Er hatte sich bereits 2007 mit einem streitbaren FAZ-Artikel (»Die gebellte Sprache«) als kundiger Fürsprecher des deutschen Idioms hervorgetan. Zusammengefaßt: Trabant sieht das Deutsche von zweierlei Richtungen bedrängt – von »unten« (dem Proletariat) wie von »oben« (den wissenschaftlichen Eliten), was es im folgenden näher auszuführen gilt. Trabants Buch mit dem irrigen Titel (als ob es eine pessimistische »Sprachdämmerung« zu verteidigen gelte) ist äußert lesenswert.
Die dreißig hier versammelten Sachtexte und Essays hat er in sechs Überkapitel aufgeteilt. Leider ist ausgerechnet das erste – »Sprache: Licht der Menschen« – zwar glanzvoll, aber in seinem sprachphilosophischen Duktus passagenweise derart voraussetzungsreich, daß wohl nur Germanisten, denen Begriffe wie Deixis, Vernakularsprache, Whorf und de Sassure unmittelbar etwas sagen, Trabants elaborierten Überlegungen folgen können. Dabei sind diese Erkundungen wertvoll: Es geht mit Wilhelm von Humboldt um die »symbolischen« Eigenschaften des Lautes, um seine ikonische Eigenschaft und um seine Materialität, weswegen es nicht »vollkommen dasselbe« sei, ob einer »hippos, equus oder Pferd« sage. Oder: Was beim Farbsehen (und den Farbbezeichnungen) ist Natur, was Kultur? Sprachliche Kategorisierungen wirken sich auf das Denken jenseits der Sprache aus – drum ist die je eigene Muttersprache von so eminenter Bedeutung. Deutsch als Muttersprache stellt Trabant in den folgenden Kapiteln der autoritären Vatersprache (dem amerikanischen Englisch und dem »Globalesisch«) gegenüber. Er fürchtet, das Deutsche könne vollends »in die Rappuse« gehen. Das ist ein Wort aus der Landsknechtsprache und bedeutet: Kriegsbeute werden.
Trabant ist von dieser Wendung sichtlich begeistert, er verwendet sie ungezählte Male. Bereits nach dem Dreißigjährigen Krieg seien die Deutschen zur Kultur der Sieger übergelaufen. Leibniz (geb. 1646) hatte vor sprachlichen »Xenismen« gewarnt, er empfand zu viele Wörter aus anderen Sprachen als zerstörerisch. Das schrieb der Richtige: 40 Prozent seiner eigenen Textproduktion fand auf Lateinisch statt, weitere 35 Prozent auf Französisch! Leibnizens Vorschläge, wie der deutsche Wortschatz ausgebaut werden könnte, beinhaltete neben »schönen alten Wörtern« auch Neologismen und Entlehnungen aus vor allem germanischen Sprachen. Das wird man wohl Ambiguitätstoleranz nennen dürfen! Trabant zählt sprachschützerische Projekte durch die Jahrhunderte auf, glaubt aber – klassisch kulturpessimistisch – nicht daran, daß das Deutsche noch vor dem »Abstieg aus den Höhen einer vollausgebauten Kultursprache« gerettet werden könne. Er selbst hat in Deutschland an einer englischsprachigen Universität gelehrt – eine intellektuelle und performative Herausforderung, ein Seminar mit Studenten zu leiten, die acht verschiedene Muttersprachen pflegen.
Kurios nur: Auch die Fakultätsversammlungen (mit lauter Deutschen plus zwei perfekt deutsch sprechenden Holländern) fanden auf Englisch statt! Als Grund für die neuerliche »Rappuse« der deutschen Sprache sieht Trabant nicht in erster Linie die Zwänge der Globalisierung, sondern die anhaltende Nachkriegsdepression, die deutsche Selbstverachtung. Trabant zeigt sich als echter Scharfseher: »Die verführerische Stimme des AFN und das Begehren der [nachkriegsdeutschen] Hörenden haben sich zu gewaltigen Befehlsstrukturen und weitgehender Unterwerfung radikalisiert. Die weltweite Ökonomie bittet nicht nur ›Love me tender‹ oder ›Put your head on my shoulder‹, sondern sie verlangt brutal Gefolgschaft. Aus dem Entgegenhorchen (ob-audire) ist längst Gehorsam (obedience) geworden.« Kinder von Eltern, die etwas auf sich halten, »werden gleich in der hohen Sprache der Aufsichtsräte, der Wissenschaft und Hollywoods sozialisiert.«
Mit Trabant fragen wir uns, warum Migranten überhaupt diese uncoole deutsche Sprache lernen sollten? Während die Eliten (der Autor karikiert subtil das »Schwäblisch«, in dem Günter Oettinger das Englische zur »Arbeitssprache« der Deutschen dekretierte) ihr »kosmopolitisches Näschen rümpfen« über reelle Entfremdungserfahrungen, macht sich Trabant stark für den Dialekt, den Akzent und lebendiges Deutsch: »Daß in der Straße, in der ich aufgewachsen bin, meine Sprache nun kaum mehr zu hören ist, ist keine harmlose Veränderung, sondern eine tiefgreifende Veränderung meiner Umwelt.« Der Romanist ist sich sicher: »Nicht die Berliner Prolls gefährden das Hochdeutsch, ebensowenig die Protest-Bürger, wohl aber die bildungsbeflissenen Kinder der letzteren, die sich in Schwabing und im Prenzlauer Berg niedergelassen haben und dort dem Aufruf des ehemaligen Ministerpräsidenten Oettinger Folge leisten.« Dieses Buch hat es in sich.
Jürgen Trabant: Sprachdämmerung. Eine Verteidigung, München: Verlag C. H. Beck 2020. 240 S., 29.95 € – hier bestellen.