c. Die Rolle von viralen Influencern in Italien
Auch in China können repressive Maßnahmen von großer Tragweite nicht einfach befohlen werden. Landesweite Hausarreste erfordern auch dort die breite Unterstützung der Bevölkerung, und so überrascht es wenig, daß Lockdowns und Corona-Alarmismus Hand in Hand gehen.
Ende Januar, als die WHO noch zögerte, wegen COVID-19 eine gesundheitliche Notlage auszurufen, tauchten in den sozialen Medien Videos auf, die zu zeigen schienen, wie mutmassliche Erkrankte in den Straßen von Wuhan plötzlich zusammenbrachen. Die Welt kennt inzwischen mehr als 100 Millionen offizielle Corona-Fälle. Und doch haben sich diese Szenen nirgendwo im Westen wiederholt.
Hinzu kommt, daß sämtliche Videos dieser Art am oder kurz nach dem 23. Januar erschienen sind, also genau an dem Tag, an dem die chinesische Regierung den Hubei-Lockdown verhängte. Sie kommen uns heute als absurd vor, weil sie sich deutlich von der Corona-Mythologie unterscheiden, wie sie uns im Westen verkauft wurde.
Unsere Mythen erzählen eher davon, wie Corona unsere Großeltern töten, unsere Krankenhäuser überschwemmen, die Genesenen neu infizieren und die Gesunden verkrüppeln wird. Diese Art der Propaganda ist subtiler und gehört doch zum gleichen Drehbuch. Der Ablauf ist derselbe: Zuerst entscheidet sich eine Regierung für Masseneindämmung. Dann werden alarmierende Nachrichten verbreitet, um die beispiellosen Einschränkungen zu rechtfertigen.
In wenigen Tagen nach dem 8. März wurden Europa und Nordamerika mit koordinierten Propagandawellen überschwemmt, die vor allem zwei Ziele hatten: Sie sollten die landesweite Quarantäne, die die italienische Regierung angeordnet hatte, gegenüber der Bevölkerung des Landes rechtfertigen; und sie sollten die Strategie der Masseneindämmung anderen Nationen schmackhaft machen.
Nur wenige Tage nach Beginn der Quarantäne setzte in den italienischen sozialen Medien jene folgenreiche Informationskampagne ein, die von Michael Senger dokumentiert wurde. Sie wurde nachweislich zumindest teilweise aus China gesteuert. „Vom 11. bis 23. März“ – so Senger – „stammten etwa 46% der Tweets mit dem Hashtag #forzaCinaeItalia und 37% der Tweets mit dem Hashtag #grazieCina von Bots“. Andere, von menschlicher Hand betriebene Accounts begannen zur gleichen Zeit das Stimmungsbild zu erzeugen, daß die Angst vor Corona und der daraus folgende Wunsch nach drakonischen Maßnahmen im Volk weit verbreitet sei.
Einen Tag vor Beginn der italienischen Twitter-Kampagne, am 10. März, veröffentlichte ein „Influencer“ namens Tomás Pueyo auf dem Portal medium.com einen Meilenstein der Corona-Hysterie. Der Artikel „Coronavirus: Warum du jetzt handeln muss“ wurde innerhalb weniger Tage mehr als 40 Millionen Mal aufgerufen; innerhalb von 72 Stunden erschienen gleich zwei deutsche Übersetzungen.
Im Grunde genommen handelte es sich hierbei um nichts weiter als eine Neuauflage der Argumente, die dem verhängnisvollen WHO-Bericht vom 24. Februar zugrunde lagen. Laut Pueyo befanden sich die Kurven der Länder mit den schlimmsten Ausbrüchen, etwa China und Italien, lediglich um einige Tage oder maximal eine Woche im Vorsprung gegenüber anderen Nationen, die unweigerlich auf dasselbe Desaster zurasten:
Wenn Sie verstehen wollen, was passieren wird oder wie diese Wachstumsrate zu verhindern ist, müssen Sie einen Blick auf die Länder werfen, die das alles bereits durchgemacht haben: dazu gehören China, andere östliche Länder mit SARS-[Erfahrung] und Italien.
Neun Tage später veröffentlichte Pueyo ein weiteres einflußreiches Stück, „Der Hammer und der Tanz“, das fast ebenso große Verbreitung fand wie das erste. Darin empfahl er Lockdowns (der „Hammer“) kombiniert mit anderen Maßnahmen wie Kontaktverfolgung (der „Tanz“), um „Zeit zu gewinnen“ und Corona einzudämmen, bis Impfstoffe verfügbar wären.
Pueyos Artikel wurden von den Gesundheitsbürokraten weitgehend gutgeheißen. Sein erstes Stück wurde in vierzig Sprachen übersetzt. Aus ihm stammt eines von nur zwei Zitaten in einem vieldiskutierten offenen Brief, in dem fünfhundert Wissenschaftler am 14. März die britische Regierung zur Ergreifung „stärkerer Maßnahmen“ aufforderten.
Wer ist dieser Tomás Pueyo, dessen Aufsätze die internationale Lockdown-Debatte so stark beeinflussten? Vor Corona beschäftigte er sich vor allem mit „Verhaltenspsychologie, Design und Storytelling“, also der „Kunst des Geschichtenerzählens“. So schrieb er 2017 ein Buch über die narrative Struktur von Star Wars. Im selben Jahr hielt er einen TED-Vortrag mit dem Titel “Warum uns Geschichten fesseln”. Er behauptet, die Online-Lernplattform Course Hero zu verantworten.
Während Pueyos Manifest von Millionen gelesen wurde, änderte sich der Tonfall der Presseberichte über die italienische Pandemie drastisch.
Vor der ersten Quarantäne in der Lombardei findet man nur vereinzelte Artikel über die gesundheitlichen Verhältnisse in Italien. Ein Bericht beschreibt das italienische Gesundheitssystem als „angespannt“ (2. März); ein anderer schildert, wie einige italienische Krankenhäuser Triage-Zelte aufstellen ließen, um Corona-Patienten zu identifizieren (4. März). In den Tagen nach dem 7.3. fing die Presse an, sich auf die dramatischen Erfahrungen des Gesundheitspersonals zu fokussieren und zu prognostizieren, daß die Gesundheitsversorgung auch in den jeweils eigenen Ländern bald rationiert werden müsste.
Dieser Gesinnungswandel scheint seine Ursprünge in den sozialen Medien zu haben, wofür nur eine kleine Handvoll Postings genügte.
Der mit Abstand einflußreichste Beitrag war ein emotionaler Appell, den ein Arzt in Bergamo namens Daniele Macchini am 7. März auf Facebook veröffentlichte. Italiens meistgelesene Tageszeitung, der Corriere della Sera, veröffentlichte Macchinis Post auf ihrer Website noch am selben Abend wortwörtlich und ohne die geringste zusätzliche Berichterstattung.
Eine Ärztin namens Silvia Stringhini lieferte zwei Tage später eine virale englische Übersetzung auf Twitter. Diese Posts inspirierten innerhalb einer Woche unzählige Nachrichten in mehreren Sprachen (siehe z.B. hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier).
Die Details von Macchinis Appell sind ziemlich aufschlußreich. Bevor das Corona-Virus nach Italien gelangt war, war seine Facebook-Seite monatelang inaktiv. Am 24. Februar tauchte er wieder auf und leitete die Stellungnahme eines Kollegen weiter, der versuchte, zu erklären, warum Corona schlimmer und weitaus infektiöser als die Grippe sei, und sich deshalb zu viele Menschen auf einmal infizieren und die italienischen Krankenhäuser überlasten würden, wenn man nicht sofort drastische Maßnahmen ergreife.
Dies geschah am selben Tag, an dem die WHO-Mission in Peking die entscheidende Pressekonferenz abhielt, in der sie die Masseneindämmung befürwortete, und an dem Italien seine Eindämmungsversuche im Norden neu zu organisieren begann.
Am 4. März leitete Macchini die „klinischen Eindrücke“ eines anderen Kollegen weiter, mitsamt Behandlungsempfehlungen für Corona-Patienten, darunter die Aufforderung, bei schweren Fällen invasive Beatmung anzuwenden, und zwar auf hohem positivem endexspiratorischem Druck. Ein weiteres Posting vom 7. März wiederholte lediglich Aussagen aus diesen früheren Nachrichten, und untermalte sie mit Auskünften über seine persönlichen Gefühle der Erschöpfung und Dringlichkeit.
Macchini beschrieb, wie sein Krankenhaus umorganisiert werde, um den anwachsenden Zustrom von Corona-Patienten aufzunehmen, und berichtete, daß er und seine Kollegen sich buchstäblich rund um die Uhr bemühen müssten, viele ältere, an Lungenentzündung leidende Italiener zu behandeln. Er erklärte ausführlich, warum Corona keine Grippe sei, und pries die Beatmungsgeräte als „so wertvoll wie Gold“.
Am Vorabend der Ankündigung des Lockdowns in der Lombardei ermahnte er seine Leser,
geduldig zu sein, auch wenn Sie nicht ins Theater, in die Museen oder ins Fitnessstudio gehen können. Versuchen Sie, Mitleid mit all den alten Menschen zu haben, die Sie umbringen könnten.
Macchinis Beitrag war sicherlich der einflußreichste seiner Art, aber nicht der einzige, der eine breite Leserschaft fand, insbesondere in der Anglosphäre.
Am 9. März postete ein Twitter-Account im Namen eines angeblichen Londoner Arztes namens Jason Van Schoor einen vielgelesenen Thread im gleichen Stil. Van Schoor behauptete, die Erfahrungen „eines angesehenen Freundes und Intensivmediziners, der sich derzeit in Norditalien aufhält“, weiterzugeben. Dieser Arzt soll sich mit Van Schoor in Verbindung gesetzt haben, um ihm „ein schnelles, persönliches Update über die Geschehnisse in Italien zu geben“ und um mit ihm zu beraten, „was man tun sollte.”
Nun scheint es in London zwar tatsächlich einen Arzt zu geben, der Jason Van Schoor heißt, und es besteht gewiß auch kein Zweifel daran, daß die Zustände in den lombardischen Krankenhäusern im März 2020 schlimm waren. Warum jedoch Berichte darüber aus zweiter Hand kommen mussten, in perfekter Koordination mit der Propaganda-Kampagne nach dem 8. März, ist eine andere Sache.
Wir haben alle Routinebehandlungen gestoppt, alle OP-Säle wurden in Intensivstationen umgewandelt, während alle anderen Notfälle, wie Traumata oder Schlaganfälle, weitergeleitet oder nicht behandelt werden,
las man in Van Schoors Thread. „Es gibt Hunderte von Patienten mit schwerem Atemversagen und viele von ihnen haben keinen Zugang zu etwas Besserem als einer Beatmungsmaske.“ Jeder „über 65 und jeder jüngere mit Ko-Morbiditäten“ werde „auf den Intensivstationen nicht einmal angeschaut.“ Der anonyme Arzt hat Freunde, die „in Tränen aufgelöst sind, weil sie Menschen vor ihren Augen sterben sehen und sie nichts weiter tun können, als ihnen etwas Sauerstoff anzubieten.“
Van Schoors Informant prophezeite, daß dieses Schicksal auch anderen Krankenhäusern im Ausland blühe, und zwar nach einem „Muster“, das „überall gleich ist“. Zuerst werde man „ein paar positive Fälle“ haben, die Leute würden aber „immer noch in Gruppen herumhängen, und alle werden sagen, daß man nicht in Panik geraten soll“. Dann werde man von „Unmengen von Patienten mit moderatem Atemversagen“ überflutet. Deren Zustand würde sich stetig verschlechtern, während
das medizinische Personal krank wird, sodaß es schwierig wird, den Schichtbetrieb aufrechtzuerhalten, wodurch die Sterblichkeitsrate auch bei allen anderen Krankheitsursachen steigt, die nicht richtig behandelt werden können.
Obwohl sich dieser mysteriöse Freund angeblich mit Van Schoor in Verbindung gesetzt hatte, um Behandlungstipps zu geben, tat er nichts dergleichen und erklärte bizarrerweise, daß „alles darüber, wie man sie behandelt, im Internet zu finden“ sei („everything about how to treat them is online“).
Sein einziger Rat ist politischer Natur: „Wir“ sollten „keine Angst vor massiv strengen Maßnahmen haben, um die Menschen zu schützen“. Unsere Regierungen müssten diese „strengen Maßnahmen“ durchsetzen; wenn sie es nicht täten, werden unsere Angehörigen, die nicht an Corona erkrankt sind, aufgrund der Triage keine Hilfe bekommen können:
If governments won’t do this (…), your loved ones with history of cancer or diabetes or any transplant will not be tubed if they need it even if they are young.
Er fordert seine Leser auf, es nicht den Ignoranten gleichzutun, die zwar sagen „Oh weh, das ist aber schlimm“, und anschließend auswärts zum Essen gehen.
Die Parallelen zu Macchinis Posting liegen auf der Hand, und das Timing scheint eine direkte Verbindung nahezulegen: Van Schoors Thread wurde knapp vierzehn Stunden nach Stringhinis Macchini-Übersetzung gepostet, und beide Threads sind gleich formatiert.
Ein Journalist fragte Van Schoor, ob er ihn mit diesem anonymen italienischen Arzt in Kontakt setzen könne. Van Schoor antwortete nicht (zumindest nicht öffentlich); soweit ich weiß, sind keine Artikel erschienen, in denen sich weitere Informationen über seine Quelle finden lassen.
Ein skeptischer Leser verlangte Beweise, und bekam als Antwort zwei Fotos, ein leeres und ein mit medizinischen Geräten überfülltes Krankenhauszimmer: „Das sind die OP-Säle, die in Bergamo geräumt werden“.
Danach wurde es um Van Schoors Account fast völlig still; seit dem 10. März 2020 hat er nur viermal getwittert.
Presseberichte aus der gleichen Zeit bestätigen zwar, daß viele lombardische Krankenhäuser in der Tat überlastet waren, jedoch nicht die extremeren Details von Van Schoors Geschichte. Sein zweifelhafter Bericht wurde dennoch von britischen Boulevardzeitungen wie The Daily Mail und Metro massenhaft verbreitet.
Man kann es vielleicht so zusammenfassen:
Machinis Bericht richtete sich an die Italiener; Van Schoors Bericht ist eine Überarbeitung Macchinis (ein „spin-off“) und ein politischer Appell an die Briten.
Macchini richtete sich an diejenigen, die schon einen Lockdown hatten. Van Schoor war eine Neufassung für diejenigen, die einen Lockdown wollten bzw. wollen sollten.
Wenn man diese Geschichten heute liest, sticht vor allem die Rolle der Beatmungsgeräte ins Auge.
Vor März 2020 wurde die Beatmung von Covid-Patienten in den Medien kaum erwähnt. Entscheidend war ein Lagebericht der WHO vom 1. März, in dem die Nationen aufgefordert wurden, ihren Vorrat an Beatmungsgeräten aufzustocken.
Eine Woche später machte Macchinis Aufsatz die Beatmungsgeräte zu einem gängigen Thema, während der Mythos vom drohenden Mangel an diesen Geräten sofort und überall aufgegriffen wurde.
Zu den frühesten Multiplikatoren zählte das Weltwirtschaftsforum; ein Artikel auf seiner Netzseite verwies am 9. März sowohl auf Macchinis als auch auf Van Schoors Bericht: „Jedes Beatmungsgerät ist nun Gold wert“.
Die Anweisung, schwere Covid-Fälle früh und mit hohem Druck zu beatmen, stammt indes von chinesischen Gesundheitsberatern, was Macchini bekannt war.
Der Engpaß bei den Beatmungsgeräten wurde in Großbritannien zum ausschlaggebenden Argument, die Strategie der Risikominderung und Verlangsamung zugunsten der Strategie der Masseneindämmung („Lockdown“) aufzugeben.
Man warf den Briten vor, lediglich für eine Grippeepidemie geplant und dabei versäumt zu haben, die erhöhten Beatmungsanforderungen der Corona-Patienten zu berücksichtigen.
In Wahrheit wurden die Corona-Patienten übermäßig beatmet, und der Mythos des Engpasses brach bereits in der ersten Aprilhälfte zusammen, als die Ärzte erkannten, daß diese Methode ihre Patienten tötete.
Sobald sich jedoch ein Land für die Masseneindämmung entschieden hatte, war die Falle zugeschnappt und es konnte nicht mehr aussteigen. Niemand durfte zur Strategie der Risikominderung zurückkehren.
Fortsetzung folgt.
Laurenz
Klingt irgendwie alles nach einer Pistolen-Nummer aus einem Western.... irgendwie herrschen die Gesetzlosen....