Unter zahlreichen Briefwechseln, die Ernst Jünger (geboren vor 125 Jahren, am 29. Mai 1895) führte, gehört der mit Armin Mohler zur biographischen Erschließung der ersten Nachkriegsjahrzehnte zu den ergiebigsten. Mohler (geboren am 12. April 1920, vor hundert Jahren also) hatte noch vor seinem Tod einer Edition dieses Briefwechsels im Verlag Antaios zugestimmt. Erik Lehnert hat das große Verdienst, zumindest Mohlers 385 Schreiben zwischen 1947 und 1961 ediert zu haben. Daß in seiner Leseausgabe nicht zugleich Ernst Jüngers 437 Briefe und Karten abgedruckt werden durften, liegt an der mangelnden Kooperationsbereitschaft der Witwe Jüngers und des Verlags Klett-Cotta: Während Liselotte Lohrer in den Gesprächen, die Götz Kubitschek mit ihr führte, immer wieder auf die aus ihrer Sicht unstatthafte Kritik Mohlers an den Texteingriffen Jüngers in das Vorkriegswerk verwies, lehnte Klett die Edition bei Antaios schlicht aus Gründen der Verlagspolitik ab – ohne jedoch zu signalisieren, daß man selbst an einer Edition interessiert sei. Lehnert hat diesen Mangel gemildert, indem er Jüngers Antworten als Regesten mitteilte.
Worin nun liegt die Bedeutung dieses Meinungsaustauschs, der nach vierzehn Jahren gegenseitiger geistiger Befruchtung in ein Zerwürfnis mündete, das erst in den 1980ern wieder persönliche Treffen erlaubte? Zunächst einmal in zahlreichen Details über den Freundes- und Berufskreis der beiden. Werke und Autoren, von Joseph Breitbach über Jüngers Freundin Banine bis zur Reizfigur Céline, werden lebhaft diskutiert, desgleichen Jüngers erste Werkausgabe und Festschrift. Man bespricht Gegenwartspolitik, von der Saarabstimmung über de Gaulle und Mendès France bis zur Suezkrise, oder ringt um eine Konservativismus-Definition. Wir erfahren, daß Sartre sich für die Strahlungen und Hesse für die Gläsernen Bienen begeisterte, oder – zur Verwirrung germanistischer Schablonendenker – von zwanglosen Kontakten des »Reaktionärs« Mohler zu Hanns Henny Jahn, Eugen Gomringer und Paul Celan, der ihn einlädt, oder Erich Kuby, der von ihm einen Aufsatz über Jünger wünscht.
Auch war Mohler in Jüngers großer Umbruchsphase (jenseits der Familie) wohl sein wichtigster Diskussionspartner und Berater, was mit seiner geistigen Potenz und seinem Charakter zusammenhing. Als Jüngers Sekretär von 1949 bis 1953 erfüllte Mohler die Aufgaben eines akribischen Korrektors, eines philologisch versierten Rechercheurs und »Nomenklators«, der seinem Chef Personenbeziehungen erläuterte und nicht selten kuriose Namensverwechslungen behob. Er warnte vor unnötigen Frontstellungen wie der zum emigrierten Jünger-Biographen Gerhard Loose oder nötigte im Fall Gerhard Nebel zu schmerzlichen Entscheidungen.
Als Kontaktmann zu französischen oder Schweizer Kulturschaffenden, Redaktionen und Verlagen ebnete er Geschäftsbeziehungen und managte Jüngers Nachkriegs-Image. Auch als er ab 1953 als Auslandskorrespondent in Paris anderweitig sein Brot verdiente, ließ er sich weiterhin als treuer Gefolgsmann für zahllose Aufträge Jüngers einspannen. Doch zugleich fungierte er als sein schärfster Kritiker, mal als unerbittlicher Analytiker, mal als schelmisch frotzelnder Eulenspiegel, der durch Buch- oder Briefzitate über Bande spielte oder anderweitig die Grenzen von Jüngers Kritiktoleranz austestete. Wer an wohlformulierten bissigen Pointen sein Vergnügen hat, kommt bei diesem Briefwechsel voll auf seine Kosten, sofern er (oder sie) nicht der heute gängigen Spezies germanistischer Trampeltiere angehört, deren einzig erlernte Fertigkeit darin besteht, nach scheinbar anrüchigen »Stellen« zu fahnden, um kategoriale Urteile zu fällen.
Mohler besaß Humor, Witz und (Selbst-)Ironie – Mittel, die er nutzte, um beispielsweise seine originelle Konzeption des Jünger-Festbands Die Schleife zum 60. Geburtstag durchzusetzen. Seine Publikationsstrategie zielte auf ein stärker »menschelndes« Porträt des Autors, das um der größeren Überzeugungskraft willen auch Gegenstimmen zuließ. Hier wie andernorts operierte er mit dem Selbstbewußtsein eines Literaturhistorikers, der mit seiner Promotion bereits ein Standardwerk geschaffen hatte, dem später noch etliche konservative Bestseller folgten.
Zu Freund- wie Feindschaften gleichermaßen begabt, betätigte er sich wechselweise als Diplomat oder argumentativer Raufbold, mit dem sich immerhin zu streiten lohnte. Er war ein souveräner, gebildeter, anregender Geist, ohne Berührungsscheu vor Randfiguren jeder Couleur, sofern sie Substanz besaßen; in Hamlets Worten »ein Mann, nehmt alles nur in allem«. Sein Profil unterstreicht der Vergleich mit einem seiner Sekretärsnachfolger: dem Trittbrettfahrer des Zeitgeists Heinz Ludwig Arnold, der ohnehin in einer tieferen geistigen Liga spielte. Auch er schied mit Jünger im Dissens, aber erst, als das Pendel der literarischen Konjunktur unzweifelhaft in Richtung Grass, Böll oder Lenz ausschlug. Sein Statement anfangs der 90er, sich von Jünger »abgenabelt« zu haben, quittierte dieser denn auch treffend mit der Notiz, er hätte sich besser »nicht erst angenabelt«.
Mohler war anders. Auch er entzweite sich mit Jünger und bekräftigte dies im Dezember 1961 sogar öffentlich mit dem Spott, der einstige konservative Revolutionär habe sein früheres Werk »ad usum democratorum frisiert«, sich mit Literaturpreisen und dem Bundesverdienstkreuz krönen lassen und ans »ruhige Ufer« der »Okkupationsdemokratie« gerettet. Doch genau dieses Urteil, wie unausgewogen auch immer, war keine Folge des Streits, sondern gründete in Befürchtungen, die er vom ersten Tag seines Jünger-Diensts an offen formuliert hatte. Mohler nämlich – darin liegt das Besondere gegenüber Jüngers anderen Zerwürfnissen etwa mit Niekisch, Schmitt oder Nebel – war sich stets der Möglichkeit eines solchen Ausgangs bewußt und sprach es aus.
So wird sich kaum irgendwo ein zweites Bewerbungsschreiben finden lassen wie seines vom 14. April oder vom 18. Juni 1949 auf den Sekretärsposten. Darin reklamierte er ein wechselseitiges Kündigungsrecht und markierte potentielle Konflikte mit großem Freimut: »Sie laufen mit mir als Famulus eine gewisse Gefahr, auf die ich Sie vorbereiten will: ich werde immer sauer auf alles reagieren, was die Tendenz hat, aus Ihnen den Gerhart Hauptmann der zweiten Republik zu machen.«
Drei Monate später setzte er noch eins drauf: »Wenn ich zu Beginn der Lektüre gesagt habe, dass es mich in Heliopolis nicht wie in Ihre anderen Werke hineingezogen habe, so kann ich nach Beendigung der Lektüre sagen, dass ich bei keinem andern Ihrer Werke am Ende einen solchen Schlag erhalten habe. […] Ob ich Ihnen auf diesem neuen Weg folgen kann, weiss ich nicht […]. Der Schluss hat eine Bitterkeit in mir hervorgerufen; eine Bitterkeit, die sich zu dem Wunsche verdichtete, einmal ein Werk schreiben zu können […], das Heliopolis widerlegt. Nun, Sie stimmten kürzlich Jaspers’ Spruch zu, dass man seine Schlangen an seiner eigenen Brust züchte.«
Später bilanzierte er Jünger gegenüber, nie Bedenken verschwiegen zu haben; »schliesslich haben Sie mich nicht als Affen Zarathustras engagiert«. Das Sekretariat habe er ohnehin nur im Bewußtsein übernommen, an »langer Leine« gehalten zu werden. Und Jünger attestierte ihm im Rückblick, »im eigentlichen Sinne nicht nur ein schwieriger, sondern gar kein Untergebener gewesen« zu sein, »was indes letztlich für ihn gesprochen habe«.
Mohler verehrte fraglos seinen »Chef« als Dichter und Epochendeuter. Als junger Schweizer hatte er für das, was er als Extrakt von Jüngers Ideen hielt, sein Leben in die Schanze schlagen wollen, indem er sich illegal (vergeblich) zur Waffen-SS meldete. Konkrete Eindrücke in NS-Deutschland ernüchterten ihn, so daß er nach Hause zurückkehrte. Doch verleugnete er nie ganz die appellative Suggestion der Frühschriften. Nach Kriegsende mühte er sich, dem »Doyen der deutschen Schriftsteller« einen gebührenden Rang zu verschaffen, in der Hoffnung, der Autor möge weiterhin als Vorkämpfer und Antipode zur Zeit wirken. Mißtrauisch beäugte er daher jeden Ansatz, das Jünger-Bild früherer Lebensphasen gemäß retrospektiver Moral umzukomponieren, was ihm wohl als gänzliche Delegitimierung seiner Jugendtorheit erschienen wäre. Bei Essays wie Der Arbeiter verbiete sich jegliche Bearbeitung, schrieb er dem Verfasser: sie »gehören Ihnen nicht mehr, weil sie in die Geistesgeschichte eingegriffen haben«.
Natürlich hatte Mohler recht, daß Der Arbeiter 1932 nicht nur Sozialdiagnose eines »Seismographen« gewesen sei, sondern zugleich politische Tagesforderungen erhob. Auch hat manche Jüngersche Bearbeitung früher Schriften nicht nur den Text verbessert, sondern auch verändert. Und gewiß war sein Werk keine Einheit. Daß Jünger von keinem »Bruch« seines Lebens, sondern (nach Nebels Formel) lediglich von organischer »Entfaltung« reden wollte, war, etwas überspitzt formuliert, eine Lebenslüge, die Mohler höchstens kurzfristig teilte.
Organische Entfaltung war es nur insofern, als Jünger für beide Haltungen zur Welt nach wie vor Verständnis aufbrachte. Aber im Prinzip hatte der militante Jünger ausgedient, wenn man von nächtlichen Gelagen, in denen manches heute Inkorrekte proklamiert oder gesungen wurde, absieht. Für den Mainstream blieb er zwar noch der Provokateur, der späte Aufregung weckte, als er auf die Frage eines französischen Journalisten, was für ihn im Ersten Weltkrieg das Schlimmste gewesen sei, die Antwort gab: »Dass wir ihn verloren haben.« Aber das war bestenfalls ein emotionales Nachbeben.
Ein weiterer Streitpunkt, der eine eigene Studie verdiente und hier aus Raumgründen nur angetippt werden kann, betraf Jüngers vermeintlich unzulässige »Ungeduld gegenüber den Tatsachen« . Seine (dichterische) Adlerschau entzöge sich durch metaphysische oder metapolitische Spekulation zu schnell konkreter Politik. Jünger nannte das eine Plattitüde von »Dummköpfen, die nichts als Fakten sehen«. »Eine echte Konzeption richtet sich nicht nach Tatsachen, sondern sie schafft Tatsachen.«
Die Lektüre der Briefe zieht ihre besondere Spannung aus dem Umstand, daß der Leser den fatalen Ausklang vorausahnt. Insofern erinnert die Kontroverse an eine klassische Tragödie mit Exposition, Peripetie, retardierenden Elementen und Katastrophe. Man konstatiert bewundernd, wie lange ihre Grundsympathie trotz eines zuweilen schneidenden verbalen Schlagabtauschs erhalten blieb. Doch letztlich vollzog sich das Zerwürfnis mit einer gewissen Zwangsläufigkeit. Und wie überrascht Mohler darüber auch gewesen sein mag, so hatte doch bereits seine briefliche Anspielung vom 18. Juni 1949 auf den Vatermörder Ödipus das Stichwort geliefert.
Gäbe es in unser hochsubventionierten und daher so steril-konformistischen Schauspielszene nur ein einziges Theater, das sich auch mal Alternativem öffnete, läge hier ein dankbarer Stoff für Dramatiker jenseits thematisch vorgegebener Futterkrippen. Zu inszenieren wäre – mit manchem Aktualitätsbezug – ein Konflikt im rechtskonservativen Lager. Er betraf ideologische Weichenstellungen einer Epoche, in der noch Hoffnungsfunken glühten, der heutigen politisch-kulturellen McDonaldisierung zu entfliehen. Man lernt, welche weltanschaulichen Spannungen aushaltbar sind, solange alle sich des gemeinsamen Ziels und Gegners bewußt sind, und was folgt, wenn man zu dessen Gaudi Differenzen öffentlich austrägt. Auch der Streit über den abzuwerfenden ideologischen Ballast und die Form, in der das geschehen möge, kommt schmerzlich zum Austrag. Selbst Dialoge für ein faszinierendes Dokumentarstück sind im Briefwechsel bereits vorformuliert, vom spöttischen Florett über harsche Maßregelungen bis zu diplomatischen Tricks oder Teilrückzügen.
Unter Jünger-Lesern sind in dieser Kontroverse die Sympathien zwischen beiden Protagonisten geteilt, wobei man sich vorschneller Urteile besser enthält. War es Verrat oder gar Dolchstoß, daß Mohler Jüngers Werkausgabe in der Tat vom 7. Januar 1961 mit philologischem Besteck kritisch sezierte? Zumindest ein »Bärendienst«, wie ihm Jüngers spätere Frau Liselotte Lohrer vorhielt. Denn es verpatzte den Start der zehnbändigen Textedition, indem ausgerechnet ein Fachmann und Insider Mißtrauen gegen das aufwendige Verlagsprojekt säte. Und wie sich bald zeigte, griffen Jüngers Gegner wie Siegfried Lenz den Verdacht der Vergangenheitsschönung ja gierig auf. Für Jünger, der Sekretär mit »Geheimschreiber« übersetzte, war dies ein an Vatermord grenzender Loyalitätsbruch, und er beendete den Briefwechsel abrupt.
Nun läßt sich über Verbesserungen oder Verwässerungen von Fassungen trefflich streiten, auch über die Frage, ob ein Autor sinnvollerweise absoluter Herr seiner früher publizierten Texte bleibt. Doch basiert diese Editionsfrage ja auf einem viel grundsätzlicheren politischen Streit, gipfelnd in der Vorhaltung, Jüngers Schriften hätten »in das Schicksal von tausenden von jungen Menschen eingegriffen«. Natürlich durfte Jüngers Werbung für den nationalen Aufmarsch von Weimar nicht rückblickend verharmlost werden. Doch daß Mohler den Autor explizit für zahlreiche NS-Engagements seiner Leser verantwortlich machte, überzeugt wenig. (Nebenbei gesagt, stellt dies generell jeden radikalen Gesellschaftsentwurf unter Anklage, nicht zuletzt diejenigen unserer gehätschelten, Straßen und Literaturpreise zierenden Linksintellektuellen, deren moralische Haftbarkeit für weltweit verübte kommunistische Massenmorde praktisch kein Thema sind.)
Schon vorher hatte sich Jünger zu solchen Vorwürfen geäußert. Dabei weigerte er sich, für Fehler anderer einzustehen, die über eigene Perspektiven nicht hinauskämen. Er selbst habe früh gewußt, daß Hitler scheitern werde. »Uns trennte die Rassenfrage« und das geistige Niveau. Wo aber Mohler sein eigenes Schicksal anführt, muß er sich selektive Jünger-Lektüre vorhalten lassen. Hatte der Verfasser des Arbeiter doch nicht nur nationalistisch agitiert, sondern bereits mit Blätter und Steine wie Das abenteuerliche Herz. Zweite Fassung antinazistische Signale gesandt. Und die Marmorklippen von 1939 wirkten, metaphorisch gesprochen, für sensible Leser wie ein ethischer Leuchtturm. Denn dieser Roman ist (bei allem, was er sonst noch ausdrückt) ein kaum übersehbares Dementi des militanten Massentyps und ein Plädoyer für eine geistige Existenz in Distanz zur Tagespolitik. Zusätzlich wurde dieser neue Weg noch im Krieg durch Werke wie Gärten und Straßen, Der Steg von Masirah oder Der Friede nahezu asphaltiert.
Gerade wo Mohler Jüngers Bruch mit seinem Frühwerk so schmerzlich empfand, hätte er ahnen können, daß es kein Zurück gab und sein Meister nach dem in ihrer Clique so geläufigen Heraklit-Zitat handeln würde, nicht zweimal in den gleichen Fluß zu steigen. Mohler jedoch mißdeutete Jüngers Motive vorwiegend als (publikations-)strategischen Rückzug und unterschätzte dessen Erschütterung im Zweiten Weltkrieg, der ihn zu einer Neubewertung des Kriegs überhaupt nötigte. Spätestens die im Kaukasus erfahrenen Details mechanischen Massenmords hatten etwas in ihm zerbrochen, standen der selbstverständlichen Bewahrung früherer Traditionen und Überzeugungen im Wege. Die Strahlungen (8.2.; 6.3.; 7.6.; 21.4; 21.4.; 16.10.1943) künden davon eindrucksvoll, exemplarisch die Tagebuchnotiz vom 31. Dezember 1942, wo er sich eine »Potenzierung des Leidens« ausmalte, »vor der man die Arme sinken läßt. Ein Ekel ergreift mich dann vor den Uniformen, den Schulterstücken, den Orden, den Waffen, deren Glanz ich so geliebt habe.«
Mohler hingegen argwöhnte, daß Jünger seine Vergangenheit verriet und damit einen Teil seiner Leser auch – als »Abwaschen mit Schmutzkübeln« , das frühere nationalistische Gefährten noch stärker isolierte. Ein verbitterter Carl Schmitt überspitzte solchen Desolidarisierungs- und Opportunismusverdacht, indem er spottete, Jünger habe sich inzwischen »selbst den Pour le mérite für den Kampf gegen Hitler verliehen« (Glossarium, S. 269). Mit analogen Befürchtungen rechtfertigte Mohler vor sich selbst wohl sein öffentliches Dreinschlagen in der Tat.
Demgegenüber sollten wir moralisch abrüsten. Fraglos wirkte der Propagator der Totalen Mobilmachung auf Aktivisten zuweilen wie ein zahm gewordener Wolf, der nach Aufhebung des gegen ihn verhängten Publikationsverbots seine Provokationslust mäßigte. Mit dem Adenauer-Staat, in dem ihn höchste Vertreter wie Heuss und Carlo Schmid ehrten und General Speidel ein hohes NATO-Kommando versah, hat er letztlich seinen Frieden gemacht. Im Westbündnis sah er die Chance, der Zweifrontenlage zu entkommen, während Mohler Deutschland noch Optionen zusprach, die über die Funktion atlantischer Zuträgerschaft hinausgingen.
Zum Entsetzen Carl Schmitts privatisierte Jünger ein wenig, gemäß seinem selbstironisch gezeichneten Alltagshelden in den Gläsernen Bienen. Doch trotz seiner im Zickzack erfolgten kulturpolitischen Resozialisierung dockte er nie gänzlich ans Establishment an oder vergaß, was er früheren Kameraden an Verständnis schuldig war. Vielmehr führte seine Wunschexistenz vom Klippen-Bewohner über den Waldgänger zum stets selbstbestimmten Anarchen im späten Roman Eumeswil.
Mohler wiederum, der vom Feuilleton als verbleibender Feind Erkorene, wurde inzwischen vom Zeitgeist ausgespien. Nach aktuellem Germanistentrend besetzt er im Streit mit Jünger den übel beleumundeten Part des Ewiggestrigen. Dabei war er ganz und gar nicht unempfindlich gegenüber NS-bedingtem Leid, sondern nahm nur zugleich dessen politische Instrumentalisierung wahr. Sein Unwille, sich solcher »Vergangenheitsbewältigung« auszusetzen (exemplarisch 1989 seine Polemik Der Nasenring, die man wohl nur einem Schweizer durchgehen ließ), rührte aus deren politreligiöser, statt tatsächlich an Erkenntnis orientierter historischer Analyse der 1930er und 1940er Jahre.
Günstiger dürfte urteilen, wer sich bewußt macht, woher seine Skepsis gegen eine hochgepriesene Staatsform rührte, deren halbtotalitäre Auswucherungen wir momentan zunehmend bedrohlicher spüren. Schließlich galt sein Soupçon nicht nur einer Vorbehaltsdemokratie unter weiterer alliierter Aufsicht, sondern ebenso einem vergangenheitspolitischen Erpressungsinstrumentarium auf der Basis einer Geschichtsdeutung, die das fatale Erbe zum kontextlos Bösen vernebelte, um es unbeschränkt tagespolemisch ausbeuten zu können.