Edvarts Virza: Straumēni

von Jörg Seidel -- Im Guggolz-Verlag, der sich zur Aufgabe erkoren hat, vergessene Meisterwerke der baltischen und anderer randständiger Literatur...

zurück in den Strom der Lese­flüs­se zu füh­ren, erschien nun ein wun­der­sa­mes, ein­zig­ar­ti­ges Buch: Straumē­ni. Hin­ter die­sem geheim­nis­vol­len Namen steht ein altes let­ti­sches und wohl fik­ti­ves Gut, des­sen ver­weh­tes Leben Edv­arts Vir­za 1933 aus der Erin­ne­rung beschrieb.

Der Hof steht im Mit­tel­punkt der Schil­de­rung, die dar­auf leben­den und arbei­ten­den Men­schen sind sei­ne Die­ner, ein­ge­bet­tet in das magi­sche Qua­drat aus Haus-Mensch-Natur-Geis­ter. Alle sind Glied einer lan­gen Ket­te, deren Anfang im his­to­ri­schen Dun­kel – im Volk ein­ge­bet­tet – ver­schwun­den ist, die zugleich aber geschlos­sen wird vom ewi­gen Kreis­lauf der Jah­res­zei­ten, wel­che Vir­za als Gerüst, man kann auch sagen: als Joch nutzt. Denn das Joch – »sie waren alle in ein Joch gespannt, das sie bis zum Tode zu tra­gen hat­ten« – ist hier in ers­ter Linie Ord­nung und garan­tiert die Frei­heit durch die Struktur.

Man kann das Buch daher wie einen Ring an jeder belie­bi­gen Stel­le anfas­sen und das Rund umtas­ten, denn es schließt dort, wo es beginnt; die Hand­lung voll­endet den Kreis. Und wenn man hier von Hand­lung spricht, dann meint man nicht die Hand­lung eines geläu­fi­gen Romans – denn die­se ist abwe­send –, son­dern das Han­deln, das Hand­werk, das Hand­ha­ben, das Han­tie­ren, das, was die Hän­de leis­ten, dann spricht man von der Arbeit, die den Men­schen Sinn und Ori­en­tie­rung gibt und die dazu führt, daß sie ihre Hän­de am Ende der Ern­te nicht mal mehr stre­cken können.

Es ist ein Hohe­lied auf den Reich­tum des ein­fa­chen Lebens, das die Viel­falt aus sich selbst gewinnt und das Her­ein­ho­len des Frem­den und Neu­en kaum benö­tigt. »So hat­ten ihre Vor­fah­ren gelebt, und so leb­ten auch sie, schöpf­ten ihre Kraft aus der Erde, misch­ten sich mit allem, was sie her­vor­brach­te, und blick­ten mit geleh­ri­gen Augen durch den Staub der Arbeit in die Zukunft.« Alles in die­sem Qua­drat greift inein­an­der, alles hat Sinn und Zweck, alles ist belebt und beseelt, alles hat sei­nen Platz, alles eine Wur­zel: »Mit Bewe­gun­gen, die ihnen seit uralten Zei­ten ange­bo­ren waren, mach­ten sich die Män­ner an die Arbeit.«

Wie eine fer­ne, fast unwah­re Melo­die erklingt dem heu­ti­gen durch­in­di­vi­dua­li­sier­ten Leser die Erzäh­lung der Gescheh­nis­se, des Ablaufs der Din­ge, als der Mensch noch ein Abschnitt eines lan­gen Fadens war, den die Spin­del der Zeit in gleich­för­mi­gen Rhyth­men auf­nahm und abspul­te. Vir­za wählt den ent­schei­den­den Punkt des Umschla­gens, er idea­li­siert nicht, er zeigt auch die Här­te, gele­gent­lich die Bru­ta­li­tät, er scheut nicht den Tod und das Töten – auch dies ein­ge­bet­tet in die jähr­li­chen Bah­nen. Es ist der his­to­ri­sche Augen­blick des Ein­zugs des soge­nann­ten Fort­schritts: in der Dar­re hän­gen noch die alten Gerä­te, um deren Nut­zung kaum noch jemand weiß, und eine neue Dresch­ma­schi­ne, die den Fle­gel ersetz­te, gefiel den Alten nicht, »weil das von ihr gedro­sche­ne Korn nicht mehr die rech­te Rei­fe und das Brot nicht mehr den Duft nach Getrei­de hat­te.« Über­haupt war das Brot­ba­cken mys­tisch, »denn bei der Geburt von Brot fan­den Din­ge statt, von denen nur die Frau­en etwas verstanden.«

Man muß die­ses Buch schon des­we­gen haben, weil es eine unschätz­ba­re Samm­lung, gleich­sam phä­no­me­no­lo­gisch, an frau­li­chen und männ­li­chen Arbei­ten bie­tet. Aber auch der natür­li­che Wan­del wird ein­ge­fan­gen und wie in einem Honig­glas kon­ser­viert – so uner­schöpf­lich wie die beschrie­be­ne Natur ist auch die sie beschrei­ben­de Phan­ta­sie und Wort­freu­de Virz­as: Immer wie­der fin­det er neue fas­zi­nie­ren­de Bil­der. Das Buch ist eine Augen­wei­de, ein Klang­tep­pich, eine Geruchs­kom­po­si­ti­on, ein Sam­mel­su­ri­um an ver­klun­ge­nem Voka­bu­lar, ihm ent­steigt förm­lich der Duft des gemäh­ten Heus, das Geklap­per der Fle­gel, das Farb­spiel der Fel­der, die klir­ren­de Käl­te des Win­ters. Und aus all dem zieht Vir­za mit­un­ter kryp­ti­sche Schlüs­se der Weis­heit, der Essen­zen, des Geis­tes, des Wesens; wie der Riga­er Bal­sam die See­le der Kräu­ter ein­fängt, so ent­hält die­ses zau­ber­haf­te Buch das blan­ke Sein – wie es war, wie es sein soll­te, wie es rich­tig ist: die Ord­nung der Dinge.

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Edv­arts Vir­za: Straumē­ni, Ber­lin: Gug­golz 2020. 333 S., 25 €

 

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