Grund dafür war, daß Papa Dan, also: der Pädagogikprofessor Ludwig Pongratz, mit seiner Emeritierung aus Darmstadt nach Aachen zurückgezogen war und den Proberaum seiner Söhne beschlagnahmt hatte, um seine Beratungspraxis für Bullshit-Jobs auf solidere Füße zu stellen. Also probte man wieder in Dangers Kinderzimmer, das sich wiederum in einer für straßennahe HipHopper zu schicken Villa befand.
Kann man zwischen Nußholzregalen und Bulthaup-Küche tanzen und sich als der Letzte inszenieren, der das Letzte für mehr Gerechtigkeit undsoweiter zu geben bereit wäre? Kann man nicht, eigentlich, aber was soll man machen, wenn man sonst nichts kann?
Danger, der, seit ich ihn kenne, den Charme eines öligen Dealers ausstrahlt, konnte so etwas, also: nur das. Er war angetrunken, als er mir die Tür aufmachte. Er roch wie immer nach Schwanz und Bier und hatte gerade eine Auseinandersetzung mit seinem Vater hinter sich: Irgendetwas würde der Herr Professor doch für ihn tun können, irgendwelche Beziehungen müßten es ihm, dem Sohn, doch ermöglichen, ein bißchen was abzugreifen.
“Nichts hat geklappt bisher”, sagte Danger, und ich machte ein Späßchen: “Paßt gut zu Deinen verheulten Augen, Pfütze.” Pfütze nannten wir ihn, weil bei ihm eine Pfütze Bier ausreichte, um ihn in eine melancholische Susi zu verwandeln.
Ein kleiner, angedeuteter Leberhaken war die Folge, mehr passierte nie, das war ihm wichtig: Danger vertrug rein gar nichts, weder am Tresen noch dann, wenn man sich aus Spaß ein paar klatschte. “Bloß andeuten”, rief er immer gleich zu Anfang, und ich meine, daß er der erste war, von dem ich diesen Spruch höre, der wie für ihn getextet schien: “Ich bin raus!”
Also: angedeutete Rangelei, ein bißchen Schattenboxen, das bei Danger immer aussah wie Luftgitarre, dann verzogen wir uns ins Kinderzimmer, wo Danger eine Flasche Bier für uns versteckt hatte. An einer Pinwand: harte Sprüche und zwei Tittenbilder, mit Reißzwecken durchbohrt. “Ich fordre nicht weniger als alles”, las ich, und: “Wer nicht tanzen kann, kann keinen Stern gebären”, alles wohl aus dem Kopf notiert, also fast richtig, jedenfalls aber mit Buntstiften auf Post-It-Zettel gemalt, die “i” mit Punkten aus kleinen Kreisen, eine Mädchenschrift, ach Pfütze.
Meine Schuhe standen sorgfältig im Windfang, Danger hatte mich gleich darauf hingewiesen, kaum war ich in der Tür, und es kam, wie es kommen mußte: Ich trat mir eine Nadel ein.
Socken runter, Fußsohle gegen das Licht drehen, Blut. Neben mir ein kreidebleicher Danger, der mit Wunden nichts anfangen konnte, obwohl er ständig von ihnen singen wollte. “Muß ich nähen” (glatt gelogen), “ich bin raus” (Danger). Dann teilten wir uns das Bier, das bei Pfütze gleich anschlug, und ich wußte: Dies würden wieder ziemlich krasse Stunden mit leidlich hell aufflackernden Plänen werden. Danach: vielleicht noch ein halbes Bier, und Erdnüsse.
“Man müßte mal was richtig Krasses machen”, (es begann wie immer), “mal so richtig von der Bühne runter, ganz ungeschützt, sozusagen ohne Kondom (hihihi), ohne an die Folgen zu denken” (krass). “Ich: “Sag doch mal mitten im Konzert, wenn alle vierzehn Fans so richtig kochen: Ich bin Faschist. Oder komplizierter: Faschismus ist aktiver Pessimismus, also was zum Nachdenken.”
Pfütze hatte aufgehört, sich zum Rhythmus, der nur in seinem Kopf hämmerte, zu bewegen. “Krass”, sagte er. “Ja”, sagte ich, “konträr sozusagen, also exakt das, was weder deine Eltern noch die Gesellschaft von dir erwarten. Die denken ja alle, klar, bei dem Vater, da macht der Danger irgendwas mit Gratismut und mit Volxpädagogik, also, er singt gegen rechts und wird dafür gefeiert, wird herumgereicht wie ein Joint. Aber was machst du? Du fickst sie alle, zeigst ihnen deinen Kolben, ziehst mitten auf der Bühne ein halbes Bier weg und erklärst ihnen das mit dem aktiven Pessimismus. Und bevor sie es kapiert haben, schiebst du was Geniales hinterher, einen Trick, verrate ich dir, das ist wie eine Hausratversicherung: Du sagst das Wort Kunstfreiheit, dann können sie dich mal.”
Danger hatte nur noch mit halbem Ohr zugehört. In ihm entstand längst ein Lied, und als dann die beiden begabteren Musiker seiner Band, seiner “Gang”, einrückten, kam eine ziemlich drivige Melodie dazu, die einer bei einer russischen Band aufgeschnappt hatte. Ich kann mich bloß an die ersten paar Zeilen erinnern:
„Nein, ich wäre nicht wild wie ein Tier,
wenn ich nicht Lust hätte auf ein halbes Bier.
Mal die Grenzen auszuloten,
was erlaubt und was verboten -
meinem Dönermann, dem les ich die Leviten,
badadumbadaba Antisemiten.
Weil: Ich bin ganz klar der letzte Faschist
und ein Faschist ist ein aktiver Pessimist.
Der Refrain war irgendetwas mit “Scheiß drauf” und “Kunstfreiheit”, aber das habe ich vergessen. Was ich nicht vergessen habe: jahrelang schob Danger Dan dieses Lied, diesen krassen Auftritt vor sich her, immer hatte er eine Ausrede: Mal war er fürs Goetheinstitut unterwegs, um das, was er für deutsche Kultur hielt, auch noch kaputtzumachen, und weil Papa und Mama nicht ständig neue Jobs von dieser Sorte anbahnen konnten, ließ Danger das Lied stecken, weil er wußte: Danach würde er das Taschengeld nicht mehr so fett einstreichen können.
Ich wandelte unseren Trinkspruch (halbe Flasche …) von “Ex oder schwul” um in “Lied oder schwul” und schickte ihm diesen Wortlaut per SMS zuverlässig fünf Minuten vor jedem Auftritt auf sein Handy. Meist kam ein “paßt heute nicht, du” zurück.
Irgendwann gab ich auf. Wir saßen in einer Kneipe, Danger hatte seinem Alten zwanzig Euro aus dem Geldbeutel geklaut, das reichte immer für zwei, drei Runden “um die Häuser”, wie er immer rief, sobald er es aus der Haustür geschafft hatte. An diesem Abend wettete ich mit Danger, daß er eines Tages im Öffentlich-Rechtlichen auftreten würde, und zwar mit einer Nummer, die so stromlinienförmig und so billig angefüllt mit Gratisapplaus wäre wie seine mittlerweile zurückgegelte Fresse. (Jaja, wir waren derb miteinander, Männer halt.)
Angedeuteter Leberhaken, dann: “Halbe Tantieme, halbes Bier?” – Er, voll in Fahrt, schielte kurz auf sein Glas: “Ex oder schwul!” Wir schlugen ein, er hobelte den letzten Schluck durch die Kehle, ohne abzusetzen, und war so in Fahrt, daß er mit einem weiteren, vollen Glas auftrumpfte. Ich kippte einen Klaren dazu, als er zum Pinkeln ging. Wie immer hatte er sich dazu hingesetzt, wie immer nicht ordentlich abgeschüttelt. Er kam zurück an den Tisch und zog eine Schwade aus Ammoniak hinter sich her. Dann setzte er an.
Nachdem ich seine Kotze halbwegs aufgewischt und dem Wirt einen Zehner dazugelegt hatte, schaffte ich ihn zurück in sein Kinderzimmer. Später verloren wir uns aus den Augen.
– – –
Anmerkung Kubitschek: Das hat mir der alte Kumpel von Danger gestern zugeschickt, nachdem er ihn bei Böhmermann hat singen hören. Dort fehlte die Kalaschnikow, hier ist sie. “Das Hygiene-Geigerinnen-Orchester in Böhmermanns Studie hat mir den Rest gegeben”, schrieb der alte Kumpel. Und: “Paßt zu diesem armseligen Wichser. Bloß die Knarre hat er weggelassen, will ja jetzt die linken Spießer beeindrucken.”
Das ist also die Entstehungsgeschichte vom Krassesten, was Danger Dan (so nennt er sich selbst!) in seinem Leben hingekriegt haben wird. Bloß: Der Liedtext hat sich doch stark verändert, ich komme jetzt darin vor. Mehrere Rechtsanwälte sollen ihn durchgecheckt und für Danger abgesichert haben, und nun bleibt nur die Frage, ob dem alten Kumpel die Hälfte der Tantiemen zusteht oder nicht. Das kann kaum juristisch geklärt werden, das kann nur Pfütze entscheiden. Mal sehen, was sie macht.
HartwigBenzler
Ups. 😎