Das alles hat gute Gründe, zwar womöglich fragwürdige Absichten, doch einen reichhaltigen Output. Daten, Schlachten, Verträge: Das ist Männerzeug, HIStory, ein kaltes Werk. Solch »gestrige« Geschichtsschreibung ergibt ein ehernes Bild, das unter Einbeziehung »weicher« Komponenten nicht notwendig schwammiger, sondern vielschichtiger werden kann. Hier allerdings: nicht.
Autorin Ute Frevert (geb. 1954) leitet seit langen Jahren den Forschungsbereich »Geschichte der Gefühle« am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Ab 2018 kuratierte sie mit ihrer Tochter Bettina Frevert eine an 2500 Orten (VHS, Rathäusern, Stadtbibliotheken etc.) gezeigte Plakatausstellung titels »Die Macht der Gefühle«. Zwanzig Poster mit knappen Erläuterungen hingen aus. Das habe »große Aufmerksamkeit und Lob erfahren.« Da sich von den bildbetrachtenden Menschen (wir docken hier sanft an den Schreibduktus der Autorin an) vielfach mehr »Kontext« gewünscht wurde, kommt Frau Frevert sen. nun dieser Bitte knapp fünfhundertseitenlang nach. Kurz gesagt: Es ist nervtötend, artig und öde, wo es doch so vielsagend und reichhaltig hätte sein können. Die fast zeitgleich erschienene Geschichte der Gefühle des in Berlin lehrenden Rob Boddice beweist es ja! Sehr lückenhaft, äußerst ungefähr, nämlich willkürlich dekliniert Frau Frevert die Zeitläufte zwischen 1900 und 2020 anhand von zwanzig Gefühlsarten durch, die beispielsweise wie folgt (und es paßt zu ihrer Sparkassen-Attitüde, daß es hier wirklich von »A bis Zett« geht) rubriziert werden: Angst, Demut, Ehre, Ekel, Neid, Stolz, Wut.
Wohin der Hase läuft, wird bereits in den ersten Abschnitten klar. Frau Frevert fragt rhetorisch, ob wir »die Welt« nicht besser verstünden, wenn »wir auf Gefühle achtgeben und das, was sie tun, unter die Lupe nehmen?« Die spontane Antwort lautet »ja«: Allein, weil die rechtsextremistischen Morde in Hanau im Februar 2020 »in weiten Teilen der Bevölkerung Trauer, Wut und Scham auslösten.« Man füge hinzu: natürlich sämtliche Gefühle rund um das Corona-Virus. Hier macht Frau Frevert das Gefühl »Solidarität« aus »für diejenigen, die am tödlichsten gefährdet sind.« Sprachgefühl, soviel wird rasch klar: Mangelware. Die Autorin macht überdeutlich: Gefühl ist immer und überall. Gefühl ist aktuell und ewig zugleich! »Historische Erfahrungen« sorgen dafür: »In Deutschland weckten die Bilder verzweifelter Menschen, die aus ihrer von Bürgerkrieg und Gewalt zerstörten Heimat flohen, Erinnerungen an Flucht und Vertreibung, die Millionen Familien nach dem Zweiten Weltkrieg am eigenen Leib erlebt hatten.« War das wirklich ein anschaulicher Vergleich für die alten Schlesier und Ostpreußen? Fünf Jahre später (Moira 2020) habe sich dieser Gefühlsausbruch »verdünnt« wiederholt.
Autorin Frevert ist eine Träumerin. In ihrem Reich gibt es »Bürger und Bürgerinnen«, die sich »ihre Gefühle nicht vorschreiben« lassen und »trotzig reagieren, wenn sie Manipulationen wittern.« Manipuliert wird in ihren Augen, logisch, nur von rechts. Daher gäbe es etwa »echte Demut«, wie sie sich im »spontanen« Kniefall von Willy Brandt 1970 anläßlich des Besuchs des vormaligen Warschauer Ghettos zeigte – und falsche, die beispielsweise Karl-Theodor zu Guttenberg zeigte, als er »in Demut« um Entschuldigung für seine in Absätzen plagiierte Dissertation bat. Einen Mangel an Demut bescheinigt die Autorin auch dem Papst und der deutschen Bischofskonferenz.
Frau Frevert hat so einen Gefühlsriecher. Echten »Haß« von links gäbe es zwar, er sei aber sehr selten. »Wut«, dieses ambivalente Gefühl, beklagt sie, stieße auf Resonanz, wenn sie von Götz Kubitschek proklamiert würde, wohingegen »Wutausbrüche linksautonomer Aktivisten« auf wenig Resonanz stießen. Das vermaledeite Gefühl »Ehre« sei zum Glück unlängst mit »Würde« ausgetauscht worden, was nun ein »inklusiver« Begriff sei und allen Menschen zugesprochen werde. Nun gibt es allerdings ein Problem mit der Würde von AfD-Politikern, die Frau Frevert als »rechtsradikal« recht offen verabscheut. (»Abscheu« fehlt als Lemma!) AfD-Leute hätten, schreibt sie zum Stichwort »Ekel«, bereits von »Parasiten« und »degenerierter Spezies« gesprochen. Mit welchen Worten (von »Ratten« bis »Abschaum«) die AfD ihrerseits bedacht wurde, wird hier tunlichst verschwiegen. Dieses Buch ist in jeder Hinsicht haarsträubend. Wir reden hier von der deutschen Gefühlsforscherin und von einem der größten deutschen Publikumsverlage. Das Lemma »Peinlichkeit« fehlt übrigens.
Ute Frevert: Mächtige Gefühle. Von A wie Angst bis Z wie Zuneigung. Deutsche Geschichte seit 1900, Frankfurt a. M.: S. Fischer Verlag 2020. 496 S., 28 € – hier bestellen.