Vor fast einem halben Jahrhundert veröffentlichte der Philosoph Odo Marquard (1928–2015) ein Buch mit dem Titel Schwierigkeiten mit der Geschichtsphilosophie, in dem es einen Abschnitt gibt, der »Abschied von der Geschichtsphilosophie« überschrieben ist. Damit wollte sich Marquard nicht vom Nachdenken über die Geschichtlichkeit des Menschen im Unterschied zu seiner Natürlichkeit verabschieden, sondern von der Idee eines universalen Sinns der Geschichte, einer sich in Einheit vollendenden linearen Weltgeschichte. Marquard stand damals nicht allein mit dieser Auffassung, sondern reagierte mit anderen auf die Marx-Renaissance der 1960er Jahre, die zu einer neuen Wertschätzung der utopischen Geschichtsphilosophie geführt hatte. Marquard orientiert seine Verteidigung der bürgerlichen Welt daher nicht an den gesellschaftlichen Interessen oder der Zukunft, sondern am Einzelnen und an der Gegenwart. Utopien, so Marquard, forderten Opfer für eine bessere Zukunft und entwerteten damit die Gegenwart als etwas, das es zu überwinden gelte. Menschen würden darin nur als Teil eines Projektes gesehen, man gehe einfach über sie hinweg.
Im Gegensatz dazu beharrte Marquard darauf, daß das Leben endlich sei und daher nicht für vertagte Hoffnung geopfert werden dürfe: Die Gegenwart habe ein Recht gegenüber der Zukunft. Der Geschichtsphilosophie setzte Marquard sein berühmtes »Recht der nächsten Dinge gegenüber den letzten« entgegen. Die Welt solle nicht verändert, sondern verschont werden.
Dieser Versuch der Delegitimierung der Geschichtsphilosophie ringt wie all die anderen mit einem Problem. Das Verschonen und das Beharren auf dem Status quo ist kaum in der Lage, den Orientierungsbedarf der Menschen zu stillen, weil er der mobilisierenden Kraft der Geschichtsphilosophie keinen alternativen Mythos entgegensetzen kann. Die Fragen »Woher kommen wir?« und »Wohin gehen wir?«, mit denen um Orientierung gerungen wird, sind aber der Schlüssel des Politischen. Die beiden Fragen stehen in einem engen Zusammenhang, den man ganz lebenspraktisch mit dem Satz zusammenfassen könnte: Das Woher bestimmt nicht selten das Wohin. Die Möglichkeiten von Völkern und Menschen sind nicht unendlich, sondern hängen von unterschiedlichen Dingen ab; vom Gelände, das man vorfindet, aber eben auch vom Rucksack, den man auf seinen Weg mitbekommen hat, und natürlich dem, was sich darin befindet. Das entscheidet mitunter darüber, ob man in einer Situation springt oder sich duckt, ob man schnell vorankommt oder langsam. Ob man andere mitreißen kann, liegt nicht nur an der Lage selbst, sondern auch daran, welche Antwort man auf eine Herausforderung hat und, so man frei entscheiden kann, welche Richtung und welches Ziel man vorgibt. Ob all das auch für die Welt als Ganzes gilt, ist eine Frage, um die im 20. Jahrhundert in zwei Weltkriegen gerungen wurde.
Heute scheint die Frage entschieden: Alles betrifft alle. Die Welt hat ein gemeinsames Ziel: Demokratie und grenzenlose Wohlfahrt. Wie wirdahin gelangen, wie wir dieses Ziel erreichen, mag umstritten sein (es bieten sich Geld oder Gewalt als Möglichkeiten an); Einigkeit besteht hingegen darüber, was das Erreichen dieses Ziels verhindert: die Ungleichheit auf der Welt und diejenigen, die sich der Gleichheit entgegenstellen. Sie verhindern nämlich, daß die erlösungsbedürftige Menschheit endlich in bunter Einheit den Widerspruch zwischen Wohlfahrtsstaat und Klimazielen aufheben könnte. Hier kommt ins Spiel, wofür die Geschichtsphilosophie meistens steht: eine Fortschrittsideologie, der zwar ein zwangsläufiger Sog auf das richtige Ziel hin unterstellt wird, der aber nicht selten durch eine entschlossene Elite notfalls auch mit Gewalt nachgeholfen werden muß.
Das erklärt auch, warum es auf Seiten der Rechten so starke Vorbehalte gegenüber der Geschichtsphilosophie gibt oder zumindest gab.
An zentraler Stelle steht hier Carl Schmitt (1888–1985), der nach dem Zweiten Weltkrieg zwar verhaftet und geächtet wurde, aber dennoch über zahlreiche Kontakte verfügte und darüber zum Anreger und Rückhalt einer jungen Generation von Wissenschaftlern wurde, die er vor allem mit Lektürehinweisen fütterte und in Gesprächen auf den richtigen Weg führte. Dieser Kreis wurde im Laufe der Jahre von verschiedenen Personen bevölkert.
Im Hinblick auf die Geschichtsphilosophie war es vor allem ein Doppelschlag aus den 1950er Jahren, der die geschichtsphilosophische Skepsis mit Argumenten versorgte. Den ersten Schlag führte Hanno Kesting (1925–1975), der 1952 mit einer Arbeit über »Utopie und Eschatologie« bei Hans-Georg Gadamer promovierte. Diese Arbeit wurde nie veröffentlicht, kursierte aber im Freundeskreis und regte dadurch weiteres Nachdenken über das Problem der Geschichtsphilosophie an. 1959 veröffentlichte er dann sein darauf aufbauendes Buch Geschichtsphilosophie und Weltbürgerkrieg, in dem er die problematische Entstehungsgeschichte der Geschichtsphilosophie untersucht. Geschichtsphilosophie gibt es bei Kesting erst seit dem 18. Jahrhundert. Zwar hätten die Menschen auch vorher über ihre Geschichte nachgedacht, aber Geschichte sei damals kein Absolutum gewesen, sondern ein Geschehen, das in einem größeren Geschehen aufgehoben gedacht und dadurch relativiert worden sei: in der Antike durch die kosmischen Kreisläufe der Natur und im Christentum durch den lenkenden Gott. Erst durch den im 18. Jahrhundert aufkommenden Deismus, einer Lehre, in der Gott als an seine eigenen Gesetze gebunden gedacht wird, kann Geschichte als ein rein menschliches Geschehen aufgefaßt werden. Diese Prämisse hat den Vorteil, auch dem strengen Blick der Aufklärung standzuhalten: Der Mensch kann nur verstehen, was er gemacht hat, und da er die Geschichte gemacht hat, kann er sie auch verstehen. Hieraus folgt eine gottähnliche Erkenntnis, bei der Tat und Erkenntnis zusammenfallen. Weiterhin folgt Kesting der bekannten These Karl Löwiths (1897–1973), dessen Buch Weltgeschichte und Heilsgeschehen (1953) Kesting ins Deutsche übersetzt hatte, daß im Zuge der Säkularisierung das weltbeherrschende Prinzip der göttlichen Vorsehung durch die Idee des Fortschritts ersetzt wurde.
Das hat nicht zuletzt Konsequenzen für die gesellschaftliche Relevanz der Philosophie überhaupt, die sich bislang ausschließlich an Gelehrte gewandt hatte. Nun richtet sie sich an die ganze Öffentlichkeit als den Träger der Geschichte, der in diese eingreifen kann und soll. Kesting: »Geschichtsphilosophie ist von Anfang an nicht nur eine kritische, gesellschaftskritische, vielmehr eine ausgesprochen aggressive Philosophie.«
Und sie ist praktische Philosophie, weil es den ausgemachten Fortschrittzu befördern gilt. Auf diesem Wege mündet sie in das revolutionäre Geschehen des 18. und 19. Jahrhunderts, den revolutionären Bürgerkrieg, der seit 1917 in den Weltbürgerkrieg übergegangen ist.
Damit knüpft Kesting an eine These Carl Schmitts an, die den als Antwort auf den religiösen Bürgerkrieg des 17. Jahrhunderts entstandenen modernen Staat durch die bürgerliche Gesellschaft in Frage gestellt sieht. Reinhart Koselleck (1923–2006), später einer der bekanntesten deutschen Historiker, hat seine Dissertation eben jenem Moment gewidmet, als der Staat von
der bürgerlichen Krankheit befallen wird. Seine Arbeit, mit der er 1954 promoviert wurde, erschien 1959 als Buch, das gemeinsam mit Kestings Werk eben jenen erwähnten Doppelschlag darstellt.Koselleck zeichnet den Prozeß nach, in dem das Nebeneinander von privatem und politischem Raum, von dem der absolutistische Staat geprägt war, zunächst zu einem Dualismus (im Sinne eines Antagonismus) erhoben wird. Aus der absolutistischen Unterscheidung zwischen öffentlicher Person, dem Bürger, der dem Souverän unterworfen ist, und der privaten Person, die nur ihrem Gewissen unterworfen ist, wird am Ende der Entwicklung die scharfe Frontstellung zwischen Politik und Moral sowie zwischen Staat und Gesellschaft.
Es etabliert sich die Auffassung, daß der Mensch nur im Privaten frei und damit eigentlich Mensch sei. Über das Vehikel der Geschichtsphilosophie tritt die private Moral aus dem Geheimen heraus und wird zur öffentlichen Forderung: alle können und sollen frei sein. Die Kritik an den absolutistischen Verhältnissen, so Koselleck, erzeugt die Krise, in dem sie den oben beschriebenen Antagonismus schafft.
Die Geschichtsphilosophie verdeckt und verschärft den Vorgang der Krise, indem sie die Revolution herbeischreibt und gleichzeitig deren Konsequenzen verdeckt. Zu diesen Konsequenzen gehört die Gewalt des Bürgerkriegs, die Koselleck als eine Krankheit beschreibt. Mithin ist die bürgerliche Welt das Resultat einer Krankheit, die uns seitdem als Weltbürgerkrieg begleitet. Das Ziel dieses Krieges ist jetzt nicht mehr der Dualismus, sondern die Aufhebung der Spaltung zwischen öffentlicher und privater Sphäre, um die universelle Gleichheit zu befördern. Es ist das Kennzeichen einer totalitären Diktatur, daß sie sich nicht mit dem Verzicht auf gegensätzliche Meinungen zufriedengibt, sondern aktiv Zustimmung einfordert. Wer schweigt, zeigt im Zweifelsfall, daß er Vorbehalte hat. Während der Absolutismus eine Privatmeinung zulassen kann, weil er im öffentlichen Raum absolut herrscht, kann der liberale Staat diese Freiheit nicht mehr gewähren, sondern sieht in der Individualität eine Gefahr.
Ein weiterer Schüler Schmitts, Armin Mohler (1920–2003), hat sich bereits 1949 in seiner Dissertation zur Konservativen Revolution als Gegner der Geschichtsphilosophie, die er für eine Fortschrittsideologie hielt, bekannt. 1963 ging er in seinem Buch Die Fünfte Republik über das Frankreich de Gaulles noch einen Schritt weiter, indem er die Aussage »Es gibt keine Geschichtsphilosophie« als einen für ihn zentralen Gedanken markierte. Er schreibt diesen Gedanken der antikommunistischen Rechten zu, die damit gegen die Aufgabe der Kolonie Algerien durch Präsident de Gaulle opponierte. Gemeint war damit eine voluntaristische Position, die in der Geschichte weder Gesetze noch eine Entwicklung sehen wollte.
Demzufolge konnte es auch keine Notwendigkeit geben, auf Algerien zu verzichten. Im Gegenteil: Entschlossene können der Geschichte jederzeit eine neue Richtung geben, während einer, der Gesetzmäßigkeiten in der Geschichte annimmt, damit nur zeigt, daß er sich gegen das Handeln entschieden habe. Wie eine Entscheidung im Einzelfall auszusehenhat, ist damit nicht gesagt.
Mohler interpretierte de Gaulles Entschluß – anders als dessen Feinde – als Befreiungsschlag für Frankreich, das so in Europa wieder an die alte Vormachtstellung anknüpfen könne. Der Satz »es gibt keine Geschichtsphilosophie« ist also als voluntaristische Behauptung Mohlers zu verstehen: Es soll sie einfach nicht geben.
Vor einem ähnlichen Dilemma stand auch der größte Geschichtsphilosoph, den die Rechte im 20. Jahrhundert hervorgebracht hat: Oswald Spengler (1880–1936). Nachdem er im Frühjahr 1918 seinen ersten Band des Untergangs des Abendlandes veröffentlicht hatte, sah er sich mit dem Vorwurf des Pessimismus konfrontiert, obwohl er durchaus voluntaristische Pointen gesetzt hatte.
Er sah sich veranlaßt, mit einer Entgegnung darauf zu reagieren, da sich das Erscheinen des zweiten Bandes, der nach Spenglers Auffassung die Mißverständnisse ausräumen würde, verzögerte. Neben dem Titel, der für Verwirrung sorgte und den Spengler nicht mit Katastrophe, sondern mit »Vollendung« übersetzt wissen wollte, hätte das Buch zudem auch die falschen Leser gefunden. Spengler hatte sich für sein Buch nicht Grübler, sondern tätige Menschen als Leser gewünscht, da sich seine Philosophie an die Handelnden richte: »Der Tätige lebt in und mit den Dingen. Er braucht keine Beweise, er versteht sie oft nicht einmal.«
Problematisch wird es, wenn Spengler den zentralen Gedanken seines Werkes, den Schicksalsgedanken, zur Frage des Mitfühlens, nicht des Verstehens erklärt. Nur in einem Tiefenerlebnis könne man erfassen, was Zeit und damit Geschichte in Bezug auf das Schicksal bedeute, und wie die Rolle des Raumes und seine Kausalität in der Gesamtschau zu werten sei. Weiterhin bedürfe es des physiognomischen Takts als der Fähigkeit, den Gang der Welt zu erspüren. Den hätten nur der Staatsmann und der Historiker, die davon ausgehend der systematischen Methode Spenglers folgen könnten, um in der Geschichte Entsprechungen zur Gegenwart zu finden.
Falsch verstanden worden sei auch der Relativismus, der nichts mit Physik zu tun habe, sondern eine Bejahung der Schicksalsidee ist: »Das Einmalige, Unwiderrufliche, nicht Wiederkehrende alles Geschehens ist die Form, in welcher das Schicksal vor das menschliche Auge tritt.«
Die Weltgeschichte sei keine Einheit, sondern eine Gruppe von acht hohen Kulturen, die ähnlich gegliedert, aber völlig unabhängig voneinander sind. Da einige von ihnen bereits untergegangen bzw. vollendet seien, kann man für das noch existierende Abendland ermitteln, wie es weitergehen wird. Dem Einwand, das aber gerade das doch pessimistisch sei, wenn die Zukunft schon feststehe, begegnet Spengler mit dem Verweis auf den Maßstab der Geschichte. Nur wer davon ausgehe, daß des Menschen Glück in einer als Offenheit gedachten Freiheit liege, könne so denken. Das sieht Spengler aber ganz anders.
Sein Freiheitsbegriff ist ein ganz anderer, der die Freiheit des Menschen gerade darin sieht, sein Schicksal anzunehmen und zu gestalten. Diese scharfe These ist vor allem vor dem Optimismus der Vorkriegszeit zu verstehen. Diese Vorbehalte gegen den Optimismus, die auch heute als Pessimismus mißverstanden werden, sind ein wiederkehrendes Moment rechten Geschichtsdenkens bis in die heutigen Tage, das nicht selten, man denke nur an David Engels oder Samuel Huntington oder Max Otte, auf den Spuren Spenglers wandelt.
Geschichtsdenken bedeutet ein Klarwerden über die eigene Lage und ein Abschätzen der Entwicklungsmöglichkeiten. Das ist auch bei Rolf Peter Sieferle (1949–2016) der Fall, um einen neueren Vertreter ins Feld zu führen. Sein 1994 erstmals erschienenes Buch Epochenwechsel ist nach seinem Freitod vor drei Jahren wieder aufgelegt worden und gibt uns die Möglichkeit, seine Besichtigung des »Schlachtfeldes der Geschichte« noch einmal auf ihren Bestand hin zu prüfen. Vor dem Hintergrund der Zeitenwende von 1990 entwickelt er ein Panorama der gegenwärtigen Herausforderungen, das von den Grundlagen der Gesellschaft, über die Globalisierung bis hin zu den Fronten der Umweltpolitik reicht.
Besonders interessant ist für unseren Zusammenhang aber das Schlußkapitel über die Grenzen des Universalismus, da wir von der Geschichtsphilosophie auch eine Antwort auf die drängendste Frage erwarten dürfen: Können wir unsere Art zu leben, unsere Identität, unsere Kultur im Sturm des Universalismus bewahren? Darauf gibt Sieferle eine salomonische Antwort: Es wird uns weitergeben, allerdings nur noch als funktionierenden Teil der Weltmaschine. Aber Sieferle ist wenigstens in der Lage, die Fronten klar zu benennen, die eben zwischen Universalismus und Partikularismus verlaufen.
Der humanitäre Universalist zerstört durch seine Gleichheitsideologie die tragfähigen Strukturen seines Sozialstaatsparadieses. Der nationale Partikularismus ist nicht in der Lage, sich in einer universalistisch gesonnenen Welt argumentativ Gehör zu verschaffen und wird durch seine Abschottung zum Objekt dessen, was er vermeiden wollte. Der Universalismus kommt ebenso an seine Grenzen, weil er in einen Widerspruch gerät, der am Beginn des geschichtsphilosophischen Utopismus noch nicht gegeben war: Er kann nicht mehr beanspruchen, für die Mehrheit zu sprechen, da der Gegensatz zwischen den Menschen der Wohlstandszonen und dem Endziel globaler Gerechtigkeit ein totaler ist.
Er kann daher keine Interessen mehr vertreten, sondern nur noch appellieren, daß man verzichten und sich nivellieren solle: »Der Partikularismus hat den Vorzug, konkrete Interessen vertreten zu können. Der Universalismus vertritt dagegen nur Prinzipien.« Das Paradox sieht Sieferle darin, daß beide nicht mehr in der Lage sind, Interessen und Prinzipien zu verbinden.
Das gilt eben auch für den Partikularismus, der irgendwie ahnt, auf einem verlorenen Posten zu kämpfen, wohingegen der Universalismus, das erleben wir ständig, noch immer in der Lage ist, die Massen zu mobilisieren. Dieser Schwung kommt nicht nur aus der gut geölten Wirtschaftsmaschine, die eben immer noch läuft, sondern auch aus der moralisch sicheren Position, mit der der Universalismus ganz selbstverständlich gegen Dunkelmänner und Nationalisten kämpft.
Ganz offensichtlich ist der Impuls der Geschichtsphilosophie im Sinne der Fortschrittsideologie noch nicht verpufft.
Ernst Nolte (1923–2016) hat in seinem großen Spätwerk über die Historische Existenz eben diesen Impuls als eine der historischen Existenzialien bezeichnet, wenn er von der »ewigen Linken« spricht, die zu allen geschichtlichen Zeiten existiert habe. Aber er hält es im Gegensatz zu Sieferle für nahezu ausgeschlossen, daß sich die große Mehrheit der
Bevölkerung der ersten Welt dem linken Ruf nach allgemeiner Gleichheit anschließt und ihr Vermögen aufteilt.
Er sieht sogar hier die größte Möglichkeit für eine militante Gegenbewegung, so daß letztlich der Grundimpuls der Linken wieder eine besonders intensive Geschichtsphase als Gegenreaktion hervorbringen könnte und alles Gerede vom »Ende der
Geschichte« Lügen strafen würde. Nolte betont hier die menschliche Neigung, die Dinge zu hinterfragen und auch den scheinbar idealen Zustand für verbesserungswürdig zu halten.
Doch der Bedarf nach Orientierung wird auf diese Art nur schwer gedeckt werden. Nur wenige sind in der Lage, nur aus dem Negativen zu leben, selbst wenn es eine stabile Minderheit gibt, die ihnen folgt. Die Analogie, daß die geschichtsphilosophischen Moralisten am Beginn ihres Siegeszugs auch in der Minderheit waren und nur behaupteten für die Mehrheit zu sprechen, bietet angesichts der grundsätzlichen Verschiedenheit des Denkansatzes nur wenig Trost und Hoffnung.
Aber um Hoffnung ist es unserer Geschichtsphilosophie nicht zu tun. Die Geschichte ist kein Sanatorium, in dem man auf seine
Behandlung und später den Tod wartet, sondern Schauplatz von Kämpfen, ein ewiges Wagen und Versuchen, ein Riskieren und Hineinspringen in eine Situation, wenn sich diese öffnet.
Alle genannten Werke kann man hier bestellen.