Interessen – Souveränität – Identität

von Florian Sander
PDF der Druckfassung aus Sezession 93/Dezember 2019

Spe­zi­ell in der Außen­po­li­tik ist die Fra­ge, was denn nun eine kon­ser­va­ti­ve Posi­tio­nie­rung prä­zi­se aus­macht, schwer zu beant­wor­ten. Ins­be­son­de­re die ver­schie­de­nen »Schu­len« der US-ame­ri­ka­ni­schen, stets durch Zulie­fe­rungs­diens­te poli­tik­wis­sen­schaft­li­cher Denk­fa­bri­ken unter­füt­ter­ten Außen­po­li­tik zei­gen die­se Schwie­rig­kei­ten plas­tisch auf. So ver­läuft allein inner­halb der Repu­bli­ka­ni­schen Par­tei der USA seit lan­gem bereits ein tie­fer Gra­ben zwi­schen den soge­nann­ten klas­si­schen Rea­lis­ten einer­seits, die auf eine wenig ideo­lo­gisch gepräg­te Inter­es­sen­po­li­tik set­zen und sich vor die­sem Hin­ter­grund auch mit US-höri­gen Dik­ta­tu­ren arran­gie­ren, und den inter­ven­tio­nis­ti­schen Neo­kon­ser­va­ti­ven (»Neo­Cons«) ande­rer­seits, die den erst­ge­nann­ten bis­wei­len Iso­la­tio­nis­mus vor­wer­fen, unter Geor­ge W. Bush ihre Hoch­pha­se hat­ten und US-ame­ri­ka­ni­sche Groß­macht­an­sprü­che mit mili­tan­tem Regime-Chan­ge-Libe­ra­lis­mus kop­peln – im Sin­ne einer ange­streb­ten Wech­sel­wir­kung aus Demo­kra­tie­ver­brei­tung, frei­er Markt­wirt­schaft und US-Hege­mo­nie im glo­ba­len Maßstab.

Noch kom­ple­xer wird es inner­halb des deut­schen Kon­ser­va­tis­mus, ins­be­son­de­re inner­halb der kon­ser­va­ti­ven Samm­lungs­par­tei AfD, die nicht nur wirt­schafts- und sozi­al­po­li­tisch, son­dern eben auch außen­po­li­tisch ein zutiefst hete­ro­ge­nes Spek­trum in sich ver­eint, wel­ches bei den Alt­par­tei­en zuwei­len von Links­par­tei bis FDP reicht. Die ent­schei­den­de Trenn­li­nie ver­läuft zwi­schen NATO-freund­li­chen »Real­po­li­ti­kern« einer­seits und einer eher »natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­ren« Stoß­rich­tung ande­rer­seits, die man,
in lin­ker Ter­mi­no­lo­gie aus­ge­drückt, als »anti­im­pe­ria­lis­tisch« oder, ideo­lo­gie­frei­er, als »ost­ori­en­tiert« beschrei­ben könnte.
Im fol­gen­den soll für die letz­te­re Per­spek­ti­ve Stel­lung bezo­gen werden.

Das Posi­ti­ve zuerst: Auch die real­po­li­ti­sche Per­spek­ti­ve, die vie­le klas­si­sche Kon­ser­va­ti­ve, grosso modo von Bis­marck inspi­riert, ver­fol­gen, hebt sich ange­nehm vom mili­tant-mora­lis­ti­schen Neo­Con-Libe­ra­lis­mus ab, der die »trans­at­lan­ti­sche Part­ner­schaft« – die frei­lich kei­ne Part­ner­schaft, son­dern ein hege­mo­nia­les Abhän­gig­keits­ver­hält­nis abbil­det – pri­mär aus einem west­li­chen Block­den­ken her­aus favo­ri­siert; gele­gent­lich wird dies for­ciert aus einem Zustand der unsou­ve­rä­nen Unter­wür­fig­keit her­aus, manch­mal auch der Nai­vi­tät. Bis­marck­sche Rea­lis­ten sind in ihrem Den­ken und ihrer Her­an­ge­hens­wei­se zumeist »küh­ler«: Sie betrach­ten das trans­at­lan­ti­sche Ver­hält­nis, im spe­zi­el­len die NATO-Mit­glied­schaft Deutsch­lands, eher als außen- und sicher­heits­po­li­ti­schen Hand­lungs­rah­men zur Ver­wirk­li­chung deut­scher Inter­es­sen. Und doch: Auch die­se Hal­tung scheint auf einer Fehl­ein­schät­zung zu basieren.

Das bana­le »Nar­ra­tiv«, die NATO »ver­tei­di­ge Euro­pa«, gras­siert in kon­ser­va­ti­ven Krei­sen noch immer wie eine gleich­sam mit­lau­fen­de Selbst­ver­ständ­lich­keit. Die USA sind dem­nach nie nur die USA, son­dern stets »unse­re ame­ri­ka­ni­schen Freun­de«. Wer die inter­na­tio­na­len Bezie­hun­gen einem rea­lis­ti­schen Blick unter­zieht, weiß jedoch, daß es in die­sen kei­ne »Freun­de« gibt, son­dern: Interessen.
Die Super­macht USA betreibt spä­tes­tens seit Beginn der zwei­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts glo­ba­le Geo­po­li­tik – die Bun­des­re­pu­blik dien­te in die­sem Rah­men wäh­rend des Kal­ten Krie­ges als ihr öko­no­misch und mili­tä­risch eng ver­zahn­ter Vor­pos­ten, der aber im Atom­kriegs­fall das ers­te Gebiet gewe­sen wäre, das sich in eine radio­ak­ti­ve Wüs­te ver­wan­delt hät­te. Und in die­sem Kon­text ist auch die NATO zu kri­ti­sie­ren: Selbst­ver­ständ­lich dien­te und dient die­se nie­mals pri­mär dem »Schutz Euro­pas«, son­dern der mili­tä­ri­schen Flan­kie­rung der glo­ba­len poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Inter­es­sen­po­li­tik der USA, wel­che sich bei der NATO-Füh­rung nie­mals das Zep­ter aus der Hand neh­men las­sen wür­den – auch wenn die Bun­des­re­pu­blik oder ande­re Mit­glieds­staa­ten, wie dann und wann unter eini­ger media­ler Auf­merk­sam­keit gefor­dert, noch so sehr ihren Rüs­tungs­etat erhöhen.

Über Ein­fluß in der NATO ver­fügt, wer mög­lichst vie­le logis­ti­sche, tech­ni­sche und mensch­li­che Res­sour­cen für »west­li­che«, d.h. US-ame­ri­ka­nisch inten­dier­te Inter­ven­ti­ons­krie­ge her­gibt: Am Ende redu­ziert es sich stets auf US-Inter­es­sen­po­li­tik. Auch das deutsch-rus­si­sche Ver­hält­nis, zu dem die AfD eine kla­re – und begrü­ßens­wer­te – Posi­tio­nie­rung hat, hat in den letz­ten Jah­ren dank der Ein­mi­schung der »ame­ri­ka­ni­schen Freun­de« sowie der min­des­tens umstrit­te­nen Ost­erwei­te­rung und der Prä­senz der
NATO an Orten, an denen sie als Bedro­hung wahr­ge­nom­men wird, gelitten.
Dem Schutz deut­scher Inter­es­sen dien­te dies nicht für eine Sekun­de – im Gegen­teil. Die NATO und der US-Ein­fluß haben in den letz­ten Jah­ren ste­tig dazu bei­getra­gen, die Kriegs­ge­fahr in Euro­pa wie­der zu erhöhen.

Wer ange­sichts die­ser Umstän­de äußert, Euro­pa wer­de durch die NATO geschützt, macht sich zum Die­ner US-ame­ri­ka­ni­scher, nicht aber deut­scher Inter­es­sen, und ver­folgt damit eine Hal­tung, die Uni­on und FDP sowie seit dem Tod Kurt Schu­ma­chers auch die SPD seit jeher ver­tre­ten haben und die Grü­nen sowie wei­te Tei­le der kos­mo­po­li­tisch gewen­de­ten Links­par­tei mitt­ler­wei­le vertreten.
Für die­se kon­sens­ba­sier­te »deut­sche Außen­po­li­tik« im deut­schen Par­tei­en­spek­trum bräuch­te es ganz offen­sicht­lich kei­ne AfD.
Sicher­heits­po­li­ti­sche Prag­ma­ti­ker kon­tern an die­ser Stel­le mit der Fra­ge, wel­ches Mili­tär­bünd­nis denn sonst den Schutz Deutsch­lands gewähr­leis­ten sol­le. Ein sol­ches Argu­ment läuft jedoch auf eine Hal­tung hin­aus, die dem phan­ta­sie­lo­sen Mer­kel-Para­dig­ma der Alter­na­tiv­lo­sig­keit des Bestehen­den ent­spricht: Mög­lich ist das, was es bereits gibt; alles darüber
Hin­aus­ge­hen­de sei nicht denkbar.
Eine sol­che Hal­tung jedoch hät­te wenig mit dem visio­nä­ren Anspruch zu tun, den die AfD in ande­ren Poli­tik­fel­dern durch­aus mutig zu ver­fol­gen imstan­de ist: War­um eigent­lich nicht eine ganz neue Sicher­heits­ar­chi­tek­tur schaf­fen wol­len? Was hindert
eine jun­ge, im posi­ti­ven Sin­ne grund­sätz­lich den­ken­de Oppo­si­ti­ons­par­tei dar­an, die Din­ge ein­mal ganz neu zu begrei­fen? Was hin­dert sie dar­an, sich für ein eige­nes euro­päi­sches Mili­tär­bünd­nis ein­zu­set­zen, das sowohl ohne US-ame­ri­ka­ni­sche Groß­macht­po­li­tik als auch ohne über­grif­fi­gen EU-Super­staat auskommt?

Für so man­chen deut­schen Kon­ser­va­ti­ven ist es durch­aus ver­lo­ckend, in Zei­ten eines US-Prä­si­den­ten Donald Trump wie­der zum »Trans­at­lan­ti­ker« zu wer­den und sich für eine star­ke welt­po­li­ti­sche Rol­le der USA ein­zu­set­zen. Schein­bar hat man ja mit »dem Isla­mis­mus« auch den­sel­ben Geg­ner, der – ganz im Sin­ne Samu­el P. Hun­ting­tons, also des Man­nes, der sei­ner­zeit den »Kampf der Kul­tu­ren« pro­phe­zeit hat­te – der »west­li­chen Kul­tur« entgegensteht.
Aus die­ser Sicht­wei­se sind Deut­sche und Ame­ri­ka­ner dann gewis­ser­ma­ßen »im sel­ben Ver­ein«, auch wenn sie viel­leicht unter­schied­li­che Metho­den bevor­zu­gen, mit dem Geg­ner umzugehen.

Nun steht die­se unter­kom­ple­xe Sicht­wei­se – »west­li­che Welt ver­sus Islam« – dem Grund­ge­dan­ken der natio­na­len Sou­ve­rä­ni­tät und des Selbst­be­stim­mungs­rechts der Völ­ker, wie ihn die AfD ver­tritt und wie ihn auch ande­re euro­päi­sche Rechts­par­tei­en ver­tre­ten, grund­le­gend ent­ge­gen. Die US-Groß­macht­po­li­tik, die, wenn auch in unter­schied­li­chen Akzen­tu­ie­run­gen, sowohl bei Repu­bli­ka­nern als auch bei Demo­kra­ten ein fes­tes regie­rungs­po­li­ti­sches Grund­prin­zip dar­stellt, ist der natür­li­che Geg­ner einer jeden natio­na­len Sou­ve­rä­ni­tät und eines jeden Selbst­be­stim­mungs­rechts der Völ­ker. Viel­mehr geht es die­ser um die Aus­brei­tung der US-ame­ri­ka­ni­schen (im Neu­sprech: »west­li­chen«) Einflußsphäre.

Unum­stöß­li­che Tat­sa­che ist: Ohne die dor­ti­ge US-Inter­ven­ti­on ab dem Jah­re 2003 hät­te es eine Desta­bi­li­sie­rung des Irak, aus der her­aus sich der Isla­mi­sche Staat (IS) ent­wi­ckelt hat, so nicht gege­ben. Die aus­ge­dehn­ten pseu­do­staat­li­chen Struk­tu­ren des IS rekru­tier­ten sich in wei­ten Tei­len aus arbeits­los gewor­de­nen Funk­tio­nä­ren und Beam­ten der zer­schla­ge­nen ira­ki­schen Baath-Par­tei Sad­dam Hus­s­eins; der Unmut, der zur flä­chen­de­cken­den Radi­ka­li­sie­rung von sun­ni­ti­schen Ira­kern führ­te, ergab sich aus
dem Irak­krieg der USA ab 2003, dem neu­en insta­bi­len und noto­risch kor­rup­ten Macht­kon­strukt sowie des­sen kata­stro­pha­len Folgen.

Ähn­lich in Syri­en: Ohne US-ame­ri­ka­ni­sche Unter­stüt­zung der dor­ti­gen (mehr­heit­lich sun­ni­tisch-isla­mis­tisch oder neo­fun­da­men­ta­lis­tisch gesinn­ten) Rebel­len ab dem »Ara­bi­schen Früh­ling« 2011 gegen den legi­ti­men Prä­si­den­ten des sou­ve­rä­nen Natio­nal­staats Syri­en, Baschar al-Assad, wäre der dor­ti­ge Bür­ger­krieg nicht in die­ser Dimen­si­on aus­ge­ar­tet. Die
aktu­el­len Bei­spie­le lie­ßen sich fort­füh­ren. Die deut­schen Rüs­tungs­lie­fe­run­gen an de fac­to isla­mis­ti­sche Regimes wie Sau­di-Ara­bi­en wir­ken dabei wie Öl im Feu­er und soll­ten von der AfD poli­tisch scharf ver­ur­teilt werden.
Deut­lich wird hier­bei, wie rele­vant die hier the­ma­ti­sier­ten Fra­gen letzt­lich auch für die Kern­po­si­tio­nen der AfD sind: Denkt man die ein­ge­tre­te­nen Fol­gen allein der oben beschrie­be­nen Ent­wick­lun­gen logisch wei­ter, so wird eben auch deut­lich, daß die USA im Zuge ihrer Desta­bi­li­sie­rungs­po­li­tik eine mas­si­ve Mit­ver­ant­wor­tung nicht nur für die Stär­kung des isla­mis­ti­schen Ter­ro­ris­mus, son­dern auch für ein­ge­tre­te­ne Flücht­lings­wel­len tra­gen – also direkt und indi­rekt mit­ver­ant­wort­lich sind für Ent­wick­lun­gen, die die AfD doch vor­geb­lich bekämp­fen will. 

Daß der­lei Ent­wick­lun­gen, die durch die unheil­vol­le Insti­tu­ti­on des trans­at­lan­ti­schen Bünd­nis­ses bestärkt und for­ciert wer­den, deut­schen Inter­es­sen dien­lich sind, mag bezwei­felt werden.
Es besteht ein grund­le­gen­der Unter­schied zwi­schen »west­li­chem Block­den­ken« einer­seits, wel­ches in den US-ame­ri­ka­ni­schen Par­tei­en sowie in den bür­ger­li­chen Par­tei­en der Bun­des­re­pu­blik und bei SPD und Grü­nen ver­folgt wird, und dem – urkon­ser­va­ti­ven – Ziel der Bewah­rung natio­na­ler Sou­ve­rä­ni­tät und des Selbst­be­stim­mungs­rechts der Völ­ker andererseits.

Auch wenn man manch­mal – situa­tiv, tem­po­rär – den­sel­ben Geg­ner zu haben scheint (Stich­wort »Isla­mis­mus«), so ist doch die welt­an­schau­li­che Ursa­che für die­se Geg­ner­schaft eine grund­le­gend ande­re, eben­so wie der Umgang damit ein ande­rer ist.
Die­se Erkennt­nis muß auch mit einer gründ­li­chen Neu­be­wer­tung der deut­schen Nah­ost­po­li­tik ein­her­ge­hen: Eine ein­sei­ti­ge Bevor­zu­gung Isra­els (im Sin­ne einer mora­lisch-his­to­risch her­ge­lei­te­ten bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen »Staats­rä­son«, wie sie bis­lang die deut­sche Nah­ost­po­li­tik prägt) ist aus der hier skiz­zier­ten Per­spek­ti­ve her­aus nicht wei­ter akzeptabel.

Es gilt das Pri­mat des Selbst­be­stim­mungs­rechts der Völ­ker, und das bedeu­tet: Das paläs­ti­nen­si­sche Volk hat das Recht auf einen eige­nen, sou­ve­rä­nen Staat Paläs­ti­na. Im Rah­men deut­scher Außen­po­li­tik gilt es aus die­ser Sicht, auch der regio­na­len, hyper­mo­ra­lisch umman­tel­ten Hege­mo­ni­al­po­li­tik Isra­els im Nahen und Mitt­le­ren Osten ent­ge­gen­zu­wir­ken. Die AfD wird sich ent­schei­den müs­sen, was sie dar­stel­len will: Ein will­fäh­ri­ges deut­sches NATO-Anhäng­sel der Super­macht USA, die welt­weit Krie­ge führt, (in Nah­ost mit Unter­stüt­zung Isra­els) Welt­re­gio­nen desta­bi­li­siert und Glo­ba­li­sie­rung, Tur­bo­ka­pi­ta­lis­mus, freie Migra­ti­on und offe­ne Gren­zen for­ciert – oder eine (eben sowohl inner­halb Euro­pas als auch gegen­über den USA) sou­ve­rä­ne deut­sche Nati­on und ein selbst­be­stimm­tes deut­sches Volk, das in Frie­den mit ande­ren Völ­kern lebt und sich
nicht an Kriegs­ein­sät­zen betei­ligt, die nur den geo­stra­te­gi­schen und öko­no­mi­schen Inter­es­sen ande­rer Staa­ten dienen.

All dies gilt um so mehr, da wirk­lich tief­grün­di­ge außen­po­li­ti­sche Erör­te­run­gen nicht los­ge­löst von gesell­schafts­po­li­ti­schen Ent­wick­lun­gen erfol­gen kön­nen. Genau dies unter­schei­det den ganz­heit­li­chen natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­ren Ansatz vom prag­ma­tisch-real­po­li­ti­schen: Ers­te­rer sieht die Fel­der des Poli­ti­schen in ihren Inter­de­pen­den­zen und Wech­sel­wir­kun­gen und nicht als ein­zel­ne, von­ein­an­der ent­kop­pel­te Bau­stel­len poli­ti­schen Han­delns. Kon­kret bedeu­tet das an die­ser Stel­le vor allem eine sozio­lo­gi­sche Erkennt­nis, für die im real­po­li­ti­schen Den­ken kein Platz ist: Es geht nicht nur um Sou­ve­rä­ni­tät und Inter­es­sen – es geht auch (und vor allem) um Identität.

Ins­be­son­de­re Hen­ning Eich­berg hat sich um das Ver­hält­nis von Iden­ti­tät und Ent­frem­dung im Rah­men sei­ner poli­ti­schen und wis­sen­schaft­li­chen Publi­ka­tio­nen ver­dient gemacht. Im Zuge einer ideen­ge­schicht­lich span­nen­den Frucht­bar­ma­chung der Kul­tur­kri­tik der 68er Stu­den­ten­be­we­gung, die u. a. auf den ent­spre­chen­den Dia­gno­sen Ador­nos und Hork­hei­mers fuß­te, und einer Ver­bin­dung der­sel­ben mit dem sozi­al- und natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­ren Ansatz, hat er kol­lek­ti­ve Ent­frem­dungs­pro­zes­se ver­schie­dens­ter Art auf­ge­zeigt, die alle­samt in einem engen Kau­sal­zu­sam­men­hang zum sich glo­ba­li­sie­ren­den Kapi­ta­lis­mus ste­hen, der kol­lek­ti­ve Iden­ti­tä­ten und Gemein­schaft­lich­keit ato­mi­siert und Gesell­schaf­ten indi­vi­dua­li­siert, ihnen dadurch Zusam­men­halt und Soli­da­ri­tät raubt. 

Die USA als glo­ba­le Füh­rungs­macht des Spät­ka­pi­ta­lis­mus spiel(t)en hier­bei eine Schlüs­sel­rol­le, spe­zi­ell für Deutsch­land auch mit Blick auf Umer­zie­hung (»Ree­du­ca­ti­on«) und mili­tä­ri­sche Besatzung.
Die deut­sche Iden­ti­täts­ver­ges­sen­heit ist eben nicht so sehr das Pro­dukt »der« 68er – deren har­ter Kern um Per­so­nen wie Rudi Dutsch­ke und Bernd Rabehl durch­aus auch patrio­tisch gesinn­te Per­so­nen umfaß­te –, son­dern eher die Fol­ge libe­ra­ler Ent­po­li­ti­sie­rung (Carl Schmitt) und Indi­vi­dua­li­sie­rung, die ohne die US-ame­ri­ka­ni­sche Rol­le in der bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Geschich­te so nicht denk­bar gewe­sen wären. Was wir heu­te erle­ben und bekla­gen – EU-Super­staat, Grenz­öff­nung, Poli­ti­cal Cor­rect­ness, »sanf­ter« neo- und links­li­be­ra­ler Tota­li­ta­ris­mus – ist letzt­lich das ver­stie­ge­ne Resul­tat ent­hemm­ter »west­li­cher Wer­te«. Das eine folgt aus dem ande­ren. Bei­des von­ein­an­der los­ge­löst zu betrach­ten hie­ße, entscheidende
gesell­schaft­li­che Kau­sal­ket­ten auszublenden.

Will die AfD zur gesamt­deut­schen (!) Volks­par­tei wer­den, so muß sie über­dies ein Lebens­ge­fühl trans­por­tie­ren. Es wird nicht aus­rei­chen, sich auf die Rol­le eines par­la­men­ta­ri­schen »Kor­rek­tivs« zu den Alt­par­tei­en oder auch auf eine Rol­le als fun­da­men­tal-oppo­si­tio­nel­le, aber pro­gram­ma­tisch und per­so­nell hete­ro­ge­ne Pro­test­par­tei zu beschrän­ken. Nötig wird es sein, ein kon­sis­ten­tes, in sich logi­sches, d.h. aus aus­ein­an­der ableit­ba­ren The­sen und Model­len bestehen­des Welt­bild zu ver­tre­ten und zu kom­mu­ni­zie­ren, das – im posi­ti­ven Sin­ne des Wor­tes – ideo­lo­gie­taug­lich ist und des­sen Grund­the­sen sich in ver­schie­dens­ten Poli­tik­fel­dern wie­der­fin­den las­sen und beim poli­ti­schen Rezi­pi­en­ten Aha-Momen­te aus­lö­sen, indem sie die Logik ihrer Her­lei­tung erkenn­bar wer­den lassen.

Ein zen­tra­les Feld, in dem sich eine sol­che welt­an­schau­li­che Kon­se­quenz drin­gend stär­ker nie­der­schla­gen muß, ist die Außen­po­li­tik. Die – rich­ti­ge – real­po­li­ti­sche Ein­sicht, daß Staa­ten (und damit auch Natio­nen und Völ­ker) Inter­es­sen haben und sou­ve­rän sein müs­sen, um die­se selbst­be­stimmt ver­fol­gen zu kön­nen, muß ergänzt wer­den um die sozio­lo­gi­sche Erkennt­nis, daß genau dadurch – und nur dadurch – auch das Fort­be­stehen bzw. die Wie­der­kehr ihrer kol­lek­ti­ven, natio­na­len Iden­ti­tät gewähr­leis­tet wer­den kann. Es gibt das eine nicht ohne das ande­re. Wer eine Rück­kehr deut­scher Iden­ti­tät will, wer ein Ende der Ent­frem­dung, eine »Selbst­be­freun­dung« (Björn Höcke) der Deut­schen will, der muß sich vom west­li­chen Block­den­ken ver­ab­schie­den – und damit auch von jenen Insti­tu­tio­nen und Ideo­lo­gie­bau­stei­nen, die die­ses poli­tisch und mili­tä­risch tragen.

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