Kraft Aktionismus legitimieren sie so performativ ihre Überzeugungen, insoweit es sich nicht bereits um reinen Herrschaftszynismus handeln mag. Wer in die eigenen Konstruktionen verrannt ist, muß die Grusel-Narrative weiterspinnen. Die weitgehend gleichgeschalteten Legislativen werden die Blockaden befürworten.
Courage wie jene des CDU-Abgeordneten Albert Weiler ist zunächst die Ausnahme, geduckte Anpassung die Regel. Dennoch regt sich Protest. Findet er erst seine Symbole, wird daraus Dynamik. Markus Gabriel titelte in der “Neuen Zürcher Zeitung”: “Freiheit ist die Lösung, nicht das Problem”, Pflichtlektüre für alle, die nicht nur appellieren, sondern kritisch nachdenken möchten.
Eher früher als später dürfte jene politische Kraft Erfolg haben, die sich mit dem Mut zu Risiko und Verlust, aber letztlich zugunsten des Lebens gegen obrigkeitsstaatliche Maßnahmen stemmt, vital widerständig, phantasievoll und so konsequent wie möglich. Einwände von Medizinern, so kompetent wie engagiert, gibt es mittlerweile da und dort. Sie bieten ausreichend Argumentationsgrundlage.
Parlamentarisch obliegt der AfD eine enorme Verantwortung. Sie allein vermag in den Legislativen Widerstand zu leisten, wenn sie sich nicht weiter in vorsichtige Differenzierungen und taktische Abwägungen verzettelt. Während die Regierung bisher zwar zweifelhaft, aber immerhin rational handelte, hat sie mit ihrer schlechten Improvisation in der Nacht vom Montag auf den Dienstag einen entscheidenden Fehler und sich selbst angreifbar gemacht.
Die Leute bekamen mit, daß mit der unverhältnismäßigen Ostern-Blockade etwas schlecht Zurechtgeschustertes durchbefohlen wurde, nur um zu zeigen: Seht, wir sind noch handlungsfähig! Aber der Berliner Hofstaat verliert die Initiative an die Straße. Es stört die zu recht Frustrierten zudem, daß da welche über sie entscheiden, die das anderen zugemutete Risiko selbst überhaupt nicht tragen müssen, weil sie mit fetten Gehältern und Diäten abgesichert sind. Und plötzlich sieht die Regierung der selbsterklärt “Anständigen” ebenso dekadent aus wie das Ancien Regime.
Die sogenannte Corona-Krise beschädigt direkt Leben und Psyche der Menschen. Allerdings geschieht das weniger durch das Virus als durch die in ihrer Fixation auf den Erreger verrannte Politik. Die Zwangsmaßnahmen selbst, vermeintlich zu ihrem Schutz ergriffen, treffen die Menschen im Natürlichsten, ganz unabhängig davon, ob sie hygienemedizinisch hilfreich sein mögen.
Es sind zwei Bereiche, in denen Leben, Fühlen und Handeln unweigerlich Schaden nehmen – beim eigenen Atmen und im gegenseitigen Begegnen, also im allergrundlegendsten Dasein. Niemand hätte sich vorm März 2020 je vorstellen können, daß eine Regierung darauf überhaupt zuzugreifen wagt. Und daß es am schlimmsten die Kinder trifft, bringt die Eltern in Harnisch.
Mit dem Ein- und Ausatmen befinden wir uns im Austausch mit der Welt. Der Atem begleitet das ganze Leben. Wenn schon immerfort von „Teilhabe“ die Rede ist, so erscheint das Atmen überhaupt als die Voraussetzung unserer lebendigen Teilhabe an der Welt. Es gibt nichts Notwendigeres, Tieferes und „Intimeres“ zwischen unserem Inneren und dem großen Außen.
Für Hartmut Rosa, Professor in Jena, der neben dem Begriff der Unverfügbarkeit maßgeblich jenen der Resonanz in die Gegenwartssoziologie einbrachte, ist offensichtlich,
daß das Atmen als der basalste Akt des Lebens und der elementarste Prozeß des Stoffwechsels zwischen Subjekt und Welt von fundamentalster Bedeutung für die Weltbeziehung des Menschen, für die Art seines In-die-Welt-Gestelltseins ist. (…) Die Gewißheit und der Rhythmus des Atmens sind Bestandteile jenes Bereichs der ontologischen Sicherheit, der den in der Regel unhintergehbaren Hintergrund unserer Weltbeziehung bildet.
Unhintergehbar? – Schon vor der sogenannten Corona-Krise erkannten oder erfühlten immer mehr Menschen, daß die fortschreitende Anpassung unseres Daseins an die Bedürfnisse zunächst der Maschinen und dann an die Algorithmen von Big Data zwar im Sinne der Rationalisierung die ökonomische Effizienz erhöhen mag, aber die natürliche Synchronisierung des Lebens mit der Welt unnatürlich beschädigt.
Die Menschen, gerade die sogenannten Leistungsträger, geraten aus dem Gleichgewicht; sie erkranken. Mit der „pandemiebedingt“ angstvoll flachen Atmung im Sinne einer Atemvermeidung aus hygienischen Gründen – etwa in der Enge und Menge – und der direkten Atemreduzierung durch die Corona-Maskenpflicht ist physisches und seelisches Dasein im Kern getroffen. Wir bekommen nicht nur weniger und schlechtere Luft, wir reduzieren unweigerlich unsere innerste Lebendigkeit, wenn wir das Atmen abflachen oder überhaupt an Freiatmung gehindert werden.
Klar, bei passablen Fitneßwerten kommen wir mit dem „Atemschutz“ flott durch die Fußgängerzone der Innenstadt, aber dennoch ist uns die aufgenötigte Masken-Atemerschwernis unangenehm; der Körper, die Sinne, die Emotionen signalisieren mindestens halbklar bewußt die Atemhemmung, gegen die das Leben selbst revoltiert, während wir es herunterzuregieren versuchen, so wie wir selbst von all den Erlassen und Vorschriften herunterregiert werden. Atmen ist Leben. Das gilt nicht nur auf der Intensivstation, sondern immer und überall.
Vom natürlichen Aspekt zu einem damit zusammenhängenden sozialen und kulturellen: Alles Natürliche bedarf der Nähe, der Wärme des Miteinanders und des unmittelbaren Austausches. Was Leben hervorbringt und erhält, das verbindet und hüllt ein, eng und warm: Ernährung, Liebe und Sexualität, auch gegenseitiger Trost, Ermutigung und tätige Hilfe. Leben berührt sich, daher fassen wir uns in intimen Momenten nun mal an, umarmen uns, stützen, halten und streicheln uns. Solche Akte vereinen uns intensiver als alles andere. Wir haben sie als soziale Wesen offenbar nötig; sie sind lebensnotwendig.
Kultur und Gesellschaft hingegen beruhen in ihren institutionalisierten Formen und Ritualen notwendigerweise auf der Auflösung natürlicher Unmittelbarkeit zugunsten einer erforderten sublimen Distanzierung, so wie sie insbesondere Helmuth Plessner als ein „Nimbussystem der Distanziertheit“ beschreibt. Von der Intimität zur Distanz, das ist nach seiner Darstellung das Grunderfordernis der Kultur, selbst wenn sich in der dazu erforderten Rationalität die Gefühligkeit zwischen den Menschen abkühlt.
Politik etwa ermöglicht nüchtern-abgeklärte Sachlichkeit, „weil Individuen nicht überall durch Liebe und Überzeugung verbunden sind, denn ihrer sind zu viele …“ Vielmehr geht es um die Sicherung der eigenen, der individuellen Dignität, gewissermaßen vorm Anspruch des „Man“, wie Heidegger es im § 27 seines Hauptwerks zu fassen versuchte, allerdings viel ungenauer, als es Plessner gelingt. Nur in der Privatexistenz, in der gesicherten Intimsphäre schaffen wir – uns selbst.
Plessner spricht angesichts des „Doppelgängertums des privaten und öffentlichen Menschen“ von der „Sehnsucht nach Masken, hinter denen die Unmittelbarkeit verschwindet.“ Er kann dabei selbstverständlich nicht an die 2020 ff. durchbefohlenen medizinischen oder FFP2-Masken gedacht haben, aber damit sind wir beim Thema:
Wo wir mit unseren Masken-Einheitsgesichtern zum einen rigoros am Atmen, zum anderen an der Nähe der Begegnung behindert werden, sind wir am Allermenschlichsten, am Allernatürlichsten gehindert, was immer das Erfordernis dafür sein mag und ob es nun gut oder schlecht, angemessen oder unangemessen ist. Daß wir davon tiefer und langfristiger als von anderen Maßnahmen beschädigt werden, ist ein so einfacher wie dramatischer Fakt. Wir erleiden veritable Traumatisierungen, die Folgen haben werden.
Schon die nächsten Tage können entscheidend sein, insofern die Regierung die mystifizierte Inzidenzzahl 100 überschritten sieht und in ihrem exekutiven Rausch den Lockdown verlängern wird, die Menschen dies aber nicht mehr geschehen lassen und sich ihre Freiheitswege suchen. Dies um so mehr, da sie wegen einiger huldvoll gewährter Lockerungen gerade Hoffnungen schöpften und weil der Frühling beginnt. Sie werden sich nicht mehr zurück in die kollektive Quarantäne treiben lassen.
Nie hatten Menschen physisch und psychisch außerhalb von Kriegen und extremen Elendsphasen solche Einschränkungen des Atmens und Begegnens zu ertragen. Irgendwann wird es dagegen unweigerlich Abwehr und Widerstand geben, die durchaus revolutionär und von grundstürzender Kraft sein könnten. Man denke dabei nicht nur romantisch an eine Befreiung, sondern vor allem an die Risiken tiefgreifender Turbulenzen. Wie dem auch sei: Andauernde Unnatürlichkeit in so wesentlichen Lebensbedürfnissen werden nicht einfach über Monate und Jahre ausgehalten.
Peinlicherweise bemerke ich an mir selbst, daß ich bei engen Begegnungen auf der Straße oder in Räumen nicht nur auf Abstand gehe, um den Entgegenkommenden „Sicherheit“ zu geben, sondern daß ich mir außerdem ein reflexartiges flaches Ausatmen angewöhnt habe. Ich erzeuge also eine Art Gegenstrom, während ich am anderen vorübergehe. Offenbar möchte ich so verhindern, während der Passage seine Keime aufzunehmen, atme aber meine aus. Ich vermeide nicht nur vorschriftsgemäß jede Berührung, so wie es von der Hygiene-Diktatur verlangt wird, ich atme, von der Gesundheitspropaganda indoktriniert, sogar gegen den anderen an. Wie pervers!
Solche Denaturierung scheint zur alltagskulturellen Selbstverständlichkeit zu werden, mit der wir uns gesund erhalten sollen, während wir gerade davon unweigerlich krank werden müssen – im kulturellen, also zwischenmenschlichen Sinne sowieso, aber vermutlich ebenso seelisch oder gar körperlich. Maskiert tauchen wir durch eine uns früher grundvertraute Welt, die nun fremd und bedrohlich erscheint. Wir sind Teil einer unheimlichen Geschichte geworden, die wie von Kafka ersonnen scheint.
Ein extremerer Wandel als jener des letzten Jahres ist nicht vorstellbar. Er kann auch nicht durch Impfungen zurückgenommen werden. Wir haben einerseits uns verloren und sind anderseits den Nächsten und der Welt entrückt, während wir die Luft, unser Lebenselixier, durch einen feuchten und von uns selbst verkeimten Stoffetzen einziehen müssen.
Nichts trug uns früher so selbstverständlich durch das Leben wie das Schwingen unserer Lungenflügel. Diese Grundgewißheit ist zunächst dahin. Höchste Zeit, frei zu atmen, den Brustkorb zu weiten und die Kraft einzusetzen, nicht weiter gegängelt, erstickt und einander noch weiter fremd zu werden.
Wir hofften bisher umsonst auf eine Wende der politischen Kultur. Es fehlte die Polarisierung, die für jene Spannung sorgt, aus deren potentieller Energie heraus Bewegung erfolgt. Diese Polarisierung gibt es jetzt. Ganz augenfällig. Nur anders verursacht als erwartet. Und gefährlich. Entzündlicher als die “Pandemie”.
Laurenz
Das ist so ziemlich der herzlichste - und menschenfreundlichste Artikel, den ich je gelesen habe.