Den Umzug überließ er seiner Frau Gretha Jünger, geb. von Jeinsen. Wenn diese Vollzug meldete, kehrte er zurück an den Schreibtisch und zur korrekt aufgestellten Bibliothek. Auch wenn Gretha Jünger nicht jede Kiste allein schleppen mußte, sondern dafür Hilfe in Anspruch nahm, bringt diese Konstellation ein gewisses Mißverhältnis zum Ausdruck – zumindest dann, wenn man, wie Jüngers, nicht auf eine umfangreiche Dienerschaft zurückgreifen konnte.
Das Umzugsverhalten ist nur ein Randaspekt einer grundsätzlichen Schieflage, die Ingeborg Villinger in den Mittelpunkt ihrer Biographie gestellt hat. Dabei geht es ihr oft weniger um die Eheleute Jünger als ganz allgemein um die aus ihrer Sicht problematischen Geschlechterrollen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Grethas Leben dient oft nur als Beispiel für dieses Verhältnis, so daß ihre Persönlichkeit und Geschichte im allgemeinen Kontext zu versinken droht. Auf diese Art ist auch der erstaunliche Umfang der Biographie zustande gekommen, die zudem einige pädagogisch motivierte Redundanzen aufweist.
Villinger, die bis 2005 Politikwissenschaft in Freiburg lehrte und bereits den Briefwechsel zwischen Gretha und Carl Schmitt herausgegeben hat, stützt sich vor allem auf zwei Quellen: die beiden autobiographischen Bücher, die Gretha 1949 und 1955 unter ihrem Mädchennamen veröffentlichte, und den umfangreichen Briefwechsel Grethas mit den verschiedensten Freunden und Bekannten. Hervorzuheben sind vor allem die Briefwechsel mit ihrem Vertrauten Fritz Lindemann, einem etwas wunderlichen Privatgelehrten und Esoteriker, und mit ihrem Ehemann (der bald erscheinen soll).
Beide lernten sich 1922 in Hannover kennen. Die aus verarmtem Adel stammende Gretha, der Vater war als technischer Zeichner bei der Stadt Hannover angestellt, ging nach der Schule zu einem befreundeten Pfarrerehepaar, um die Hauswirtschaft zu erlernen, lernte anschließend Klavier und machte sich Hoffnungen auf eine Karriere als Schauspielerin. Der strahlende Kriegsheld Jünger konnte sie 1925 nur heiraten, weil er seinen Abschied vom Militär genommen hatte, als Leutnant hätte er keine Heiratserlaubnis bekommen. Es folgten zwei Kinder, Ernst (1925 – 1944) und Alexander (1934 – 1993), und das Dreinfinden Grethas in die Rolle der Ehefrau eines recht ich-bezogenen Ernst Jüngers in einem unter ständigem Geldmangel leidenden Haushalt. Dessen Affären, Drogen-experimente und betonte Lieblosigkeit führten dazu, daß Gretha immer wieder für begrenzte Zeit die Flucht ergriff und einmal sogar die Scheidung einreichte, die sie aber bald zurücknahm.
Das eheliche Mißverhältnis hat Gretha bis zu ihrem frühen Krebstod (1960) beschäftigt, und sie war immer bemüht Ausgleich zu schaffen, dafür zu sorgen, daß jeder seinen Platz behaupten konnte. Jüngers Reisen kamen ihr daher nicht ungelegen, war sie dann doch von der anstrengenden Rolle der Gastgeberin befreit. Aber: Gretha sah das Verhältnis zu ihrem Gatten durchaus vielschichtiger, als das Villinger durch die Geschlechterrollenbrille wahrhaben will. Das wird schon dadurch deutlich, daß sie Jünger immer (unironisch) als Gebieter anredete, dessen praktische Lebensuntüchtigkeit in ihr mütterliche Gefühle hervorrief. Daß Jünger diese Konstellation entgegenkam und er sich darin einrichtete, steht auf einem anderen Blatt – wie auch die Tatsache, daß ihn diese Lebensuntüchtigkeit auf seinen (Solo-)Reisen nicht ereilte.
Ingeborg Villinger: Gretha Jünger. Die unsichtbare Frau, Stuttgart: Klett-Cotta Verlag 2020. 463 S., 26 € – hier bestellen.