Mein alter Kumpel Danger Dan

Die Sache ist locker zehn Jahre her. Mein alter Kumpel Danger Dan hing damals in Aachen fest, alles Coole war aus seinem Gesicht verschwunden.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Grund dafür war, daß Papa Dan, also: der Päd­ago­gik­pro­fes­sor Lud­wig Pon­gratz, mit sei­ner Eme­ri­tie­rung aus Darm­stadt nach Aachen zurück­ge­zo­gen war und den Pro­be­raum sei­ner Söh­ne beschlag­nahmt hat­te, um sei­ne Bera­tungs­pra­xis für Bull­shit-Jobs auf soli­de­re Füße zu stel­len. Also prob­te man wie­der in Dan­gers Kin­der­zim­mer, das sich wie­der­um in einer für stra­ßen­na­he Hip­Hop­per zu schi­cken Vil­la befand.

Kann man zwi­schen Nuß­holz­re­ga­len und Bult­haup-Küche tan­zen und sich als der Letz­te insze­nie­ren, der das Letz­te für mehr Gerech­tig­keit und­so­wei­ter zu geben bereit wäre? Kann man nicht, eigent­lich, aber was soll man machen, wenn man sonst nichts kann?

Dan­ger, der, seit ich ihn ken­ne, den Charme eines öli­gen Dea­lers aus­strahlt, konn­te so etwas, also: nur das. Er war ange­trun­ken, als er mir die Tür auf­mach­te. Er roch wie immer nach Schwanz und Bier und hat­te gera­de eine Aus­ein­an­der­set­zung mit sei­nem Vater hin­ter sich: Irgend­et­was wür­de der Herr Pro­fes­sor doch für ihn tun kön­nen, irgend­wel­che Bezie­hun­gen müß­ten es ihm, dem Sohn, doch ermög­li­chen, ein biß­chen was abzugreifen.

“Nichts hat geklappt bis­her”, sag­te Dan­ger, und ich mach­te ein Späß­chen: “Paßt gut zu Dei­nen ver­heul­ten Augen, Pfüt­ze.” Pfüt­ze nann­ten wir ihn, weil bei ihm eine Pfüt­ze Bier aus­reich­te, um ihn in eine melan­cho­li­sche Susi zu verwandeln.

Ein klei­ner, ange­deu­te­ter Leber­ha­ken war die Fol­ge, mehr pas­sier­te nie, das war ihm wich­tig: Dan­ger ver­trug rein gar nichts, weder am Tre­sen noch dann, wenn man sich aus Spaß ein paar klatsch­te. “Bloß andeu­ten”, rief er immer gleich zu Anfang, und ich mei­ne, daß er der ers­te war, von dem ich die­sen Spruch höre, der wie für ihn getex­tet schien: “Ich bin raus!”

Also: ange­deu­te­te Ran­ge­lei, ein biß­chen Schat­ten­bo­xen, das bei Dan­ger immer aus­sah wie Luft­gi­tar­re, dann ver­zo­gen wir uns ins Kin­der­zim­mer, wo Dan­ger eine Fla­sche Bier für uns ver­steckt hat­te. An einer Pin­wand: har­te Sprü­che und zwei Tit­ten­bil­der, mit Reiß­zwe­cken durch­bohrt. “Ich ford­re nicht weni­ger als alles”, las ich, und: “Wer nicht tan­zen kann, kann kei­nen Stern gebä­ren”, alles wohl aus dem Kopf notiert, also fast rich­tig, jeden­falls aber mit Bunt­stif­ten auf Post-It-Zet­tel gemalt, die “i” mit Punk­ten aus klei­nen Krei­sen, eine Mäd­chen­schrift, ach Pfütze.

Mei­ne Schu­he stan­den sorg­fäl­tig im Wind­fang, Dan­ger hat­te mich gleich dar­auf hin­ge­wie­sen, kaum war ich in der Tür, und es kam, wie es kom­men muß­te: Ich trat mir eine Nadel ein.

Socken run­ter, Fuß­soh­le gegen das Licht dre­hen, Blut. Neben mir ein krei­de­blei­cher Dan­ger, der mit Wun­den nichts anfan­gen konn­te, obwohl er stän­dig von ihnen sin­gen woll­te. “Muß ich nähen” (glatt gelo­gen), “ich bin raus” (Dan­ger). Dann teil­ten wir uns das Bier, das bei Pfüt­ze gleich anschlug, und ich wuß­te: Dies wür­den wie­der ziem­lich kras­se Stun­den mit leid­lich hell auf­fla­ckern­den Plä­nen wer­den. Danach: viel­leicht noch ein hal­bes Bier, und Erdnüsse.

“Man müß­te mal was rich­tig Kras­ses machen”, (es begann wie immer), “mal so rich­tig von der Büh­ne run­ter, ganz unge­schützt, sozu­sa­gen ohne Kon­dom (hihihi), ohne an die Fol­gen zu den­ken” (krass). “Ich: “Sag doch mal mit­ten im Kon­zert, wenn alle vier­zehn Fans so rich­tig kochen: Ich bin Faschist. Oder kom­pli­zier­ter: Faschis­mus ist akti­ver Pes­si­mis­mus, also was zum Nachdenken.”

Pfüt­ze hat­te auf­ge­hört, sich zum Rhyth­mus, der nur in sei­nem Kopf häm­mer­te, zu bewe­gen. “Krass”, sag­te er. “Ja”, sag­te ich, “kon­trär sozu­sa­gen, also exakt das, was weder dei­ne Eltern noch die Gesell­schaft von dir erwar­ten. Die den­ken ja alle, klar, bei dem Vater, da macht der Dan­ger irgend­was mit Gra­tis­mut und mit Volx­päd­ago­gik, also, er singt gegen rechts und wird dafür gefei­ert, wird her­um­ge­reicht wie ein Joint. Aber was machst du? Du fickst sie alle, zeigst ihnen dei­nen Kol­ben, ziehst mit­ten auf der Büh­ne ein hal­bes Bier weg und erklärst ihnen das mit dem akti­ven Pes­si­mis­mus. Und bevor sie es kapiert haben, schiebst du was Genia­les hin­ter­her, einen Trick, ver­ra­te ich dir, das ist wie eine Haus­rat­ver­si­che­rung: Du sagst das Wort Kunst­frei­heit, dann kön­nen sie dich mal.”

Dan­ger hat­te nur noch mit hal­bem Ohr zuge­hört. In ihm ent­stand längst ein Lied, und als dann die bei­den begab­te­ren Musi­ker sei­ner Band, sei­ner “Gang”, ein­rück­ten, kam eine ziem­lich dri­vi­ge Melo­die dazu, die einer bei einer rus­si­schen Band auf­ge­schnappt hat­te. Ich kann mich bloß an die ers­ten paar Zei­len erinnern:

„Nein, ich wäre nicht wild wie ein Tier,
wenn ich nicht Lust hät­te auf ein hal­bes Bier.
Mal die Gren­zen auszuloten,
was erlaubt und was verboten -
mei­nem Döner­mann, dem les ich die Leviten,
bad­ad­um­bad­a­ba Antisemiten.
Weil: Ich bin ganz klar der letz­te Faschist
und ein Faschist ist ein akti­ver Pessimist.

Der Refrain war irgend­et­was mit “Scheiß drauf” und “Kunst­frei­heit”, aber das habe ich ver­ges­sen. Was ich nicht ver­ges­sen habe: jah­re­lang schob Dan­ger Dan die­ses Lied, die­sen kras­sen Auf­tritt vor sich her, immer hat­te er eine Aus­re­de: Mal war er fürs Goe­the­insti­tut unter­wegs, um das, was er für deut­sche Kul­tur hielt, auch noch kaputt­zu­ma­chen, und weil Papa und Mama nicht stän­dig neue Jobs von die­ser Sor­te anbah­nen konn­ten, ließ Dan­ger das Lied ste­cken, weil er wuß­te: Danach wür­de er das Taschen­geld nicht mehr so fett ein­strei­chen können.

Ich wan­del­te unse­ren Trink­spruch (hal­be Fla­sche …) von “Ex oder schwul” um in “Lied oder schwul” und schick­te ihm die­sen Wort­laut per SMS zuver­läs­sig fünf Minu­ten vor jedem Auf­tritt auf sein Han­dy. Meist kam ein “paßt heu­te nicht, du” zurück.

Irgend­wann gab ich auf. Wir saßen in einer Knei­pe, Dan­ger hat­te sei­nem Alten zwan­zig Euro aus dem Geld­beu­tel geklaut, das reich­te immer für zwei, drei Run­den “um die Häu­ser”, wie er immer rief, sobald er es aus der Haus­tür geschafft hat­te. An die­sem Abend wet­te­te ich mit Dan­ger, daß er eines Tages im Öffent­lich-Recht­li­chen auf­tre­ten wür­de, und zwar mit einer Num­mer, die so strom­li­ni­en­för­mig und so bil­lig ange­füllt mit Gra­tis­ap­plaus wäre wie sei­ne mitt­ler­wei­le zurück­ge­gel­te Fres­se. (Jaja, wir waren derb mit­ein­an­der, Män­ner halt.)

Ange­deu­te­ter Leber­ha­ken, dann: “Hal­be Tan­tie­me, hal­bes Bier?” – Er, voll in Fahrt, schiel­te kurz auf sein Glas: “Ex oder schwul!” Wir schlu­gen ein, er hobel­te den letz­ten Schluck durch die Keh­le, ohne abzu­set­zen, und war so in Fahrt, daß er mit einem wei­te­ren, vol­len Glas auf­trumpf­te. Ich kipp­te einen Kla­ren dazu, als er zum Pin­keln ging. Wie immer hat­te er sich dazu hin­ge­setzt, wie immer nicht ordent­lich abge­schüt­telt. Er kam zurück an den Tisch und zog eine Schwa­de aus Ammo­ni­ak hin­ter sich her. Dann setz­te er an.

Nach­dem ich sei­ne Kot­ze halb­wegs auf­ge­wischt und dem Wirt einen Zeh­ner dazu­ge­legt hat­te, schaff­te ich ihn zurück in sein Kin­der­zim­mer. Spä­ter ver­lo­ren wir uns aus den Augen.

– – –

Anmer­kung Kubit­schek: Das hat mir der alte Kum­pel von Dan­ger ges­tern zuge­schickt, nach­dem er ihn bei Böh­mer­mann hat sin­gen hören. Dort fehl­te die Kalasch­ni­kow, hier ist sie. “Das Hygie­ne-Gei­ge­rin­nen-Orches­ter in Böh­mer­manns Stu­die hat mir den Rest gege­ben”, schrieb der alte Kum­pel. Und: “Paßt zu die­sem arm­se­li­gen Wich­ser. Bloß die Knar­re hat er weg­ge­las­sen, will ja jetzt die lin­ken Spie­ßer beeindrucken.”

Das ist also die Ent­ste­hungs­ge­schich­te vom Kras­ses­ten, was Dan­ger Dan (so nennt er sich selbst!) in sei­nem Leben hin­ge­kriegt haben wird. Bloß: Der Lied­text hat sich doch stark ver­än­dert, ich kom­me jetzt dar­in vor. Meh­re­re Rechts­an­wäl­te sol­len ihn durch­ge­checkt und für Dan­ger abge­si­chert haben, und nun bleibt nur die Fra­ge, ob dem alten Kum­pel die Hälf­te der Tan­tie­men zusteht oder nicht. Das kann kaum juris­tisch geklärt wer­den, das kann nur Pfüt­ze ent­schei­den. Mal sehen, was sie macht.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (39)

HartwigBenzler

11. April 2021 06:46

Ups. 😎

Glast

11. April 2021 07:31

Was will man zu so einem herz-, hirn- und hodenlosen Typen sagen... außer: so ist man nicht und so will man nicht sein. 

Franz Bettinger

11. April 2021 09:03

Großartige Anekdote. Sehr drall und plastisch. Habe oft laut losgelacht.

Der Gehenkte

11. April 2021 09:23

Abgefeiert! Und alles von der Kunstfreiheit gedeckt! Krass!

Maiordomus

11. April 2021 09:37

Ein Stück Feuilleton, zwar nicht gerade österlich, aber noch unterhaltsam. 

links ist wo der daumen rechts ist

11. April 2021 09:57

Tolle Reaktion, mit einem Wort: Souverän.
Erschreckend ist nur dieses Ausmaß an (Selbst-)Zerstörungswut.
Man fragt sich, was diese [Achtung, künstlerische Intervention] "Pisser" zu gewissen Zeiten an bestimmten Orten aufgeführt hätte, hätten sie keine Kalaschnikow, sondern eine Schmeisser in der Hand gehabt.

Laurenz

11. April 2021 10:01

Früher war man auf die stolz, die im Widerstand waren, ob gerechtfertigt oder nicht, oder gegen wen auch immer. 

Heute ist man Mitläufer oder Propagandist. Und heutige System-Künstler sind nicht besser oder mehr gerechtfertigt als die Künstler, die in der braunen Zeit Kreide gefressen hatten.

Fredy

11. April 2021 10:04

Ein literarisches Highlight

RMH

11. April 2021 10:47

Das Lied zeigt recht deutlich, auf welchem Winkeladvokaten-Niveau das allgemeine Rechtsempfinden gelandet ist. Fast jeder denkt, man brauche nur "gute Anwälte" oder irgendeine "Gesetzeslücke" oder eine Rechtsauslegung und man kann dann sich irgendwas erlauben. Die Rechtsnorm als Joker.

Die Linken, die sich regelmäßig über cum ex, Dividendenstriping etc. beschweren und was vom Raubtierkapitalismus faseln, operieren in ihre kleinen polly pocket Welt dann auch gerne mit der Rechtsgestaltung ... "alles gedeckt".

Der Herr H. Berger sieht seine Gestaltungsempfehlungen auch bis heute als legal an:

Warum sich Mr. Cum-Ex als Opfer eines Justizskandals sieht (capital.de)

Zusammengefasst: Das Lied taugt zum Einstieg in die Diskussion bei Schülern eines Wrtschaft- u. Recht LK und Leuten mit Rechtswissenschaft im Nebenfach oder in einem frühen Semester.

Ganz persönlicher Rat an G.K.:
Mit jeder Ausgabe der Sezession, mit jedem Abend, an dem live ein Autor besprochen wird, wird mehr gezeigt, wo deutsches Geistesleben noch stattfindet als in den hochsubventionierten Formaten alá B. Das ist mehr direkt in die Fresse als Texte wie dieser.

Waldgaenger aus Schwaben

11. April 2021 11:00

Ein vielschichtiger Text von beachtlicher literarischer Qualität. Hinter dem Offensichtlichen, Politischen auch die Erzählung zweier Klemmschwestern, die ihre homoerotischen Neigungen voreinander hinter Macho-Gehabe verbergen.

Sublimierte sexuelle Deviationen waren oft der Antrieb für herausragende Kunstwerke. Danger ist es nicht gegeben, solche zu schaffen. Es liegt vor allem am mangelnden Talent, das zum Leidensdruck der Sublimation stets hinzukommen muss.  Jedoch schafft auch unsere Epoche für Schwule und andere Deviationen nicht mehr den Leidensdruck früherer Jahrhunderte, was ja grundsätzlich zu begrüßen ist, andererseits leidet eben die Kunst darunter. Auch dies schwingt in der Erzählung mit.

links ist wo der daumen rechts ist

11. April 2021 11:32

@ RMH

Zitat:
Ganz persönlicher Rat an G.K.:
Mit jeder Ausgabe der Sezession, mit jedem Abend, an dem live ein Autor besprochen wird, wird mehr gezeigt, wo deutsches Geistesleben noch stattfindet als in den hochsubventionierten Formaten alá B. Das ist mehr direkt in die Fresse als Texte wie dieser.

Diesen Gedanken hatte ich auch, allerdings dringt alles nicht Krachlederne nicht zu diesen Typen durch. Und warum nicht auch (endlich) einmal - auf Augenhöhe (man muß sich also in Bodennähe bücken) - einen "angedeuteten Leberhaken" als Reflexhandlung?
Hätte DD einen Restanstand, müßte er zumindest lächeln - und würde sich ein bißchen schämen.
Nebenbei: die sanftere Variante von gestern fand ich fast besser (also ohne "Abschütteln" usw.), je mehr Andeutungen...
Aber: Tolles Teamwork, GK und EK.
 

Niekisch

11. April 2021 11:59

Eine männliche Antwort auf  unbeholfenes Gewäsch

Tokugawa

11. April 2021 12:50

Einfach mal probieren mit den Tantiemen: Urheberrechtsverletzung, geklauter Text, auch wenn die Stoßrichtung geändert ist - da findet sich ein guter Anwalt, der das durchzieht. Das ganze publizistisch begleiten, so dass es auch der Mainstream zur Kenntnis nimmt. Danger (den Wendehals und Opportunisten) und Böhmermann (den öffentlich-rechtlichen neuen Staats-Stürmer der Demokratie) schäumen lassen. Der angedrohte Griff in ihren Geldbeutel, der Vorwurf des Ideenklaus (ausgerechnet noch Ideen von Rechten) trifft diese Typen mehr als alles andere - und es dürfte schön werden, ihnen bei ihrer Selbstentlarvung zuzusehen. Und wenn es keine rechtliche Grundlage gäbe? Dann fiele auch das alles unter den weiten Begriff der Kunstfreiheit - und das alles, anders als im neuen Text der selbsternannten Demokraten, ohne Hass, Hetze, Entmenschlichung des Anderen und massiver Androhung von Gewalt...

Martin Heinrich

11. April 2021 13:15

Kulturschaffende fragen ihren Rechtsanwalt. Künstler nicht.

Niekisch

11. April 2021 13:48

zum Thema:

"Selten ist gesüßter Brei

Die idealste Arzenei.

Gar oft ist, was uns höllisch brennt

Das förderlichste Element.

Es zeigt der neueste Befund:

Brennesseln sind sogar gesund!

Drum mutig Euch hineingesetzt,

Gereizt ist längst noch nicht verletzt

Und wer betroffen reagiert,

Zeigt an, dass es ihm auch gebührt."

Pferdefuss

11. April 2021 15:40

Weiß man denn nicht, dass 'ein fahrender Sänger, von niemand gekannt, ein Rattenfänger', will sagen, ein fahriger, ein fahrlässiger, ein unzuverlässiger Geselle, ist?

Was gilt: Gebändigt im protestantischer Kirchenlied, in der Hausmusik, in der Salonmusik, in jahrhundertealten Knabenchören (ja, doch!), Laienchören, Kunstliedern, Konzertsälen, der Trink-,Wander-, Marschlieder der Bünde/Burschenschaften/Wandervögel, aber auch in der Tanzmusik, dem Musikunterricht, dem Trällern unter der Dusche? Sich nicht zu schade sein, für sich und vor sich zu singen. 

Danger Dan: Das ist Jahrmarkt pur! Na, und? Einer klaut dem anderen paar Worte, paar Töne. Seit Jahrhunderten, seit den Troubadouren, Minnesängern nennt man das Kontrafaktur. Und: Schaut sie Euch doch an! Die rebellischen Popsänger. Allesamt elendig zu Grunde gegangen.

Singt wieder unsere Lieder, was das Zeug hält! Gegen Lieder kommt man nicht mit Reflexion, Vorwürfen an. Ein Lied ist immer stärker. Es führt ein Eigenleben. Warum hat denn 'der Kumpel' nicht selber seine Ideen zu einem Lied gemacht?   

Pferdefuss

11. April 2021 15:42

@ Niekisch

Das ist es! Genau das! Gefällt mir! 

Mauerbluemchen

11. April 2021 15:44

Der erste Reflex beim Lesen war: armer Hund ... solche desolaten häuslichen Verhältnisse (Geld und Bonzeneltern sind eben nicht alles, im Gegenteil), manche Leute haben wirklich grauenvolles Pech im Leben, keine richtige Chance gehabt usw. blablabla

Aber die letzte Volte, der freiwillige Abstieg ohne jede Not ins letzte Loch der öffrecht Medien, hat dieses Altweibermitleid dann doch im Keim erstickt - nein, so drogensüchtig, haltlos und getrieben kann doch kein Mensch sein.

PS. Wieder ein gutes Beispiel, um für den pädagogischen Hausgebrauch ein eindrucksvolles Exempel zu drechseln: die sogen. guten Häuser der brd sind in Wirklichkeit Bruthöllen des Lasters und der Korruption; maßgebend sind die höchstens in der Verkommenheit.

Arkadier

11. April 2021 16:30

Ich habe von diesem Da... was auch immer, noch nie was gehört, zum ersten Mal gerade eben, habe mir das Video angesehen und bin schockiert, auf welchem Niveau die BRD-Kulturschaffenden inzwischen aufgeditscht sind. Die einzig spannende Frage lautet: Geht es noch tiefer?

zeitschnur

11. April 2021 16:51

Naja, wenigstens trifft er noch die Töne. Ist doch schon mal was. Auch wenn alles andere "spekulativ" ist ... Im Reiche der Plagiatoren und Titelfälscher wärs ja auch ein Wunder, wenn das Planschbecken der öffentlich-rechtlichen Kunst davon unbeleckt wäre. Zum Glück riecht man ja nichts, wenn man sich die YT-Aufnahmen anhört ... von wegen Schwanz und Ammonik und so.

Pit

11. April 2021 18:07

Das ist einer der lustigsten Texte, die ich seit recht langer Zeit gelesen habe (die Videos dazu erfordern dann... erwartungsgemäß... die Brechtüte).

anatol broder

11. April 2021 18:27

der rapfremde beobachter sei versichert, dass kultur­schaffende ständig von wirk­lich begabten (und deshalb beliebten) künstlern ver­arscht werden. bei­spiels­weise ur­teilt mein liebling ssio ähnlich wie kubitschek:

«rapper machen an­sagen und ab­sagen mit tracks, die klingen wie schwanz­blasende balladen.» (null­komma­neun, 2016)

ich kenne einen reimenden anti­fanten namens florian, der mal von reimenden kanaken ein paar aufs maul bekam und sie des­wegen an­zeigte. weitere narben ver­hinderte ich persön­lich, als florian bei einem lokalen auf­tritt wieder mal den mund zu voll nahm. ich be­schützte ihn aller­dings nur, weil die sonst an­gerückte polizei die ge­samte ver­an­staltung aufge­löst hätte.

Gustav Grambauer

11. April 2021 20:19

Arkadier

"... bin schockiert, auf welchem Niveau die BRD-Kulturschaffenden inzwischen aufgeditscht sind." 

Betrifft ebenso die Genossen an der sozialistischen Zeilenschinderfront. Hatte gerade hier

https://www.fr.de/kultur/tv-kino/zdf-magazin-royale-jan-boehmermann-sand-danger-dan-elsaesser-kubitschek-gauland-nsu-polizei-90404944.html

ein déjà-etendu mit dem Original-Sound der sich ganz besonders pfiffig-gewitzt glaubenden DDR-Hofberichterstattung in den damaligen "Presseorganen" wie Wochenpost, Sonntag, Weltbühne, NBI und (Ost-)Berliner-Zeitung-Feuilleton. Es ist erschreckend, sogar die verschrobene Eigenart der Gedankenführung, sogar der verschrobene Duktus, bis hin zum Satzbau, feiert wieder Urständ, und vor allem die damals im Roten Kloster ankonditionierte strotzende Selbstgewißheit der erzieherischen und lenkenden Funktion, die dann "mit psychologischem Geschick" (???) noch explizit eingestreut wird. Ebenso grottig sind die sich durchziehenden hilflosen Versuche, beim "Hochjubeln" mit Anballungen verkorkster Analogie und üppig-blumiger Ausschmückung (à la Idol Hermann Kant) sowie auf Ranschmeißerart mit Namedropping, "Jugendsprache" und "sozialistischer Witzigkeit" (à la Eulenspiegel-"Witz"???-Zeitschrift) den Mangel an trockenem Esprit, Seriosität und Humor zu kaschieren. Fehlt nur noch der peinliche Ausruf

"Nennen sie ihre Neuankömmlinge des heutigen Tages Dan Danger!".

- G. G.

Lotta Vorbeck

11. April 2021 20:45

@Gustav Grambauer - 11. April 2021 - 08:19 PM

"... Fehlt nur noch der peinliche Ausruf

"Nennen sie ihre Neuankömmlinge des heutigen Tages Dan Danger!"."

---

Dann lob' ich mir "Waldemar" oder "Heinz-Florian"!

links ist wo der daumen rechts ist

11. April 2021 21:24

@ GG @ LV

Als Ösi mußte ich mich zum Stichwort "Neuankömmlinge des Tages..." erst kundig machen:

https://www.youtube.com/watch?v=HJdskoajElU

Herrlich!

Und es sind diese Kontinuitäten und verschobenen Fronten, die den "Widerstands"-Bücklingen von heute nicht schmecken, deshalb auch nocheinmal Dank an @ GG für frühere Hinweise wie u.a. diese:

https://www.youtube.com/watch?v=8RnS7117FM8&t=14s

https://www.youtube.com/watch?v=vJMZBEpW5JM&t=373s

 

Nemo Obligatur

11. April 2021 21:27

Den Namen Danger Dan musste ich erst mal googeln. Von der Antilopengang hatte ich schon gehört, dachte aber, es sei etwas Zoologisches.

In einer gehypten Sendung im ÖR-Rundfunk, quasi staatlich finanziert und abgesegnet, dazu das Spiel mit den schon nicht mehr verholenen Aufrufen zu Gewalt. Das alles in der satten Gewissheit, Null Risiko zu haben, falls irgendwo ein treuer Gefolgsmann "der Kanzlerin  entgegenarbeitet" (gemeint ist natürlich vorausschauend Annalena B.), aber sich trotzdem zugleich den moralischen Mehrwert des Widerstandskämpfers anzueignen: Das wäre fast ein Geniestreich, wenn es nicht schon so viele von Grönemeyer bis Feine Sahne Fischfilet zuvor getan hätten.

Habe grad eine Vision: Peter Ustinov, dieses Mal nicht als Nero, sondern als Rundfunktintendant, leicht blödelnd, sich für konservativ haltend.

Waldgaenger aus Schwaben

11. April 2021 21:59

Ich vemute, Danger Dan wird morgen  seinen Anwalt prüfen (äh "checken") lassen, ob dieser Konter, der ihn als feigen, schmierigen, verklemmten Hosenpisser darstellt, von der Kunstfreiheit gedeckt ist.

 

Peter

11. April 2021 22:09

Eine sehr gelungene Darstellung, sehr amüsant. Als ich den Typen bei Böhmermann singen hörte, dachte ich erst, der sei eventuell originell. Aber bei dem subversiven, hinterpföttigen, linksradikalen und konspirativen Böhmermännchen, der sich allerdings mit dem informativen Teil seiner Sendung überraschend selbst übertroffen hatte, konnte das Lied nicht anders enden: mit einer AfD-Keule und Faschistengeheul.

Umso überraschender ist dieser Beitrag über einen Rapper, den ich noch nie gehört und vom den ich noch weniger gehört habe. Ich dachte erst, er sei ein Türke. Jetzt ist der Hintergrund klar, vor allem das mit der Kunstfreiheit.

limes

11. April 2021 22:16

@ RMH (»Das Lied zeigt recht deutlich, auf welchem Winkeladvokaten-Niveau das allgemeine Rechtsempfinden gelandet ist. Fast jeder denkt, man brauche nur "gute Anwälte" oder irgendeine "Gesetzeslücke" oder eine Rechtsauslegung und man kann dann sich irgendwas erlauben.«)

Schon vergessen? Dazu gibt es ein Lied, freilich ein pfiffigeres, »Tango Korrupti«:

https://youtu.be/RhZKGlDQXr8

Laurenz

11. April 2021 23:00

@Gustav Grambauer

Eine juristischen "Checker" braucht man ja weniger bei verbalen Angriffen gehen Bürgerliche, viel mehr bei Angriffen gegen die Höfischen, wie Polizei & Justiz. Das wäre in der DDR nicht durchgegangen, zumindest nicht gegen Volkspolizei & Volksjustiz.

Die Polizei-Schläger-Trupps machen sich ja erst seit Corona im vermehrten Maße selbst zum gesellschaftlichen Fremdkörper.

@Anatol Broder

"weitere Narben ver­hinderte ich persön­lich, als Florian bei einem lokalen Auf­tritt wieder mal den Mund zu voll nahm."

Ich mußte echt lachen. Ich finde es amüsant, wenn Rapper den Schutz von philosophisch orientierten Menschen brauchen.

zeitschnur

11. April 2021 23:35

O Leute, ich kannte den vorher auch nicht, den Danger Dingsda. Woher kennen Sie den eigentlich, GK? Diese Komination von schwarzen Tasten und Haargel kennt man sonst nur von Drosten (kennen die beiden sich eigentlich? derselbe Hairstiylist? oder gar mehr? derselbe Thinktank?). Von öffentlich-rechtlichem Widerstand mit Kinderzimmer habe ich mich vor Jahrzehnten verabschiedet, seitdem hauseigenes Kindergeschrei in meiner Wohnung ertönte. Ehrlich gesagt muss ich, seitdem ich den Text oben gelesen habe, immer an Troubadix denken. Ganz im Rahmen der Kunstfreiheit. Aber dass er nach Ratte und Kanal riechen würde ... Sicher, dass es nur Schwanz und Bierpfütze war?

Es wird wirklich Zeit für einen Reset. Aber einen anderen.

Gracchus

11. April 2021 23:42

Gut gekontert. Herzhaft gelacht. Damit: Thema erledigt.

Auf -  @G. G. - den FR- Text bin ich auch gestoßen und dachte ganz ohne DDR-Sozialisation: Was zum Teufel ist das? Mein Highlight: 

"Und diese Katze heißt Danger Dan. Der ist Rapper, einem erlesenen Kreis aus Kunstkennern bekannt als Teil der fantastischen Combo Antilopen Gang, und hat etwas zu sagen. Ich muss zugeben, dass ich kurz mit dem Gedanken gespielt habe, den gesamten Songtext seines Tracks (...) niederzuschreiben (...). Und der ab sofort in jedem Radiosender halbstündlich hoch und runter laufen sollte.

Denn: Jedes Wort davon wäre es wert. Allerdings könnte das eventuell in einigen wenigen Fällen dazu führen, dass Teile des Publikums denken, dem Meisterwerk Danger Dans nicht mehr lauschen zu müssen."

Simplicius Teutsch

12. April 2021 00:13

Dieser Däintscher Dän ist doch bloß ein dummer Hund.

ede

12. April 2021 00:30

Großartiger Text. Traurig, wehmütig & wahr. 

Carsten Lucke

12. April 2021 02:21

Wie belehrte mich ein guter Kumpel immer ?: Trau' keinem, der nicht weiß, wie 3 Bier "hinnernander" schmecken !

dreamingplanet7

12. April 2021 05:31

Ein hervorragender Verriss, dass darf Kunst nicht nur, dass muss sie auch! Grins...

Waere von selbst nie auf dieses Video gestossen aber muss anmerken (denn mit Linken leben kommt vor): Die glauben das wirklich, die denken in Schnellroda haengen Saebel an der Wand und kommen sich vor wie Stauffenberg wenn sie AfDRentner anpoebeln...
Es ist so irre...

Herr K aus O

12. April 2021 08:22

“Die Schönheit wird die Welt retten”. Ganz ehrlich: Statt sich auf das Jonglieren mit Inzidenzzahlen einzulassen, also einer Kriegslogik wie im Ersten Weltkrieg mit Linien, Frontverläufen usw., müssen “wir” die Coolen werden. Anders geht es nicht. Mehr Prosa, weniger Philosphie.

bb

12. April 2021 09:29

Wann kommt das Interview mit Rap.de?

Antwort Redaktion:
Wir vermitteln die Anfrage gerade an Pfützes "alten Kumpel" weiter.

Götz Kubitschek

12. April 2021 10:17

so, schluß mit der kunstfreiheit.

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.