Israel und Demographie (1)

Neues hat die aktuelle Eskalation zwischen Israel und der Hamas bis jetzt nicht gebracht. Wir kennen den Ablauf:

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Die Hamas feu­ert Rake­ten aus dem Gaza-Strei­fen nach Isra­el, wor­auf Isra­el über­pro­por­tio­na­le Ver­gel­tung übt, bis wie­der für eini­ge Zeit halb­wegs Ruhe im Kar­ton herrscht und das Spiel von vor­ne begin­nen kann.

Seit Isra­el 2005 sei­ne Trup­pen an die Rän­der des Gaza-Strei­fens ver­legt hat, ist die Situa­ti­on prak­tisch in einem per­ma­nen­ten laten­ten Kriegs­zu­stand fest­ge­fro­ren, der alle paar Jah­re zu grö­ße­ren Erup­tio­nen führt.  Es han­delt sich hier um einen äußerst asym­me­tri­schen Krieg: Im Ver­gleich mit den Israe­li Defen­se Forces ist die Hamas eine Stra­ßen­gang aus Detroit, die es mit der ame­ri­ka­ni­schen Armee auf­neh­men möchte.

Die­se unglei­chen Ver­hält­nis­se schla­gen sich auch in der der kras­sen Dis­kre­panz der Opfer­zah­len bei­der Sei­ten nie­der. Der aktu­el­le Stand (1. 6. 2021) ist 16 : 285 Todes­op­fer zuguns­ten Isra­els, Kom­bat­tan­ten und Zivi­lis­ten zusam­men­ge­rech­net. Bis­her sind also etwa acht­zehn­mal so vie­le Ara­ber getö­tet wor­den wie Israe­lis. Laut Anga­ben der UNO sind 72,000 Paläs­ti­nen­ser in Gaza im Zuge der israe­li­schen Bom­bar­de­ments obdach­los geworden.

Das kann sich theo­re­tisch noch ver­schlim­mern: Bei der berüch­tig­ten “Ope­ra­ti­on Gegos­se­nes Blei” im Jahr 2008/9 war das Ver­hält­nis 13 (Isra­el): 1,417 (Gaza), also mehr als 1:100. Die Mehr­zahl der Toten waren Zivi­lis­ten, dar­un­ter vie­le Frau­en und Kin­der. Die Infra­struk­tur Gazas wur­de damals über wei­te Stre­cken in Trüm­mer gelegt. Gene­rell kann die Okku­pa­ti­on Gazas kaum für been­det erklärt wer­den, da Isra­el sei­ne Gren­zen mili­tä­risch kon­trol­liert, und dem Land­strich jeder­zeit die Ver­sor­gung mit Was­ser, Strom, Lebens­mit­teln oder Medi­ka­men­ten abdre­hen kann.

Die Rake­ten der Hamas auf Isra­el kön­nen nur ver­gleichs­wei­se gerin­gen Scha­den anrich­ten. Ihr Ziel ist vor allem, Isra­el in Zug­zwang zu brin­gen, damit es sich durch exzes­si­ve Gegen­schlä­ge vor der Welt­öf­fent­lich­keit mora­lisch dis­kre­di­tiert. Gleich­zei­tig zielt die Hamas auf eine Pola­ri­sie­rung der Ara­ber im gesam­ten israe­li­schen Ein­fluß­raum ab, sowohl in den besetz­ten Gebie­ten als auch inner­halb des Staa­tes Isra­els selbst, was dies­mal ziem­lich gut gelun­gen zu sein scheint.

So gese­hen kann man sagen, daß die Paläs­ti­nen­ser zumin­dest eine erkenn­ba­re mili­tä­ri­sche Stra­te­gie ver­fol­gen, und sie sind bereit, dafür zu ster­ben oder den Tod von Zivi­lis­ten auf der eige­nen Sei­te in Kauf zu neh­men. Isra­el jedoch scheint, wie Gilad Atz­mon anmerk­te, kei­ne sol­che Stra­te­gie zu haben. Das Mili­tär beharrt auf einer jahr­zehn­te­al­ten Dok­trin der Demo­ra­li­sie­rung durch Abschre­ckung. Die paläs­ti­nen­si­sche Radi­ka­li­sie­rung und Mili­tanz inten­si­viert sich jedoch mit jedem erneu­ten Bom­bar­de­ment von Gaza, wo gan­ze Gene­ra­tio­nen mit einem All­tag aus Gewalt, Tod, Krieg und Zer­stö­rung auf­ge­wach­sen sind.

Es gibt aber noch einen ande­ren Grund, war­um die paläs­ti­nen­si­schen Opfer­zah­len so hoch sind, und war­um der jet­zi­ge Sta­tus quo kei­nen Bestand haben kann: Gaza ist einer der am dich­tes­ten besie­del­ten Orte der Welt.

Ich ent­neh­me die­se Zah­len Wiki­pe­dia (hier, hier und hier, wobei man abwei­chen­de und ver­al­te­te Anga­ben in Rech­nung stel­len muß): In Gaza leben zur Zeit rund 2,048 Mil­lio­nen Men­schen. Das Durch­schnitts­al­ter ist 18 Jah­re, die Bevöl­ke­rungs­dich­te beträgt sagen­haf­te 5046 Ein­woh­ner pro km² (!). Im West­jor­dan­land (West­bank) inklu­si­ve Ost-Jeru­sa­lem leben rund 2,75 Mil­lio­nen Ara­ber und rund 592,200 Juden, die dort unter dem Schutz des Mili­tärs eine völ­ker­rechts­wid­ri­ge Sied­lungs­po­li­tik vor­an­trei­ben. Das wären rund 3,34 Mil­lio­nen Men­schen auf einer Land­flä­che von 5,640 km2, was eine Bevöl­ke­rungs­dich­te von 592 Ein­woh­nern pro km² ergäbe.

Isra­el selbst hat eine Gesamt­be­völ­ke­rung von rund 8,775 Mil­lio­nen, das Durch­schnitts­al­ter beträgt 30 Jah­re, die Bevöl­ke­rungs­dich­te 400 Ein­woh­ner pro km². Der Anteil der ara­bi­schen Staats­bür­ger beträgt etwa 21% (1,89 Mil­lio­nen), und dem Ver­neh­men nach erwar­ten etli­che sehn­süch­tig den Tag, an dem sie in der Mehr­heit sind und das Land über­neh­men kön­nen. Laut die­sem Bericht der Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on Human Rights Watch vom 27. April 2021 leben im Gesamtraum Isra­el + besetz­te Gebie­te zwi­schen Mit­tel­meer und Jor­dan nun exakt 6,8 Mil­lio­nen Juden und 6,8 Mil­lio­nen Araber.

Die ara­bi­sche Bevöl­ke­rung Isra­els und der besetz­ten Gebie­te wird also immer zahl­rei­cher, immer jün­ger und hat immer weni­ger (nen­nen wir’s beim ver­schwe­fel­ten, aber grif­fi­gen Namen) Lebens­raum zu Ver­fü­gung, über den sie außer­dem kei­ne sou­ve­rä­ne Ver­fü­gungs­ge­walt hat. Wer Gun­nar Hein­sohns Söh­ne und Welt­macht gele­sen hat, weiß, daß dies eine explo­si­ve und gewalt­träch­ti­ge Mischung ist.

Zu die­sen demo­gra­phi­schen Span­nun­gen kom­men wei­te­re Ver­schär­fun­gen hin­zu: Ers­tens die reli­giö­se Auf­la­dung des Kon­flikts über den Zank­ap­fel Jeru­sa­lem mit sei­nen für bei­de Reli­gio­nen (und das Chris­ten­tum) hoch­hei­li­gen Stät­ten. Und zwei­tens die Tat­sa­che, daß die Mehr­heit der 4,5 Mil­lio­nen Ara­ber in Gaza (von Isra­el mili­tä­risch kon­trol­liert) und im West­jor­dan­land (von Isra­el mili­tä­risch besetzt) von den rund 750,000 ara­bi­schen Flücht­lin­gen des jüdisch-ara­bi­schen Krie­ges von 1947–49 abstammt (eine zwei­te Wel­le folg­te 1967).

Hin­zu kom­men geschätz­te 2,8 Mil­lio­nen paläs­ti­nen­si­sche Flücht­lin­ge bzw. deren Nach­kom­men, die in Jor­da­ni­en, im Liba­non, in Sau­di-Ara­bi­en oder im Irak leben, oder die im Zuge der Flücht­lings­kri­se 2015 nach Euro­pa gelangt sind. Die­se bean­spru­chen seit 1948 ein Rück­kehr­recht in das ehe­ma­li­ge Man­dats­ge­biet Paläs­ti­na, das von Isra­el aus nach­voll­zieh­ba­ren Grün­den kate­go­risch ver­wei­gert wird.

Nach mei­ner Rech­nung (auf der Grund­la­ge der ver­link­ten Wiki­pe­dia-Arti­kel) ergä­be das rund 9,6 Mil­lio­nen Ara­ber (in Isra­el, in den besetz­ten Gebie­ten und in diver­sen ara­bi­schen Nach­bar­staa­ten) die sich als Paläs­ti­nen­ser iden­ti­fi­zie­ren, und die Ansprü­che auf das Gebiet stel­len, in dem nun der israe­li­sche Staat liegt. Das Pro­blem Isra­els ist also vor­ran­gig demo­gra­phi­scher Natur. Es ist zwar mili­tä­risch über­le­gen, aber von einem wach­sen­den Meer feind­se­li­ger Ara­ber umge­ben. Das hat tat­säch­lich gewis­se Par­al­le­len zu Süd­afri­ka vor 1990 (was ich nun nicht “mora­lisch” meine).

Tat­sa­che ist, daß der israe­li­sche Staat in sei­ner jet­zi­gen Form demo­gra­phisch auf ver­lo­re­nem Pos­ten steht. Bei einem Ver­hält­nis von 50:50 zwi­schen Juden und Ara­bern bleibt wenig Spiel­raum für “demo­gra­phic engi­nee­ring” (eine der Grund­la­gen der israe­li­schen Poli­tik), und auch eine mas­sen­haf­te “Ali­ya” aus Euro­pa (etwa aus Frank­reich), könn­te das nicht mehr ändern. Eben­so kön­nen die israe­li­schen Streit­kräf­te Gaza so viel und so oft bom­bar­die­ren, wie sie wol­len. Die zwei Mil­lio­nen, die dort leben, gehen nicht mehr weg, wer­den nicht mehr weni­ger, wer­den nicht mehr israelfreundlicher.

2011 erschien ein Buch in deut­scher Über­set­zung, dem der Ver­lag den sar­ra­zine­sken Titel Isra­el schafft sich ab gab (orig. The Unma­king of Isra­el). Der Autor Gers­hom Goren­berg, ein ortho­do­xer israe­li­scher Jude ame­ri­ka­ni­scher Her­kunft, hielt den israe­lisch-paläs­ti­nen­si­schen Sta­tus quo, der zehn Jah­re spä­ter immer noch andau­ert, für untrag­bar und skiz­zier­te drei Zukunfts­mög­lich­kei­ten für sein Land:

  • Isra­el räumt die beset­zen Gebie­te, zieht die Sied­ler ab und grün­det eine “zwei­te israe­li­sche Repu­blik inner­halb enge­rer Gren­zen” (sei­ne favo­ri­sier­te Lösung).
  • Isra­el wird ein inter­na­tio­na­ler “Paria­staat” à la Süd­afri­ka, “wo eine eth­ni­sche Grup­pe über eine ande­re herrscht”.
  • Isra­el bricht als Staat zusam­men, und wird “durch zwei sich bekrie­gen­de Volks­grup­pen” im Ter­ri­to­ri­um zwi­schen Jor­dan und Mit­tel­meer ersetzt.

Goren­bergs Buch ist ein Plä­doy­er, die ers­te Mög­lich­keit umzu­set­zen. Um aus der gegen­wär­ti­gen Sack­gas­se her­aus­zu­kom­men, müs­se Isra­el drei Din­ge tun:

  • “den Sied­lungs­bau ein­stel­len, die Besat­zung been­den”, wenn nötig, auch mit­tels Mili­tär­ein­satz gegen mili­tan­te ortho­dox-zio­nis­ti­sche Sied­ler, und “das Land zwi­schen dem Fluß und dem Meer” gerech­ter aufteilen,
  • Staat und Syn­ago­ge stär­ker von­ein­an­der tren­nen, “den Staat vom Kle­ri­ka­lis­mus und die Reli­gi­on vom Staat befreien”,
  • und drit­tens “von einer eth­ni­schen Bewe­gung zu einem Staat her­an­rei­fen, in dem alle Bür­ger Gleich­heit genießen”.

Der drit­te Punkt ist aus iden­ti­tä­rer Sicht sicher am Inter­es­san­tes­ten: Nach Goren­berg müs­se ein jüdi­scher Staat nicht “rein”, son­dern nur mehr­heit­lich jüdisch sein (wie de fac­to der Fall), wes­halb eine “demo­kra­ti­sche” Libe­ra­li­sie­rung des zio­nis­ti­schen Impul­ses mög­lich sei, ohne den Natio­nal­cha­rak­ter Isra­els auf­zu­lö­sen. Vor­aus­set­zung ist, daß es gelingt, die Leit­kul­tur der jüdi­schen Bevöl­ke­rungs­mehr­heit mit den Rech­ten der nicht-jüdi­schen Min­der­hei­ten aus­zu­ba­lan­cie­ren. Das wäre ein Modell für einen jeg­li­chen moder­nen Natio­nal­staat nach iden­ti­tä­ren Prin­zi­pi­en (Ungarn ist ver­fas­sungs­mä­ßig danach aufgebaut).

Nicht gang­bar hält Goren­berg indes eine Ein-Staa­ten-Lösung, etwa wenn sich Isra­el, Westbank/Westjordanland (das sich Isra­el gern ein­ver­lei­ben wür­de) und Gaza (das Isra­el läs­tig gewor­den ist) zu einer “Ost­mit­tel­meer­re­pu­blik” zusam­men­schlie­ßen wür­den. Dies wür­de vor allem wegen des Sied­lungs­pro­blems, der Flücht­lings­fra­ge und des öko­no­mi­schen Gefäl­les eine eth­nisch gespal­te­ne Nati­on schaf­fen, die in Gefahr läuft, ähn­lich wie der Liba­non in einen Bür­ger­krieg zu schlittern:

Es wäre ein Alb­traum: ein wei­te­rer Ort auf dem Glo­bus, wo zwei oder mehr Volks­grup­pen gegen­ein­an­der kämp­fen, wäh­rend die Leu­te mit der bes­ten Bil­dung und den bes­ten Bezie­hun­gen anders­wo Zuflucht suchen.

Man kann es noch schär­fer for­mu­lie­ren: Eine Ein-Staa­ten-Lösung käme für den jüdi­schen Staat einem Selbst­mord gleich. Sein jüdi­scher Natio­nal­cha­rak­ter wäre trotz allen guten Wil­lens zur “Leit­kul­tur”, wie ihn Goren­berg for­dert, rein demo­gra­phisch nicht mehr auf­recht­zu­er­hal­ten, und es wäre rea­lis­ti­scher­wei­se nicht zu erwar­ten, daß sich die Kon­flikt­par­tei­en nach Jahr­zehn­ten des Blut­ver­gie­ßens mit einem Schlag in den Armen lie­gen und auf einen gemein­sa­men bina­tio­na­len Staat einigen.

Hin­zu kom­men drei wei­te­re Pro­ble­me, die Goren­berg aus­blen­det: Ein paläs­ti­nen­si­scher Staat bestehend aus Ost-Jeru­sa­lem und West­bank einer­seits und Gaza ande­rer­seits wäre ers­tens durch einen gro­ßen israe­li­schen Kor­ri­dor getrennt, was kaum ein opti­ma­ler oder auf die Dau­er trag­ba­rer Zustand wäre. Allen­falls müß­ten zwei ver­schie­de­ne Paläs­ti­nen­ser­staa­ten geschaf­fen wer­den, was kei­ne sehr befrie­di­gen­de Lösung für alle Sei­ten wäre.

Zwei­tens plat­zen die­se Gebie­te wie beschrie­ben aus allen Näh­ten, was die Bevöl­ke­rungs­dich­te betrifft, wäh­rend ihre ara­bi­schen Bewoh­ner eine Men­ge an Res­sen­ti­ment und Rach­sucht ange­sam­melt haben und  die tief ein­ge­fleisch­te Über­zeu­gung hegen, daß sie um ihre ange­stamm­te Hei­mat betro­gen wor­den sind. Hier ist also eine Quel­le enor­mer Unru­he und Unzu­frie­den­heit gegeben.

Dar­aus ergibt sich drit­tens, daß sich die Paläs­ti­nen­ser mit einer staat­li­chen Sou­ve­rä­ni­tät in den besetz­ten Gebie­ten wahr­schein­lich kaum zufrie­den­ge­ben wer­den. Viel­mehr wer­den sie (oder zumin­dest radi­ka­le Grup­pie­run­gen unter ihnen) ver­su­chen, die­se als Aus­gangs­punkt für eine Recon­quis­ta ganz “Paläs­ti­nas” zu benut­zen. Dazu feh­len ihnen momen­tan noch die mili­tä­ri­schen Mit­tel, die ihnen aber viel­leicht zuwach­sen wer­den, wenn ande­re Staa­ten (wie Liba­non, Syri­en, Iran) den Rück­zug Isra­els als Schwä­che inter­pre­tie­ren und ihren Druck inten­si­vie­ren. Aller­dings ver­fügt Isra­el über Nukle­ar­waf­fen und den Bei­stand der Welt­macht USA, was immer noch ein erheb­li­ches Abschre­ckungs­po­ten­zi­al bietet.

Goren­bergs Modell ist frei­lich nicht beson­ders ori­gi­nell, son­dern ent­spricht dem Main­stream und Kon­sens der libe­ra­len Isra­el­kri­ti­ker: Ende der Okku­pa­ti­on, Abzug der Sied­ler, Rück­zug zu den Gren­zen von 1967. Das bedeu­tet, daß “1948”, die Legi­ti­mi­tät und das “Exis­tenz­recht Isra­els” nicht in Fra­ge gestellt wer­den; man hät­te die Ver­trei­bung der Ara­ber inter­na­tio­nal eben­so akzep­tiert wie etwa die Ver­trei­bung der Deut­schen aus den Ost­ge­bie­ten und die ent­spre­chen­den Grenzziehungen.

Die­ser Kon­sens wur­de die­ses Jahr jedoch durch die Berich­te zwei­er Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen erschüt­tert. Das Inter­es­san­te ist, daß es sich hier um einen fast rein inner­jü­di­schen Vor­gang handelt.

– – –

Mehr dazu im 2. Teil die­ses Bei­trags, und dann wird auch eine Dis­kus­si­on mög­lich sein. Bis dahin bleibt der Kom­men­tar­be­reich geschlossen.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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Kommentare (8)

Der_Juergen

2. Juni 2021 08:24

Wie immer sorgfältige Analyse. Warten wir den zweiten Teil ab, ehe wir lange kommentieren.

Maiordomus

2. Juni 2021 09:50

Der Buchtitel von Gershom Gorenberg erinnert gestalterisch an das im Ansatz israelkritische Buch von William S. Schlamm "Wer ist Jude?" aus dem vor 50 und mehr Jahren konservativen Stuttgarter Seewald-Verlag. Würde mich sonst nicht wundern, wenn die differenzierte Beschreibung der Situation durch den publizistisch zuverlässigen Lichtmesz von der Gegenseite als "antisemitisch" ausgelegt würde. Nicht zu übersehen ist, dass unter dem Einfluss der Prinzipien der Springer-Presse das vergleichsweise rechtsliberale und rechtskonservative deutsche Rest-Bürgertum traditionell prozionistisch bzw. pro-israelisch orientiert bleibt, so wie dies in der Schweiz spätestens nach dem noch umstrittenen Abschluss des Handelsvertrages mit Frankreich (1866) der Fall war. Galt auch für den amerikanischen Buckley-Konservatismus. Selber war ich jung geprägter Sympathisant des kulturkonservativen Judentums um Autoren wie Rudolf Borchardt, Stefan Zweig und den jüdischen Flügel um Stefan George wie Karl Wolfskehl, zuletzt Edwin Maria Landau, den katholisch konvertierten Claudel-Übersetzer. Eigentlich gehörte auch Karl Kraus in das genannte Lager, unter den Literaturkritikern der Thomas-Bernhard-Antipode Herbert Eisenreich. Bei Elias Canetti ist mir eine wohltuende Distanz zum Zionismus aufgefallen. Broder, in dieser Frage Parteijounalist, hat leider nie ein Buch im Format des oben genannten von Schlamm verfasst.  

EvansPritchard

2. Juni 2021 12:10

Der Artikel referiert einen veralteten Stand. Das war tatsächlich der Rahmen für die Rückzugspolitik von Scharon. Der Grund, warum in Israel das Interesse einer Verhandlungslösung geschwunden ist, liegt daran, dass sich in den letzten zehn Jahren ein radikaler demographischer Wandel vollzogen hat.

In den letzten zehn Jahren ist die Geburtenrate der Araber in Israel und dem Westjordanland deutlich gesunken. Auch weil Netanjahu die Sozialleistungen für Familien gekürzt hat. Auf der anderen Seite ist die Geburtenrate unter Juden geradezu explodiert und zwar nicht nur unter religiösen und nationalreligiösen, sondern auch unter säkularen Juden. Die Siedler liegen mit fünf Kindern pro Frau sogar international an der Spitze und weit über den drei Kindern pro Frau der Palästinenser. 

Das ist im Übrigen auch augenfällig, wenn man Israel besucht. Schon im Flugzeug turnen die Kinder über die Sitze und wo auch immer man sich mit Juden trifft, sieht man Kinder, Kinder, Kinder. Der soziale Druck unter Juden Kinder zu bekommen ist immens. Wer in Israel kinderlos ist, ist praktisch ein sozialer Außenseiter. Ohne Kinder nimmt man nicht am sozialen Leben teil.

Ich würde mir also um Israel keine Sorgen machen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es in hundert Jahren noch einen jüdischen Staat Israel gibt, ist derzeit auf jeden Fall viel größer als dass es in hundert Jahren noch einen deutschen Staat Bundesrepublik gibt. 

 

Heinrich Loewe

2. Juni 2021 14:21

JUST IN: https://www.bild.de/politik/ausland/politik-ausland/feuer-an-bord-groesstes-versorgungsschiff-der-mullah-marine-gesunken-76596388.bild.html

Da sage ich nur: Shalom! :-)

Rheinlaender

2. Juni 2021 15:53

Das Interessante an diesem Konflikt ist, dass die Folgen politischer Sentimentalität dort sofort sichtbare Folgen haben, weshalb man sie bei den Akteuren auf israelischer Seite eher selten antrifft. Von diesen kann man knallharten Realismus lernen, der zwar nicht schön aussieht, aber den eigenen Staat auch unter ungünstigen Bedingungen am Leben erhält. Ein F.W. de Klerk hat umgekehrt zwar den Friedensnobelpreis bekommen, aber dafür gibt wegen seiner Entscheidungen heute den Staat nicht mehr, für dessen Bestand er die Verantwortung trug.

Glast

2. Juni 2021 18:18

@EvansPritchard

Ja, das sehe ich genauso wie Sie. 

Und selbst wenn es nicht so wäre, Israel wird sich da nicht einnässen. Götz Kubitschek sprach vor mehr als 10 Jahren mal davon, dass ein Staat prinzipiell fast alles durchsetzen kann bzw. dass fast alles möglich ist. So ist das m.M.n. auch hier - da lege ich mich fest. Wenn es zuviele Araber werden auf israelischem Staatsgebiet und die ethnische Balance kippen sollte, wird Israel Mittel und Wege finden ebendiese auszuweisen. Wie auch immer und wohin auch immer. Vielleicht kommt es dann auch zu einer Zweistaatenlösung. 

Die Hunderttausenden aus arabischen Ländern vertriebenen Juden haben schließlich auch kein vererbtes 'Rückkehrrecht'. 

Langer Rede kurzer Sinn: ein jüdisches Israel wäre das letzte, worum ich mir Sorgen machen würde. 

Andreas Walter

2. Juni 2021 18:37

5.000 Einwohner pro km2 ist nichts besonderes, die hat München fast auch, und in Macao sind es sogar fast 21.000.

ML: 5.000 Einwohner pro km2 sind für einen Landstrich (keine Großstadt) eine signfikant hohe Zahl, das ist mehr als das Zehnfache der Einwohnerdichte von Israel.

Ginge es jedoch nach der Irgun gehört sogar ganz Jordanien und das Westjordanland sowieso zu Israel, während für orthodoxe Anhänger der Tora (das sind die Bücher Mose in der Bibel) neben auch dem Westjordanland auch noch ein großer Teil Syriens zum, in den Fall sogar durch "יהוה", versprochenen Land gehört.

Möglicherweise besitzen manche Juden aber auch noch rechtliche Ansprüche im Iran, die sie vielleicht auch dort gerne gegen etwas Land tauschen wollen. Ich selbst habe darum gestern nicht schlecht gestaunt, als ich folgendes gelesen habe:

“In 1872, Nasir al-Din Shah, the Shah of Iran, signed an agreement with Reuter, a concession selling him all railroads, canals, most of the mines, all the government's forests, and all future industries of Iran. George Curzon called it "The most complete and extraordinary surrender of the entire industrial resources of a kingdom into foreign hands that has ever been dreamed of".[7]“ Englische Wikipedia betreffend Paul Reuter

Die zitierte Quelle:

[7] Persia and the Persian question, Vol. I, London, Frank Cass and Co., 1966, p. 480.

Uwe Lay

2. Juni 2021 18:52

EvansPritchard

Danke für diese informative Ergänzung. Netanjahu, der viel Geschmähte ist eben ein wirklich patriotisch gesonnener Staatsmann, der ein Volk zu regieren weiß, das von Feinden umgeben ist. Während in Europa der Geburtenrückgang als unüberwindliches Schicksal angesehen wird, zeigt die israelische Familienpolitik, daß dies Problem in den Griff zu bekommen ist.

Uwe Lay

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