Hayao Miyazaki zum Achtzigsten
Mit 10 Jahren sah ich das erste Mal einen Film von Hayao Miyazaki. Das dürfte an Vormittag des 24.12.2003 gewesen sein. An diesem Tag strahlte der Privatsender RTL II zum ersten Mal seinenAnimationsfilm Prinzessin Mononoke mit deutschen Synchronstimmen aus.
Tatsächlich erinnere ich mich gut an diesen Tag und an den tiefen Eindruck, den die Erzählung vom Kampf der Waldgeister gegen den Brennstoffhunger der nahegelegenen Eisenhütte bei mir hinterließ. Das ging auch anderen so: Noch Wochen später war der Film Schulgespräch.
Auch heute noch gehören Miyazakis Filme zu meinen Lieblingsfilmen – die dichte Atmosphäre ihrer Welten, die märchenhafte Fantastik der dargestellten Wesenheiten, der unorthodoxe und ambivalente Erzählweise der Geschichtsstränge haben seinem Studio Ghibli zu Weltruhm verholfen.
Wie tief sein Werk dabei im japanischen Shintoismus verwurzelt sind, das zeigt sich schon an Miyazakis ganz persönlichen Arbeitsroutine: Sein Arbeitstag beginnt in der Regel damit, daß er den Wesenheiten in seinem idyllisch gelegenen Privatstudio lautstark einen guten Morgen wünscht, während er die Vorhänge zurückschlägt. “Ich weiß nicht, wer sie sind – aber sie sind hier” sagte er einmal in einer Dokumentation.
Dieses Konzept der Durchwirktheit der Welt und vor Allem der Natur mit allerlei Geisterwesen und Entitäten ist ein Grundpfeiler zum Verständnis seiner Filme. Wenn auf der Leinwand ein Baum fällt, ein Tier verwundet, oder ein Fluss verschmutzt wird, dann gibt es für diesen Vorgang eine Entsprechung in der Geisterwelt.
Das Verhältnis von Mensch, Technik und Natur ist dabei das große Problem in Miyazakis Opus. Auf der einen Seite bedienen seine Protagonisten fantastische Flugmaschinen und reisen in abenteuerlichen Dampfrohrkonstrukten, oft führt sie ihr Weg aber auch aus der Stadt hinaus in den Wald, oder in einsame Berglandschaften.
Die ihnen gegenüberstehenden Antagonisten haben dagegen ein vernutzendes Verhältnis zur Natur und zur Technik, welche wahlweise ihrer Zerstörungswut oder ihrer Gewinnsucht dient. Die Idyllen, die Miyazaki zeichnet, finden ihren Widerpart in apokalyptischen Feuerstürmen und trostlos entholzten (und damit ent-geisterten) Einöden:
„Diese Bösewichte sind alle Teile von mir. Seit Jahren frage ich mich, wie es wäre, wenn all diese negativen Elemente auf die Seite der Hauptfigur gezwungen würden. Ich kann einen Charakter mit dieser Art von Wut verstehen“.
Daß es Gutes und Böses in der Welt gibt, steht für den nun 80jährigen außer Frage. Das zeigte sich etwa an Miyazakis Reaktion, als ihm eine Gruppe junger Unternehmer vor einigen Jahren ein KI-Projekt vorstellte, mit dessen Hilfe neue, groteske Animationsmuster – z.B. für Horrorfilme – generiert werden können. Als Anschauungsbeispiel für diese Lernfähigkeit wählten sie einen entstellten Zombie mit komplett verdrehtem Körper, der seinen Kopf zur Fortbewegung nutzte.
Miyazaki sah sich die Demo mit versteinerter Mine an, anschließend stellte er nüchtern fest: „Wer auch immer diese Sachen entwirft, hat absolut keine Ahnung davon, was körperliche Schmerzen bedeuten. Mich widert das an. Wenn Ihr unbedingt gruseliges Zeug machen wollt, könnt Ihr das machen; Ich habe kein Interesse daran, diese Technologie auf irgendeine Art und Weise in meine Arbeit einzubauen. Ich habe das starke Gefühl, dass das eine Beleidigung gegen das Leben selbst ist.“
Zur Zeit arbeitet Miyazaki an einem weiteren Animationsfilm, der innerhalb der nächsten zwei Jahre erscheinen soll. Er trägt den Titel “Wie willst Du leben?” (“How Do You Live?”) und ist seinem Enkel gewidmet. Wie genau man heute leben soll, davon hat der Meister des Bewegten Bildes dabei eine kontroverse Vorstellung: „Das moderne Leben ist so dünn und seicht und falsch. Ich freue mich auf den Tag, an dem die Entwickler alle Pleite gehen, Japan ärmer wird und die wilden Gräser wieder übernehmen.”
Dieter Rose
Den letzten Wunsch hätte ich auch für Deutschland.
Aber nicht im Sinne der grünen und FFF-Bewegung!