Aber nicht nur das „neuartige“ Corona-Virus ist reproduzierbar, noch mehr sind es die den Bürgern erfolgreich eingeübten Abläufe. Sie werden erneut durchzuexerzieren sein.
Selbst wenn dies nicht ihre ursprüngliche Absicht gewesen sein mochte, können die Regierungen auf das erprobte Muster zurückkommen, neuerlich Alarme auslösen und ähnliche Manöver durchführen.
Es hat einfach zu gut funktioniert. Die Bundesexekutive wirkt von “Corona” ebenso vitalisiert wie die Regierungen der Bundesländer. Auf die Erlaß- und Maßnahmexzesse werden sie nicht mehr verzichten wollen. Irgendein Erreger wird schon auftauchen. Beim nächsten Mal könnte ja eine gewöhnliche Grippe als Staatsbedrohung ausgerufen werden.
Die Gesellschaft erscheint mittlerweile so konditioniert, daß sie sich unkompliziert auf Lockdown-Maßnahmen und den Verlust von Grundrechten einstellen ließe, sobald die Schalter dafür gedrückt werden. Abgerichtet wie der Pawlowsche Hund.
Vor Jahren erschien eine solche Staatsgläubigkeit unvorstellbar, gerade für das “woke” linksgrüne Milieu, das “in der Pandemie” aber besonders artig alle Vorschriften erfüllte, vorauseilend und engagiert. Großes Einvernehmen also zwischen Linksgrün und der Regierung. Diese transportiert die neulinke Ideologie, jene erfüllt beflissen die Erlaßpolitik der Herrschaft.
Solange Versorgung und Belohnung gesichert sind, die Discounter geöffnet haben und der Paketdienst pünktlich liefert, folgt das deutsche Volk allen Dekreten des Obrigkeitsstaates. Angst macht die Leute führbar und wurde fortlaufend geschürt, ja gesteigert: Die Intensivstationen laufen voll! Triagen scheinen unvermeidlich! Mutanten kommen! Die indische Gefahr! Nein, Delta! Drohendes Superspreader-Ereignis in Londoner EM-Stadien!
Für immer neue Furchtimpulse sorgte eine Expertokratie, die, assistiert von Politikern und Möchtegern-Spezialisten wie Lauterbach, die Autoritätsbeweise lieferte und Zahlen von “am und mit dem Virus” Verstorbenen aufaddierte. Simple Statistik reichte. Kaum jemand setzte die bloßen Zahlen in eine sachliche oder auch nur mathematische Relation.
Als Anfang April 2021 auf der Wismar vorgelagerten Insel Poel 24 Infektionen registriert wurden, schoß die dortige Sieben-Tages-Inzidenz auf den Wert 970, weil die Insel nur 2.500 Einwohner hat. Zwischen infiziert und infektiös, zwischen gesund, beschwerdefrei und erkrankt wurde ohnehin nirgendwo unterschieden.
Währenddesssen saßen die sich mit der Berliner Republik identifizierenden „Anständigen“ des öffentlichen Dienstes, die sozialdemokratisch-grüne “Mitte”, gut versorgt im Home-Office, nahmen das gemütlich als voll bezahlten Teil- oder Zusatzurlaub mit und fanden es super, schon mit relativem Nichtstun sogar „Leben retten“ zu können. Der neue Patriotismus hatte einen Slogan: “Wir bleiben zu Hause!” Noch nie wurde Mut so verbilligt!
Aber das paßte zu einer Gesellschaft, für die Laktoseintoleranz und Hausstauballergie bereits ernste Risiken darstellen, während Vorgängergenerationen noch Weltkriege, Bombenterror, Hungertyphus und Tuberkulose durchzustehen hatten.
Zurück zum Corona-Komfort: Wer wissen will, wie es um die Berliner Republik bestellt ist, der klicke sich durch die Organigramme der Hauptstadt und der 16 Provinzregierungen, multipliziere sich die durchschnittlichen 13-Monate-Jahresgehälter in Überschlagsrechnung zusammen, um endlich mitzubekommen, daß absolutistische und Ständestaaten gegenüber der sich selbst beständig befeiernden Demokratie so schlanke wie effiziente Systeme darstellten. – Die Staatsquote in Deutschland betrug 2020 51,3 Prozent.
Man sehe sich zudem aufmerksam die Biographien und die „Verlautbarungen“ der Volksvertreter an, die allesamt im Sitzen „arbeiten“ und folglich schon Sitzungen als „Kampf“ für irgendwas verstehen. Helden in Drehsesseln.
Anders gesagt: Phänomenal, welch verkommenen Luxus sich eine Demokratie leistet, die den Staatsformen, die sie ablöste, ein dekadentes Bonzen- und Schmarotzertum unterstellt, das sie selbst längst viel barocker auslebt. Von „Europa“, also dem Brüsseler Super-Staat, ganz zu schweigen.
All den hohen und höchsten Angestellten, ihren Abteilungs- und Sachgebietsleitern, deren Mitarbeitern, Beratern und Lakaien, den nachgeordneten „Instituten“, beigeordneten Stellen und Einrichtungen, all den verschwenderischen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in sinnfreien oder manipulativen „Projekten“ und „Initiativen“, dazu dem Verwaltungs- und Kultusbereich und nicht minder den Parteiapparaten ging es in der „Corona-Krise“ so gut wie nie. Sie „arbeiteten“ im Casual-Style von zu Hause aus, hatten keinerlei Einbußen hinzunehmen und warteten das Erscheinen der Paketboten ab.
Während sich die Ministerien durch das Home-Office langweilten, drohten die Schulen im sogenannten Distanzunterricht, gewissermaßen einer Streß-Variante des Home-Office, zum kulturell verlorenen Gelände zu veröden. Schon wird angezweifelt, ob es überhaupt normal, also im Präsenzunterricht weitergehen kann.
Die Politik hat aus den Schulen schon lange ein Experimentierfeld ihrer wechselnden Ideen vom Menschen gemacht; nun experimentiert sie dort aus eigenen Profilierungszwecken mit Corona-Maßnahmen: Luftfilter, neuer Digitalkram, Testrhythmen, spezielle Kindermasken. Verstetigt sich das, werden die kulturellen Verluste für die Jüngsten verheerend sein.
Dann reicht’s zwar noch für die Teilnahme am Fridays-for-Future- und Christopher-Street-Day-Klamauk (“Verdammt cool, daß ihr mitmacht, Kiddies! Echt engagiert von euch!”), aber nicht mehr für Facharbeiter- oder Hochschulausbildung.
„Die durchschnittliche Kompetenzentwicklung während der Schulschließungen im Frühjahr 2020 ist als Stagnation mit Tendenz zu Kompetenzeinbußen zu bezeichnen“, so schätzt es Andreas Frey ein, an der Goethe-Universität Professor für Pädagogische Psychologie. Der Erfolg des Distanzunterrichts „liegt damit im Bereich der Effekte von Sommerferien.“
Und bereits wird angekündigt, daß es so weiterzugehen habe. Wobei das Desaster als Innovation dargestellt wird.
Weil von den Lockdown-Beschränkungen eher selbständige Leistungsträger mit selbst zu tragenden Lebensrisiken betroffen waren, das Land aber vergleichsweise wenige, ja zu wenige davon hat, fielen die Anti-Lockdown-Proteste so blamabel dürftig aus. Den meisten ging es staatsversorgt sehr gut; sie hielten gern still.
Das Prekariat wurde schon vor der befohlenen Krise zwar bescheiden, aber stabil alimentiert. Die noch verbliebenen Arbeiter arbeiteten weiter; von „Superspreader-Ereignissen“ hörte man nur aus der Fleischindustrie. Alle anderen machten die Erfahrung, daß der Staat in seiner neuen Lust am Durchregieren einerseits zwar plötzlich rigorose, dreist übergriffige und zwangsvereinnahmende Beschränkungen durchsetzte, andererseits dafür aber enorme Genuß- und Schweigegelder zu zahlen bereit war. Ein Corona-“Sozialismus”, der seine Schulden auf viel später verschob. Zorn war in den großen Pandemie-Ferien nicht zu erwarten.
Immer wenn die Regierung in der ersten Person Plural spricht, besteht Verschwendungsgefahr: WIR helfen. WIR nehmen Geld in die Hand. WIR sorgen für eure Sicherheit. Sie versenken dann im Sinne ihrer politischen Ziele das erarbeitete Vermögen jener, die nicht im Sitzen kämpfen, sondern sich körperlich und geistig für ihr Einkommen anstrengen, von dem sie dem Staat einen erklecklichen Teil zu überweisen haben. Die eigenen Rechnungshöfe lasen den Regierungen die Leviten. Die interessierte das nicht.
Nachvollziehbar hatte die AfD in Sachsen-Anhalt damit gerechnet, „das Volk“ werde der dreisten Landesregierung mit der Juni-Wahl einen Denkzettel verpassen. Das geschah so nicht. „Corona“ spielte bei den Wahlentscheidungen eine nur untergeordnete Rolle, so daß der einzigen echten Oppositionspartei ihre tapfere Haltung gegen die selbstherrliche Erlaßpolitik nicht honoriert wurde.
Und weil der Sommer den Winter schon immer vergessen ließ, wird das leider in den September-Wahlen ähnlich geschehen. Man kann von der AfD halten, was man will, aber sie stellte die einzig gegenhaltende Kraft dar.
Bitter daher, wenn sich eine Stimmung etabliert, die meint: Wir sind doch gut davongekommen. Unsere Regierungen haben uns sicher durch die „Krise“ gebracht. – Die Regierungen selbst werden genau diese Botschaft im Sommer über die Strände und Freisitze tröten: Seht mal, wie gut es euch beim Aperol-Spritz geht! Das ist allein unserem verantwortungsvollen Management zu danken. Läuft doch! So, als hätte sich die Regierung dafür angestrengt, daß es selbst in diesem Jahr tatsächlich Sommer wurde.
Um diesen „Wir tun was!“-Eindruck aufrecht zu erhalten, kann noch eine Weile mit Verordnungen, etwa der Maskenpflicht, herumjongliert werden – immer in der Weise, daß Wohlverhalten mit Gnadenserweisen honoriert wird.
Corona darf keinesfalls vergessen werden, Corona muß weiterleben, denn die Drohung mit einem Rückfall setzt die Erziehung zur Anpassung fort und konditioniert nachhaltig, so daß Ausnahmezustände künftig vorm Hintergrund anderer Legenden durchbefohlen werden können: Energiepolitik, Gegen-rechts-Kampagnen, Stigmatisierung mißliebiger Bürger, die nach Urteil der Staatsorgane zwar nicht als medizinisch, aber als politisch krank zu gelten haben und in Quarantäne gehören.
Dabei bleiben die wichtigen Fragen unbeantwortet, weil sie kaum jemanden interessieren:
Hätten Weltorganisationen und Regierungen das Infektionsereignis in früheren Jahrzehnten ebenso hysterisch als eine Pandemie herausschreien können, daß die Bürger eine Politik der Ausnahmezustände legitimiert und den Verlust von Bürgerrechten gerechtfertigt gefunden hätten?
Hätte eine vor der Sagrotan-Kultur und dem Nanny-Staat wohl noch mutigere und weniger hypochondrische Bevölkerung sich das bieten lassen? Fehlt es der tendenziell geriatrischen Berliner Republik einfach an belebendem jugendlichen Widerstand? Die Jugend scheint sich den Ängsten der Alten anzuschließen und deren Lebensentwürfe kritikarm zu kopieren. Die Schulschwänzerbewegung “Fridays for future” ist dafür ein Beispiel. Die Eltern applaudieren den kunterbunten Demos und dem Geschrei ihrer Kleinen.
Und letztlich: Wie gehen wir selbst mit dem Leben und dem Tod um? Wie steht es um unsere Idee vom eigenen Selbst und um die Freiheit, die wir zur Gestaltung von selbstverantwortetem Leben und Gemeinnutz nötig haben?
Was ist überhaupt aus dem gesunden Menschenverstand und der Urteilskraft geworden, daß wir uns wie in dystopisch-apokalyptischen Filmen verhalten, nur weil mal ein Virus die Runde um den Planten macht und jedes Niesen eine Aufmerksamkeit erregt, als wäre gerade geschossen worden?
Als couragiert gilt, wer die Maßnahmen der Regierung bejubelt und dafür zum Gartenfest beim Bundespräsidenten eingeladen wird. Genau das aber hat mit Courage nichts zu tun. Man höre wieder genau hin, lese gründlich, denke tiefer nach, vergleiche mit geschichtlichen Erfahrungen und stelle sich vor allem mit Haltung endlich wieder mutiger den Kontingenzen und Gefahren, anstatt Entscheidendes auf Versprechen von Figuren wie Jens Spahn zu geben.
Der_Juergen
Ich kann mich nicht erinnern, je einen dermassen scharf formulierten Bosselmann-Artikel gelesen zu haben. Vermutlich bin ich nicht der einzige, der über diese Radikalisierung eines gemässigten Rechtskonservativen Genugtuung empfindet.
Bosselmanns Analyse der bundesdeutschen Elite (natürlich im wertfreien Sinn) ist zutreffend. Hoffentlich werden die Stimmen, die vor "Verschwörungstheorien" warnen und behaupten, die Elite habe die "wie ein Blitz aus heiterem Himmel hereingebrochene" Corona-Epidemie einfach opportunistisch als Vorwand für den steten Abbau der Grundrechte missbraucht, auch auf diesem Blog immer leiser werden und schliesslich ganz verstummen. Alles war seit Jahren generalstabsmässig geplant; Beweise dafür gibt es in Hülle und Fülle.
Dass sich das deutsche Volk aus eigener Kraft zu retten vermag, hoffe ich zwar weiterhin, aber als Realist schätze ich die Chancen heute nicht mehr hoch ein. Entweder kommt ein entscheidender Anstoss von aussen, oder Deutschland geht, mit dem Rest Europas einschliesslich Polens und Ungarns, den Bach hinunter. Selbst in Russland, wo das Putin-Regime immer schamloser gegen sein eigenes Volk wütet, regt sich vorderhand noch viel zu wenig Widerstand.