnisse benutzt und im Verlaufe des Geschehens eigendynamisch und überengagiert forciert eine fatale Lust am Exekutieren entwickelt.
Im Gegensatz zu denen da oben bedürfen die da unten gar keines Beweises für ihr alltägliches, kulturelles und politisches Befinden. Ihr Empfinden wird von ihnen beweis- und diskursfrei und ganz unwissenschaftlich subjektiv so erlebt; sie scheren sich nicht um die „Objektivität“ und brauchen keine Komplexitäten durchdeklinieren. Das Volk erklärt der Regierung nichts, es lebt mit seinen Wahrnehmungen und positioniert sich nach eigenen Urteilen. Es wird aber lautstark Erklärungen von den Regierenden fordern; und es kann sein, daß die ein sehr bitteres Hohnlachen ernten, wenn sie ihre Narrative weiterspinnen, während überhaupt niemand mehr irgendwo wegen „Corona“ beatmet werden muß. Dann wird nämlich selbst das Leid vergessen sein, daß es irgendwo da draußen wohl gegeben hat.
Firmenchefs und deren Angestellte erleiden Einbußen und Pleiten ganz unmittelbar, ohne je an dem „neuartigen“ Corona-Virus erkrankt zu sein. In den Schulen wurden wochenlang eher Corona-Vorbeugungen eingeübt als Bildung vermittelt. Wer Sport treiben oder Spaß haben wollte, ist frustriert. Konkrete Anschaulichkeiten und Erfahrungen schlagen stets die wissenschaftlichen und politischen Abstraktionen, wie treffend diese auch sein mögen. Und das wird unausweichlich zu einer politischen Wende führen müssen. Was geschah, das werden die Leute „denen da oben“ nicht durchgehen lassen, nicht einmal dann, wenn deren rigorose Maßnahmen-Politik objektiv dringlich erforderlich gewesen sein mochte. Denn niemand wird das je sicher wissen, einerlei, wie viele Diagramme noch hochgehalten und was für Zahlen später resümierend und rechtfertigend präsentiert werden. Eines aber bleibt: Wir alle werden die Aufwendungen zu bezahlen haben. Das wird bitter.
Sobald die Angst weicht, wird sich Widerstand regen. Aber es besteht kein Grund zur Häme, weil es dann turbulent wird. Denn: Die Berliner Republik war im allgemeinen stabil. Sie wird es aber so wie gewohnt nicht mehr sein können, und genau dies sollte mehr Sorge auslösen als das „neuartige“ Virus, das irgendwo da draußen sein mag und bleiben wird. Zudem bleibt eine Haushaltsmathematik übrig, die offenbar werden läßt, auf welch verheerend staatsozialistische Weise öffentliche Mittel versenkt wurden. Es wird heißen: Ohne Not! Nur zur Profilierung der Regierenden und zur fragwürdigen Beruhigung der Regierten.
Die Anmaßung des vermeintlich generösen „Wir helfen euch! Wir lassen euch nicht im Stich!“ werden die Unternehmer und Selbständigen der Regierung eher übelnehmen als danken, weil doch klar ist, daß die Regierung ihre Hilfsmaßnahmen über Nachtragshaushalte und Sondervermögen eben genau von den Leuten bezahlen läßt, die von den Sondermaßnahmen hart getroffen wurden. Mit deren Steuergeldern nämlich. Es gibt nur ein „Wir“, und das ist jenes der Bürgerschaft bzw. des Volkes. Die Regierung bleibt ein „Ihr“. Das „Wir“ trägt Mundschutz und ist folgsam. Bislang noch.
Die Leute werden die „Alltagsmaske“ aber nicht irgendwann abnehmen und der Regierung erlöst applaudieren: „Gut gemacht, Bundesregierung!“ Im Gegenteil. Sie werden eine gründliche Revision des Jahres 2020 verlangen. Oder die gar selbst vornehmen wollen.
Gotlandfahrer
„Eine gründliche Revision verlangen“ – geht davon aus, dass der Zeitpunkt kommt, zu dem der Spuk beendet wurde. Aber von wem? Von den Durchregierenden? Da kommt ein Spuk nach dem anderen, seit Jahren. Um sich klar zu machen, von welchen Akteuren die westlichen Völker abhängig geworden sind hier 90 empfehlenswerte, ganz unesoterische Minuten, bei denen man vergisst, in die Popcornschale zu greifen:
https://www.youtube.com/watch?v=inM2MI6nnqY
„Sobald die Angst weicht, wird sich Widerstand regen.“ Ist es denn tatsächlich Angst, die ihn zurückhält? Ist es bei den meisten nicht eher die Frage: Wo ist vorne, wo ist hinten und warum sollte ich mich drauf festlegen, solange ich heute noch besser fahre, es zu tun wie „man“ es sagt?