Ökologische Betrachtungen (2) – Mogelpackung Elektroauto

PDF der Druckfassung aus Sezession 93/Dezember 2019

Zwei Kenn­da­ten machen den Erfolg oder Miß­er­folg – je nach­dem, wie man es wen­det – der deut­schen Ener­gie­wen­de sicht­bar: Das ist zum einen der Anteil der erneu­er­ba­ren Ener­gien am Brut­to­strom­ver­brauch (bezeich­net die gesam­te Strom­men­ge, die hier­zu­lan­de ver­braucht wird; auch Trans­port­ver­lus­te) im Jahr 2018, der bei 37,8 Pro­zent lag, und zum ande­ren der Anteil der erneu­er­ba­ren Ener­gien am Pri­mär­ener­gie­ver­brauch (Sum­me aller im Inland gewon­ne­nen Ener­gie­trä­ger zuzüg­lich des Sal­dos der importierten/ expor­tier­ten Men­gen sowie der Bestands­ver­än­de­run­gen abzüg­lich der auf Hoch­see gebun­ker­ten Vor­rä­te) im Jahr 2018 von 13,8 Prozent.

Die­se not­wen­di­gen Erklä­run­gen samt Ein­schü­ben ver­deut­li­chen, daß die Ener­gie­wen­de zuvor­derst eine Strom­wen­de ist. Der Ver­kehr- und Wär­me­sek­tor blie­ben bis­her wei­test­ge­hend unbe­rührt vom sub­ven­tio­nier­ten Vor­marsch der Erneu­er­ba­ren. Daher liegt der Erneu­er­ba­ren­an­teil am Brut­to­strom­ver­brauch rela­tiv hoch, aber ran­giert beim Pri­mär­ener­gie­ver­brauch auf ver­gleichs­wei­se mar­gi­na­lem Niveau.

Das soll sich nun ändern; spe­zi­ell im Ver­kehrs­sek­tor for­ciert man staat­li­cher­seits seit gerau­mer Zeit Tech­no­lo­gien, die eine voll­stän­di­ge Umset­zung der Ener­gie­wen­de rea­li­sie­ren sol­len. Der Trä­ger der »Wen­de«, auf den gesetzt wird, ist die Elektromobilität.

Letzt­lich bedeu­tet ein Gelin­gen die­ses Vor­ha­bens eine Inte­gra­ti­on des Ver­kehrs­sek­tors in die Strom­wen­de, inso­fern als der Sekun­där­ener­gie­trä­ger »Ben­zin« durch die End­ener­gie »Elek­tri­zi­tät« sub­sti­tu­iert wird. Ver­mark­tet wird die­ser öko­no­mi­sche und infra­struk­tu­rel­le Kraft­akt als eine Lösung für die öko­lo­gi­schen Pro­blem­stel­lun­gen, die mit dem Fort­be­we­gungs­mit­tel »Auto« ver­knüpft sind.

Ins­be­son­de­re die Emis­si­ons­bi­lanz der Stro­mer soll bes­ser als die der Ver­bren­ner aus­fal­len. Die »Kli­ma­freund­lich­keit« einer Tech­no­lo­gie ist in Zei­ten der »Kli­ma­not­stän­de« das zen­tra­le Cha­rak­te­ris­ti­kum ihrer Wer­tig­keit. Gleich­wohl sind die öko­lo­gi­schen Aus­wir­kun­gen des Auto­mo­bils in zwei Kate­go­rien auf­zu­tren­nen: sei­ne Emis­sio­nen auf der einen sowie sein Res­sour­cen­ver­brauch und die dar­an gekop­pel­ten Umwelt­fol­gen (Abraum, Was­ser­ver­schmut­zung etc.) auf der ande­ren Seite.

Wir haben es hier­bei mit rezi­pro­ken Grö­ßen zu tun– je nach Men­ge und ver­wen­de­ter Res­sour­ce stei­gen oder sin­ken die Emis­sio­nen, die bei der Her­stel­lung, Betrieb und Ent­sor­gung /Wiederverwertung eines Fahr­zeugs ent­ste­hen. Das grund­sätz­li­che öko­lo­gi­sche Defi­zit moder­ner Mobi­li­tät wird am Leer­ge­wicht deut­lich: Wog der VW Golf 1 (Bau­jahr 1974–1983) zwi­schen 750 und 805 Kilo­gramm, so bewegt sich das Gewicht der aktu­el­len Bau­rei­he, Golf 7, je nach Aus­stat­tung im Rah­men von 1200 bis 1600 Kilo­gramm. Zuge­spitzt: Kom­fort wiegt.

Ver­gleicht man die mate­ri­al­in­ten­sivs­ten Ver­sio­nen der jewei­li­gen Bau­rei­hen, ist eine Ver­dopp­lung des Leer­ge­wichts und damit ein erheb­li­cher Anstieg des Res­sour­cen­be­darfs zu kon­sta­tie­ren. Der leis­tungs­stärks­te VW ID.3, ein Elek­tro­nach­fol­ger des Golfs, der mit einer akzep­ta­blen Reich­wei­te von 550 Kilo­me­ter auf dem Papier auf­war­ten kann, wiegt mit 1900 Kilo­gramm noch ein­mal wesent­lich mehr.

Die Gewichts­zu­nah­me ist unter ande­rem auf die gro­ße ver­bau­te Bat­te­rie (500 Kilo­gramm) zurück­zu­füh­ren, die für die Reich­wei­te uner­läß­lich ist. Dem­zu­fol­ge ver­zehrt die Her­stel­lung von Elek­tro­au­tos unter der­zei­ti­gen Gesichts­punk­ten noch mehr Res­sour­cen als die ver­gleich­ba­ren Kraft­wa­gen auf Verbrennungsmotorenbasis.

Es fin­det indes nicht ledig­lich eine rei­ne Stei­ge­rung des Gewichts statt, son­dern auch ein Wech­sel der ver­wen­de­ten Mate­ria­li­en. Elek­tro­au­tos benö­ti­gen im Gegen­satz zu ihren ver­bren­nen­den Vor­gän­gern hohe Men­gen an Lithi­um, Kobalt, Nickel, Sel­te­ne Erden und Kupfer.

Sowohl die Lithi­um-Ionen-Akkus als auch die für die Elek­tro­mo­to­ren not­wen­di­gen Per­ma­nent­ma­gne­te kön­nen ohne die­se Roh­stof­fe nicht pro­du­ziert wer­den. Der ernüch­tern­de Befund: Sie sind als kri­tisch ein­zu­stu­fen, wie eine im Juli die­ses Jah­res ver­öf­fent­lich­te Mate­ri­al­stu­die der Lan­des­agen­tur für neue Mobi­li­täts­lö­sun­gen und Auto­mo­ti­ve Baden-Würt­tem­berg (»Inno­va­ti­ons­agen­tur und Kom­pe­tenz­stel­le des Lan­des Baden­Würt­tem­berg«) wie­der ein­mal unter Beweis stellte.

Bezüg­lich des essen­ti­el­len Roh­stoffs Kobalt kam die Stu­die bei­spiel­wei­se zu der Ein­schät­zung, daß die sta­ti­sche Reich­wei­te (die Zeit­span­ne, für die bei aktu­el­lem Ver­brauch die­welt­weit bekann­ten und wirt­schaft­lich för­der­ba­ren Vor­kom­men eines nicht-erneu­er­ba­ren Roh­stoffs noch rei­chen wer­den) sei­ner Res­sour­cen ledig­lich 170 Jah­re betrage.

Zeit­gleich wird die tech­ni­sche Fol­gen­schwe­re eines Ver­sie­gens der Kobalt-Vor­kom­men als enorm hoch ein­ge­stuft. Kon­trär zu dem von grü­ner Sei­te kol­por­tier­ten Bild, daß qua Elek­tro­mo­bi­li­tät eine Lösung der mit Öl ver­bun­de­nen Knapp­heits­pro­ble­ma­tik gefun­den sei, wird statt des­sen die Sub­sti­tu­ti­on eines knap­pen Roh­stoffs mit einem ande­ren knap­pen Roh­stoff vollzogen.

Dar­über hin­aus stellt sich kein aut­ar­ker Zustand der Pro­duk­ti­on und des Ver­brauchs von Ener­gie durch »grü­ne« Tech­no­lo­gie ein, son­dern die Abhän­gig­keits­ver­hält­nis­se ver­schie­ben sich – im Fall Kobalt im übri­gen hin zur Demo­kra­ti­schen Repu­blik Kongo.

Fer­ner geht mit dem Kobalt­ab­bau im Kon­go eine signi­fi­kan­te Rodung des Regen­wal­des ein­her, wel­che die Bio­di­ver­si­tät ekla­tant ver­rin­gert und die Lebens­grund­la­ge der Ein­hei­mi­schen gefähr­det. Außer­dem wer­den die loka­len Gewäs­ser durch Berg­bau­ab­wäs­ser verunreinigt.

Die nega­ti­ven Umwelt­aus­wir­kun­gen der För­de­rung betref­fen jedoch nicht nur das Kobalt: Kei­ner der auf­ge­führ­ten Roh­stof­fe kann in öko­lo­gisch unbe­denk­li­cher Wei­se geför­dert wer­den. Der­weil müs­sen bei der Ver­ar­bei­tung der Roh­stof­fe und der Pro­duk­ti­on der Bat­te­rie erheb­li­che Men­gen an Pri­mär­ener­gie auf­ge­wen­det werden.

Das führt dazu, daß Elek­tro­au­tos im Ver­gleich zu Ben­zi­nern mit einem gro­ßen »Treib­haus­gas-Ruck­sack« ihr Pro­dukt­le­ben begin­nen und auf­grund des deut­schen Strom­mi­xes mit rela­tiv hohem Koh­lestrom­an­teil die­se »Geburts­last« erst nach Tau­sen­den Kilo­me­tern abge­ar­bei­tet haben.

Eine vom ADAC in Auf­trag gege­be­ne und Ende Okto­ber ver­öf­fent­lich­te Lebens­zy­klus-Ana­ly­se kam dies­be­züg­lich zu fol­gen­dem Ergebnis:

Das Elek­tro­au­to kann sei­ne Vor­tei­le im Ver­gleich zu Ben­zin und Die­sel erst nach ca. 127.500 Kilo­me­ter oder 8,5 Betriebs­jah­ren [Ben­zin] bzw. ca. 219.000 Kilo­me­ter oder 14,6 Betriebs­jah­ren [Die­sel] ausspielen.

Erst wenn der deut­sche Strom­mix fast aus­schließ­lich von Erneu­er­ba­ren bereit­ge­stellt wird, »erfolgt die Amor­ti­sa­ti­on der hohen Treib­haus­gas-Emis­sio­nen aus der Pro­duk­ti­on bereits nach ca. 37.500 Kilo­me­ter gegen­über dem Ben­zi­ner bzw. ca. 40.500 Kilo­me­ter gegen­über dem Diesel«.

Jedoch befin­det sich das Ziel einer voll­um­fäng­lich erfolg­ten Strom­wen­de in wei­ter Fer­ne und hat mit schwer­wie­gen­den tech­ni­schen Impon­de­ra­bi­li­tä­ten zu kämp­fen, die durch eine Anbin­dung eines bis­her nicht vom Strom­netz ver­sorg­ten Ener­gie­kon­sump­ti­on­s­ek­tors ins Sys­tem­kol­la­bie­ren­de kata­ly­siert wer­den würden.

Legt man nun die oben bespro­che­nen öko­lo­gi­schen Nega­tiv­fak­to­ren an die Pro­jek­ti­on der OECD, daß die welt­wei­te Anzahl der PKW bis 2050 auf rund 2,4 Mil­li­ar­den anstei­gen könn­te, und ver­bin­det das mit der in die­sem Kon­text von der Initia­ti­ve Ago­ra Ver­kehrs­wen­de gefor­der­ten Elek­tri­fi­zie­rung des Ver­kehrs zur Ein­hal­tung der Kli­ma­schutz­zie­le, gelangt man zum aber­wit­zi­gen Ergeb­nis, daß bei einer der­ar­ti­gen PKW-Explo­si­on die Emis­sio­nen trotz voll­stän­di­ger Elek­tri­fi­zie­rung weit höher lägen als zum aktu­el­len Zeit­punkt mit einer Domi­nanz von Verbrennungsmotoren.

Das drän­gen­de Pro­blem der auto­mo­bi­len Fort­be­we­gung ist dem­nach ihre fort­schrei­ten­de Ver­dich­tung und der dar­an gekop­pel­te Flä­chen- und Res­sour­cen­ver­brauch und nicht ihr »kli­ma­freund­li­cher« Ersatz. In Anbe­tracht der hier – frei­lich in gebo­te­ner Kür­ze – skiz­zier­ten Gege­ben­hei­ten bestün­de eine öko­lo­gisch ver­ant­wort­li­che Ver­kehrs­po­li­tik zunächst dar­in, die bereits auf den Stra­ßen befind­li­che Kraft­fahr­zeugs­flot­te so lan­ge wie mög­lich in Betrieb zu hal­ten und nicht durch Neu­kon­sum früh­zei­tig zu erset­zen oder sogar wei­ter zu verdichten.

Das unlängst von der Bun­des­re­gie­rung ver­ab­schie­de­te mil­li­ar­den­schwe­re Sub­ven­ti­ons­pa­ket zum Ankur­beln der Mobi­li­täts­wen­de unter­mi­niert einen der­ar­ti­gen Ansatz nach­hal­tig. Vier Mil­li­ar­den Euro Kauf­prä­mi­en, die in den nächs­ten sechs Jah­ren bis zu 700.000 neue Elek­tro­au­tos auf Deutsch­lands Stra­ßen brin­gen sol­len, hel­fen in ers­ter Linie der Auto­in­dus­trie – der Natur indes­sen am allerwenigsten.

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