Existiert sie mindestens irgendwo und irgendwie grundsätzlich noch so, wie sie Generationen von Deutschen über Jahrhunderte Heimat war? Und wenn das bereits zu verneinen wäre: Könnte sie als Kulturraum der Deutschen gerettet oder wiedergewonnen werden?
Inwiefern die Zuwanderung, die Überfremdung unserer Kultur die Nation verschwinden lassen, das wird – weil augenfällig – zu recht so intensiv problematisiert wie ihr Schwund im Vollzug von „europäischer Integration“ und Globalisierung. Wesentliche hoheitsrechtliche Befugnisse hat die Berliner Republik längst so umfassend verloren, wie das einstige Reich Länder seines Territoriums einbüßte. Gar nicht zu reden vom kulturellen Abbruch und dem Ausschlagen eines reichen geistigen und künstlerischen Erbes durch die Kultusbürokratie.
Weniger Beachtung findet jedoch, wie der Internet- und Plattformkapitalismus mit der Beschleunigung des Übergangs vom regierungs- zum marktgestützten Finanzwesen die Entnationalisierung vorantrieb.
In Joseph Vogls Buch Kapital und Ressentiment. Eine kurze Theorie der Gegenwart findet sich auf knapp zweihundert Seiten bündig beschrieben, inwieweit über die Verquickung von Finanzkapital und Informationstechnik mittels des Netzes eine „kapitalistische Landnahme“ erfolgt, die der „ursprünglichen Akkumulation von Kapital“, wie sie Karl Marx für die frühe Neuzeit beschrieb, nicht nachsteht. Gerade diese Landnahme nivelliert Kulturen, Nationen und Sprachen sowie überhaupt Diversität.
Die Internet-Kommunikation und ‑Konnektivität schafft eine verödete Welt in Gestalt eines Verwertungsraums, indem die „Allianz von Finanz- und Informationsökonomie“ supranationale gouvernementale Strukturen entstehen läßt, die mittels eigener Kontrollpraktiken herrschen und einen „Überwachungskapitalismus“ etablieren, der sich über die freiwillige Mitarbeit all der im Netz verdateten User und Konsumenten reproduziert. Von Staats- sind sie längst zu Netzbürger geworden und von der Verhaltenssteuerung durch die miteinander verquickte Informations- und Finanzindustrie bestimmt.
Das gilt für die Werbegeschäfte von Suchmaschinen und sozialen Netzwerken ebenso wie für die Zentralisierung von Datenextraktion in Cloud-Plattformen oder für die Aufzeichnung von Zahlungsflüssen durch Bezahlsysteme, wobei solche Überwachungsgüter nicht über Zwangsmaßnahmen, sondern durch ‚Kontrollverträge‘ im Tausch gegen Vorteile, Gratifikationen und Belohnungen, mit kostenlosen Dienstleistungen und Applikationen aller Art – von Navigation bis zu Infektionswarnung – vertrieben werden. Freiwilligkeit ist die Parole der Kontrolle.
Mit der sogenannten Pandemie forcierte sich diese Tendenz. Vogl zitiert Fernand Braudel: Der Kapitalismus triumphiert stets, wenn er Staat wird. – Über den Solutionismus wächst er sich zum Weltstaat aus.
Die Informationsindustrie ist der trägen rechtsstaatlichen und demokratischen Kontrolle längst enteilt. In der Herrschaft der Codes und Algorithmen bildet sich die „Polis der Solution“ heraus, zu deren Bewohnern die meisten von uns zwangsläufig zählen. Vogl:
Die Pflege kapitalistischer Eigentumsrechte im Sinne des dominium hat sich mit Herrschaftsrudimenten des imperium verbündet, und was immer wieder als Erosion einer neuzeitlichen territorial- bzw. nationalstaatlichen Ordnung samt damit verknüpfter Gesetzeskraft aufgerufen wurde, hat Platz für den konsequenten Aufbau privater para-staatlicher Autoritäten geschaffen. Deren aktuellste Gestalt mochte man in einer Art Staatswerdung von Informationsmaschinen und in ‚Plattform-Souveränitäten‘ erkennen …
Spätestens mit digitalem Geld würden auch Währungsgebiete entstehen, in denen sich Nationen von Online-Staaten abgelöst fänden. Die geldpolitische Souveränität droht von den Zentralbanken auf die Finanzmärkte überzugehen, was als die Erfüllung neoliberaler Träume angesehen werden könnte, bisherige nationale Kulturen und Staaten aber auflöst oder überflüssig werden läßt.
Namentlich der Finanzmarkt, weitgehend der Realwirtschaft entkoppelt, bedarf der klassischen Nationen nicht; sie stehen seinen Expansionsmöglichkeiten eher im Weg. Seine Maschinerie erzeugt alle Trends und Referenzillusionen selbst. Dabei kommt es weniger auf semantische Inhalte als auf mathematisierte Erwartungen und deren Unterschiede an. Entscheidungen finden sich ohnehin an Algorithmen delegiert. Es geht allein um Informationen, die Vogl als „Wissen minus Nachweis und Rechtfertigung“ definiert.
Digitalisierung wurde gerade vorm Hintergrund der „Pandemie“ als Segen aufgefaßt. Sie war und ist aber nicht allein Werkzeug, sondern dank immer schnellerer Rechenleistungen die Grundlage jener algorithmischen Marktoperationen, die Plattform- und Internetunternehmen die Profitabschöpfungen ermöglichen und nebenher steuerpolitische Eingriffe blockieren. Algorithmisierungen ermöglichen es,
die durch Online-Verhalten hinterlassenen Informationsspuren zu quantifizieren, zu aggregieren, zu filtern, zu analysieren und zu transformieren, so daß aus Vorlieben, Suchanfragen, Lüsten, Selbstdarstellungen, Querelen, Intimitäten oder Sozialkontakten überhaupt Muster und aus diesen Mustern Produkte oder Waren zum Verkauf an Kunden aus der Werbebranche gewonnen werden, die sich insbesondere für individuell und mikrologisch adressierbare Kampagnen interessieren. (…) Man könnte hier von der Abschöpfung eines Verhaltensmehrwerts, eines Vitalquantums oder von der Wirksamkeit eines ‚laborierenden Unbewußten‘ unter Netzwerkbedingungen sprechen.
Während der klassische Kapitalismus der Nationen als Rechtsrahmen bedurfte und ihnen kulturell über das reale Wirtschaften, Forschen und Produzieren zu ihrem modernen Selbstverständnis verhalf, braucht die internetbasierte Finanzwirtschaft die einstigen Kulturnationen in deren Verschiedenheit nicht mehr, im Gegenteil. So, wie der Ingenieur gegenüber dem Börsenfuzzi verlor, büßt die Nation ihr kulturelles Terrain im Zuge des modernkapitalistischen land-grabbing ein.
Die Interessenübereinstimmung und der daraus resultierende Kompromiß zwischen der linksgrünen Hegemonie in der Politik auf der einen und dem globalen Finanzkapitalismus auf der anderen Seite sorgt für ein fatales Zusammenwirken, bei dem die einen der Illusion eines Weltbürgertums im Sinn ihres Universalhumanismus folgen, die anderen aber total auf die Ressource Mensch zugreifen wollen – in dessen quantifizierbarer Potenz als Arbeitskraft, Konsument und Informationslieferant.
Der Finanzkapitalismus ist nicht das Weltböse, das irgendwo hinter Großbildschirmen dräut und über elektronisch beschleunigte Börsenrechnerei Allmachtsvisionen entwickelt. Wir sind es selbst, indem wir dieses System einrichten – mit unseren Bedürfnissen und mit einer Hybris, die längst alles Maß verlor. Wir beklagen das romantisch, aber vermutlich folgen wir einer unserer Entwicklung eingeschriebenen Genetik, die zugunsten der Finanz- und Informationsökonomie ganz passig algorithmisierbar ist.
Auch grüne Weltverbesserer werden den umfassenden Sieg des Solutionismus nicht aufhalten; sie wollen sich seiner vielmehr bedienen. Nur werden auch grüne Innovationen, gerade wenn sie erst marktgängig sind und Gewinne erzielen, den Verbrauch anregen, also den Weltverschleiß beschleunigen.
Grundtendenz: Qualitative Erwägungen und Entscheidungen weichen den praktischen Möglichkeiten bloßen Quantifizierens. Wissen verschwindet zugunsten von reinen Informationen, die der Begründungen und Rechtfertigung im Sinne bloßer Machbarkeitskriterien nicht bedürfen, was wiederum Normen, Institutionen und das moralische Beurteilen überflüssig erscheinen läßt.
Es geht künftig überhaupt weniger um Semantiken, sondern um informationstechnisch vorgenommene Bewertungen, ganz so, wie Google eben nicht lexikalisch operiert, wie das bei älteren Suchmaschinen noch erfolgte, sondern einem Verfahren folgt,
das bestehende Bewertungen mit Bewertungen, Erregungen mit Erregungen verstärkt. (…) Agnostisch gegenüber Inhalten wird der Verlinkungskoeffizient zum Wertmaßstab.
Die Bildungspolitik hat sich dem bereits angeschlossen, indem sie Inhalte als antiquiert ansieht und auf die Methode setzt, Informationen in „Cluster“ zu fassen, zwischen denen dann Beziehungen hergestellt werden. Mit einer Bildung, die sich an Quellen anzuschließen suchte oder der es mindestens noch um ein „Wissen über“ ging, hat die Kultusbürokratie längst gebrochen.
Die Nation droht in jeder Hinsicht auf ein Verwertungsgelände reduziert zu werden. Und so sieht sie auch aus – landschaftlich, politisch, kulturell.
Inwiefern mag eine Wiederverwurzelung möglich sein? Heimat gilt Grünen und Linken als ein ausgemacht reaktionärer Begriff. Andererseits haben insbesondere Finanzkrisen und ‑crashs stets rechten Bewegungen Zulauf verschafft, so als verstärkten sie das Bedürfnis der Menschen nach der Geborgenheit in Nation und Heimat. Gruppenbildungen und Gefolgschaften dafür dürften wiederum in “sozialen Netzwerken” entstehen, weil dort die populistische Unmittelbarkeit am ehesten möglich ist.
Nordlicht
Die deutsche Nation ist die Kulturnation ist die Gemeinschaft der Menschen, deren Muttersprache "deutsch" ist.
Dass sich Deutsche erst spät in einem großen Staat verbanden, 1871, dabei leider Österreich ausschlossen (- die Gründe liegen nicht zuletzt in dem militanten Katholizismus der Habsburger), bestimmt unsere Probleme ab 1914. Auch wenn in der EU die Staatlichkeit Deutschlands zur Unkenntlichkeit zerlegt werden sollte, bleibt die Deutsche Nation.
Die deutsche Sprache ist nicht im Bestand gefährdet, also sind es auch nicht die Deutschen. Man kann über Anglizismen klagen und sich über die Gender-Vorschriften der Herrschenden empören, das ist berechtigt, aber das wird unsere Sprache nicht zerstören. Bürokratisch auferlegtes Deutsch setzt sich nicht durch, es perlt ab. Das Volk gestaltet und verändert die Sprache so, wie sie im Alltag praktisch ist. Das war immer so.