Rolf Schilling ist ein großer Unbekannter der Gegenwartsliteratur. Seine Freunde und Leser, die ihn als »Meister« teils seit Jahrzehnten umgeben, verehren ihn ihm den wichtigsten lebenden Dichter deutscher Zunge, die literaturinteressierte sogenannte Öffentlichkeit dagegen nimmt von ihm keine Notiz. Schilling ist außerhalb kleiner konservativ-dissidenter Kreise nahezu inexistent. Diese Randständigkeit hat Gründe, politische Gründe und wohl auch in der verwüsteten oder schon vernichteten Ästhetik der grellbunten Republik, aber dennoch ist sie erstaunlich. Denn Schilling ist eben keiner der Freizeitpoeten, die im Selbstverlag versuchen, dem im Rentenalter entdeckten Talent Glanz zu verleihen und dafür von den ganz Unbegabten bewundert werden. Ganz und gar nicht (siehe Sezession 95 / 2020).
Die zu Schillings 70. Geburtstag zur Gabe aufgelegte Festschrift ist schwer faßbar und reichhaltig zugleich. Von der jugendbegeisterten Apologetik bis zur nostalgischen Anekdotik, vom sehr persönlichen Freundesgruß bis zur versponnen-egomanischen Selbstinszenierung ist hier vertreten, was immer ein Autor sich nur ausdenken kann. Bei aller Unterschiedlichkeit in Güte und Länge, von der Miniatur, der Skizze, bis zum fast achtzigseitigen Traktat – keiner der Texte wirkt wie eine Gefälligkeitsarbeit, keiner ist schnell dahingeworfen. Hier haben sich Freunde und Weggefährten vieler Jahre um einen versammelt, um ihm Geschenke zu bringen, und keines ist wie das andere. Der Herausgeber hat sich nicht die Aufgabe gestellt, die Beiträge in eine innere Ordnung zu bringen, sondern sie alphabetisch nach dem Urheber hintereinandergedruckt und dazwischen wenige Gemälde befreundeter Maler gesetzt. All dies gibt dem Buch die Anmutung einer verwirrend-faszinierenden Schatztruhe, in der man vor lauter Funkeln nicht weiß, wohin zuerst greifen (manchmal sind es nur Glasperlen), oder eines Kuriositätenkabinetts.
Denn kurios sind viele Beiträge, auf eine die Neugierde weckende Weise. Ein Beiträger berichtet die sehr komische Anekdote, die DDR-Staatssicherheit habe an Schillings Sprache erkannt, wie ungeeignet er sei, andere zum Umsturz aufzustacheln: »Es werden Worte gebraucht, die kein normaler Mensch versteht.« – harmlos also! Die in der Tat hermetische Bildwelt des Musensohnes aus Thüringen scheint sich mancher der Autoren zum Vorbild genommen zu haben. Es wimmelt mitunter nur so vor Sprachschöpfungen aus der Schilling-Schule, manch ein Satz dehnt sich über halbe Seiten und nicht immer bleibt klar, ob die Wortmächtigen noch wußten, worauf ihr Text hinauskommen sollte. Wer dennoch durch das Dickicht dringt und sich auch von der mißratenen Einbandgestaltung nicht abschrecken läßt, wird mit mancher Einsicht, Kostbarkeiten des konservativen Kosmos und nicht zuletzt einigem Anlaß zum Schmunzeln belohnt. Besonders hervorgehoben seien die Ausarbeitungen von Peter Bickenbach (der aus christlicher Perspektive Nietzsches Moralkritik und unser hypermoralisches Zeitalter übereinanderlegt) sowie ein aus der baltischen Mythologie schöpfender Gedichtzyklus von Baal Müller.
Wolfgang Schühly (Hrsg.): Zeichen in die Esche geritzt. Rolf Schilling zum siebzigsten Geburtstag, Neustadt an der Orla: Arnshaugk 2020. 366 S., 38 € – hier bestellen.