Ökologische Betrachtungen (3): Lektüre-Plan

PDF der Druckfassung aus Sezession 94/Februar 2020

Stö­bert man nach »öko­lo­gi­scher« Lite­ra­tur, so erschlägt einen die schie­re Mas­se an Publi­ka­tio­nen in den ers­ten Sekun­den der Suche. Beson­ders in einer kli­ma­be­weg­ten Zeit will das schlech­te öko­lo­gi­sche Gewis­sen des Vol­kes auf der einen Sei­te gefüt­tert und auf der ande­ren gelin­dert werden.

Ein Blick auf das Pro­gramm des auf Öko-Lite­ra­tur spe­zia­li­sier­ten Oekom-Ver­lags führt einem dabei die Band­brei­te an schrift­li­chen Erzeug­nis­sen in die­sem Bereich vor Augen: Wäh­rend ober­fläch­li­che Wohl­fühl­rat­ge­ber wie Bes­ser leben ohne Plas­tik oder Going Green – War­um man nicht per­fekt sein muss, um das Kli­ma zu schüt­zen die Netz­sei­te des Ver­lags domi­nie­ren, fin­det sich in den ent­le­ge­nen Ecken Tie­fer­schür­fen­des wie bei­spiels­wei­se Nach­hal­tig­keit als Ver­ant­wor­tungs­prin­zip – Car­lo­witz wei­ter­den­ken oder den Hei­mat­schutz betref­fend Quo vadis Kon­ser­vie­rungs­wis­sen­schaf­ten?.
Alles in allem über­wiegt jedoch das Zeit­geis­ti­ge: Titel à la Caring Mas­cu­li­n­i­ties? Männ­lich­kei­ten in der Trans­for­ma­ti­on kapi­ta­lis­ti­scher Wachs­tums­ge­sell­schaf­ten spre­chen Bände.

Bei die­sem Über­an­ge­bot an Lek­tü­re­ne­bel­ker­zen fällt es schwer, zum Wesent­li­chen, an die radix des öko­lo­gi­schen Den­kens vor­zu­drin­gen. Um die­ses aus dem Wust des Belang­lo­sen her­aus­zu­schä­len, emp­feh­len sich indes zwei Zugän­ge: Ent­we­der man nähert sich his­to­risch-chro­no­lo­gisch und beginnt mit den die Öko­lo­gie kon­sti­tu­ie­ren­den Klas­si­kern – oder man stößt pro­blem­ori­en­tiert auf das Feld vor.

Ers­te­re Vor­ge­hens­wei­se kon­fron­tiert einen umge­hend mit der Tat­sa­che, daß die Öko­lo­gie in ihren Anfän­gen eine Hoch­burg des Kon­ser­va­tis­mus dar­stell­te, die erst Ende der 1970er bis Anfang der 1980er von der Lin­ken geka­pert wur­de. Als einer ihrer Grün­der­vä­ter kann ohne Fra­ge der Kom­po­nist und Pro­fes­sor an der Ber­li­ner Hoch­schu­le für Musik Ernst Rudorff gel­ten, der mit sei­nem 1880 erschie­ne­nen Auf­satz »Über das Ver­hält­nis des moder­nen Lebens zur Natur« und sei­nem dar­auf fol­gen­den, begriffs­prä­gen­den Buch Hei­mat­schutz (1897), in denen er sich ins­be­son­de­re gegen die Zer­stö­rung der alt­her­ge­brach­ten klein­glied­ri­gen Land­schaft wand­te, wesent­li­che Stütz­pfei­ler der Öko­lo­gie setzte.

Kei­ne drei Jah­re nach dem Erst­erschei­nen des Hei­mat­schut­zes von Rudorff, ver­öf­fent­lich­te der Archi­tekt Paul Schult­ze-Naum­burg im Mün­che­ner Kunst­wart eine Arti­kel­rei­he unter dem Titel »Kul­tur­ar­bei­ten«, in der er anhand rei­cher Bebil­de­rung die Kul­ti­vie­rung der Natur durch den Men­schen doku­men­tier­te, dabei eine Ver­häß­li­chung mensch­li­chen Wir­kens in der Land­schaft kon­sta­tier­te und gegen die­se anschrieb: »Wer eine Vor­stel­lung davon hat, was einem Men­schen, der sei­ne Hei­mat liebt und mit gan­zem Her­zen dar­an hängt, ein schö­ner Ort bedeu­tet, ja, daß er ihm durch sei­ne Schön­heit zur geweih­ten Stät­te wer­den kann, der wird die dump­fe Unver­nunft nicht begrei­fen, die mit plum­pen Hän­den an Din­ge tas­tet, die für das eigent­li­che Leben eines Vol­kes tau­send­mal mehr bedeu­ten als die paar Klaf­ter Holz, die man da her­aus­ho­len kann.«
Öko­lo­gie ist bei die­sen Pio­nie­ren nicht nur auf den Arten­schutz oder die Ein­däm­mung von Schad­stof­fen begrenzt, son­dern umfaßt außer­dem die Denk­mal­pfle­ge und den Schutz des Land­schafs­bil­des ein­schließ­lich der Ruinen.

Durch die enge Zusam­men­ar­beit Rudorffs und Schult­ze-Naum­burgs kam es 1904 zur Grün­dung des »Deut­schen Bun­des Hei­mat­schutz«. Das kon­ser­va­ti­ve Nach­den­ken über die öko­lo­gi­schen Pro­blem­stel­lun­gen, die durch die fort­schrei­ten­de Indus­tria­li­sie­rung auf­ge­wor­fen wur­den, fei­er­te um die letz­te Jahr­hun­dert­wen­de sei­ne Hoch­zeit. Ein wei­te­res Erzeug­nis die­ser inten­si­ven Schaf­fens­pha­se bil­de­te Lud­wig Kla­ges Mensch und Erde, in dem der Lebens­phi­lo­soph zur radi­ka­len Ankla­ge gegen die öko­lo­gi­schen Sün­den der moder­nen Zivi­li­sa­ti­on anhebt: »Eine Ver­wüs­tungs­or­gie ohne­glei­chen hat die Mensch­heit ergrif­fen, die ›Zivi­li­sa­ti­on‹ trägt die Züge ent­fes­sel­ter Mordsucht.«

Ganz in die­ser Tra­di­ti­on stand auch die ers­te wirk­mäch­ti­ge öko­lo­gi­sche Wort­mel­dung der Nach­kriegs­zeit, Fried­rich Georg Jün­gers Per­fek­ti­on der Tech­nik (1946). Jün­gers zen­tra­le The­se im Buch: Tech­nik und Aus­beu­tung der Natur erzeu­gen kei­nen Reich­tum, son­dern zer­stö­ren den Über­fluß der Natur. Die letz­te gewich­ti­ge, öko­lo­gi­sche Arbeit, die von konservativen
Denk­li­ni­en durch­zo­gen war, mar­kier­te Her­bert Gruhls Ein Pla­net wird geplün­dert. Die Schre­ckens­bi­lanz unse­rer Poli­tik (1975). Breit rezi­piert, war es ein radi­kal-kon­ser­va­ti­ver Weck­ruf, der­für eine fun­da­men­ta­le Abkehr von einer wachs­tums­fi­xier­ten Wirt­schaft ein­trat und die Not­wen­dig­keit eines umfas­sen­den Geis­tes­wan­dels in der Gesell­schaft erörterte.
Der­je­ni­ge, der es für »kon­ser­va­tiv« oder »rechts« erach­tet, was der­zeit medi­al als unre­flek­tier­te Diesel‑, SUV-und Fort­schrittsa­po­lo­gie kur­siert, wird durch die­se Lek­tü­re gegen ent­spre­chen­de Denk­wei­sen geimpft.

Ohne­hin gilt: Wer sich an die­sen sechs bei­spiel­haft erwähn­ten Wer­ken ent­lang arbei­tet, wird einen umfas­sen­den Ein­blick in die Umwelt­pro­ble­me moder­ner Gesell­schaf­ten, in Ansät­ze zur Lösung der Umwelt­kri­se sowie in die kon­ser­va­ti­ve Fort­schritts- und Wachs­tums­kri­tik erhal­ten, einen Ein­blick, der deut­lich wer­den läßt, daß die Öko­lo­gie aus ungleich mehr als ledig­lich hys­te­ri­scher Kli­ma­de­bat­te besteht.

Dem­ge­gen­über öff­net der zwei­te, pro­blem­ori­en­tier­te Zugang die drei unwei­ger­lich mit­ein­an­der ver­wo­be­nen Sphä­ren »Öko­no­mie«,
»Öko­lo­gie und »Sozia­les«. Denn nur zu oft ent­pup­pen sich bei ein­ge­hen­der Beschäf­ti­gung die hin­ter öko­no­mi­schen und sozia­len Fra­ge­stel­lun­gen ste­hen­den Pro­zes­se als sol­che, die zudem die Öko­lo­gie betreffen.

Aus die­ser Erkennt­nis her­aus rede­te der deutsch-bri­ti­sche Volks­wirt Ernst Fried­rich Schu­ma­cher bereits 1971, noch vor Gruhls Abrech­nung, in sei­nem Band Small is Beau­tiful. Die Rück­kehr zum mensch­li­chen Maß einer öko­lo­gisch aus­ge­rich­te­ten Öko­no­mie das Wort, die sich dem Para­dig­ma des »Post­wachs­tums« ver­schreibt – ein Ansatz, an den der zeit­ge­nös­si­sche Volks­wirt Niko Paech als aus­ge­wie­se­ner Post­wachs­tum-Theo­re­ti­ker anknüpft.
In die­sem Zusam­men­hang ist ins­be­son­de­re sei­ne Stu­die Nach­hal­ti­ges Wirt­schaf­ten jen­seits von Inno­va­ti­ons­ori­en­tie­rung und Wachs­tum (2005) hervorzuheben.

Ein Autor, der die Gren­zen zwi­schen den drei Sphä­ren auf­löst und die Aus­wir­kun­gen des mensch­li­chen Wirt­schaf­tens in all sei­nen Facet­ten auf Natur und sozia­le Orga­ni­sa­ti­ons­for­men sicht­bar macht, ist der Uni­ver­sal­ge­lehr­te Rolf Peter Sie­fer­le. Er gilt als einer der wich­tigs­ten Ver­tre­ter umwelt­ge­schicht­li­cher For­schung in Deutsch­land. Mit sei­ner for­mi­da­blen Arbeit Der unter­ir­di­sche Wald. Ener­gie­kri­se und indus­tri­el­le Revo­lu­ti­on (1982), ver­än­der­te er den Blick auf die anstei­gen­de Koh­le­för­de­rung und ‑nut­zung wäh­rend der indus­tri­el­len Revo-uti­on. Hier for­mu­liert Sie­fer­le erst­mals sein in spä­te­ren Wer­ken wie­der­keh­ren­des Sche­ma des Über­gangs aus dem sola­ren Ener­gie­sys­tem der Agrar­ge­sell­schaf­ten hin zu den fos­si­len Ener­gie­quel­len des Indus­trie­zeit­al­ters und beleuch­tet die damit ver­bun­de­ne »kolos­sa­le Beschleu­ni­gung der Materialumsätze«.

Sei­ne dar­auf­fol­gen­den Bücher Die Kri­se der mensch­li­chen Natur. Zur Geschich­te eines Kon­zepts (1989) und Bevöl­ke­rungs­wachs­tum und Natur­haus­halt. Stu­di­en zur Natur­theo­rie der klas­si­schen Öko­no­mie (1990), schär­fen noch ein­mal den Blick für die durch die Moder­ne indu­zier­te Umwelt­kri­se, die das den »Wes­ten« cha­rak­te­ri­sie­ren­de expan­si­ve Indus­trie­sys­tem aus­drück­lich in Fra­ge stellt – Sie­fer­le ist zwei­fels­oh­ne ein für den öko­lo­gi­schen Bücher­schrank unver­zicht­ba­rer Autor.

Neben Sie­fer­le ist fer­ner der deut­sche His­to­ri­ker Joa­chim Rad­kau zu nen­nen, der mit sei­nem umwelt­ge­schicht­li­chen Werk Natur und Macht. Eine Welt­ge­schich­te der Umwelt (2000) eine wesent­li­che in das Feld ein­füh­ren­de Arbeit vor­leg­te. Dar­in spannt Rad­kau nach einer Refle­xi­on über die »Umwelt­ge­schich­te« als eigen­stän­di­ge Fach­rich­tung von der ers­ten Nut­zung des Feu­ers bis zur Glo­ba­li­sie­rung einen wei­ten geschicht­li­chen Bogen, der aus umwelt­his­to­ri­scher Per­spek­ti­ve seziert wird.

Als letz­ter Lite­ra­tur­hin­weis muß ein eng­li­sches Buch her­hal­ten, um das bei einer öko­lo­gi­schen Lek­tü­re kein Weg vor­bei­führt: Fred Cott­rells Ener­gy and Socie­ty. 1955 erschie­nen, wies es akri­bisch nach, inwie­weit ver­schie­de­ne Niveaus von Ener­gie­flüs­sen not­wen­dig sind, um bestimm­te For­men sozia­ler Sys­te­me auf­recht­zu­er­hal­ten oder zu verändern.

Cott­rell kommt zum Ende sei­ner die moder­nen Indus­trie­ge­sell­schaf­ten betref­fen­den Ana­ly­se zu einem grund­le­gend pes­si­mis­ti­schen Schluß: »Die meis­ten Men­schen im ›Wes­ten‹ sind von der Idee durch­drun­gen, daß die end­gül­ti­ge Per­fek­ti­on ein­tre­ten wird, wenn sie nur den rich­ti­gen Gedan­ken anhän­gen und nach die­sen han­deln.« Jedoch machen die real exis­tie­ren­den Gege­ben­hei­ten deut­lich, »daß der Mensch als irdi­sches Wesen nicht dazu in der Lage ist, die Gren­zen, die ihm von der Natur (…) auf­er­legt wer­den, abzuschütteln«.

Ein Kern­ge­dan­ke, der alle ange­führ­ten Autoren mit­ein­an­der ver­bin­det: es zeigt sich, daß eine öko­lo­gi­sche Sicht auf die Din­ge gegen die uto­pi­schen Ver­hei­ßun­gen pro­gres­si­ver Ideo­lo­ge­me impft.

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