Katharina Nocun, Pia Lamberty: Fake Facts.

Zugegeben, die Schnittmenge zwischen »Rechten« und »Verschwörungstheoretikern« ist beträchtlich. Exakt läßt sich das kaum benennen oder beziffern. Die Etiketten sind ungenau, die Milieus äußerst heterogen.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Bringt die­ses viel­ge­lob­te Buch zwei­er »Exper­tin­nen« (auf soge­nann­te Exper­ti­se geben die bei­den jun­gen, teils nasen­be­ring­ten »For­sche­rin­nen« viel) Licht ins Dun­kel? Kaum. Wenig über­ra­schend wei­sen Frau Nocun (»Bür­ger­recht­le­rin, Netz­ak­ti­vis­tin«) und Frau Lam­ber­ty (Psy­cho­lo­gin) dar­auf hin, daß wir nicht von »Ver­schwö­rungs­theo­rien«, son­dern viel­mehr von ‑mythen oder- erzäh­lun­gen spre­chen soll­ten. Es han­de­le sich bei die­sen Dis­kur­sen um kei­ne »wis­sen­schaft­lich nach­prüf­ba­re Annah­me über die Welt«. 

Was wis­sen­schaft­lich nach­prüf­bar ist, bestim­men näm­lich sie. Wo sie es eben nicht nach­prü­fen kön­nen, wer­den sie mora­lisch. Das ist ein so durch­sich­ti­ges Ver­fah­ren, daß es kaum der Rede wert wäre. Die Autorin­nen machen es sich ein­fach. Sie packen (die durch­aus zahl­rei­chen) Men­schen, die an die Herr­schaft von Rep­ti­lo­iden (die Queen wäre in Wahr­heit ein Rep­til, das die Welt­herr­schaft anstre­be) glau­ben oder davon aus­ge­hen, daß »Chem­trails« wei­ße Men­schen unfrucht­bar machen, in eine Kis­te mit sol­chen, die ver­mu­ten, daß an »9 / 11« etwas faul ist oder die an gewis­se Len­kungs­me­cha­nis­men inner­halb der Medi­en glauben. 

Das Autorin­nen­duo, sich haupt­säch­lich ent­lang »neu­es­ter Stu­di­en« ent­lang­han­gelnd, macht eini­ge weni­ge Punk­te: Ver­schwö­rungs­af­fin sind vor allem Men­schen, die einen aku­ten Kon­troll­ver­lust erfah­ren haben. Es sind Leu­te, die ein beson­de­res Bedürf­nis nach Ein­zig­ar­tig­keit haben. Per­so­nen mit einer gewis­sen »Ver­schwö­rungs­men­ta­li­tät« (deren Exis­tenz evi­dent ist) hän­gen sol­chen Erzäh­lun­gen eher an, wenn sie gera­de als beson­ders unpo­pu­lär dar­ge­stellt wer­den. Hier scheint sich die berühm­te »Schwei­ge­spi­ra­le« von Noel­le-Neu­mann punk­tu­ell in ihr Gegen­teil ver­kehrt zu haben – das ist eigent­lich eine Zäsur!
Inter­es­sant ist auch der Befund, daß die Ver­schwö­rungs­gläu­big­keit inter­na­tio­nal schwankt. Bei­spiels­wei­se Mexi­ka­ner, US-Bür­ger und Fran­zo­sen sei­en beson­ders skep­tisch gegen­über offi­ziö­sen Nar­ra­ti­ven. In Deutsch­land glaub­ten 1981 »fast 49 Pro­zent an das Nar­ra­tiv der ›Lügen­pres­se‹«. Mehr als 20 Pro­zent mein­ten, daß die »Bun­des­re­gie­rung eine Mario­net­te von Ame­ri­kas Gna­den« sei. Die Autorin­nen spre­chen von »Anker­heu­ris­ti­ken«: Da wir Netz­nut­zer mit einer Men­ge »alter­na­ti­ver Fak­ten« kon­fron­tiert wür­den, bestimm­ten die­se infor­mel­len »Anker«, daß wir bestimm­te wei­te­re Zusam­men­hän­ge für plau­si­bel hal­ten. Das klingt nach einer Miß­trau­ens­spi­ra­le. Ob es ana­log auch eine nai­ve »Ver­trau­ens­spi­ra­le« gibt, dar­über schwei­gen sich unse­re Autorin­nen aus. 

In vier­zehn nach­denk­lich­ma­chen­sol­len­den Kapi­teln, sprach­lich dürf­tig (meist ist es gera­de Herbst, ein »küh­ler Herbst­mit­tag«, ein »son­ni­ger Herbst­tag« oder ein »lau­er Herbst­abend«) gehen die bei­den Damen den Ver­schwö­rungs­gläu­bi­gen eben­so nach wie sol­chen, die in ihrem »per­sön­li­chen Umfeld« unter Ver­schwö­rungs­freun­den lei­den. Reportage­artige Ver­su­che (»Er [Gre­ta-Fan] lacht. Dann wird er wie­der ernst«; »Pau­la, Name geän­dert, freut sich sicht­lich, uns zu tref­fen«) flie­ßen mit »Ana­ly­sen« in eins. In der Spra­che der Autorin­nen: »Es macht was mit einem, wenn man stän­dig mit Geschich­ten über eine mut­maß­li­che Ver­schwö­rung kon­fron­tiert ist.« Oder: »Im Netz fin­den sich zahl­rei­che Inhal­te, in denen wis­sen­schaft­li­che Erkennt­nis­se bestrit­ten wer­den.« Oder: »Das mitt­ler­wei­le ver­bo­te­ne Buch Geheim­ge­sell­schaf­ten und ihre Macht im 20. Jahr­hun­dert wur­de unter Gym­na­si­as­ten ver­lie­hen und stand bei Haus­frau­en im Buch­re­gal.« Gab es kei­nen Lek­tor? Der wenigs­tens die hier abge­druck­te Anwei­sung »kur­siv!« hät­te strei­chen können?
Die Kapi­tel lau­ten etwa: »Zwi­schen Holo­caust-Leug­nung, Welt­un­ter­gangs­fan­ta­sien und Grö­ßen­wahn: Ver­schwö­rungs­ideo­lo­gien der extre­men Rech­ten« oder »Papa glaubt an Chem­trails? Tipps und Stra­te­gien zum Umgang mit Ver­schwö­rungs­gläu­bi­gen«. Dem Autoren­duo ist es aller­dings »wich­tig zu ver­ste­hen: Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen fin­den sich nicht nur am rech­ten Rand, son­dern auch in der Mit­te der Gesell­schaft, bei Mino­ri­tä­ten und eben auch im lin­ken poli­ti­schen Spek­trum. Auch wir haben das schon öfter mit­be­kom­men.« Wer sind also die­se Ent­las­tungs­lin­ken, die eine neu­tra­le Posi­ti­on der Schrei­be­rin­nen bezeu­gen sol­len? Natür­lich geht es hier nicht um genu­in lin­ke Ver­schwö­rungs­my­then wie die omi­nö­sen »rechts­ra­di­ka­len Netz­wer­ke« oder sta­tis­ti­sche Schum­me­lei­en, wo NS-Schmie­re­rei­en als »rech­te Propaganda­delikte« von Lin­ken zur Mythen­bil­dung miß­braucht wer­den. Gemeint sind hin­ge­gen Leu­te aus dem Spek­trum der (gemein­hin als »rechts« apo­stro­phier­ten) Zeit­schrif­ten Com­pact und wir selbst oder Publi­zis­ten wie Danie­le Gan­ser und Ken Jeb­sen. Heißt: Omi­nö­sen Theo­rien hängt man doch nur rechts an!
Nun gibt es ein Pro­blem: In »Stu­di­en« konn­te gezeigt wer­den, daß »bereits der blo­ße Kon­takt mit Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen« äußerst gefähr­lich sein kann. Dar­um der Ruf an alle: Selbst beim Appell gegen Ver­schwö­rungs­my­then nie­mals deren The­sen wie­der­ho­len! »So kann das Risi­ko mini­miert wer­den, bei einer Gegen­re­de ver­se­hent­lich die irre­füh­ren­den Infor­ma­tio­nen zu ver­fes­ti­gen.« Soviel für heu­te zum The­ma »Der mün­di­ge Bürger.«

Katha­ri­na Nocun, Pia Lam­ber­ty: Fake Facts. Wie Ver­schwö­rungs­theo­rien unser Den­ken bestim­men, Köln: Qua­dri­ga 2020. 348 S.,
19.90 € – hier bestel­len.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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