Eva von Redecker: Revolution für das Leben. Philosophie der neuen Protestformen

Wenn linke Szeneblätter ein neues Buch hymnisch rezensieren und GEZ-Leitmedien einen ähnlich begeisterten Ton anstoßen, ist anzunehmen, daß hier etwas im argen liegt.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Die Revo­lu­ti­on für das Leben der 1982 gebo­re­nen Phi­lo­so­phin Eva von Rede­cker unvor­ein­ge­nom­men zu lesen, fällt schwer. Aber man sucht gleich­wohl Zugang zu jener Autorin, die uniro­nisch als »eine der auf­re­gends­ten Nach­wuchs­phi­lo­so­phin­nen des Lan­des« (Phi­lo­so­phie Maga­zin) ange­prie­sen wird. 

Der Rei­he nach: Die Aus­gangs­ba­sis der vor­her in New York und momen­tan in Vero­na leh­ren­den Rede­cker ver­spricht Span­nung. Die »vie­hi­sche Logik« in der Fleisch­in­dus­trie samt Dar­le­gung per­ver­ser Arbeits­ver­hält­nis­se als »Ope­ner« wirkt als tages­ak­tu­el­ler Wach­ma­cher. Auch Betrach­tun­gen zu Covid19 und der Coro­na­kri­sen­po­li­tik las­sen kurz die Hoff­nung auf­kei­men, vor­schnell geur­teilt zu haben. Und wenn Rede­cker schreibt, es gehe ihr dar­um, Leben zu ret­ten statt zu zer­stö­ren, Arbeit zu rege­ne­rie­ren statt zu erschöp­fen, Güter zu tei­len statt zu ver­wer­ten und Eigen­tum zu pfle­gen statt zu beherr­schen, dann regis­triert man mit wach­sen­der Neu­gier­de ihr Vor­ha­ben, eine Revo­lu­ti­on für das Leben der Men­schen skiz­zie­ren zu wollen. 

Das Pro­blem dabei: Eva von Rede­cker schreibt hun­der­te Sei­ten über »das Leben« und »den Men­schen«, zeigt aber bei­spiels­wei­se kei­ner­lei Kennt­nis­se des mensch­li­chen Lebens in den essen­ti­el­len Berei­chen Ver­hal­tens­for­schung und Anthro­po­lo­gie. Sie kennt weder mensch­li­che Kon­stan­ten noch Män­gel, Sozi­al­bio­lo­gie ist ihr eben­so fremd wie ihr jede Form orga­ni­scher, kon­kre­ter Soli­da­ri­tät ver­däch­tig erscheint – des Faschis­mus ver­däch­tig, ver­steht sich, denn Fami­lie sei die »Keim­zel­le« eben­je­nes faschis­ti­schen Poli­tik­typs, der wie­der­um erst »fer­tig« mit sei­ner Pra­xis sei, »wenn wirk­lich nie­mand mehr lebt«. 

Gegen­sei­ti­ge natür­li­che Lie­be und für­sor­gen­de Eltern­schaft tau­chen bei Rede­cker nicht auf (Phy­sio­gno­mie lügt nicht?); die klas­si­sche Fami­lie erscheint ledig­lich als Aus­beu­tungs­ver­hält­nis und pro­to­to­ta­li­tä­re Hier­ar­chie (daher: »Natür­lich will der Femi­nis­mus die Fami­lie zer­stö­ren.«). Aber auch Völ­ker und Natio­nen sind Gefäng­nis­se. Was bleibt dann noch? Das befrei­te Ich, die Mensch­heit als Ansamm­lung aller befrei­ten Ichs, und das war’s.

In die­sem Sin­ne begrüßt Rede­cker die Ver­nich­tung orga­ni­scher Soli­da­ri­täts­zu­sam­men­hän­ge und möch­te eine neue abs­trak­te Soli­da­ri­tät ver­ein­zel­ter Indi­vi­du­en schaf­fen, durch Gene­ral­streiks, durch frei­wil­li­ge Asso­zia­ti­on, durch Teil­ha­be aller an allem – und durch ste­te Migra­ti­on, denn die­se sei »an sich immer schon Revo­lu­ti­on für das Leben«. 

Rede­cker stellt jed­we­de Rest­ver­nunft spä­tes­tens dann auf den Kopf, wenn sie Soli­da­ri­tät nicht auf Basis bestehen­der Prin­zi­pi­en und Ver­hält­nis­se akzep­tie­ren will, son­dern sie als eine blo­ße Fra­ge neu­er Orga­ni­sa­ti­on begreift: »Gegen­sei­ti­ge Hil­fe schafft Bezie­hun­gen, sie setzt sie nicht vor­aus.« Und weil alles, was bereits als über­lie­fert und ver­wur­zelt vor­aus­ge­setzt wer­den kann – Fami­lie, Volk, Reli­gi­on, Nati­on etc. – eben poten­ti­ell faschis­tisch sei und über­dies Ras­sis­mus und rech­te Gewalt das Leben der Men­schen prä­gen, sei es Zeit für ein die­ses Zustän­de über­win­den­des anti­fa­schis­tisch-femi­nis­ti­sches Kol­lek­tiv. In die­sem para­die­si­schen Kon­strukt könn­ten »selbst noch sei­ne Geg­ner sicher tan­zen«. Davon abge­se­hen, daß rund um Anti­fa-Femi­nis­ten-Kom­ple­xe – sie­he Liebig34 – nicht ein­mal links­grü­ne Nach­barn »sicher tan­zen«, geschwei­ge denn sicher leben kön­nen, drängt sich die Fra­ge auf: Wo lebt die­se Autorin eigent­lich? In einer Kom­mu­ne, erfährt man aus ihrer Dank­sa­gung. Na dann.

Eva von Rede­cker: Revo­lu­ti­on für das Leben. Phi­lo­so­phie der neu­en Pro­test­for­men, Frank­furt a. M.: S. Fischer Ver­lag 2020. 316 S., 23 € – hier bestel­len.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)