Armin Mohler und Ernst Jünger – Briefe zum Doppeljubiläum

von Günter Scholdt -- PDF der Druckfassung aus Sezession 95/ April 2020

Unter zahl­rei­chen Brief­wech­seln, die Ernst Jün­ger (gebo­ren vor 125 Jah­ren, am 29. Mai 1895) führ­te, gehört der mit Armin Moh­ler zur bio­gra­phi­schen Erschlie­ßung der ers­ten Nach­kriegs­jahr­zehn­te zu den ergie­bigs­ten. Moh­ler (gebo­ren am 12. April 1920, vor hun­dert Jah­ren also) hat­te noch vor sei­nem Tod einer Edi­ti­on die­ses Brief­wech­sels im Ver­lag Antai­os zuge­stimmt. Erik Leh­nert hat das gro­ße Ver­dienst, zumin­dest Moh­lers 385 Schrei­ben zwi­schen 1947 und 1961 ediert zu haben. Daß in sei­ner Lese­aus­ga­be nicht zugleich Ernst Jün­gers 437 Brie­fe und Kar­ten abge­druckt wer­den durf­ten, liegt an der man­geln­den Koope­ra­ti­ons­be­reit­schaft der Wit­we Jün­gers und des Ver­lags Klett-Cot­ta: Wäh­rend Lise­lot­te Loh­rer in den Gesprä­chen, die Götz Kubit­schek mit ihr führ­te, immer wie­der auf die aus ihrer Sicht unstatt­haf­te Kri­tik Moh­lers an den Text­ein­grif­fen Jün­gers in das Vor­kriegs­werk ver­wies, lehn­te Klett die Edi­ti­on bei Antai­os schlicht aus Grün­den der Ver­lags­po­li­tik ab – ohne jedoch zu signa­li­sie­ren, daß man selbst an einer Edi­ti­on inter­es­siert sei. Leh­nert hat die­sen Man­gel gemil­dert, indem er Jün­gers Ant­wor­ten als Reges­ten mitteilte.

Wor­in nun liegt die Bedeu­tung die­ses Mei­nungs­aus­tauschs, der nach vier­zehn Jah­ren gegen­sei­ti­ger geis­ti­ger Befruch­tung in ein Zer­würf­nis mün­de­te, das erst in den 1980ern wie­der per­sön­li­che Tref­fen erlaub­te? Zunächst ein­mal in zahl­rei­chen Details über den Freun­des- und Berufs­kreis der bei­den. Wer­ke und Autoren, von Joseph Breit­bach über Jün­gers Freun­din Bani­ne bis zur Reiz­fi­gur Céli­ne, wer­den leb­haft dis­ku­tiert, des­glei­chen Jün­gers ers­te Werk­aus­ga­be und Fest­schrift. Man bespricht Gegen­warts­po­li­tik, von der Saar­ab­stim­mung über de Gaul­le und Men­dès France bis zur Suez­kri­se, oder ringt um eine Kon­ser­va­ti­vis­mus-Defi­ni­ti­on. Wir erfah­ren, daß Sart­re sich für die Strah­lun­gen und Hes­se für die Glä­ser­nen Bie­nen begeis­ter­te, oder – zur Ver­wir­rung ger­ma­nis­ti­scher Scha­blo­nen­den­ker – von zwang­lo­sen Kon­tak­ten des »Reak­tio­närs« Moh­ler zu Hanns Hen­ny Jahn, Eugen Gom­rin­ger und Paul Celan, der ihn ein­lädt, oder Erich Kuby, der von ihm einen Auf­satz über Jün­ger wünscht.

Auch war Moh­ler in Jün­gers gro­ßer Umbruchs­pha­se (jen­seits der Fami­lie) wohl sein wich­tigs­ter Dis­kus­si­ons­part­ner und Bera­ter, was mit sei­ner geis­ti­gen Potenz und sei­nem Cha­rak­ter zusam­men­hing. Als Jün­gers Sekre­tär von 1949 bis 1953 erfüll­te Moh­ler die Auf­ga­ben eines akri­bi­schen Kor­rek­tors, eines phi­lo­lo­gisch ver­sier­ten Recher­cheurs und »Nomen­kla­tors«, der sei­nem Chef Per­so­nen­be­zie­hun­gen erläu­ter­te und nicht sel­ten kurio­se Namens­ver­wechs­lun­gen behob. Er warn­te vor unnö­ti­gen Front­stel­lun­gen wie der zum emi­grier­ten Jün­ger-Bio­gra­phen Ger­hard Loo­se oder nötig­te im Fall Ger­hard Nebel zu schmerz­li­chen Entscheidungen.

Als Kon­takt­mann zu fran­zö­si­schen oder Schwei­zer Kul­tur­schaf­fen­den, Redak­tio­nen und Ver­la­gen ebne­te er Geschäfts­be­zie­hun­gen und manag­te Jün­gers Nach­kriegs-Image. Auch als er ab 1953 als Aus­lands­kor­re­spon­dent in Paris ander­wei­tig sein Brot ver­dien­te, ließ er sich wei­ter­hin als treu­er Gefolgs­mann für zahl­lo­se Auf­trä­ge Jün­gers ein­span­nen. Doch zugleich fun­gier­te er als sein schärfs­ter Kri­ti­ker, mal als uner­bitt­li­cher Ana­ly­ti­ker, mal als schel­misch frot­zeln­der Eulen­spie­gel, der durch Buch- oder Brief­zi­ta­te über Ban­de spiel­te oder ander­wei­tig die Gren­zen von Jün­gers Kri­tik­to­le­ranz aus­tes­te­te. Wer an wohl­for­mu­lier­ten bis­si­gen Poin­ten sein Ver­gnü­gen hat, kommt bei die­sem Brief­wech­sel voll auf sei­ne Kos­ten, sofern er (oder sie) nicht der heu­te gän­gi­gen Spe­zi­es ger­ma­nis­ti­scher Tram­pel­tie­re ange­hört, deren ein­zig erlern­te Fer­tig­keit dar­in besteht, nach schein­bar anrü­chi­gen »Stel­len« zu fahn­den, um kate­go­ria­le Urtei­le zu fällen.

Moh­ler besaß Humor, Witz und (Selbst-)Ironie – Mit­tel, die er nutz­te, um bei­spiels­wei­se sei­ne ori­gi­nel­le Kon­zep­ti­on des Jün­ger-Fest­bands Die Schlei­fe zum 60. Geburts­tag durch­zu­set­zen. Sei­ne Publi­ka­ti­ons­stra­te­gie ziel­te auf ein stär­ker »men­scheln­des« Por­trät des Autors, das um der grö­ße­ren Über­zeu­gungs­kraft wil­len auch Gegen­stim­men zuließ. Hier wie andern­orts ope­rier­te er mit dem Selbst­be­wußt­sein eines Lite­ra­tur­his­to­ri­kers, der mit sei­ner Pro­mo­ti­on bereits ein Stan­dard­werk geschaf­fen hat­te, dem spä­ter noch etli­che kon­ser­va­ti­ve Best­sel­ler folgten.

Zu Freund- wie Feind­schaf­ten glei­cher­ma­ßen begabt, betä­tig­te er sich wech­sel­wei­se als Diplo­mat oder argu­men­ta­ti­ver Rauf­bold, mit dem sich immer­hin zu strei­ten lohn­te. Er war ein sou­ve­rä­ner, gebil­de­ter, anre­gen­der Geist, ohne Berüh­rungs­scheu vor Rand­fi­gu­ren jeder Cou­leur, sofern sie Sub­stanz besa­ßen; in Ham­lets Wor­ten »ein Mann, nehmt alles nur in allem«. Sein Pro­fil unter­streicht der Ver­gleich mit einem sei­ner Sekretärs­nachfolger: dem Tritt­brett­fah­rer des Zeit­geists Heinz Lud­wig Arnold, der ohne­hin in einer tie­fe­ren geis­ti­gen Liga spiel­te. Auch er schied mit Jün­ger im Dis­sens, aber erst, als das Pen­del der lite­ra­ri­schen Kon­junk­tur unzwei­fel­haft in Rich­tung Grass, Böll oder Lenz aus­schlug. Sein State­ment anfangs der 90er, sich von Jün­ger »abge­na­belt« zu haben, quit­tier­te die­ser denn auch tref­fend mit der Notiz, er hät­te sich bes­ser »nicht erst angenabelt«.

Moh­ler war anders. Auch er ent­zwei­te sich mit Jün­ger und bekräf­tig­te dies im Dezem­ber 1961 sogar öffent­lich mit dem Spott, der eins­ti­ge kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­tio­när habe sein frü­he­res Werk »ad usum demo­cra­torum fri­siert«, sich mit Lite­ra­tur­prei­sen und dem Bun­des­ver­dienst­kreuz krö­nen las­sen und ans »ruhi­ge Ufer« der »Okku­pa­ti­ons­de­mo­kra­tie« geret­tet. Doch genau die­ses Urteil, wie unaus­ge­wo­gen auch immer, war kei­ne Fol­ge des Streits, son­dern grün­de­te in Befürch­tun­gen, die er vom ers­ten Tag sei­nes Jün­ger-Diensts an offen for­mu­liert hat­te. Moh­ler näm­lich – dar­in liegt das Beson­de­re gegen­über Jün­gers ande­ren Zer­würf­nis­sen etwa mit Nie­kisch, Schmitt oder Nebel – war sich stets der Mög­lich­keit eines sol­chen Aus­gangs bewußt und sprach es aus.

So wird sich kaum irgend­wo ein zwei­tes Bewer­bungs­schrei­ben fin­den las­sen wie sei­nes vom 14. April oder vom 18. Juni 1949 auf den Sekre­tärs­pos­ten. Dar­in rekla­mier­te er ein wech­sel­sei­ti­ges Kün­di­gungs­recht und mar­kier­te poten­ti­el­le Kon­flik­te mit gro­ßem Frei­mut: »Sie lau­fen mit mir als Famu­lus eine gewis­se Gefahr, auf die ich Sie vor­be­rei­ten will: ich wer­de immer sau­er auf alles reagie­ren, was die Ten­denz hat, aus Ihnen den Ger­hart Haupt­mann der zwei­ten Repu­blik zu machen.«

Drei Mona­te spä­ter setz­te er noch eins drauf: »Wenn ich zu Beginn der Lek­tü­re gesagt habe, dass es mich in Helio­po­lis nicht wie in Ihre ande­ren Wer­ke hin­ein­ge­zo­gen habe, so kann ich nach Been­di­gung der Lek­tü­re sagen, dass ich bei kei­nem andern Ihrer Wer­ke am Ende einen sol­chen Schlag erhal­ten habe. […] Ob ich Ihnen auf die­sem neu­en Weg fol­gen kann, weiss ich nicht […]. Der Schluss hat eine Bit­ter­keit in mir her­vor­ge­ru­fen; eine Bit­ter­keit, die sich zu dem Wun­sche ver­dich­te­te, ein­mal ein Werk schrei­ben zu kön­nen […], das Helio­po­lis wider­legt. Nun, Sie stimm­ten kürz­lich Jas­pers’ Spruch zu, dass man sei­ne Schlan­gen an sei­ner eige­nen Brust züchte.«

Spä­ter bilan­zier­te er Jün­ger gegen­über, nie Beden­ken ver­schwie­gen zu haben; »schliess­lich haben Sie mich nicht als Affen Zara­thus­tras enga­giert«. Das Sekre­ta­ri­at habe er ohne­hin nur im Bewußt­sein über­nom­men, an »lan­ger Lei­ne« gehal­ten zu wer­den. Und Jün­ger attes­tier­te ihm im Rück­blick, »im eigent­li­chen Sin­ne nicht nur ein schwie­ri­ger, son­dern gar kein Unter­ge­be­ner gewe­sen« zu sein, »was indes letzt­lich für ihn gespro­chen habe«.

Moh­ler ver­ehr­te frag­los sei­nen »Chef« als Dich­ter und Epo­chen­deu­ter. Als jun­ger Schwei­zer hat­te er für das, was er als Extrakt von Jün­gers Ideen hielt, sein Leben in die Schan­ze schla­gen wol­len, indem er sich ille­gal (ver­geb­lich) zur Waf­fen-SS mel­de­te. Kon­kre­te Ein­drü­cke in NS-Deutsch­land ernüch­ter­ten ihn, so daß er nach Hau­se zurück­kehr­te. Doch ver­leug­ne­te er nie ganz die appel­la­ti­ve Sug­ges­ti­on der Früh­schrif­ten. Nach Kriegs­en­de müh­te er sich, dem »Doy­en der deut­schen Schrift­stel­ler« einen gebüh­ren­den Rang zu ver­schaf­fen, in der Hoff­nung, der Autor möge wei­ter­hin als Vor­kämp­fer und Anti­po­de zur Zeit wir­ken. Miß­trau­isch beäug­te er daher jeden Ansatz, das Jün­ger-Bild frü­he­rer Lebens­pha­sen gemäß retro­spek­ti­ver Moral umzu­kom­po­nie­ren, was ihm wohl als gänz­li­che Dele­gi­ti­mie­rung sei­ner Jugend­tor­heit erschie­nen wäre. Bei Essays wie Der Arbei­ter ver­bie­te sich jeg­li­che Bear­bei­tung, schrieb er dem Ver­fas­ser: sie »gehö­ren Ihnen nicht mehr, weil sie in die Geis­tes­ge­schich­te ein­ge­grif­fen haben«.

Natür­lich hat­te Moh­ler recht, daß Der Arbei­ter 1932 nicht nur Sozi­al­dia­gno­se eines »Seis­mo­gra­phen« gewe­sen sei, son­dern zugleich poli­ti­sche Tages­for­de­run­gen erhob. Auch hat man­che Jün­ger­sche Bear­bei­tung frü­her Schrif­ten nicht nur den Text ver­bes­sert, son­dern auch ver­än­dert. Und gewiß war sein Werk kei­ne Ein­heit. Daß Jün­ger von kei­nem »Bruch« sei­nes Lebens, son­dern (nach Nebels For­mel) ledig­lich von orga­ni­scher »Ent­fal­tung« reden woll­te, war, etwas über­spitzt for­mu­liert, eine Lebens­lü­ge, die Moh­ler höchs­tens kurz­fris­tig teilte.

Orga­ni­sche Ent­fal­tung war es nur inso­fern, als Jün­ger für bei­de Hal­tun­gen zur Welt nach wie vor Ver­ständ­nis auf­brach­te. Aber im Prin­zip hat­te der mili­tan­te Jün­ger aus­ge­dient, wenn man von nächt­li­chen Gela­gen, in denen man­ches heu­te Inkor­rek­te pro­kla­miert oder gesun­gen wur­de, absieht. Für den Main­stream blieb er zwar noch der Pro­vo­ka­teur, der spä­te Auf­re­gung weck­te, als er auf die Fra­ge eines fran­zö­si­schen Jour­na­lis­ten, was für ihn im Ers­ten Welt­krieg das Schlimms­te gewe­sen sei, die Ant­wort gab: »Dass wir ihn ver­lo­ren haben.« Aber das war bes­ten­falls ein emo­tio­na­les Nachbeben.

Ein wei­te­rer Streit­punkt, der eine eige­ne Stu­die ver­dien­te und hier aus Raum­grün­den nur ange­tippt wer­den kann, betraf Jün­gers ver­meint­lich unzu­läs­si­ge »Unge­duld gegen­über den Tat­sa­chen« . Sei­ne (dich­te­ri­sche) Adler­schau ent­zö­ge sich durch meta­phy­si­sche oder meta­po­li­ti­sche Spe­ku­la­ti­on zu schnell kon­kre­ter Poli­tik. Jün­ger nann­te das eine Plat­ti­tü­de von »Dumm­köp­fen, die nichts als Fak­ten sehen«. »Eine ech­te Kon­zep­ti­on rich­tet sich nicht nach Tat­sa­chen, son­dern sie schafft Tatsachen.«

Die Lek­tü­re der Brie­fe zieht ihre beson­de­re Span­nung aus dem Umstand, daß der Leser den fata­len Aus­klang vor­aus­ahnt. Inso­fern erin­nert die Kon­tro­ver­se an eine klas­si­sche Tra­gö­die mit Expo­si­ti­on, Peri­pe­tie, retar­die­ren­den Ele­men­ten und Kata­stro­phe. Man kon­sta­tiert bewun­dernd, wie lan­ge ihre Grund­sym­pa­thie trotz eines zuwei­len schnei­den­den ver­ba­len Schlag­ab­tauschs erhal­ten blieb. Doch letzt­lich voll­zog sich das Zer­würf­nis mit einer gewis­sen Zwangs­läu­fig­keit. Und wie über­rascht Moh­ler dar­über auch gewe­sen sein mag, so hat­te doch bereits sei­ne brief­li­che Anspie­lung vom 18. Juni 1949 auf den Vater­mör­der Ödi­pus das Stich­wort geliefert.

Gäbe es in unser hoch­sub­ven­tio­nier­ten und daher so ste­ril-kon­for­mis­ti­schen Schau­spiel­sze­ne nur ein ein­zi­ges Thea­ter, das sich auch mal Alter­na­ti­vem öff­ne­te, läge hier ein dank­ba­rer Stoff für Dra­ma­ti­ker jen­seits the­ma­tisch vor­ge­ge­be­ner Fut­ter­krip­pen. Zu insze­nie­ren wäre – mit man­chem Aktua­li­täts­be­zug – ein Kon­flikt im rechts­kon­ser­va­ti­ven Lager. Er betraf ideo­lo­gi­sche Wei­chen­stel­lun­gen einer Epo­che, in der noch Hoff­nungs­fun­ken glüh­ten, der heu­ti­gen poli­tisch-kul­tu­rel­len McDo­nal­di­sie­rung zu ent­flie­hen. Man lernt, wel­che welt­an­schau­li­chen Span­nun­gen aus­halt­bar sind, solan­ge alle sich des gemein­sa­men Ziels und Geg­ners bewußt sind, und was folgt, wenn man zu des­sen Gau­di Dif­fe­ren­zen öffent­lich aus­trägt. Auch der Streit über den abzu­wer­fen­den ideo­lo­gi­schen Bal­last und die Form, in der das gesche­hen möge, kommt schmerz­lich zum Aus­trag. Selbst Dia­lo­ge für ein fas­zi­nie­ren­des Doku­men­tar­stück sind im Brief­wech­sel bereits vor­for­mu­liert, vom spöt­ti­schen Flo­rett über har­sche Maß­re­ge­lun­gen bis zu diplo­ma­ti­schen Tricks oder Teilrückzügen.

Unter Jün­ger-Lesern sind in die­ser Kon­tro­ver­se die Sym­pa­thien zwi­schen bei­den Prot­ago­nis­ten geteilt, wobei man sich vor­schnel­ler Urtei­le bes­ser ent­hält. War es Ver­rat oder gar Dolch­stoß, daß Moh­ler Jün­gers Werk­aus­ga­be in der Tat vom 7. Janu­ar 1961 mit phi­lo­lo­gi­schem Besteck kri­tisch sezier­te? Zumin­dest ein »Bären­dienst«, wie ihm Jün­gers spä­te­re Frau Lise­lot­te Loh­rer vor­hielt. Denn es ver­patz­te den Start der zehn­bän­di­gen Text­edi­ti­on, indem aus­ge­rech­net ein Fach­mann und Insi­der Miß­trau­en gegen das auf­wen­di­ge Ver­lags­pro­jekt säte. Und wie sich bald zeig­te, grif­fen Jün­gers Geg­ner wie Sieg­fried Lenz den Ver­dacht der Ver­gan­gen­heits­schö­nung ja gie­rig auf. Für Jün­ger, der Sekre­tär mit »Geheim­schrei­ber« über­setz­te, war dies ein an Vater­mord gren­zen­der Loya­li­täts­bruch, und er been­de­te den Brief­wech­sel abrupt.

Nun läßt sich über Ver­bes­se­run­gen oder Ver­wäs­se­run­gen von Fas­sun­gen treff­lich strei­ten, auch über die Fra­ge, ob ein Autor sinn­vol­ler­wei­se abso­lu­ter Herr sei­ner frü­her publi­zier­ten Tex­te bleibt. Doch basiert die­se Edi­ti­ons­fra­ge ja auf einem viel grund­sätz­li­che­ren poli­ti­schen Streit, gip­felnd in der Vor­hal­tung, Jün­gers Schrif­ten hät­ten »in das Schick­sal von tau­sen­den von jun­gen Men­schen ein­ge­grif­fen«. Natür­lich durf­te Jün­gers Wer­bung für den natio­na­len Auf­marsch von Wei­mar nicht rück­bli­ckend ver­harm­lost wer­den. Doch daß Moh­ler den Autor expli­zit für zahl­rei­che NS-Enga­ge­ments sei­ner Leser ver­ant­wort­lich mach­te, über­zeugt wenig. (Neben­bei gesagt, stellt dies gene­rell jeden radi­ka­len Gesell­schafts­ent­wurf unter Ankla­ge, nicht zuletzt die­je­ni­gen unse­rer gehät­schel­ten, Stra­ßen und Lite­ra­tur­prei­se zie­ren­den Links­in­tel­lek­tu­el­len, deren mora­li­sche Haft­bar­keit für welt­weit ver­üb­te kom­mu­nis­ti­sche Mas­sen­mor­de prak­tisch kein The­ma sind.)

Schon vor­her hat­te sich Jün­ger zu sol­chen Vor­wür­fen geäu­ßert. Dabei wei­ger­te er sich, für Feh­ler ande­rer ein­zu­ste­hen, die über eige­ne Per­spek­ti­ven nicht hin­aus­kä­men. Er selbst habe früh gewußt, daß Hit­ler schei­tern wer­de. »Uns trenn­te die Ras­sen­fra­ge« und das geis­ti­ge Niveau. Wo aber Moh­ler sein eige­nes Schick­sal anführt, muß er sich selek­ti­ve Jün­ger-Lek­tü­re vor­hal­ten las­sen. Hat­te der Ver­fas­ser des Arbei­ter doch nicht nur natio­na­lis­tisch agi­tiert, son­dern bereits mit Blät­ter und Stei­ne wie Das aben­teu­er­li­che Herz. Zwei­te Fas­sung anti­na­zis­ti­sche Signa­le gesandt. Und die Mar­mor­klip­pen von 1939 wirk­ten, meta­pho­risch gespro­chen, für sen­si­ble Leser wie ein ethi­scher Leucht­turm. Denn die­ser Roman ist (bei allem, was er sonst noch aus­drückt) ein kaum über­seh­ba­res Demen­ti des mili­tan­ten Mas­sen­typs und ein Plä­doy­er für eine geis­ti­ge Exis­tenz in Distanz zur Tages­po­li­tik. Zusätz­lich wur­de die­ser neue Weg noch im Krieg durch Wer­ke wie Gär­ten und Stra­ßen, Der Steg von Masi­rah oder Der Frie­de nahe­zu asphaltiert.

Gera­de wo Moh­ler Jün­gers Bruch mit sei­nem Früh­werk so schmerz­lich emp­fand, hät­te er ahnen kön­nen, daß es kein Zurück gab und sein Meis­ter nach dem in ihrer Cli­que so geläu­fi­gen Hera­klit-Zitat han­deln wür­de, nicht zwei­mal in den glei­chen Fluß zu stei­gen. Moh­ler jedoch miß­deu­te­te Jün­gers Moti­ve vor­wie­gend als (publikations-)strategischen Rück­zug und unter­schätz­te des­sen Erschüt­te­rung im Zwei­ten Welt­krieg, der ihn zu einer Neu­be­wer­tung des Kriegs über­haupt nötig­te. Spä­tes­tens die im Kau­ka­sus erfah­re­nen Details mecha­ni­schen Mas­sen­mords hat­ten etwas in ihm zer­bro­chen, stan­den der selbst­ver­ständ­li­chen Bewah­rung frü­he­rer Tra­di­tio­nen und Über­zeu­gun­gen im Wege. Die Strah­lun­gen (8.2.; 6.3.; 7.6.; 21.4; 21.4.; 16.10.1943) kün­den davon ein­drucks­voll, exem­pla­risch die Tage­buch­no­tiz vom 31. Dezem­ber 1942, wo er sich eine »Poten­zie­rung des Lei­dens« aus­mal­te, »vor der man die Arme sin­ken läßt. Ein Ekel ergreift mich dann vor den Uni­for­men, den Schul­ter­stü­cken, den Orden, den Waf­fen, deren Glanz ich so geliebt habe.«

Moh­ler hin­ge­gen arg­wöhn­te, daß Jün­ger sei­ne Ver­gan­gen­heit ver­riet und damit einen Teil sei­ner Leser auch – als »Abwa­schen mit Schmutz­kübeln« , das frü­he­re natio­na­lis­ti­sche Gefähr­ten noch stär­ker iso­lier­te. Ein ver­bit­ter­ter Carl Schmitt über­spitz­te sol­chen Deso­li­da­ri­sie­rungs- und Oppor­tu­nis­mus­ver­dacht, indem er spot­te­te, Jün­ger habe sich inzwi­schen »selbst den Pour le méri­te für den Kampf gegen Hit­ler ver­lie­hen« (Glos­sa­ri­um, S. 269). Mit ana­lo­gen Befürch­tun­gen recht­fer­tig­te Moh­ler vor sich selbst wohl sein öffent­li­ches Drein­schla­gen in der Tat.

Dem­ge­gen­über soll­ten wir mora­lisch abrüs­ten. Frag­los wirk­te der Pro­pa­ga­tor der Tota­len Mobil­ma­chung auf Akti­vis­ten zuwei­len wie ein zahm gewor­de­ner Wolf, der nach Auf­he­bung des gegen ihn ver­häng­ten Publi­ka­ti­ons­ver­bots sei­ne Pro­vo­ka­ti­ons­lust mäßig­te. Mit dem Ade­nau­er-Staat, in dem ihn höchs­te Ver­tre­ter wie Heuss und Car­lo Schmid ehr­ten und Gene­ral Spei­del ein hohes NATO-Kom­man­do ver­sah, hat er letzt­lich sei­nen Frie­den gemacht. Im West­bünd­nis sah er die Chan­ce, der Zwei­frontenlage zu ent­kom­men, wäh­rend Moh­ler Deutsch­land noch Optio­nen zusprach, die über die Funk­ti­on atlan­ti­scher Zuträ­ger­schaft hinausgingen.

Zum Ent­set­zen Carl Schmitts pri­va­ti­sier­te Jün­ger ein wenig, gemäß sei­nem selbst­iro­nisch gezeich­ne­ten All­tags­hel­den in den Glä­ser­nen Bie­nen. Doch trotz sei­ner im Zick­zack erfolg­ten kul­tur­po­li­ti­schen Reso­zia­li­sie­rung dock­te er nie gänz­lich ans Estab­lish­ment an oder ver­gaß, was er frü­he­ren Kame­ra­den an Ver­ständ­nis schul­dig war. Viel­mehr führ­te sei­ne Wunsch­exis­tenz vom Klip­pen-Bewoh­ner über den Wald­gän­ger zum stets selbst­be­stimm­ten Anar­chen im spä­ten Roman Eumes­wil.

Moh­ler wie­der­um, der vom Feuil­le­ton als ver­blei­ben­der Feind Erko­re­ne, wur­de inzwi­schen vom Zeit­geist aus­ge­spien. Nach aktu­el­lem Ger­ma­nis­ten­trend besetzt er im Streit mit Jün­ger den übel beleu­mun­de­ten Part des Ewig­gest­ri­gen. Dabei war er ganz und gar nicht unemp­find­lich gegen­über NS-beding­tem Leid, son­dern nahm nur zugleich des­sen poli­ti­sche Instru­men­ta­li­sie­rung wahr. Sein Unwil­le, sich sol­cher »Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung« aus­zu­set­zen (exem­pla­risch 1989 sei­ne Pole­mik Der Nasen­ring, die man wohl nur einem Schwei­zer durch­ge­hen ließ), rühr­te aus deren polit­re­li­giö­ser, statt tat­säch­lich an Erkennt­nis ori­en­tier­ter his­to­ri­scher Ana­ly­se der 1930er und 1940er Jahre.

Güns­ti­ger dürf­te urtei­len, wer sich bewußt macht, woher sei­ne Skep­sis gegen eine hoch­ge­prie­se­ne Staats­form rühr­te, deren halb­to­ta­li­tä­re Aus­wu­che­run­gen wir momen­tan zuneh­mend bedroh­li­cher spü­ren. Schließ­lich galt sein Soup­çon nicht nur einer Vor­be­halts­de­mo­kra­tie unter wei­te­rer alli­ier­ter Auf­sicht, son­dern eben­so einem ver­gan­gen­heits­po­li­ti­schen Erpres­sungs­in­stru­men­ta­ri­um auf der Basis einer Geschichts­deu­tung, die das fata­le Erbe zum kon­text­los Bösen ver­ne­bel­te, um es unbe­schränkt tages­po­le­misch aus­beu­ten zu können. 

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